Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Wer hat hier zertifiziert, wer hat hier kontrolliert und wer hat im Vorfeld Vieles gewusst, bis hin zur Bundesanstalt für Fleischforschung? Unser erster Ansatzpunkt besteht darin, dass die vorhandenen Daten natürlich miteinander vernetzt werden müssen, sodass jemand, der etwas weiß – das geht hin bis zu den staatlichen Behörden &, dies nicht für sich behält, sondern eine Warnung ausgibt.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann können Sie doch unserem Antrag zustimmen!)

Hier liegt die eindeutige Verantwortung bei den Behörden, die etwas wussten.

Herr Kollege Starzmann, Sie sind Spezialist für Märchenstunden. Das haben Sie schon bei BSE gezeigt. Sie sprechen immer von tausend Proben, die irgendwo herumliegen, ohne dass jemals der Nachweis geführt werden kann, dass sie dort lagen. Sie sprechen auch heute wieder davon, dass es Informationen gegeben hat. Sie können aber nichts vorlegen. Es gab in der Tat einen anonymen Anruf in der Fachabteilung unseres Hauses, dass Putenfleisch, welches in Freising gekauft wurde, in einem Labor in Hamburg untersucht wurde und dass dabei pflanzliche Antibiotika gefunden wurden. Mit Nitrofen hat das aber nichts zu tun. Auf die Aufforderung, diese Untersuchungsergebnisse oder das Material entweder an das Landesamt oder an die Hauptversuchsanstalt in Freising einzusenden, ist keine Reaktion erfolgt.

Meine Damen und Herren, Sie haben gefragt, was dieser Nitrofenskandal mit dem Biosiegel von Frau Künast zu tun hat. Wir stellen fest, dass im ökologischen Landbau, welcher regionale Bezüge hat, durch das Hochziehen in einen Bereich von 20% letztlich Strukturen entstanden sind, denen die bisherigen Kontrollsysteme nicht gewachsen sind. Um diese Strukturen zu erhalten, führt Frau Künast ein Öko-Light-Siegel ein, und genau dieses Siegel macht es den Manipulierern leicht und den Kontrolleuren schwer. Mit ihrer Werbung für das ÖkoLight-Siegel schafft sie eine Konkurrenz zu den traditionell wirtschaftenden Bio-Bauern, welche höhere Produktionskosten haben. Den Neueinsteigern gibt sie unter niedrigeren Bedingungen damit eine Chance. Dieses Geld wäre besser angelegt, wenn man es zur Sicherung der Qualität als zur Werbung verwendet hätte.

Frau Künast führt sich auf wie die Chefin der größten Werbeagentur Deutschlands, aber nicht wie die Chefin eines Ministeriums.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und was bekommen die EU-Betriebe in Bayern?)

Herr Dr. Dürr, wenn Sie mich zitieren, dann sollten Sie mich vollständig zitieren. Natürlich habe ich zum Auftreten der Bundesministerin gesagt, dass sie sich als Racheengel des Verbrauchers darstellt. Ich habe hinzugefügt, dass wir jetzt allerdings feststellen, dass ihr die Flügel fehlen, dass ihr Schwert stumpf ist und dass allein mit „Halleluja Bio“ die Welt noch nicht heil ist. Hier gehört ein bisschen mehr dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CSU)

Die jetzige Situation, die Frau Künast verursacht hat, ist natürlich ein Problem für die Biolandwirtschaft, aber auch ein Problem für die konventionelle Landwirtschaft, denn Frau Künast versucht mit aller Kraft, die konventionelle Landwirtschaft in diesen Skandal mit hineinzuziehen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da ist sie doch schon drinnen!)

Sie erweist auch dem Verbraucher keinen Dienst. Mit ihrem Öko-Light-Siegel und mit ihren Anzeigen garantiert sie – und das hat sie mit dem Bundesadler ausgezeichnet –, dass alles im grünen Bereich wäre, wenn man Produkte mit diesem Öko-Light-Siegel kaufen würde.

Der Nitrofen-Skandal zeigt aber, dass selbst bei Naturland nichts im grünen Bereich ist. Umso mehr ist es in diesem Fall nicht im grünen Bereich. Was Frau Künast mit ihrer Kampagne macht, ist Verbrauchertäuschung, nicht Verbraucherinformation, und das Ganze wird mit Steuermitteln finanziert.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Wie machen Sie es in Bayern?)

Wir fördern keine Betriebe, die nach europäischem Standard umstellen. Wir fördern ausschließlich Betriebe, die nach Bioland, Naturland und Demeter umstellen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die bayerischen Bauern bekommen auch Förderung der EU!)

In der Umstellung nicht.

Ich sage Ihnen ein Weiteres, das Kollege Sprinkart auch gefragt hat. Der Unterschied ist einmal – Kollege Miller hat dies auch gesagt –, dass im gleichen Betrieb nach Öko und Agro gleichzeitig produziert werden kann. Fragen Sie, wie das kontrolliert werden soll. Das zweite große Problem ist, dass es beispielsweise bei Bioland die Beschränkung des Zukaufs gibt. Über 50% müssen auf dem eigenen Boden produziert werden.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie hätten bei der EU-Verordnung richtig handeln müssen!)

Sie müssen das Frau Künast erzählen.

Nun muss wesentlich mehr zugekauft werden, wodurch neues Risiko entsteht. Ehe große Werbekampagnen geführt werden, müssten Kontrollsysteme etabliert wer

den. Man darf nicht gackern und dann erst Eier legen. Man muss erst – –

(Zuruf des Abgeordneten Starzmann (SPD))

Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.

(Starzmann (SPD): Sind 50% Nitrofen besser?)

Nein, das ist nicht besser, Herr Kollege Starzmann. Sie haben nicht verstanden, worum es bei diesem Problem geht. Es geht darum, dass Zukaufsstrukturen etabliert werden, weil man eine Menge Zukauffutter braucht, wenn man auf 20% Bio-Anteil in der Landwirtschaft kommen will. Das schafft Risiken für die ökologische Landwirtschaft.

(Zurufe der Abgeordneten Starzmann (SPD) und Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Damit unterstützt Frau Künast die ökologische Landwirtschaft nicht, sondern sie schädigt die ökologische Landwirtschaft. Das ist die Konsequenz und Lehre die wir ziehen.

Was die GRÜNEN in ihren Anträgen fordern, hat der Bundesrat bereits am 31. Mai 2002 auf unseren Antrag hin mit den Stimmen der CDU- und CSU-regierten Länder beschlossen. Die Anträge sind ein alter Hut, weil unser Beschluss weiter geht als das, was Sie fordern, Herr Dr. Dürr.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie stimmen also unseren Anträgen zu?)

Das von Ihnen zitierte Verbraucherinformationsgesetz hätte weder den Skandal verhindert, noch könnte es in Zukunft einen Skandal zu verhindern, wenn er in sechs oder acht Wochen wieder stattfindet. Das heißt, dass wir keinem Gesetz im Bundesrat zustimmen werden, das letzten Endes ein Placebo und keine wirksame Medizin ist, und das so wenig solide ist, dass ein Skandal nicht zuverlässig verhindert werden kann.

(Starzmann (SPD): Sie haben Erfahrung mit Skandalen!)

Das Verbraucherinformationsgesetz, das Frau Künast vorgelegt hat und an dem Sie sich offensichtlich orientieren, erlaubt laut der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass Betriebe genannt werden können, auch wenn die Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Ich frage Sie, Herr Kollege Dr. Dürr, ob die Behörden Bauernhöfe nennen sollen, ob sie Metzger oder Verarbeiter nennen sollen, die nicht die Verursacher waren, weil in Malchin geschlampt wurde, die aber diese Produkte hatten, sie aber schon längst wieder vom Markt genommen haben, sodass für den Verbraucher keine Gefahr mehr besteht. Sollen wir diese Betriebe nennen und zusätzlich immense Schäden verursachen? Auch Frau Höhn ist mir die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. Sie ist für Information. Sie hätte alle Betriebe in NordrheinWestfalen, die kontaminierte Schweinehälfte nach Bayern geliefert haben, nennen können. Ich stelle die Frage: Welche Schuld haben diese Betriebe an einem solchen

Skandal? – Hier liegt das Problem des Verbraucherinformationsgesetzes.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie Verbraucherschutz?)

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt in der Ausgabe vom 02.06.2002, dass eine abenteuerliche Informationspolitik der Behörden angekündigt werde.

Im Nitrofen-Fall haben die Behörden etwas gewusst. Sie hätten diese Informationen weitergeben müssen. Frau Künast braucht in ihrem eigenen „Laden“ ein Behördeninformationsgesetz, damit der Informationsfluss funktioniert.

(Starzmann (SPD): Ausgerechnet Sie sagen so etwas! – Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Dr. Dürr, wir haben ein Verbraucherinformationssystem, mit dem wir in dialogfähiger Weise den Verbraucher informieren. Wir haben eine Verbraucherinformation über die Lebensmittelüberwachung,

(Starzmann (SPD): Sie sitzen im Glashaus!)

die anlassbezogen Produkte untersuchen kann, die letzten Endes der Verbraucher kauft. Er kann sich an die Behörde wenden und bekommt die entsprechenden Auskünfte.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Dürr?

Staatsminister Sinner (Verbraucherschutzministe- rium) : Bitte schön.

Herr Staatsminister, ich möchte gerne wissen, wie Sie die Verbraucher/innen schützen wollen und ob Sie weiterhin für stille Rückrufaktionen sind.

Staatsminister Sinner (Verbraucherschutzministe- rium) : Ich will die Verbraucherinnen und Verbraucher so schützen, dass die Information und das Wissen, das bei den Behörden vorhanden ist, sofort umgesetzt wird und betroffene Produkte aus dem Verkehr genommen werden. Ich will es nicht wie Frau Künast haben, dass in der Bundesanstalt das Wissen wochenlang vorhanden ist, die Behörde aber nicht handelt. Der eigentliche Skandal ist doch, dass die Behörden geschwiegen und nicht gehandelt haben.

(Beifall bei der CSU)

Hier hat doch rot-grüner Filz geherrscht. Das ist der eigentliche Skandal.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Lück (SPD))

Herr Kollege Dr. Dürr, der Verbraucher will die Information auf dem Produkt, das heißt mit der Kennzeichnung haben. Er will den point of sale und kein umständliches Verfahren, mit dem er einen Antrag stellen darf, zu dem er gnädigerweise mit einer Frist von acht Wochen die Antwort einschließlich der Rechnung erhält. Das ist nicht unsere Vorstellung von Verbraucherinformation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden, wie das der Dringlichkeitsantrag der CSU aufzeigt, mit Nachdruck fordern, dass aufgeklärt wird. Jeden Tag kommt eine neue Meldung. Es ist ein Karussell von Warnung und Entwarnung in Gang gesetzt worden. Heute sind schon wieder neue Meldungen gekommen. Ich frage, wann endlich zurückliegende Zeiträume untersucht werden, wann geprüft wird, was vor dem Lager gewesen ist. Die Angelegenheit ist noch lange nicht aufgeklärt und aufgearbeitet. Wir brauchen auf der Grundlage der Anträge, die wir im Bundesrat gestellt haben, die Meldepflichten. Für den privaten Bereich, wie Labore und Lebensmittelhändler, brauchen wir einen Pakt, weil die Gesetzgebung zu lange dauert. Wir möchten so schnell wie möglich vernetzte Informationen erhalten für den Fall, dass sich die Angelegenheit nicht mehr im grünen Bereich befindet. Das ist unser Ziel. Wir erreichen das nur, wenn alle Marktakteure zusammenarbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verteidigen zwar Ihre Bundesministerin sehr vehement. Der NitrofenSkandal hat aber die Mängel ihrer bisherigen Politik brutal aufgezeigt. Was Uwe Bartels aus Niedersachsen und Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern erklären,