Protokoll der Sitzung vom 16.07.2002

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 94. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich zwei Glückwünsche aussprechen: Am 12. Juli feierte Herr Staatsminister Josef Miller einen halbrunden Geburtstag. Einen runden Geburtstag beging am 14. Juli Herr Kollege Manfred Weber. Ich gratuliere den beiden Kollegen im Namen des gesamten Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute, vor allem Gesundheit und gutes Gelingen bei ihren parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Nun möchte ich die Ergebnisse der am letzten Donnerstag durchgeführten namentlichen Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 20 und 21 bekannt geben, zunächst zu Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Naaß, Dr. Kronawitter (SPD) betreffend „Umsetzung des Bundesinfektionsschutzgesetzes, Freistellung von der Kostenpflicht für Beratung/Belehrung für im Ehrenamt Tätige“ auf Drucksache 14/7294. Mit Ja haben 133 Abgeordnete gestimmt. Nein-Stimmen und Enthaltungen wurden nicht abgegeben. Der Antrag ist damit in der Fassung des Ausschusses für Sozial-, Gesundheitsund Familienpolitik angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Zu Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Schammann und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betreffend „Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes bürgerfreundlich gestalten“ auf Drucksache 14/7312. Hierzu wurden 9 Ja-Stimmen abgegeben. Mit Nein haben 123 Abgeordnete gestimmt. Ein Mitglied des Landtags hat sich der Stimme enthalten. Der Antrag ist abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 15

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung war die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Politik für Arbeitsplätze“ beantragt. In die Aktuelle Stunde beziehe ich die folgenden zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge ein:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Bernhard, Kobler und anderer und Fraktion (CSU)

Politik für Arbeitsplätze (Drucksache 14/10049)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Arbeitslosigkeit bekämpfen, soziale Sicherheit gewährleisten (Drucksache 14/10050)

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen. Das wird dann auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Dauer der Aussprache zu sprechen. – Ich bitte Sie, jeweils auf das Signal zu achten.

Der erste Redner ist Herr Kollege Dr. Bernhard mit einem Zehn-Minuten-Beitrag.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Juni in katastrophaler Weise entwickelt hat. Wir haben 200000 Arbeitslose mehr gegenüber Juni 2001. Wir haben eine massiv gestiegene Jugendarbeitslosigkeit, und wir haben in den neuen Ländern ein Allzeithoch der Arbeitslosigkeit seit der Deutschen Einheit. Das zeigt, dass der Bundeskanzler die Chefsache Ost offenbar an die Wand gefahren hat.

(Beifall bei der CSU)

Dass Sie dafür immer die Weltwirtschaft in Anspruch nehmen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist ein durchsichtiges Ausweichmanöver; denn wir sehen im innereuropäischen Vergleich, dass wir hier die letzte Stelle einnehmen. Wir haben in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 0,6% und in der Europäischen Union ein solches von knapp 2%. Das macht deutlich, wie heute dort unser Standing ist. Die Behauptung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung von Anfang Juli, die Konjunktur starte durch, ist nichts als Wunschdenken. Die Menschen im Lande wissen und sehen das. Aus den Umfragen erkennen auch Sie, dass die Bevölkerung die Lage begriffen hat.

Die Investitionen, die immer eine wichtige Rolle spielen, sind eingebrochen. Der Konsum kommt nicht in Schwung, weil Sie den Leuten durch Steuer- und Abgabenerhöhungen das Geld aus der Tasche ziehen und weil die Bürger durch Ihre Politik total verunsichert sind.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Im Mai ist auch noch der Export, das einzige Standbein der Konjunktur, um fast 8% eingebrochen. Die Euro-Dollar-Parität, die wir jetzt erreicht haben, wird den Export zumindest nicht fördern.

Die entscheidende Frage ist nicht, ob und wie wir die Arbeitslosigkeit besser verwalten oder wie wir – wie es

im Antrag der GRÜNEN zum Ausdruck kommt – Arbeit umverteilen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ergreifen, sondern die entscheidende Frage ist, wie wir wieder Wachstum und neue und zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schaffen.

(Beifall bei der CSU)

Dazu brauchen wir ganz dringend und an erster Stelle eine Verringerung der Steuer- und Abgabenlast. Sie haben zwar eine Steuerreform gemacht, aber diese Steuerreform geht in die falsche Richtung. Sie haben den Mittelstand massiv benachteiligt

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

das ist unbestreitbar –, obwohl heute nur noch der Mittelstand Arbeitsplätze schafft und obwohl der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung damals gesagt hat, im Mittelpunkt seiner Steuerreform stehe der Mittelstand. Das kann man nur abhaken nach dem Motto: versprochen und gebrochen.

(Beifall bei der CSU)

Sie haben trotz unserer Warnungen die Definitivbesteuerung bei der Körperschaftsteuer eingeführt und den Beteiligungsverkauf großer Konzerne steuerfrei gestellt.

(Zurufe von der SPD)

Das beschämende Ergebnis für Sie ist – da wende ich mich insbesondere an die SPD –, dass die großen Konzerne heute zur Finanzierung der Allgemeinheit in Deutschland keinen Beitrag mehr leisten. Dies ist ein steuer- und gesellschaftspolitischer Skandal erster Ordnung.

(Beifall bei der CSU)

Ihre Steuerreform hat auch noch andere soziale Schlagseiten. Ich erinnere nur an den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende und einiges andere mehr. Wir werden deshalb – das ist unser fester Wille – nach dem 22. September mit dieser ökonomisch falschen und sozial ungerechten Steuerlastverschiebung von oben nach unten Schluss machen.

(Beifall bei der CSU – Lachen und Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in der kurzen Zeit eine Reihe konkreter Vorschläge gemacht – ich will sie jetzt nicht alle aufzählen –, wie wir das Steuerrecht ändern wollen. Wir wollen zum Beispiel insbesondere den Spitzensatz bei der Einkommensteuer erheblich reduzieren, die Steuerfreiheit bei Beteiligungsverkäufen überprüfen und einschränken und einiges andere mehr.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweites Thema: Wir brauchen wieder mehr Mittelstand und mehr Selbstständige. Deshalb muss das Scheinselbstständigengesetz weg.

(Beifall bei der CSU – Lachen und Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Gesetz ist ein massiver Schlag gegen das Gründungsgeschehen in Deutschland. Wir brauchen intensive Bemühungen zur Sicherung der Finanzierung des Mittelstandes und zur Verbreiterung der Eigenkapitalbasis; denn das ist heute eines der drängendsten Probleme des deutschen Mittelstandes. Sie, meine Damen und Herren von SPD und GRÜNEN, haben sich darum nicht gekümmert.

(Zurufe von der SPD: Oh je!)

Wir brauchen intensive Bemühungen – das ist ein weiteres zentrales Thema – für den Mittelstand zur Lichtung des bürokratischen Dschungels in Deutschland. Sie haben es geschafft, Deutschland auf vielen Feldern nach hinten zu bringen, aber bei der Bürokratie sind wir leider immer noch Spitze.

(Beifall bei der CSU)

Sie haben sogar neue Konstrukte wie die Bauabzugsteuer hinzugefügt und neue bürokratische Monster geschaffen.

(Zurufe von der SPD)

Die Bürokratie ist heute neben der Finanzierungsfrage eine entscheidende Existenzfrage für den deutschen Mittelstand geworden. Wir müssen deshalb diesen Mittelstand wie auch die gesamte Wirtschaft in Deutschland von den Fesseln der Bürokratie und Fesseln ähnlicher Art befreien.

Ein drittes Thema, meine Damen und Herren: Wir müssen die Investitionsbremsen lösen und die Investitionskraft der öffentlichen Hände stärken. Sie haben die Investitionsquote des Bundes auf jetzt 10% gesenkt. Sie haben den Mietwohnungsbau durch die Verkürzung der Spekulationsfristen und Ähnliches ruiniert.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie sich das einmal in Ruhe an. Das ist so, meine Damen und Herren. Fragen Sie doch einmal die Bauindustrie, was sie von all diesen Maßnahmen hält.

(Anhaltende Zurufe von der SPD und vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)