Protokoll der Sitzung vom 30.01.2002

Ein besonderes Armutszeugnis stellen für mich Ihre heutigen Darlegungen in der Diskussion zur Bildungspolitik und zur bedarfsgerechten Ganztagsschule dar. Ich darf aus einer Erklärung des Bayerischen Städtetags zitieren:

Seit Jahren ist ein zunehmender Bedarf an Ganztagsschulen erkennbar. Dieser Entwicklung wird der Freistaat Bayern nicht gerecht.

Das ist eine Aussage des Bayerischen Städtetages.

Er bietet bislang nur außerschulische Hilfskonstruktionen an, mit denen die Verantwortung und die Finanzierungslast vor allem den Kommunen aufgebürdet werden.

Dieser Darlegung des Städtetages ist leider nichts hinzuzufügen. Wer die Hoffnung hatte, die Regierungserklärung zur Kommunalpolitik bringe neue Perspektiven und Möglichkeiten, der wurde enttäuscht. Bis heute gibt es keine verbindliche Planung zum Ausbau und zur Finanzierung von Ganztagsschulen. Bis heute wissen die Eltern in Bayern nicht, wie dieses Zukunftsprojekt angegangen und finanziert werden soll. Wir müssen feststellen, dass auch zur dringend notwendigen Schulsozialarbeit keine Aussage gemacht wurde. Zur Sachmittelausstattung an den Schulen haben Sie kein Wort gesagt.

Herr Staatsminister, Sie tun so, als sei der Sachaufwand für die Schulen die Leistung, ab und zu einmal ein Schulbuch zu erneuern, eventuell den teuren Atlas im Abstand von fünf Jahren. Tatsächlich sehen die Zahlen anders aus. Der Stadtkämmerer von Würzburg hat für seine Stadt berechnet: Eine Standardausrüstung mit zwei PCs pro Klassenzimmer kostet mit Vernetzungskosten 55 Millionen DM für die Stadt Würzburg. Der Stadtkämmerer von Nürnberg kommt auf eine Summe von 100 Millionen DM für seine Stadt. Für meine eigene Stadt Fürth kann ich sagen, es sind 900000 DM im Haushaltsplan 2001 eingesetzt. Zu diesen 900000 DM gibt es einen Zuschuss vom Freistaat Bayern in Höhe von 50000 DM.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Der Stadtkämmerer von Würzburg beziffert den Aufwand für seine Stadt mit 55 Millionen DM. Der Freistaat Bayern gibt dafür 60 Millionen DM aus. Die Diskrepanzen schreien zum Himmel. Das ist kommunalfeindlich.

(Beifall bei der SPD)

Diese Politik spaltet das Land. Es gibt eine Spaltung des Landes Bayern in die wohlhabenden und in die ärmeren Gebiete. Mit dieser Finanzsituation wird das für die Zukunft zementiert.

(Zuruf des Abgeordneten Herrmann (CSU))

Welche Möglichkeiten muss ein Stadtkämmerer denn haben – ich bleibe beim Beispiel Hof –, um seine Schulen auszustatten? Das kann er nicht, ohne dass ihm der Freistaat Bayern dabei hilft. Wir werden ein Bildungsge

fälle bekommen: Die Landeshauptstadt München und die Region ringsherum investieren viel Geld, und in den ärmeren Gegenden Bayerns kann die Ausstattung durch die Gebietskörperschaften nicht geleistet werden.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Damit haben wir die Spaltung auf dem Bildungssektor, die wir heute schon haben, für die nächsten Jahre zementiert.

(Beifall bei der SPD)

Herr Staatsminister, insgesamt unterscheiden wir uns in der Grundauffassung gegenüber den Kommunen. Für uns sind die Kommunen Gebietskörperschaften, die ihr Geld eigenverantwortlich ausgeben sollten, die eigenverantwortlich bestimmen sollten, welche Dinge notwendig sind und wo Investitionen erfolgen sollen. Das bedeutet für uns: Die bayerischen Kommunen brauchen vor allem nicht festgelegte, nicht zweckgebundene Pauschalzuweisungen und Schlüsselzuweisungen. Wir in Bayern haben im Vergleich mit den übrigen der alten Bundesländern den niedrigsten Anteil bei den Schlüsselzuweisungen, den nicht gebundenen Zuweisungen an die Kommunen. Die Staatsregierung ist Meister darin, ein riesiges Verwaltungs- und Vergabesystem für projektgebundene Zuschüsse aufzubauen. Damit können Sie Steuern kontrollieren. Die Beamten bei den Regierungen prüfen vorab und prüfen hinterher die Rechnungen und die Verwendungsnachweise. Damit werden Heerscharen von Beamten beschäftigt. Geben Sie das Geld in die Hände der Kommunen. Diese wissen, wo sie es vernünftig unterbringen.

(Beifall bei der SPD)

Die bayerischen Kommunen werden damit auch keinen Unsinn treiben, da haben wir festes Vertrauen. Dieses Vertrauen haben Sie nicht. Deshalb geben Sie die Mittel nur mit diesen Gängelungen.

Sie haben mutig das Trauerspiel um die Notrufnummer 112 angesprochen. Seit ich Mitglied dieses Landtages bin – das sind mittlerweile sieben Jahre –, hören wir davon. Es wird jetzt wieder eine Gesetzesvorlage angekündigt. Das wurde im innenpolitischen Ausschuss schon mehrfach angekündigt. Letztlich ist das ein lohnenswertes Ziel, das wir alle unterstützen. Die Konflikte mit dem Städtetag und dem Landkreistag sowie die Verzögerungen gibt es nur, weil Sie Aufgaben abwälzen und Aufgaben diesen Gebietskörperschaften aufbürden wollten.

(Beifall bei der SPD)

Widerstand wird nicht geleistet, weil die Städte und die Landkreise keine einheitliche Notrufnummer wollten. Der Freistaat Bayern nutzt dies, um den Kommunen Kosten aufzubürden. Darin liegt das Problem.

Herr Staatsminister, Sie sind leider nicht auf den neuen Konflikt innerhalb Bayerns eingegangen. Der Präsident des Gemeindetages und der Präsident des Bezirkstages greifen Sie gegenwärtig in einer bisher nicht vorstellba

ren Schärfe an. Beide sind Parteifreunde von Ihnen. Ich zitiere den Präsidenten des Bayerischen Gemeindetages Thallmair in seinem Schreiben vom 16. Januar 2002:

Viele Städte und Gemeinden müssen in die Verschuldung gehen, so zum Beispiel auch meine eigene Stadt Starnberg, die nicht gerade eine steuerkraftschwache Stadt ist. Dazu kommen neue Aufgaben, wenn ich zum Beispiel an die Maßnahmen zur Familienförderung und Kinderbetreuung denke.

Hier führen zwei kommunale Ebenen einen beinahe blutigen verbalen Streit um die wenigen Mittel, die zur Verfügung stehen. Warum wird so heftig gestritten? – Nicht, weil alle so satt und zufrieden sind, wie Sie den Eindruck in Bayern erwecken, sondern weil hier Verteilungskämpfe um den zu wenig gefüllten Napf stattfinden. Nur deshalb gibt es diese traurigen Auseinandersetzungen. Ich wünsche mir, dass unsere kommunalen Verbände miteinander an einem Strang ziehen und keine Verteilungskämpfe führen müssen.

Ich fasse zusammen: Die Unterstützung der Kommunen durch den Freistaat Bayern lässt in zentralen Bereichen nach wie vor zu wünschen übrig. Schülerbeförderung, Schulsozialarbeit, Ganztagsbetreuung, Trink- und Abwasserversorgung und weitere Themen, die meine Kollegen noch ansprechen werden, finden kein ausreichendes Engagement des Freistaates. Die frei verfügbare Finanzmasse unserer Kommunen ist deutlich zu gering. Perspektiven auf Besserung hat Ihre Regierungserklärung leider nicht eröffnet. Sie bekommen von uns heute die große Chance, deutlich zu machen, dass Sie es ernst meinen. Geben Sie das Geld, das Sie aus der Gewerbesteuerumlage einstecken, denjenigen zurück, denen es zusteht, nämlich den Gemeinden. Darüber werden wir heute abstimmen.

Insgesamt möchte ich Sie auffordern, an einem großen Projekt auf Bundesebene mitzuwirken. Alleine eine Korrektur bei der Gewerbesteuerumlage hilft uns bei den zentralen Problemen nicht weiter.

Die Gewerbesteuer ist absolut konjunkturabhängig. Sie ist wenig berechenbar. Sie ist kein zukunftsfähiges Instrument, weder für die Bundesrepublik Deutschland nach außen, weil die anderen europäischen Staaten sie nicht kennen, noch nach innen, weil es bei der kommunalen Verteilung zu keiner Gerechtigkeit kommt.

Sehen Sie sich nur einmal die Gemeinden Iphofen und Würzburg an. Sie liegen nebeneinander. Die Größenverhältnisse sind bekannt. Trotzdem ist das Gewerbesteueraufkommen extrem unterschiedlich. Solche Beispiele ließen sich massenhaft finden. Deshalb ist es sehr gut, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel eine Gemeindefinanzreform als großen Wurf in Angriff nehmen wird. Dabei sollte er Unterstützung aus unserem Hohen Hause erfahren. Ich bitte Sie, Herr Staatsminister Dr. Beckstein, daran mitzuarbeiten, dass wir eine große Gemeindefinanzreform in Deutschland auch für die bayerischen Kommunen gemeinsam auf den Weg bringen.

(Zuruf von der SPD: Bravo! – Beifall bei der SPD – Zuruf von der Regierungsbank: Eine matte Sache!)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Dr. Kempfler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CSU-Fraktion begrüßt die Regierungserklärung des Herrn Staatsministers. Sie dokumentiert nach unserer Meinung erneut die Kommunalfreundlichkeit der Staatsregierung und der CSU-Landtagsfraktion. Die kommunale Selbstverwaltung wurde in den vergangenen Jahren immer wieder gestärkt durch eine Reihe von gesetzlichen Regelungen sowie durch andere Maßnahmen. Ich erwähne nur stichwortartig und beispielhaft die Umwandlung der staatlichen Rechtsaufsicht in eine Ermessensaufsicht, das Projekt „vorschriftenfreie Kommunen“, die Erweiterung der kommunalen Handlungsspielräume durch die Änderung des kommunalen Abgabenrechts, die Einführung der Experimentierklausel, die Verankerung des Anhörungsrechts und die Neugestaltung des Kommunalunternehmensrechts.

Der Herr Staatsminister hat mit Recht unterstrichen, dass die Kommunen ausreichende Finanzmittel brauchen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Wir alle wissen, dass die finanzielle Anspannung der kommunalen Haushalte im Jahr 2001 zugenommen hat. Darauf hat jüngst der Präsident des Landkreistages, Zellner, hingewiesen. Er hat aber gleichzeitig betont, dass der einzige Lichtblick in der gegenwärtig schwierigen Situation der bayerische Finanzausgleich sei.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU) – Mehrlich (SPD): Ui, ui!)

Er hat das im Einzelnen begründet. Sie können es nachlesen, Herr Kollege Mehrlich.

Unsere Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände erkennen an, dass der Freistaat Bayern mit dem Finanzausgleichsgesetz 2002 seinen Beitrag zur Stärkung der kommunalen Haushalte geleistet hat. Ich darf Herrn Zellner zitieren, der sagt, die Hauptforderungen der kommunalen Spitzenverbände wurden vom Freistaat Bayern auch in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten erfüllt. Voll und ganz teilt Präisdent Zellner auch unsere Einschätzung, wenn er davon spricht, dass die ungewöhnlich schlechten Wirtschaftsaussichten und die im Jahre 2000 verabschiedete Steuerreform bei den Kommunen zu dramatischen Ausfällen bei der Gewerbesteuer geführt haben.

Wir haben dieses Thema in der Plenardebatte vom 13. November vergangenen Jahres erörtert. Kollege Meyer wird darauf im Einzelnen noch eingehen. Ich möchte mich darauf beschränken, die Situationsbeschreibung unseres Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber wiederzugeben, der gesagt hat, Eichels Sparkurs ist nichts als Fassade. Er lässt sich für jede gesparte Mark feiern. In Wirklichkeit verschiebt er die Belastungen. Die Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen, sie alle treibt Rot-Grün in neue Schulden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Als leeres Versprechen stellt sich heraus, was in der rotgrünen Koalitionsvereinbarung großspurig angekündigt wurde. Der Herr Staatsminister hat darauf hingewiesen. Es hieß dort: Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Da klingt es geradezu wie Hohn, wenn die Bundesregierung in der Antwort auf eine große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schreibt, die Bundesregierung wird die kommunalen Handlungsspielräume und Entscheidungsbereiche respektieren und stärken. Nur starke Städte und Kommunen können den berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger gerecht werden.

Wie kommunalunfreundlich diese Bundesregierung und die rot-grüne Koalition eingestellt sind, zeigt die Behandlung eines Antrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, ihre kommunalfeindliche Politik zu korrigieren. Der Antrag wurde in Berlin abgelehnt. Eine skandalöse Behandlung der Anliegen unserer Kommunen ist das.

(Beifall der Abgeordneten Hofmann (CSU) und Frau Deml (CSU))

Das Thema „Privatisierung und Liberalisierung der Wasserversorgung“ hat die Kommunen in den vergangenen zwei Jahren stark bewegt. Der Bayerische Landtag hat sich in einstimmigen Beschlüssen gegen eine Liberalisierung der Wasserversorgung ausgesprochen. Was die Privatisierung anbelangt, waren sich die Fraktionen ebenfalls einig, dass bei einer vertraglichen oder Gesellschaftsregelung die Zusammenarbeit mit den Privaten in der Form sichergestellt sein muss, dass der bestimmende Einfluss der Kommunen erhalten bleibt.

Es ist völlig unverständlich, warum die SPD im November 2001 eine Desinformationskampagne startete mit Plakaten und Flugblättern mit der Behauptung, auch die CSU dränge auf eine schrankenlose Liberalisierung des Wassermarktes auf europäischer Ebene und die Staatsregierung habe bisher nicht öffentlich Position bezogen. Diese Behauptungen sind absolut falsch.

(Beifall bei der CSU)

Die Position der Staatsregierung ist eindeutig, genauso wie die Haltung der CSU eindeutig gegen die Liberalisierung gerichtet ist. Das wurde in verschiedenen Berichten der Staatsregierung an den Herrn Landtagspräsidenten schon im Juni/Juli vergangenen Jahres deutlich. Und trotzdem haben Sie im November diese Kampagne gestartet!

(Mehrlich (SPD): Würden Sie bitte richtig zitieren, Herr Kollege Kempfler. Ich habe sie nämlich hier. Das stimmt nicht!)

Warten Sie doch, was noch kommt, Herr Kollege Mehrlich.

Die Ablehnung wurde also eindeutig zum Ausdruck gebracht, und auch Herr Staatsminister Dr. Schnappauf

hat bei uns im Ausschuss in diesem Sinne berichtet. Herr Staatsminister Reinhold Bocklet hat bereits im Vorfeld in seinem schriftlichen Bericht die Situation dargestellt und die Haltung geschildert, die die Staatsregierung gegenüber der europäischen Ebene einnimmt. Es wird freilich notwendig sein, wie Sie, Herr Staatsminister bereits ausgeführt haben, die Aktivitäten der EU mit großer Wachsamkeit zu verfolgen.

Herr Kollege Mehrlich, Sie haben in der Sitzung am 4. Dezember berichtet, dass die SPD-Fraktion in Berlin gemeinsam mit den GRÜNEN einen Entschließungsantrag eingereicht habe, der sich gegen die Liberalisierung der Wasserversorgung wendet. Sie haben auch Ihr Versprechen eingehalten und mir die Drucksache am nächsten Tag auf den Tisch gelegt. Aber ich darf feststellen, dass diese Initiative erst vom 17. Oktober 2001 stammt, also aus einer Zeit, als die Haltung der Staatsregierung und der CSU-Fraktion bereits eindeutig und klar war. Dieser Antrag wurde übrigens erst in der vergangenen Woche im Bundestag behandelt. Ich darf daran erinnern, dass es Staatsminister Dr. Beckstein war, der in der Innenministerkonferenz am 5. Mai 2000 und am 10. Mai 2001 bereits die entsprechenden Initiativen ergriffen hat.