Schauen wir uns einmal die Allianz der Scheinheiligen, die wir in den letzten Wochen erleben durften, genauer an. Staatsminister Sinner hat Renate Künast als „Racheengel der Verbraucher“ bezeichnet. Dazu kann ich nur sagen: Lieber der Racheengel der Verbraucher als die Fünfte Kolonne des Bauernverbandes.
Laut „Focus“ – wir kommen jetzt zu der Frage, was Herr Sonnleitner mit der CSU zu tun hat – soll Herr Sonnleitner der nächste Landwirtschaftsminister werden, wenn es nach Herrn Stoiber geht. Das sagt alles über die Alternative, die Sie im September bieten wollen. Wer das will, ist wirklich selber schuld. Die Auswahl ist aber nur konsequent, weil Herr Sonnleitner die Agrarpolitik in Bayern
bereits bestimmt. Wie groß sein Einfluss und der Einfluss des Bauernverbandes sind, haben wir in den letzten Tagen miterleben dürfen.
Herr Miller hat einen Rückzieher gemacht. Erst hat er gesagt, die mit Nitrofenspuren belasteten Ökoprodukte kommen in den konventionellen Handel. Nachdem er eine auf den Deckel bekommen hat, hat er gesagt, das geht nicht. Ich würde gern wissen, auf welcher Rechtsgrundlage das nicht geht. Worauf berufen Sie sich, wenn die Höchstwerte nicht überschritten sind? Warum darf das mit Nitrofen belastete Ökofleisch nicht in den konventionellen Handel? – Weil sonst, erklärt der Bauernverband, der Eindruck entsteht, die Normalvermarktung müsse für nicht mehr verkehrsfähige Ökoprodukte herhalten. Es kommt also vor allem auf den Eindruck an. Die Belastung mit Pestizidrückständen ist in der so gepriesenen Normalvermarktung der skandalöse Normalfall. Das ist der Normalfall in Bayern.
Die Jahresberichte der Landesuntersuchungsämter im Jahr 2000 weisen aus, dass die Hälfte aller Lebensmittel pflanzlicher Herkunft mit Pestiziden belastet ist, davon 12% bzw. 8% der Proben über den zulässigen Höchstwerten. Nur circa 10% der Lebensmittel tierischer Herkunft waren ohne Rückstände. Da sollen die Nitrofenspuren ein Problem sein? Herr Minister Miller, ich würde wirklich gern wissen, warum das ein Problem ist.
Sie werfen der Bundesregierung und uns GRÜNEN immer vor, wir interessierten uns nur für den ökologischen Landbau.
Das ist das, was Ihnen Probleme bereitet. Wir sagen, die Verbesserung der Kontroll- und Aufklärungssysteme ist wichtig. Wir dürfen weder in der Öko- noch in der konventionellen Landwirtschaft die Qualitätssicherung allein dem Markt und den daran Beteiligten überlassen. Wichtiger aber ist, dass man für Risikominimierung sorgt. Das heißt, dass man die Kreisläufe kurz hält. Deswegen sind die kurzen Wege der Regionalvermarktung für uns vorbildlich. Dass auf diesem Gebiet mehr passiert, verlangen wir von der Staatsregierung.
Wir wollen gesundheitsgefährdende Schadstoffe – zum Beispiel Nitrofen, das aus der konventionellen Landwirtschaft stammt und jetzt verboten ist, aber auch andere Pestizide – aus der Produktion ausschließen. Dafür ist der Ökoanbau das große Vorbild. Sie selbst haben erklärt, Sie wollen wie Frau Künast – darum verstehe ich auch nicht, warum Sie ihr das immer vorwerfen – 10% Ökoanbau in fünf Jahren. Sie haben genau das gleiche Ziel. Ich möchte, dass Sie endlich etwas dafür tun.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, der CSU-Antrag, der hier eingereicht wurde, wird dem Problem absolut nicht gerecht.
Erstens. Dieser Antrag – das möchte ich in ein paar Punkten begründen – ist ein scheinheiliges Wahlkampfgetöse ohne auf die Zukunft gerichteten Inhalt. Die CSU ist offensichtlich nicht an einer Lösung der Probleme, die unbestritten bestehen, interessiert, sondern sie ist an einer billigen Wahlkampfauseinandersetzung interessiert. Den Wahlkampf führt sie dabei mit sehr schlecht konstruierten Schuldzuweisungen an Leute, die sie bekämpfen möchte.
Zweitens. Die CSU und die Staatsregierung haben in dieser Sache durch ihr eigenes Verhalten jedes Recht auf Kritik verwirkt.
Die Staatsregierung sitzt in der Frage, ob eine Regierung ihre nachgeordneten Behörden im Griff hat, im Glashaus.
Steine zu werfen empfiehlt sich dort nicht. Ich denke nur an Herrn Sinner, dessen Behörden von der lang andauernden Tätigkeit eines nicht zugelassenen BSE-Testlabors nichts wissen, nicht wussten oder nichts wissen wollten. Das hat Erzeuger und Verbraucher gleichermaßen getroffen.
Haben Sie es noch nicht verstanden? – Sie greifen Frau Künast an, weil ihre Behörden etwas nicht gemeldet haben, aber Ihre Minister schlafen und wissen gar nichts von den Behörden und den Labors, die es gibt.
Drittens. Das Spiel Sinners, die Schuld auf andere zu schieben, ist dreist, oberdreist. Die Unwissenheit ist gespielt und vorgetäuscht. Wo ist denn das Nitrofen erstmals aufgetaucht, und wer hat es entdeckt? – Die ersten Funde waren in Bayern und wurden von der Firma Hipp privat entdeckt. Wer heute mit dem Finger auf andere zeigt, sollte zugeben, dass die CDU/CSU die 16 Jahre, die sie die Bundesregierung gestellt hat, nichts für die Verbesserung der Meldepflicht von Schadstoffbelastungen getan hat und dass die CSU auch die letzten vier Jahre das Thema nicht über den Bundesrat aufgegriffen hat. Wer aber selbst untätig ist, sollte nicht andere kritisieren.
Viertens. Die Ankündigung der Staatsregierung, das Ökolandbaugesetz um eine erweiterte Mitteilungspflicht der Unternehmen zu ergänzen, kommt zu spät. Letzte Woche wurde im Bundesrat das neue Ökolandbaugesetz von Frau Künast verabschiedet, und der DBV hat es begrüßt. Damit sind jetzt die Kontrollstellen zwingend verpflichtet, sämtliche festgestellten Unregelmäßigkeiten oder Verstöße der zuständigen Behörde zu melden. Auch das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz wurde schon letzten Freitag vom Bundestag auf Antrag der SPD-geführten Regierung verschärft. Stille Rückrufaktionen wie bei Hipp werden nicht mehr möglich sein. Damit macht Deutschland das, was erst 2005 EU-Standard wird, bereits jetzt. Sie von der CSU kommen wieder zu spät.
Fünftens. Wenn Sie eine Meldepflicht für alle privaten Labors wollten, warum haben Sie sie nicht beantragt? Im Gegenteil: Jeden Fortschritt für Verbraucher haben Sie blockiert, zuletzt das Verbraucherinformationsgesetz. Sie sind kein guter Anwalt der Verbraucher.
Wenn es um Verbraucherschutzfragen geht, stehen Sie jedes Mal auf der falschen Seite. Nur wenn ein Skandal auftritt, wachen Sie auf.
Sechstens. Ihre Aufregung über Frau Künast erscheint besonders künstlich, wenn man die bedenkenlosen Erklärungen aus dem Hause von Landwirtschaftsminister Miller liest, wo es um das Fleisch von Tieren aus dem bayerischen Staatsbetrieb Acheleschwaig geht, die mit Nitrofen belastetem Futter gemästet wurden. Die Staatsregierung läßt verlautbaren: „Das Fleisch kann als Normalware in den Handel gebracht werden, wenn Proben am Schlachthof ergeben, dass die Nitrofenbelastung unter 0,01 Milligramm pro Kilogramm Fleisch liegt.“ Wer so redet, begibt sich unter die Verharmloser.
Siebtens. Sie werfen Frau Künast vor, dass sie ein einheitliches Bundes-Ökosiegel auf dem Standard des EURechts eingeführt hat. Frau Künast kann kein regionales Ökosiegel einführen, aber Sie könnten es, haben es aber nicht fertig gebracht. Gäbe es ein bayerisches Ökosiegel mit bayerischer Herkunftsbeschränkung, bräuchten wir uns heute in Bayern vor Ökogetreide aus Mecklenburg-Vorpommern nicht zu fürchten. Aber Sie sind wieder zu spät dran. Das sieht auch der Generalsekretär der CSU so. Er schreibt an den „lieben Josef“ – gemeint ist nicht der Heilige, sondern Landwirtschaftsminister Miller –:
in Deinem Amtszimmer mit den Spitzen Deines Ministeriums und Biobauern aus meinem Stimmkreisumgriff ein Gespräch geführt, das den Herren Deines Hauses verdeutlichte, dass nicht wenige von
den Bauern, die freiwillig und/oder notgedrungen auf die Bioproduktion umgestiegen sind, heute darunter leiden, dass ihnen für die Präsentation ihrer Ware ein verlässliches Ökosiegel fehlt.
Darf ich von dir hören, wann meine Gesprächspartner hier damit rechnen können, sich mit ihren Bioproduktionsplänen auf festem Terrain zu bewegen?
Das alles stammt vom Oktober 2001. Offensichtlich hat Herr Goppel es so geregelt, dass auch uns dieser Brief bekannt geworden ist.
Achtens. Sie werfen Frau Künast mangelhafte Aufklärungsarbeit vor. Wo sind denn die bayerischen Lebensmittelbehörden, die Nitrofenbelastungen festgestellt hätten? Hipp hat sie schon im Januar selbst festgestellt – und geschwiegen. Der Staatsbetrieb Acheleschwaig musste von Naturland darauf aufmerksam gemacht werden, dass er nitrofenbelastetes Futter gekauft hatte. Was hat denn die Staatsregierung zur Aufklärung beigetragen, als schon Anfang Mai der Inhaber einer Putenfarm das Ministerium telefonisch von Nitrofen im Putenfleisch eines Wettbewerbers informierte? Was geschah denn dann? Wurden Proben veranlasst oder nicht? Wurden die zuständigen Landratsämter verständigt oder nicht? Wurde den Hinweisen überhaupt sachgerecht nachgegangen? Das Haus Sinner ist keinen Deut schlauer als das Bundesministerium.
Neuntens. Sie verlangen lückenlose Aufklärung. Wir auch! Gegen eine Wand des Schweigens und gegebenenfalls des Täuschens ist aber schwer anzurennen; Minister Sinner verwendet gerade dieses Argument und diese Ausrede für sein eigenes Versagen im BSE-TestSkandal. Das Lager in Malchin gehört zum Raiffeisenverband. Dieser hätte schließlich auch etwas zur Verhinderung des Vorfalls und zur Aufklärung beitragen können. Noch immer ist unklar, wie die Kontamination zustande kam. Kriminelle Machenschaften können nicht ausgeschlossen werden. In manchen Ländern, so Frau Künast, kommt sie an die mit Futter aus Malchin belieferten Adressen nur über die Landeskriminalämter ran.
Zehnte und letzte Bemerkung: Sie können sich darauf verlassen, dass in Berlin und Schwerin das Notwendige zur Aufklärung getan wird. Wären die Minister Miller oder Sinner zuständig, wäre ich mir dessen nicht sicher.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Entschließung der CSU-Fraktion zum Nitrofenskandal besteht nur aus wenigen zutreffenden Kritikpunkten, einer bemerkenswerten, wohl aber eher ungewollten Bewertung der ökologischen Landwirtschaft und einer völlig inakzeptablen Schlussfolgerung. Ich beginne mit dem zuletzt Genannten.
Wer angesichts des neuerlichen Skandals eine Korrektur der seit dem letzten Jahr praktizierten Agrarpolitik fordert, hat leider offensichtlich noch immer nichts dazugelernt. Die Forderung kann allenfalls lauten: Die wiederholt angekündigte, aber bislang weitgehend ausgebliebene Agrarwende muss noch konsequenter als bisher angegangen werden. Nur dann besteht die Hoffnung, dass die Menschen im Lande wieder Vertrauen in die Sicherheit der Lebensmittel gewinnen können.