Protokoll der Sitzung vom 30.01.2002

Deshalb werden wir uns bei beiden Anträgen der Stimme enthalten. Wir hatten diese Debatte bereits im Landtag, und wir haben damals alles Wesentliche dazu gesagt. Wir glauben, dieses Schwarze-Peter-Spiel, das Sie jetzt inszenieren, wird den Kommunen überhaupt nichts bringen. Wir bleiben dabei: Bund und Land müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, wenn die Kommunen wieder mehr finanziellen Handlungsspielraum bekommen sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An uns GRÜNEN wird es weder in Berlin noch in Bayern scheitern.

Vor zwei Monaten haben wir bereits beim Nachtragshaushalt versucht, die ernste Situation der Kommunen zu verbessern. Uns geht es vor allem um ökologische Maßnahmen, weil sie sich auch ökonomisch positiv auswirken, um eine zeitgemäße Infrastruktur, um eine moderne Politik für Kinder und um mehr Weltoffenheit. Deshalb wollten wir den Kommunen mehr Mittel geben, zum Beispiel zur Sanierung und zur ökologischen Modernisierung von Schulgebäuden, für die bayerischen Regionalbahnen, für 100 angebotsorientierte Ganztagsschulen sowie zur Integrationsförderung, vor allem für Sprach- und Orientierungskurse.

Bayern braucht eine Politik für den Mittelstand. Starke und selbstbewusste Regionen und Gemeinden basieren auf regionalen Wirtschaftskreisläufen. Sie brauchen

einen starken Mittelstand. Die Regierung Stoiber hat im letzten Jahr den Mittelstand mehrfach vor den Kopf gestoßen. Fragen Sie Ihre eigenen Leute. Zum Teil sitzen sie auch hier. Das Handwerk wurde in der Zuwanderungspolitik vor den Kopf gestoßen, weil Sie nur die Interessen der großen internationalen Konzerne berücksichtigen, die bayerischen Brauer mit ihrer Kehrtwende beim Dosenpfand und der Einzelhandel und die Innenstädte mit ihrer Kehrtwende bei den Factory-Outlet-Centern. Immer wenn die Interessen des Mittelstandes gegen die großen Konzerne verteidigt werden müssten, fallen der Ministerpräsident und der Umweltminister um.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Umfallminister Schnappauf ist einer der größten Bremser, wenn es um ökologische Modernisierung geht.

Bayern braucht eine moderne Infrastrukturpolitik. Deshalb fordern wir Investitionen in Bahn und Bildung. Eine ökologische Politik könnte gerade in der Verkehrspolitik starke ökonomische Impulse setzen. Wir brauchen dringend eine Qualitätsoffensive für den Nahverkehr, aber die Staatsregierung setzt auf Prestigeobjekte, statt die tägliche Infrastruktur auszubauen. Der Transrapid wird mehr kosten, als seit 1966 in die Münchner S-Bahn gesteckt wurde. Mit Baukosten von mindestens 1,5 Milliarden e kostet er mehr, als in 35 Jahren in die S-Bahn gesteckt wurde. Es wird Zeit, dass die Staatsregierung endlich aus ihrem High-Tech-Rausch erwacht. Wir plädieren für intelligente Lösungen wie die Express-S-Bahn und den zweiten Tunnel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Ich bin sicher, dass die Menschen im Großraum München lieber jeden Tag beim S-Bahn-Fahren Fahrzeit sparen als ein-, zweimal im Jahr auf dem Weg zum Flughafen, noch dazu wenn die Fahrt mit der Express-S-Bahn nicht viel länger dauert, aber erheblich weniger kosten wird als der Transrapid. Lieber eine verbesserte Grundversorgung für Millionen als ein Prestigeobjekt für wenige.

Bayern braucht eine Politik für Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Mit modernen Infrastrukturmaßnahmen wachsen die Chancen bisher vernachlässigter Regionen und Gemeinden. Davon gibt es in Bayern mehr als genug. Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs setzen wir dabei besonders auf Bildung und Ausbildung. In all den Jahrzehnten ist der Staatsregierung nichts eingefallen, um in Nord- und Ostbayern den Teufelskreis zu durchbrechen. Hoch Ambitionierte und Qualifizierte ziehen weg, weil es zu wenig moderne Arbeitsplätze gibt. Zukunftsorientierte Unternehmen kommen nicht, weil hoch Qualifizierte fehlen. Aber statt verstärkt in den Rohstoff Geist – wie es bei Ministerpräsident Stoiber heißt – zu investieren, lässt die Staatsregierung die Kommunen allein und auf zusätzlichen Kosten sitzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre falsche Schulpolitik verursacht den Kommunen Kosten. Bei den Baukosten für die bildungspolitische Sackgasse sechsstufige Realschule, bei Computerausstattung und Systembetreuung, bei der Schulsozialarbeit, beim Verzicht auf pädagogisch notwendige Ganztagsschulen – überall sollen die Kommunen die Zeche zahlen.

Dabei hat das verheerende Folgen nicht nur für die Kommunen, sondern auch für den Arbeitsmarkt. Wäre die Versorgung mit Kinderkrippenplätzen besser und gäbe es in allen Kindergärten und Grundschulen ein Mittagessen, dann würden viele allein Erziehende gar nicht erst langzeitarbeitslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Den größten Modernisierungsbedarf aber sehen wir bei der fehlenden innerbayerischen Demokratie. Was die Kommunen zurückwirft, ist nicht bloß Geldmangel, sondern genauso einschneidend ist der Mangel an demokratischer Politik, an Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten.

(Widerspruch bei der CSU)

Das Demokratischste in Bayern ist das Wahlrecht. Darauf können wir alle wirklich stolz sein. Aber es ist entstanden, bevor sich der patriarchalische Zentralismus der CSU über Bayern legen konnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Ihr neues Parteimuster, Kollege Kupka und Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ist ein ziemliches Eigentor.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Faltlhauser (CSU))

Sie haben doch Redezeit. Sie können sich doch jederzeit zu Wort melden, Herr Faltlhauser.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Dr. Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Faltlhauser?

Er kann sich jederzeit zu Wort melden.

(Prof. Dr. Faltlhauser (CSU): Er traut sich nicht!)

Ein ziemliches Eigentor ist Ihr Slogan „Näher am Menschen!“, wenn Sie das wissen.

(Zurufe von der CSU)

„Näher“ ist eine Steigerungsform, ein Komparativ. Das heißt, dass Sie vorher noch weiter von den Menschen entfernt waren.

(Zuruf des Abgeordneten Herrmann (CSU))

Das ist im Falle unseres Ministerpräsidenten eine höchst ungewöhnliche Selbstkritik. „Näher“ heißt auf jeden Fall „nicht zu nah“. „Zu nah“ wollen Sie die Leute nicht auf der Pelle haben.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Wir wollen, dass die Menschen ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Unsere Politik zielt darauf ab, ihnen die Mittel dafür in die Hand zu geben, damit sie selbst über ihre Lebensformen und Wünsche entscheiden können.

(Herrmann (CSU): „Mittel in die Hand geben“ – woher denn?)

Ein bisschen haben wir in Bayern ja schon bewegen können. Immerhin sollen jetzt die kommunalen Spitzenverbände angehört werden, wenn über ihre Angelegenheiten und vor allem über ihr Geld entschieden wird. Immerhin gibt es jetzt den Bürgerentscheid, wenn auch in abgeschwächter Form, und selbst die CSU macht jetzt in den Gemeinden eifrig Gebrauch davon. Dass jetzt gelegentlich auf Bürgerbeteiligung zum Beispiel in den Planungszellen des armen Ministers Sinner gesetzt wird, rechnen wir uns ebenfalls an. Aber bis jetzt sind das Modellprojekte, die mit der alltäglichen Wirklichkeit in den Kommunen nichts zu tun haben.

Interessant wird sein, wie Sie die Ergebnisse der Projekte umsetzen. Ich vermute, das wird genauso laufen wie bei den Agenda-Projekten: Beschäftigungstherapie, indem man engagierte Bürgerinnen und Bürger mürbe macht und sie ins Leere laufen lässt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So läuft das bei der Agenda.

Föderalismus nach außen, Zentralismus nach innen – das ist die Devise Ihres Handelns. Aber es ist nicht die darin steckende Scheinheiligkeit, die Bayern schadet, es ist das altbackene patriarchalische Führungsprinzip.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt Konzepte zu gestalten, Rahmenbedingungen zu entwerfen und die Richtung zu weisen, brauchen Sie den kleinkarierten direkten Zugriff. Das geht bis nach oben. Auch der oberste Chef muss sich um jedes Detail kümmern. Es gilt im ganzen Land das Herr-im-HausPrinzip. Sie wollen alles bestimmen und mischen sich überall ein. Die Menschen dürfen keine Ansprüche stellen, sondern müssen froh sein, wenn sie etwas bekommen.

Ob in Kindergärten Schulen oder Gemeinden – überall behindern und untergraben Sie die Formen direkter Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beispiel kommunale Planungshoheit. Wie ernst Sie es mit der kommunalen Planungshoheit meinen, zeigt das Beispiel Mobilfunk. Unser Gesetzentwurf zur Änderung der Bayerischen Bauordnung hätte endlich die Heimlichtuerei beendet und die Betreiber zur Kooperation verpflichtet. Aber das war für Sie offenbar zuviel direkte Demokratie.

Beispiel bürgerschaftliches Engagement, letztes Jahr von der Staatsregierung groß aufgezogen. Kollege Glück wird nicht müde – –

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege Dr. Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kupka?

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie haben 52 Minuten, wir nur 24 Minuten!)

Er hat von direkter Demokratie keine Ahnung. Er kann sich dann selbst melden und sagen, was er weiß.

(Hofmann (CSU): So ein frecher Hund!)