Protokoll der Sitzung vom 16.07.2002

Die Finanzierungsvorschläge sind Luftbuchungen und nicht vereinbar mit dem Ziel, auf Bundes- oder Landesebene ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Schuldentilgung – das muss ich auch heute wieder feststellen – ist ein Fremdwort, das schon Herr Waigel nicht buchstabieren konnte und das Sie ebenfalls nicht buchstabieren können.

Bestehende Förderprogramme werden als neu verkauft, bereits bestehende rechtliche Möglichkeiten als Novum gepriesen. Sie vergessen aber, eine ganze Reihe von Maßnahmen zu erwähnen – wahrscheinlich verschweigen Sie sie ganz bewusst –, die dazu beigetragen haben, dass eben alles nicht so aussieht, wie sie es darzustellen versuchen. Ich nenne zum Beispiel den Solidarpakt II, bis 2020 mit 156 Milliarden e für den Aufbau Ost ausgestattet, oder die Tatsache, dass die mittelständische Wirtschaft durch die Steuerreform in Höhe von 16 Milliarden e entlastet worden ist,

(Dr. Bernhard (CSU): Und die Ökosteuer!)

oder Forschungsprogramme – das ist auch besonders witzig –, die schon laufen, die schon verabschiedet wurden und bei Ihnen im Programm zu finden sind. Die Liste der rot-grünen Erleichterungen ist sehr lang, Sie aber gehen in keiner Weise auf die vorhandenen Möglichkeiten ein.

Die Erwerbs- und Arbeitslosen fragen zu Recht, wo denn eigentlich ihre Rechte und ihre Chancen sind. Für sie haben wir mit unserem Antrag schon Wege aufgezeigt.

(Zuruf von der CSU: Toll!)

Ja, das finde ich auch toll. – Wenn es nach dem Kandidaten und nach der CSU geht, schlagen Sie, statt sich um die Arbeitslosen zu kümmern, statt einmal zu sagen, wie man diese Menschen bei dem Wandel, den der Arbeitsmarkt erlebt, unterstützen kann, Änderungen beim Scheinselbstständigengesetz – wir haben es heute gehört – und beim Betriebsverfassungsgesetz vor, und Sie stimmen gegen Tariftreue und Korruptionsbekämpfung, beides wichtige Standortfaktoren.

In den am Freitag vorgestellten sieben Initiativen ist nur an einer einzigen Stelle von Arbeitslosen die Rede. In der Agenturmeldung dazu wird dann auch sehr deutlich, was Sie mit den Worten „Arbeitslose fördern“ meinen. Da kommt gleich noch eines drauf, nämlich die Zumutbarkeitsregeln verschärfen und die Beweislast umkehren.

(Dr. Bernhard (CSU): Sie kürzen ja die Arbeitslosenunterstützung!)

Nein. Wir können gerne über die Pauschalierungsgeschichten sprechen. Sie wissen auch ganz genau, dass das völlig andere Auswirkungen hat als die, die Sie uns hier glauben machen wollen.

Stattdessen verschärfen Sie – das möchte ich betonen – den Wettbewerb um Arbeitsplätze. Sie tun das zum Beispiel, indem Sie die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverhältnissen erweitern wollen.

Von den Arbeitsämtern werden 315000 Vermittlungsschecks ausgegeben. Es gibt einen Vermittler für 600 Erwerbslose. Zu all diesen Punkten äußern Sie sich wenig. Es gibt nur einige wenige dürre Aussagen zur Reform der Arbeitsverwaltung.

Dennoch sind wir ganz froh, dass der Kandidat Stoiber und sein Schattenminister – das klang im Radio so schön: „Schattenwirtschaftsminister“! – diese Texte vorgelegt haben; denn wir können daran sehr deutlich ablesen, wie Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind. Darüber kann man ja dann gerne diskutieren. Aber mit dem Arbeitsmarkt hat das nur am Rande zu tun.

Ich frage mich natürlich auch, ob die Vorschläge, die Sie heute vorgelegt haben, tatsächlich nächste Woche noch Bestand haben werden. Sie mögen zwar von Herrn Stoiber und Herrn Späth abgeschrieben sein, aber sind sie auch mit den CDU-Vorstellungen kompatibel? Wir haben ja auch erlebt, dass sich gerade in den Sitzungspausen die Hinterbänkler sehr schnell zu Wort melden. Ich frage mich auch, ob Sie das mit Frau Reiche abgesprochen haben. Sie hat ganz andere Vorstellungen davon, was berufstätige Frauen hier können und dürfen sollen.

Schließlich frage ich mich: Haben Sie die ganze Chose eigentlich einmal von Herrn Waigel gegenrechnen lassen? Er hat ein paar sehr interessante Ausführungen dazu gemacht, was er von Ihren Vorschlägen hält.

Wir wissen nicht, wie Herr Stoiber seine Vorschläge finanzieren will. Wir hören zwar, dass das etwa 10 Milliarden kosten wird, aber die Finanzierungsvorschläge halten sich da schon in Grenzen. Wir müssen feststellen, dass Herr Stoiber hier die Notwendigkeiten für den ausgeglichenen Bundeshaushalt völlig verkennt. Wir fragen uns schon, wie Sie sämtliche, auch in Ihrem Antrag vorgesehene Wohltaten finanzieren wollen, nachdem Sie uns auf der Bundesebene einen Schuldenberg von 745 Milliarden e hinterlassen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Landesebene – diesbezüglich sind wir uns einig – sieht es wegen der Steuerausfälle auch nicht besser aus. Darüber werden wir bei den Haushaltsberatungen im Herbst noch sprechen müssen; denn 650 Millionen e Steuerausfälle aufzufangen, ist weiß Gott nicht einfach. Wie wir den Medien entnehmen konnten, haben die Verteilungskämpfe in den Ministerien schon begonnen.

Machen Sie uns bitte nichts vor! Wir gingen letztes Jahr mit unseren Vorschlägen zum Arbeitsmarkt in die Offensive. Rot-Grün ging mit den Vorschlägen aus der HartzKommission in die Offensive. Sie sind in die Defensive

geraten, und deswegen müssen wir uns heute in dieser Aktuellen Stunde mit diesem Thema auseinander setzen. Deswegen musste der Kandidat vor der Sommerpause noch einmal in die Bütt, um zu zeigen: Hallo, wir haben auch ein paar Vorschläge! – Sie verabschieden sich mit diesen Vorschlägen aber ganz klar von der sozialen Komponente.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU)

Ja, das tun Sie. Sie verabschieden sich von der sozialen Komponente.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen nur raten, so wie es Ihnen die katholische Kirche geraten hat, das „C“ aus dem Parteikürzel zu streichen. Machen Sie es in einem Aufwasch und streichen auch gleich das „S“; dann ersparen Sie sich zusätzliche Arbeit; denn diese Abkürzung trifft schon lange nicht mehr zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Herr Stoiber Kanzler für alle Deutschen werden will – und für irgendetwas müssen sich ja diese Verrenkungen in der Berliner Disco auch rechnen –,

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei der SPD)

ist es letztlich auch egal, ob die bayerische Restunion das „S“ noch drin hat oder ob sie dann von der Nordunion wegen des „S“ nicht mehr zu unterscheiden ist.

(Dr. Bernhard (CSU): Sie haben Sorgen! – Weitere Zurufe von der CSU)

Wir wollen mit unserem Entschließungsantrag deutlich machen, dass Arbeitsmarktpolitik mehr ist als die ausschließliche Beförderung wirtschaftlicher Interessen. Wir brauchen eine Reihe von Instrumenten. Ich nenne in der Kürze der Zeit nur drei Beispiele.

Erstens haben wir – das sagt auch der Bundesverband Erneuerbare Energien – einen weltweit einmaligen Wachstumssprung in der Branche Windenergie, Biomasse und Fotovoltaik. Hier werden 8 Milliarden e umgesetzt, und es sind 120000 neue Arbeitsplätze entstanden. Insoweit treffen wir uns. Wir brauchen tatsächlich neue Arbeitsplätze. Es reicht nicht, die alten umzuverteilen. Aber dafür muss man auch etwas tun. Unsere Anträge gerade zu dieser ideologischen Modernisierung sind von Ihnen im Landtag immer wieder abgelehnt worden.

Das zweite Beispiel: Zuwanderung. Sie argumentieren immer, Zuwanderung koste den Deutschen die Arbeitsplätze. Ich nenne Ihnen nur eine Zahl: 280000 Selbstständige – von Ihnen leider immer noch Ausländer genannt – gewinnen als Wirtschaftsfaktor an Bedeutung. So gelingt es allein den 55000 türkischen Unternehmen, 293000 Menschen in Lohn und Arbeit zu bringen. Wir

rechnen außerdem bis 2010 mit 650000 MitarbeiterInnen.

Das dritte und letzte Beispiel: Ganz wichtig ist uns der Erhalt und der Zuwachs von Arbeitsplätzen bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Dafür brauchen wir das Tariftreuegesetz; denn es stärkt und schützt die kleinen und mittleren regionalen Unternehmen, und bringt einen Zuwachs an Arbeitsplätzen vor Ort.

Es ist eben anders, als Sie sagen: Es schützt die kleinen und mittleren Betriebe im Wettbewerb mit den Großen.

Wir werden sehen, wie Sie über unser Mittelstandsförderungsgesetz abstimmen werden; denn ich glaube schon, dass Sie – so wie beim Dosenpfand – letztendlich auch nur die Großen bedienen wollen.

Der Beschäftigungspakt, vom Ministerpräsidenten unterschrieben, hat von einer Halbierung der Arbeitslosenzahlen gesprochen; tatsächlich haben wir eine Steigerung: Die Zahl der Erwerbslosen ist auf 360000 gestiegen. Bringen Sie Reden und Handeln zusammen! Bleiben Sie bei den Realitäten! Damit tun Sie mehr für unser Land als mit Ihren Luftnummern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bei- fall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Kobler ist der nächste Redner. Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Maget, Sie haben mich heute wirklich enttäuscht.

(Widerspruch bei der SPD)

Außer einigen Rundumschlägen und Verdächtigungen ist eigentlich nichts an Perspektiven gekommen, wie Sie tatsächlich aus diesem Tief der Arbeitsmarktsituation herauskommen wollen.

(Zurufe von der CSU)

Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie zu den damaligen Anzeigen des Kanzlerkandidaten Schröder aus dem Jahre 1998 einige Aussagen getroffen hätten, als es geheißen hat, er sei es nicht wert, als Kanzler gewählt zu werden, wenn er nicht die 3,5-MillionenGrenze bei der Arbeitslosigkeit unterschreite. Es hieß damals auch – wunderbar –: Mehr Arbeitsplätze durch eine konzentrierte Aktion für Arbeit. „Wir halten das, was wir versprechen.“ Hierzu kann man nur sagen: versprochen und gebrochen!

(Beifall bei der CSU)

Sie sind dem leider aus dem Weg gegangen. Frau Kollegin Stahl, zu Ihren Vorschlägen kann ich nur sagen: Damit gehen Sie dem sicheren arbeitsmarktpolitischen Crash entgegen. Es sind alte Ladenhüter, die Sie hier immer wieder anbieten.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Durch Anwendung alternativer Energien und möglicherweise mit Zuwanderung das Heer der Arbeitslosen abzubauen –

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

diese Rechnung geht wirklich nicht auf.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))