Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

Land zur Folge hätte, wenn das mit der Zauberformel von „Dreimal 40“ Versprochene tatsächlich eintreten würde. Wir haben also gelernt, dass die Staatsquote beim Abgang Kohls 1998 höher war, als sie jetzt ist: Also unter Schröder ist die Staatsquote gefallen. Wenn Sie aber jetzt von 48,5 auf 40 fallen soll, wie Sie das wollen, dann bedeutet das als Volumen – damit die Leute einmal eine Vorstellung haben, was das heißt – 170 Milliarden e, die dem öffentlichen Kreislauf entzogen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeshaushalt liegt bei knapp 500 Milliarden DM, also bei 250 Milliarden e, wenn wir einmal mit glatten Zahlen rechnen wollen, damit man einmal einen Größenvergleich hat.

Das bedeutet in der Konsequenz – Sie, Herr Huber, geben ja keine genaue Zahl an; Sie wissen schon, warum; obwohl es auch bei Ihnen ein paar Leute gibt, die sich dabei an die Platte fassen –, dass Sie diesen Staat handlungsmäßig nahezu auf Null bringen in Richtung Infrastruktur, in Richtung Bildung, in Richtung innere Sicherheit. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wer kann denn das wahrhaft wollen, dass Sie die Ausgaben dieses Staates um ein Drittel kürzen, dass Sie 170 Milliarden e dem öffentlichen Kreislauf entziehen? – Das können nur die wollen, die sich einen armen Staat wirklich leisten können! Und das sind nur ganz, ganz wenige in unserem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Wenn Sie das machen, müssen Sie massiv in den Sozialbereich und in die Investitionstätigkeit des Staates eingreifen. Was das für die Konjunktur bedeuten würde, die ohnehin an zu geringer privater Binnennachfrage leidet, wenn Sie den Staatshaushalt in diesem Bereich um – sagen wir einmal – etwa ein Drittel senken würden, was es beispielsweise für die Baukonjunktur bedeuten würde, das kann sich wohl jeder ausmalen.

Da kann ich nur sagen: Das sind Rezepte von vorgestern, das sind keine Rezepte für die Zukunft unseres Landes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Noch einmal zur Sozialversicherung mit 41,3%. Da haben wir damals gesagt – mit „wir“ meine ich die politische Klasse, die Ökonomie-Klasse –: Die Lohnnebenkosten sind zu hoch, sie müssen herunter. Das haben wir alle gesagt. Es war auch richtig, und es ist auch richtig. Was ist denn geschehen?

Als Kohl sein Amt antrat, nur als Beispiel, da lag der Rentenversicherungsbeitrag in unserem Land – keiner weiß es mehr, weil die Zeit schnelllebig ist – bei 17,3%, Herr Huber. Und als er ging, war der Beitrag bei 20,3%, Herr Huber. Sie wissen das, das ist das Schlimme, Herr Huber. Das sind drei glatte Punkte nur bei der Rentenversicherung. Und wo ist der Beitrag heute, Herr Huber? – Sie wissen es, er ist bei 19,1%. Wir haben also die Sozialversicherungsbeiträge um über einen Punkt zurückgeführt, meine Damen und Herren, was Sie seit 20 Jahren fordern, aber nicht tun. Und dass wir nicht weiter gekommen sind, liegt an allem Möglichen, aber am allerwenigsten daran, dass die rot-grüne Regierung es

nicht versucht hat. Gut einen Punkt hat sie aber tatsächlich geschafft.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber das hat sie konkret geschafft. Punkt.

Wenn Sie den Beitrag jetzt auf unter 40% senken, dann haben Sie einen Einnahmeausfall von circa 13 Milliarden e, meine Damen und Herren. Ich sage „circa“, denn auf 500 Millionen hin oder her kann man es nicht genau schätzen. Wenn Sie dem Sozialversicherungssystem 13 Milliarden e entziehen, gibt es nur zwei Lösungen. Entweder müssen Sie von woanders her 13 Milliarden e wieder zuführen, von irgendeiner anderen Quelle einschließlich Wachstum, oder aber Sie müssen den Leistungsumfang der drei Sozialversicherungsbereiche um 13 Milliarden kürzen. Dann sagen Sie das bitte draußen den Menschen: Wir kürzen euch die Renten, wir kürzen euch das Arbeitslosengeld, oder wir kürzen euch die Krankenkassenleistung, oder wir lassen euch mehr zuzahlen.

Sagen Sie das den Menschen, was diese Zauberformel bedeutet. Dann reden wir miteinander. Ich sage Ihnen, was die Menschen sagen werden. Drei Viertel, vier Fünftel der Menschen, die sozialversichert leben und arbeiten und dieses Einkommensniveau haben, werden wissen, was sie darauf zu antworten haben, nämlich: Nein, das ist eine Verschlechterung unserer Situation zugunsten einer Verbesserung für diejenigen, die außerhalb des Sozialversicherungsbereichs liegen, und das ist gerade mal ein Fünftel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und dann der Hammer mit der Steuer. Die Steuern in Deutschland sind zu hoch, haben wir alle gesagt, 1998. Die Lohnsteuer ist zu hoch, die Einkommensteuer ist zu hoch, die Körperschaftsteuer ist zu hoch, die Gewerbesteuer – na gut, das ist örtlich unterschiedlich. Sie alle haben ja nicht Unrecht gehabt. 1998, 50 Jahre Bundesrepublik, 16 Jahre Kohl, hatten wir die historisch höchste Steuer- und Abgabenquote in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das war Ihr Abschiedsgeschenk, die historisch höchste Steuer- und Abgabenquote 1998. Und was ist seither passiert? – Passiert ist seither, dass die Regierung Schröder den Anfang gemacht hat von dem, was Theo Waigel zehn Jahre lang erzählt hat. Sie hat eine Steuerreform gemacht, die den Versuch fast einer Quadratur des Kreises unternommen hat, nämlich auf der einen Seite dafür zu sorgen, dass die Einnahmesituation des Staates nicht völlig abrupt wegbricht, was verantwortungslos gewesen wäre angesichts der gigantischen Schulden, die unser Land hat, die unsere Enkel und Urenkel noch werden abzahlen müssen, und auf der anderen Seite dennoch dafür zu sorgen, dass die Steuerlast sowohl für die Unternehmer als auch für die Arbeitnehmer sinkt und damit natürlich auch ein Stück mehr Geld in die Geldbeutel der Menschen kommt und dadurch die Binnenkonjunktur angeregt wird.

Die Bundesregierung hat das getan. Sie hat den Spitzensteuersatz gesenkt für die Leute, für die Sie immer schwärmen, sie hat aber auch den Eingangssteuersatz gesenkt. Am 1. Januar 2003 wird eine zweite Stufe kommen und am 1. Januar 2005 eine dritte Stufe. Dann werden wir Ihren Spitzensteuersatz, über den Sie immer reden, von Ihnen 53% über 48% jetzt auf 42% abgesenkt haben, meine Damen und Herren. Das ist eine vernünftige Vorgehensweise, weil es die Balance zwischen Einnahmesituation des Staates und Entlastung der Menschen verantwortungsbewusst wahrt.

Das, was Sie vorschlagen, ist Kamikaze. Wenn Sie, die Sie sich mit 53% verabschiedet haben, morgen 40% machen, wie Herr Stoiber es vorschlägt, dann bedeutet das, dass der Staat, die Bundesrepublik Deutschland, circa 43 Milliarden e Steuerausfälle haben würde. Dann kann die Regierung wiederum nur zwei Dinge tun: Sie kann entweder diese 43 Milliarden e zusätzlich an Schulden aufnehmen mit den erwähnten Folgen für unsere Kinder und Kindeskinder, oder sie muss um 43 Milliarden e zusätzlich den Haushalt zusammenstreichen mit allen Konsequenzen, für Investitionen und soziale Sicherheit.

Beides wollen Sie nicht, wie ich höre. Sie wollen angeblich gleichzeitig mehr für die Familien ausgeben, Sie wollen gleichzeitig mehr für die Bundeswehr ausgeben, Sie wollen gleichzeitig mehr für die Verkehrsinfrastruktur ausgeben. Ja, verdammt noch mal, das ist doch unterhalb des Niveaus von Milchmädchenrechnungen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Damit ich keinen Ärger mit der AsF kriege: Milchbubenrechnung.

Meine Damen und Herren, Sie wollen die Steuern senken, Sie wollen die Einnahmen des Staates verkürzen, Sie wollen die Ausgaben des Staates erhöhen, und gleichzeitig wollen Sie damit die Verschuldung des Staates absenken. Das ist so, wie wenn einer sagt: Gesundheit und Reichtum durch uns, Armut und Krankheit durch die anderen.

(Staatsminister Huber (Staatskanzlei): So ist es!)

Das machen Sie, mit wem Sie wollen, mit uns machen Sie das nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Deshalb kann ich nur sagen: Gehen Sie den Weg der Vernunft,

(Zurufe von der SPD: Aber gehen Sie!)

und der Weg der Vernunft kann nur heißen: Gehen Sie vier weitere Jahre in Klausur. Überlegen Sie sich vernünftige politische Konzepte, und lassen Sie einstweilen Bundeskanzler Schröder sein begonnenes Werk vollenden. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CSU – Kaul (CSU): Armes Deutschland!)

Nächster Redner ist Herr Kollege Dinglreiter.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoderlein hat mit der Frage begonnen: Was war vor Schröder? Vor Schröder, das haben Sie gestern ja auch ständig gesagt, gab es 16 Jahre Union. Und diese 16 Jahre muss man ehrlicherweise zweiteilen: Von 1983 bis 1989 hat die Union die Katastrophe aufgearbeitet, die Sie nach dem Regierungswechsel hinterlassen haben.

(Lachen bei der SPD – Kaul (CSU): Sozialistische Katastrophe! So ist es!)

Natürlich. Wir hatten eine Arbeitslosenquote von 9,1%, als Sie abgelöst wurden, und wir haben 1989 eine solche von 7,9% erreicht. Dass die Wiedervereinigung schwieriger war als angenommen, das wissen wir heute alle. Die hohen Transfers aus den Haushalten haben natürlich den Westen belastet, auch die Transfers aus den Rentenkassen. Aber es war nicht anders möglich, wenn man die Menschen in ihren angestammten Ländern halten wollte, und das alles noch dazu bei einer schwierigen Aufgabe im Zusammenhang mit dem Einbruch der Weltkonjunktur. Ich will daran erinnern: Der Dollar hat Mitte der Neunzigerjahre 1,35 DM gekostet. Da ist es schwer zu exportieren. Jetzt haben wir gerade eine Dollar-EuroParität, und schon geht der Außenhandel um 7,8% zurück. Was wäre denn, wenn der Euro zwei Dollar kosten würde? Wie sähe es dann aus? Das ist die Realität.

Aber, meine Damen und Herren, ich will es dabei belassen und zu Ihren Fragen kommen. Sie klagen über drei mal 40. Steuersatz unter 40. – Vor kurzem hat Ihr Finanzminister Eichel gesagt: Das ist nichts Neues, er würde das 2005 auch erreichen. Warum kritisieren Sie dann die Union, wenn sie sagt, sie wolle in Stufen unter 40% schaffen?

Sozialversicherungsbeiträge unter 40%. – Steht nicht in der Koalitionsvereinbarung von 1998, dass eine Quote von unter 40% angestrebt werden soll?

(Kaul (CSU): So ist es! Und was ist daraus geworden?)

Der Bundeskanzler ist wörtlich zitiert: „ Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40% senken.“

(Kaul (CSU): Hört, hört!)

Warum kritisieren Sie uns dann? Das ist doch etwas, was Sie sich selber ans Bein binden müssen, wenn Sie durchaus vernünftige Ansätze durch eine saft- und kraftlose Politik nicht erreicht haben.

Die Staatsquote unter 40%. Meine Damen und Herren, trotz der – in Gänsefüßchen gesprochen – größten Steuerreform aller Zeiten zahlen die Bundesbürger im Jahr 2000 – und das ist eine Zahl, die der Bund der Steuerzahler ermittelt hat – über 20 Milliarden e mehr an Steuern als 1998.

(Hoderlein (SPD): Wie ist denn das Volkseinkommen gestiegen?)

So ist halt die Realität. Das hat mit dem Volkseinkommen wenig zu tun, weil ich Ihnen auch vorrechnen kann, wofür die Bürger das bezahlen. Die Staatsquote ist in den letzten beiden Jahren wieder angestiegen, da gibt es nichts zu beschönigen.

(Hoderlein (SPD): Gegenüber 1999! Und gegenüber Kohl?)

Es ist ganz klar, dass die öffentliche Hand – – Wir reden jetzt über die Frage, die Sie uns gestellt haben.

(Hoderlein (SPD): Jetzt, nachdem sie angestiegen ist! Sie war noch niedriger als unter Kohl...)

Wenn Sie eine Analyse über 16 Jahre Helmut Kohl wollen, dann müssen wir uns an anderer Stelle darüber unterhalten.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Hoderlein, Sie haben doch eben das Wort gehabt. Das, was Sie jetzt machen, ist doch wesentlich mehr als ein Zwischenruf.

Sie wollen eine Analyse über 16 Jahre Helmut Kohl haben, aber ich will zu dem Antrag Stellung nehmen, den Sie uns vorgelegt haben, und nicht über 16 Jahre Helmut Kohl sprechen.

(Hoderlein (SPD): Aha!)

Die öffentliche Hand verbraucht heute zuviel. Das ist Realität. Diese öffentliche Hand, an der Spitze Ihr Bundeskanzler, wundert sich dann, dass Bürgerinnen und Bürger nicht mehr Initiative entfalten, beispielsweise beim Kauf von Konsumgütern und ähnlichem mehr. Sie meinen – das ist der große Trugschluss –, dass Sie mit Ihrer Staatsgläubigkeit mehr soziale Gerechtigkeit schaffen; wenn Sie mehr Geld zu verteilen hätten, würden Sie den Bürgern mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Gegenteil ist der Fall.

Ich will Ihnen ein paar Dinge vorhalten, und da bin ich durchaus in guter Gesellschaft. Heute beklagen 93% der Deutschen einen Verlust an sozialer Gerechtigkeit in Deutschland. In den Reihen der Gewerkschaften, die uns im Moment nicht unbedingt besonders gut gesonnen sind, wird dies genauso gesehen. Nach der Steuerreform, die Sie durchgeführt haben, hat Herr Schulte gesagt: Reichtum und Armut driften jetzt weiter auseinander. Das ist ein Stück Realität. Klaus Zwickel hat erst kürzlich gesagt – in „Metall“, Nummer 4, 2002 steht es –, dass die rot-grüne Politik bisher nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit geführt hat. Kollege Lang von der IG Metall hat gesagt, die rot-grüne Steuerreform habe die Verteilungsgerechtigkeit nicht vergrößert, sondern verringert. Das halten Ihnen Ihre eigenen Gesinnungsfreunde vor, und das, obwohl Sie versuchen, die Dinge mit einem immer größer werdenden Staatsanteil zu regeln.