Protokoll der Sitzung vom 20.03.2002

Die Frage war, ob man diese Möglichkeiten ausweiten solle. Auch hier ist die Kommission zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wiedereinführung kommunaler Steuern gemessen am Verwaltungsaufwand nur einen sehr geringen Beitrag zur kommunalen Finanzausstattung leisten könnte und letztlich die Kosten-Nutzen-Analyse ein ungünstiges Verhältnis ergibt.

Ein wesentlicher Punkt ist aber – und hier hat, meine ich, die Kommission auch einen gewichtigen Beitrag geleistet – die Frage und die Notwendigkeit einer umfassenden Gemeindefinanzreform, die vom Bund ja seit langem in den Raum gestellt wird, die aber bisher weder in Angriff genommen, geschweige denn verwirklicht worden ist.

Hier meinen wir und hier meint der Bericht der Kommission, dass diese Gemeindefinanzreform überfällig ist und dass sie dazu dienen muss, die Kommunen auf eine tragfähige, sichere und planbare finanzielle Grundlage zu stellen. Diese Gemeindefinanzreform ist überfällig und muss schnellstmöglich in Angriff genommen werden.

Es ist noch die Frage erörtert worden, ob entsprechend einem Vorbild in Österreich den Kommunen ein Mitspracherecht gegenüber der Staatsregierung eingeräumt werden soll, wenn es um Regelungen geht, die der Lan

desgesetzgeber in Bezug auf die Kommunen plant. Auch hier war die Kommission im Ergebnis ihrer Beratungen der Auffassung, dass das nicht notwendig und auch nicht zielführend ist.

Meine Damen und Herren, ich meine, dass auch der Teil „Selbstverwaltung und Finanzen der Kommunen“ in Bezug auf den Föderalismus ein gewichtiger Beitrag ist, der dazu führen muss, dass die Kommunen, die das Herzstück unserer demokratischen Verfassung hier in Bayern sind, gestärkt werden, dass ihre Selbstverwaltung und damit verbunden ihre finanzielle Leistungsfähigkeit auf eine sichere Grundlage gestellt werden muss.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat nun Frau Schmitt-Bussinger:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, man muss schon darauf hinweisen, dass es nicht angeht, wenn gerade bei dem Punkt, der strittig ist, nämlich der Subsidiarität im Zusammenhang mit den bayerischen Kommunen, mehr oder weniger die gesamte Staatsregierung durch Abwesenheit glänzt und Herr Minister Huber nur seine eigene Position darstellt, während er die gegenteilige Haltung, die im Folgenden auszuführen ist, ignoriert. Das ist ein absolut schlechter Stil, den ich hier auch als solchen ansprechen möchte.

(Beifall bei der SPD – Irlinger (SPD): Man ist ja nicht einmal bereit, sich die Gegenargumente anzuhören! Das ist ein mieser Stil!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jede Debatte über Föderalismus und Subsidiarität bestätigt auch die Richtigkeit eines Satzes von Karl Marx, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt.

(Zuruf von der CSU: Alter Murks!)

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie schnell auch scheinbar fest verwurzelte Grundüberzeugungen von Politikern hinsichtlich der Bedeutung und Wertigkeit von Ämtern sich ändern können, wenn sich ihr eigener Wirkungskreis verändert. Besonders eindrucksvoll ist dies zu beobachten, wenn beispielsweise Ministerpräsidenten – welcher Partei auch immer – Bundeskanzler werden; bei manchem reicht es auch schon aus, Kandidat zu sein, bestimmt also nicht das Sein, sondern allein schon der Wunsch, es zu werden, ein völlig neues Bewusstsein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Phänomen lässt sich beim bayerischen Ministerpräsidenten anschaulich studieren. Wer Herrn Stoiber in diesen Wochen sieht und reden hört, reibt sich nur noch verwundert Augen und Ohren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er, der noch vor wenigen Jahren mit der geballten Kraft des Freistaats Bayern und seiner Gebirgsschützen die ganze Republik das Fürchten lehren wollte, traut sich mittlerweile nicht einmal mehr, am politischen Aschermittwoch in Passau den Trachtenanzug anzuziehen.

(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Bernhard (CSU): Kinderei!)

Schämt er sich denn plötzlich dafür? Derselbe Herr Stoiber, der noch vor wenigen Jahren unter dem Banner des – –

(Herrmann (CSU): Vermissen Sie denn als Fränkin den Trachtenanzug?)

Nein, aber man lässt sich ja auch einiges zeigen, was ein echter Bayer denn so tut. Und man beobachtet auch genau, unter welchen Vorzeichen er dieses nicht mehr tut.

(Herrmann (CSU): Sind Sie auch eine echte Bayerin? Oder?)

In erster Linie echte Fränkin, wie Sie Franke, Herr Kollege Herrmann.

(Herrmann (CSU): Finde ich ja gut!)

Derselbe Herr Stoiber nun, der noch vor wenigen Jahren unter dem Banner des Wettbewerbsföderalismus sämtliche Sozialsysteme regionalisieren wollte, was den Menschen in den ostdeutschen Bundesländern – das muss man deutlich sagen – steigende Beitragssätze etwa bei der Arbeitslosenversicherung beschert hätte, bittet dort nun beinahe flehentlich, man möge ihm doch sein bisheriges Auftrumpfen als bayerischer Ministerpräsident als eine den Umständen geschuldete, nur temporäre Lebensphase nachsehen und verzeihen; er habe schließlich erst mit der Ausrufung zum Kandidaten entdeckt, dass es auch außerhalb Bayerns noch lebenswertes Leben gibt.

(Teilweise Heiterkeit bei der SPD)

Von dieser Bewusstseinsänderung her ist es natürlich verständlich, dass Herr Stoiber derzeit über bayerische Themen und Probleme – vom Transrapid bis zur KirchGruppe – nichts hören und schon gar nichts sagen will.

Dass das Thema „Föderalismus“ offensichtlich so wenig Bedeutung für den bayerischen Ministerpräsidenten hat, dass er der heutigen Debatte nicht persönlich beiwohnt, ist allerdings mehr als bedauerlich.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Von Ihnen sind auch nur ganze 14 Kollegen anwesend! – Wei- tere Zurufe von der CSU)

Ich danke Ihnen für die Wortbeiträge.

Meine Damen und Herren, dieses zwiespältige Bewusstsein bestimmt aber nicht nur bei Herrn Ministerpräsidenten Stoiber das Handeln, sondern auch auf anderer Ebene das Reden und Handeln der CSU. Davon haben

die Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion in der Enquete-Kommission wiederum eindrucksvoll Zeugnis abgelegt. Solange es darum ging, Länderinteressen gegenüber dem Bund und den europäischen Institutionen zu definieren, waren wir uns in den allermeisten Punkten einig. Um nicht missverstanden zu werden: Wir freuen uns über diese Übereinstimmung, gibt uns dies doch die Hoffnung, dass wir gemeinsam eine Vielzahl von Initiativen entwickeln können, um das Banner des Föderalismus, der Eigenstaatlichkeit der Länder und des Subsidiaritätsprinzips erfolgreich auch in einem immer mehr verflochtenen Europa hochzuhalten.

Dass Herr Minister Huber von uns Subsidiarität bzw. das Bekenntnis zur Subsidiarität einfordert, ist verständlich. Wir bekennen uns auch dazu. Er und die Kolleginnen und Kollegen der Staatsregierung und der CSU-Fraktion müssen sich aber hier an der eigenen Nase fassen, denn wir fordern von ihnen ein, dass sie mit uns gemeinsam die bayerischen Kommunen stärken.

(Irlinger (SPD): Dazu müsste der Ministerpräsident aber erst einmal zuhören, das heißt, er müsste im Saal sein!)

Meine Damen und Herren, diese ursprüngliche Einigkeit war in der Enquete-Kommission leider sofort verflogen, als es darum ging, Dezentralisierung und Subsidiarität gegenüber den Kommunen im eigenen Zuständigkeitsbereich zu stärken. Plötzlich war der bis dahin so starke Reformeifer der CSU gänzlich verflogen. Nun hieß es ein ums andere Mal: Alles in Ordnung, kein Handlungsbedarf!

Man fand gerade noch blumige Worte zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung; die Vorschläge zur konkreten Umsetzung allerdings blieben dürftig und verändern für die bayerischen Kommunen nichts Entscheidendes.

An dieser Haltung wird ein weiteres Mal deutlich, dass der zentralistische Verwaltungsgedanke, den Montgelas, dem Beispiel Frankreichs folgend, zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bayern etabliert hat, in den Köpfen der bayerischen Ministerialbürokratie weitgehend unverändert fortlebt und dass die CSU nur allzu gerne bereit ist, dieses zentralistische Denken im politischen Handeln umzusetzen.

(Zuruf von der CSU: Das stellt ja alles auf den Kopf!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in keinem anderen deutschen Land hat sich die Überzeugung, dass der Untertan als solches von beschränktem Verstande sei und von oben zu seinem Glück veranlasst werden müsse, so beharrlich fortgepflanzt wie in Bayern. Auch mehr als 50 Jahre nach In-Kraft-Treten der Högner’schen Verfassung ist es der bayerischen Verwaltung gelungen, sich in der Praxis den Primat vor der Legislative, also vor dem Parlament, zu erhalten.

Alles, was in Bayern an Partizipation erreicht wurde, wie etwa vor einigen Jahren das kommunale Bürgerbegehren und der kommunale Bürgerentscheid, musste diesem Obrigkeitsdenken in mühsamer und zäher Arbeit

von den Bürgerinnen und Bürgern abgerungen werden und wird von dieser Staatsregierung bis heute nur zähneknirschend hingenommen.

(Beifall bei der SPD)

Obwohl Sie, meine Damen und Herren von der CSU, auch bei den letzten Kommunalwahlen leider landesweit die stärkste Kraft geblieben sind, obwohl also führende Persönlichkeiten Ihrer Partei in vielen Städten, Gemeinden und Landratsämtern die Verantwortung tragen, ist es auch diesen bisher nicht gelungen, ihre eigene Landtagsfraktion und ihre eigene Staatsregierung davon zu überzeugen, dass ein Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung nicht den Beginn der Anarchie und des Umsturzes markiert.

So wie die Länder für sich mit Recht reklamieren, viele Angelegenheiten besser und bürgernäher erledigen zu können als die Brüsseler oder die Berliner Bürokratie, so gilt dies in einem noch größeren Maße für die Kommunen. Die überwältigende Mehrzahl aller Investitionsentscheidungen wird in den Kommunen getroffen. Hier werden die meisten Gesetze vollzogen. Auf keiner anderen Ebene sind politische Entscheidungen für Bürgerinnen und Bürger so unmittelbar nachzuvollziehen wie dort.

Dennoch verweigern Sie den Kommunen all das, was sie für sich selbst unablässig vom Bund und von Europa fordern. Sie verweigern den Kommunen den partnerschaftlichen Umgang. Sie verweigern ihnen ausreichende Mittel, um vor Ort eigenverantwortlich und von den Bürgerinnen und Bürgern hautnah kontrolliert die eigenen Entscheidungen treffen zu können. Weiter verweigern Sie den Kommunen nach wie vor Rechtssicherheit bei ihren berechtigten Ansprüchen gegenüber dem Freistaat.

(Beifall bei der SPD)

Kein Tag vergeht, an dem Sie dem Bund nicht vorwerfen – soeben konnten wir es von Minister Huber wieder hören –, er beschließe Gesetze zulasten der Länder. Tag für Tag tun Sie das Gleiche gegenüber den Kommunen.

Sie sollten sich einmal die volkstümliche Form des kategorischen Imperativs zu Herzen nehmen: Was du nicht willst, dass man dir tu... Wie es weitergeht, wissen Sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CSU-Fraktion, entgegen der übereinstimmenden Forderung Ihrer eigenen kommunalen Spitzenrepräsentanten und der kommunalen Spitzenverbände wenden Sie sich dagegen, das so genannte Konnexitätsprinzip in der Bayerischen Verfassung zu verankern. Dieses Prinzip, das auf Deutsch nichts anderes bedeutet, als dass nicht nur der anschafft, der zahlt – das ist bei Ihnen fest verankert –, sondern eben auch, dass derjenige zahlt, der anschafft.

(Willi Müller (CSU): Das sollte sich auch einmal der Bund überlegen!)