Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Herr Kollege Mehrlich, das wollte ich gerade sagen: Zum Jahresende 2001 kam jeder vierte zusätzliche Arbeitslose aus Bayern. Wenn man nur die alten Bundesländer betrachtet, stellt man fest, jeder dritte zusätzliche Arbeitslose kam aus dem Freistaat Bayern. Das ist ein Alarmzeichen. Es besteht Handlungsbedarf.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie schreiben in Ihrem Antrag, der Bundeskanzler habe eingeräumt, dass die Messlatte von 3,5 Millionen Arbeitslosen, die er erreichen wollte, nicht zu erreichen sei. Das ist zwar richtig, aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Ministerpräsident Stoiber, der Kandidat, hat im Beschäftigungspakt Bayern im Jahr 1996 versprochen, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Herr Stoiber ist Lichtjahre von seinem Ziel entfernt geblieben.

(Beifall bei der SPD)

Das sollten Sie einräumen. Es handelt sich hier um Fakten, die bereits eingetreten sind, während das andere Zukunftsperspektive ist.

Seit Juni 1993, seit Herr Stoiber das Amt des Ministerpräsidenten in Bayern angetreten hat, wurde die Arbeitslosenzahl von damals 283000 in Bayern jedes Jahr überschritten. Heute liegt die Arbeitslosenzahl bei 432000 in Bayern. Das Arbeitsmarktmodell Bayern ist für die Öffentlichkeit ein Märchen aus 1001 Nacht. Wir haben Probleme, auch wenn wir mit der zweitniedrigsten Arbeitslosenquote in Deutschland noch verhältnismäßig gut dastehen.

Worin liegen die Gründe für die Arbeitslosigkeit? – Es gibt im Wesentlichen drei Gründe. An erster Stelle ist die starke Abhängigkeit Bayerns vom Export zu nennen. Der Anteil des Exports ist in Bayern höher als in anderen Ländern. Zum Zweiten ist das Platzen der Spekulationsblase der New Economy anzuführen. Zum Dritten – dieser Grund ist hausgemacht – ist die Situation in Bayern mitverursacht durch die großen regionalen Unterschiede, durch das Süd-Nord-Gefälle, auch auf dem Arbeitsmarkt in Bayern. Das läßt sich nicht wegdefinieren. Wenn Sie von der CSU in Ihrem Antrag schreiben, Sie hätten durch Ihre regionale Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren erreicht, dass das wirtschaftliche Gefälle in Bayern geringer geworden sei, dann ist das nicht die Wahrheit. Das Gefälle zwischen München und den Regionen ist größer geworden.

(Beifall bei der SPD)

Das läßt sich auch an den Arbeitslosenzahlen ablesen. Im Januar 2002 lag die Arbeitslosenquote in Freising bei 4,5%, in Weilheim bei 4,7%, in München bei 4,9%, in Bayreuth bei 10,2%, in Passau bei 10,6% und in Hof bei 11,7%. Derart große regionale Disparitäten gibt es in keinem anderen Flächenstaat der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist Bayern Spitze – leider.

Meine Damen und Herren, Sie werden fragen: Was ist zu tun? – Herr Kollege Hofmann, die Antwort hat Ihr Bezirksvorsitzender in Oberfranken eigentlich bereits gegeben. Im August gab es zwischen dem Wirtschaftsminister und dem Umweltminister eine Kontroverse, die ein wenig untergegangen ist, weil Ferienzeit war. Damals hat Herr Wiesheu gesagt, man müsse, um die Attraktivität Münchens zu steigern, die Werbetrommel rühren mit dem Schlagwort „Greater Munich Area“. Herr Schnappauf hat darauf in Kronach eine Antwort gegeben. Zu lesen war: Von der positiven Entwicklung des Großraums München muss nach Ansicht von Umweltminister Werner Schnappauf das ganze Land profitieren. – Recht hat der Mann. Wörtlich hieß es: „Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die Ansiedlung neuer Betriebe, das auch Franken, Ostbayern und Schwaben umfaßt“ sagte Schnappauf zur Idee von Wirtschaftsminister Dr. Otto Wiesheu von einer Greater Munich Area. Wiesheu hatte dafür geworben, den Ansiedlungsdruck auf die Landeshauptstadt abzumildern. Schnappauf sagte weiter: „Wir müssen ein Netzwerk aller Regionen Bayerns schaffen, das die Synergieeffekte für alle nutzbar macht, nicht nur für den Großraum München.“ Ich muss sagen, der Umweltminister hat die richtige Erkenntnis gewonnen. Wir von der SPD-Fraktion fragen uns allerdings, wer hat in Bayern die letzten 44 Jahre regiert?

(Beifall bei der SPD)

Die Erklärung von Herrn Schnappauf ist ein Armutszeugnis für die Landesentwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte in Bayern. Das ist das Eingeständnis. Deshalb haben wir in unserem Dringlichkeitsantrag geschrieben, wir wollen ein maßgeschneidertes Aufbauprogramm insbesondere für Nordostbayern und wir wollen, dass staatliche und kommunale Investitionen insbesondere in den Regionen vorgezogen werden.

Nach Ansicht der SPD-Fraktion brauchen wir außerdem eine Arbeitsmarktpolitik des Landes Bayern, die diesen Namen verdient. Die 20 bis 24 Millionen DM – ich denke immer noch in DM – oder 10 bis 12 Millionen e, die Sie aus dem Arbeitsmarktfonds einsetzen können, sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist vielleicht eine Anerkennung, aber keine wirkliche arbeitsmarktpolitische Maßnahme.

Eine Ankündigung aus der ersten Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom 30 Juni 1993 ist überhaupt nicht umgesetzt worden. Er hat damals gesagt, wir brauchen eine enge Verzahnung der Arbeitsmarktpolitik mit der regionalen Strukturpolitik, wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik nach Maß für Bayern. Wo bleibt denn die Arbeitsmarktpolitik nach Maß für Bayern bei diesen regionalen Differenzen und bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die ich aufgezeigt habe?

(Beifall bei der SPD)

Wir betonen in unserem Antrag auch, dass wir die solide Finanzpolitik der Bundesregierung voll unterstützen. Wir wollen keine Erhöhung der Neuverschuldung, die an die Grenze des Europäischen Stabilitätspaktes geht, wie es Herr Stoiber wünscht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn ich Nummer II Ihres Antrags ansehe und mit den Ankündigungen des Kandidaten vergleiche, frage ich mich, was Sie wirklich wollen. Sie wollen eine Steuerentlastung für den Mittelstand, wobei Sie immer wieder behaupten, der Mittelstand würde gegenüber den Großunternehmen benachteiligt. Ich verweise nur auf die Äußerung des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der so genannten Fünf Weisen, die in Ihrem letzten Jahresgutachten eine klare Aussage getroffen haben. Zitat: „Auch weisen Sie“ – gemeint sind die Fünf Weisen – „die wiederholt geäußerte Kritik der Opposition zurück, Rot-Grün benachteilige Personenunternehmen gegenüber Kapitalgesellschaften.“ – Es ist ein Märchen, dass der Mittelstand gegenüber den Kapitalgesellschaften benachteiligt wird. Das ist einfach nicht wahr.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem will Herr Stoiber noch einmal 15 bis 16 Milliarden DM Steuernachlass für die Unternehmen. Er will die nächste Erhöhung der Ökosteuer vermeiden. Er will mehr Geld für die Bundeswehr. Er will mehr Geld für die Familien. Sie haben einen schönen Katalog, was Sie alles wollen. Man braucht sich nur einmal durchzurechnen, was die Umsetzung der Forderungen in Ihrem

Antrag unter Nummer II kosten würde. Dieser Antrag ist ein Dokument der finanzpolitischen Unzuverlässigkeit und Unverantwortlichkeit der CSU-Landtagsfraktion. Das ist unsere Meinung dazu.

(Beifall bei der SPD)

Dieser CSU-Antrag ist einfach nicht zu finanzieren. Wir unterstützen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung wie „Job Aqtiv“, das Mainzer Modell. Dazu wird Frau Kollegin von Truchseß noch Ausführungen machen.

Was die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt anbelangt, sind wir verhalten optimistisch. Nach allen Erfahrungen der Konjunkturzyklen der letzten 40 bis 50 Jahre dauert eine Abschwungphase circa ein Jahr. Es wird also im zweiten oder dritten Quartal einen Aufschwung geben. Wir bedauern, dass die Konjunktur bewusst schlecht geredet wird, zum Teil aus durchsichtigen Gründen. Viele Unternehmen haben wegen der anstehenden Tarifrunde Interesse daran, die wirtschaftliche Situation schlechtzureden, damit man bei den Lohnverhandlungen eine gute Ausgangsposition hat. Dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis.

Aber insgesamt kann man feststellen: Die Stimmung ist viel schlechter als die Lage; die Lage ist besser als die Stimmung. Wir sollten uns alle wünschen, dass es hier aufwärts geht. Man sollte nicht wie Sie aus parteitaktischen Gründen wegen der bevorstehenden Bundestagswahl die Konjunktur schlechtreden. Sie sollten in unserem Land auch dafür Verantwortung tragen, dass es mit der Konjunktur und unserer Wirtschaft wieder aufwärts geht.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat Kollege Maget das Wort zur Geschäftsordnung.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten heute morgen eine, wie ich finde, wichtige Debatte zur Verkehrspolitik in Bayern. Wir hätten erwartet, dass der bayerische Ministerpräsident an dieser Debatte teilnimmt.

Wir haben jetzt eine Diskussion über die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung mit bedrückenden Tendenzen leider auch für Bayern. Das ist eine Frage, bei der der Ministerpräsident nicht fehlen darf. Er fehlt aber leider wieder.

(Beifall bei der SPD)

Danach werden wir über Vorgänge bei der BSEBekämpfung diskutieren. Das darf doch den Ministerpräsidenten ebenfalls nicht unberührt lassen. Wir können leider nicht erwarten, dass er auch dann freiwillig herkommt, weil er leider ohne Angabe von Gründen unentschuldigt in dieser Plenarsitzung fehlt.

Wir hatten es anders verabredet. Wenn nämlich ein triftiger Grund für die Abwesenheit des Ministerpräsidenten vorliegt, dann sollte er diesen Grund hier mitteilen. Dann kann er selbstverständlich entschuldigt sein. Die Angabe von Gründen für sein Fehlen ist leider nicht geschehen. Deswegen bitten wir darum, den Herrn Ministerpräsidenten zu bewegen, an dieser Sitzung teilzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Staatsminister Huber.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Zeitung liest, weiß, dass sich der kanadische Ministerpräsident Chretien seit Dienstag in Bayern aufhält.

(Unruhe bei der SPD)

Sie wollen doch gar nicht zuhören; das ist der Beweis dafür.

(Zuruf von der CSU: Das interessiert die auch nicht!)

Heute Mittag hat eine große bayerisch-kanadische Wirtschaftskonferenz stattgefunden, bei der sowohl der kanadische Ministerpräsident als auch der bayerische Ministerpräsident gesprochen haben. Die Diskussion hat sich bis weit in den Nachmittag hingezogen. Das ist der Grund dafür, dass der Ministerpräsident in dieser Plenarsitzung nicht anwesend ist.

Ich stelle fest, dass jedenfalls der Wunsch der SPDFraktion nach seiner Anwesenheit bisher nicht bekannt geworden ist. Da Sie diesen Wunsch bisher offenbar nicht geäußert haben, legen Sie es jetzt darauf an, hier Spektakel zu veranstalten.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Sie wissen ganz genau, dass der Weg eines fairen Umgangs im Parlament darin bestünde, dass man an den Ministerpräsidenten – –

(Maget (SPD): Man könnte doch eine Entschuldigung beim Landtagsamt abgeben! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das ist eine windige Ausrede, Herr Kollege Maget. Wer den Herrn Ministerpräsidenten hier direkt ansprechen will, von dem darf ich erwarten, dass angesichts des Terminkalenders des Ministerpräsidenten nicht das Landtagsamt, sondern sein Büro oder ich ein Zeichen dafür bekommen.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben es hier mehr oder weniger darauf angelegt, überfallartig einen Zitierungsantrag zu stellen. Das ist eine rein politische Aktion ohne sachlichen Hintergrund.

Da ich damit, wie ich meine, den Ministerpräsidenten mit stichhaltigen Gründen entschuldigt habe, die überzeu

gend und richtig sind, bitte ich, diesen Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Diese Situation ist in § 125 der Geschäftsordnung geregelt. Dort heißt es:

Jeder Abgeordnete kann das Erscheinen des Ministerpräsidenten sowie jedes Staatsministers und Staatssekretärs beantragen. Ein in der Vollversammlung gestellter Antrag muss von einer Fraktion... unterstützt sein.