Wir brauchen die tatsächliche Wahlfreiheit durch das Familiengeld; wir brauchen die finanzielle Besserstellung der Familien, und wir brauchen den Ausbau der Kinderbetreuung für alle Altersklassen. Der Bayerische Landtag hat beschlossen, den bedarfsgerechten Ausbau der Betreuung von Kindern aller Altersklassen bis zum Jahr 2008 finanziell auf den Weg zu bringen.
Das Gesetz soll eine einheitliche Förderung für alle Kinderbetreuungsangebote beinhalten, damit wir über ein kindgerechtes Betreuungsangebot verfügen und die Kinder nicht immer von einer Einrichtung zur anderen wechseln müssen. Das sind für mich familienunterstützende und -begleitende Maßnahmen, die den Frauen in Bayern tatsächlich Wahlfreiheit geben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Stewens, von der Entdeckung der Familienpolitik mit Blick auf die GRÜNEN zu sprechen, steht denjenigen nicht gut an, die den familienpolitischen Bedarf jahrzehntelang überhaupt nicht erkannt haben und die sich in 18 Jahren Kohl und Waigel der Realität verweigert haben. Sie haben die Zahlen nicht zur Kenntnis genommen, hinter denen sich die Bedürftigkeit der Familien verbirgt.
Unter der Politik der vergangenen Jahre haben die Kinder, die Familien mit Kindern und die Alleinerziehenden mit Kindern gelitten. Nehmen Sie zur Kenntnis, was im Rahmen eines Gutachtens vom federführenden Deutschen Jugendinstitut in München an Zahlen herausgearbeitet worden ist.
In der Zeit von 1982 bis 1990 hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter sieben Jahren von 110000 auf 270000 mehr als verdoppelt. Wenn wir die besondere Situation der deutschen Einheit außer Acht lassen, stellen wir fest: Die Zahl hat sich bis zum Ende der Regierungszeit von Kohl und Waigel auf 330000 verdreifacht. Bei den Sieben- bis Elfjährigen hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 76000 auf über 190000 mehr als verdoppelt. Diese jungen Menschen sind Opfer der erzkonservativen Familienpolitik, die Sie in der Vergangenheit gepflegt haben.
Wenn Sie sich heute hier herstellen und behaupten, dass Rheinland-Pfalz von Bayern abgeschrieben habe, verdrehen Sie die Tatsachen, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann.
Die angeblichen Verbesserungen, die wir in Bayern haben, sind Versuche, die Tagesbetreuung auf dem Rücken der Eltern und Kommunen auszutragen. Sie verweigern von vornherein jede Bezahlung. Sie wollen die Ganztagsschule gar nicht. Das haben Sie oft genug zur Kenntnis gegeben. Sie haben den Familien die materiellen Grundlagen im Bund und in Bayern entzogen. Dabei kannten Sie keine Schamgrenze. Darauf sollte man immer wieder hinweisen.
Niemand hat vergessen, dass Sie sogar die Zahnersatzkosten für die nach 1988 Geborenen gestrichen haben. Das war CSU-Familienpolitik. Daran müssen Sie sich messen lassen. So haben Sie gehandelt.
Dass es anders geworden ist, ist nur unserer Bundesregierung zu verdanken. Die Verbesserungen beim Kindergeld, die Elternteilzeit, die Kinderfreibeträge, die Erhöhung des Bundeserziehungsgeldes oder die Anhebungen beim Existenzminimum sind Maßnahmen, welche dringend notwendig waren und deren Bedarf Ihnen das Bundesverfassungsgericht 1998 massiv vorgehalten hat.
Frau Ministerin, es ist bezeichnend, dass die Staatsregierung bis heute kein Wort zum 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung verloren hat. Dieser Bericht ist nicht von der Bundesregierung, sondern von unabhängigen Sachverständigen ausgearbeitet worden. Die Darstellung der Betreuungssituation in Kinderkrippen und Kinderhorten in diesem Bericht ist für die Bayerische Staatsregierung wie ein Offenbarungseid. Statt der von Ihnen selbst gebastelten Zahlen, von denen Sie heute wieder gesprochen haben, nenne ich Ihnen die Zahlen, die 1999 festgestellt worden sind: pro 100 Kinder unter drei Jahren werden 1,36 Krippenplätze vom Freistaat Bayern mitfinanziert. Damit steht Bayern auf dem vorletzten Platz. Bei altersgemischten Gruppen werden 0,7 Plätze mitfinanziert. Damit stehen wir auf dem letzten Platz. Ganztageseinrichtungen fehlen zu 70%. Sie haben die Spielwiese „Netz für Kinder“ entdeckt und jährlich mit 8 Millionen ausgestattet. Die vernichtende Kritik des Obersten Rechnungshofes daran haben Sie nicht erwähnt. Sie haben nicht davon gesprochen, dass es beim Netz für Kinder keine Altersmischungen gibt und dass die Öffnungszeiten für erwerbstätige Alleinerziehende vielfach unakzeptabel sind. Die bürokratische und praxisferne Förderung dieser Einrichtung spricht eher dafür, dass Sie Ihren Aufgaben nicht nachkommen.
Sie kommen Ihren Aufgaben auch bei den Mütter- und Familienzentren nicht nach. Diese Aufgaben wurden von Ihnen von Anfang an vernachlässigt. Es wird noch mit Stundensätzen von 5 DM gearbeitet. Die Vorschläge dieser Einrichtungen für ihre Jahresplanung müssen alle Vierteljahre neu abgesegnet werden. Institutionen, die für unser Land deswegen so wichtig sind, weil sie ganz besonders auf Integration und auf Sprachförderung abstellen, haben nicht einmal ausreichend Planungssicherheit. Sie haben stattdessen nur die höchstrichterlichen Urteile gescholten.
Ich habe es gesehen, Herr Präsident, ich werde mich daran halten. Ich will nur noch Folgendes sagen: Mit dieser Urteilschelte lenken Sie von Ihren eigenen Verpflichtungen ab. Das bringt Sie aber nicht weiter. Gerade bei uns in Bayern brauchen wir eine Familienpolitik, mit der die Leistungen nach dem Landeserziehungsgeld für alle Familien an die Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz angeglichen werden. Statt der Mitteleinschränkungen, die Sie gerade vorhaben, brauchen
wir eine Qualitätsoffensive bei den Betreuungseinrichtungen, und wir brauchen die Sicherung angemessener Betreuungsangebote vor allem im ländlichen Raum. Schließlich brauchen wir ein bedarfsgerechtes Netz von Ganztagsschulen für alle interessierten Familien zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf und vor allem auch zur Anhebung der Chancengleichheit für unsere Kinder.
Nur zur Orientierung: Das waren jetzt 6 Minuten und 40 Sekunden. Als Nächster hat Herr Kollege Dinglreiter das Wort.
Verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich es recht sehe, heißt das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bayern“. Sie von den GRÜNEN und von der SPD haben aber davon geredet, wie man Defizite in der Familienpolitik in Bayern konstruieren kann. Sie haben damit das Thema wohl verfehlt, und das ausgerechnet in einer Aktuellen Stunde, welche Sie beantragt haben. Ich will deshalb wieder zum Thema zurückkommen.
(Frau Dr. Baumann (SPD): Das ist doch unerträglich! Haben Sie keine Töchter, die auch arbeiten gehen wollen?)
Ich will Ihnen zunächst einmal eine Stellungnahme aus der Sicht der Wirtschaft geben. Es geht um zwei Bereiche, über die wir diskutieren sollten. Einmal geht es darum, dass viele junge Frauen heute eine hervorragende Ausbildung haben und diese auch im Beruf umsetzen wollen.
(Frau Radermacher (SPD): Dann sind wir uns ja einig! – Frau Dr. Baumann (SPD): Eine gemeinsame Erkenntnis!)
Es geht um einen weiteren Punkt, welcher im Laufe der nächsten Zeit die Wirtschaft betreffen wird. Aufgrund der geringen Geburtenrate und der damit bedingten Überalterung wird der Arbeitsmarkt im Laufe der nächsten Jahrzehnte ein Defizit aufweisen. Darüber müssen wir miteinander diskutieren. Nun gibt es viele aus der Wirtschaft und auch unter Ihnen, die glauben, man könnte dieses Problem mit Zuwanderung lösen und wir müssten für die Zuwanderer die Ausbildung und Betreuung verbessern.
(Frau Dr. Baumann (SPD): Was hat das mit Betreuungsplätzen zu tun? Kinderbetreuungsplätze stehen hier auf der Tagesordnung!)
Das genügt aber nicht, und das sagen wir auch der Wirtschaft ganz klar. Die Rechnung, welche die Wirtschaft aufmacht, geht nicht auf, und die Rechnung, welche Sie aufmachen, geht auch nicht auf. Zum einen stehen nicht ausreichend junge leistungsfähige Zuwanderer zur Verfügung, denn diese Probleme haben auch andere Industriestaaten. Zum anderen können Zuwanderer in einer Zahl von 400000 bis 500000 nicht mehr angemessen integriert werden. Das, was Sie mit dieser Zuwanderung wollen, ist auch in dieser Richtung kontraproduktiv.
(Frau Steiger (SPD): Es geht um Kinderbetreuung! Was hat das, was Sie sagen, mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun? – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Thema!)
(Frau Dr. Baumann (SPD): Ich bin dafür, dass der Präsident mehr Rechte bekommt, wenn einer vom Thema abweicht!)
Wir wollen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Rahmenbedingungen schaffen, die es möglich machen, das Defizit an jungen Menschen auszugleichen. Auf diese Weise können wir Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren. Auf diese Weise lösen wir auch das Arbeitsplatzproblem der Zukunft.
Viele Frauen stellen fest, dass sich Beruf und Familie in der jetzigen Situation nicht miteinander vereinbaren lassen.
(Frau Werner-Muggendorfer (SPD) und Frau Radermacher (SPD): Jawohl! Genau! Respekt! Soweit sind wir auch schon! – Frau Radermacher (SPD): Und was tun Sie dagegen?)
Ich rede nicht nur hier gescheit herum, sondern ich gehe hinaus zu den Betrieben und rede mit ihnen darüber, wie diese Probleme gelöst werden können. Und dazu will ich Ihnen ein paar Worte sagen.
Wie hinterwäldlerisch Sie sind, zeigt sich daran, dass Sie immer nur von Teilzeitarbeitsplätzen reden. Wir sind sehr viel weiter. Wir brauchen eine Flexibilisierung der Arbeit für Männer und Frauen. Das streben wir an.