Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

Das waren die Tatsachen. Wenn Sie hier die letzten 30 Jahre gegeneinander aufrechnen, geht es nicht, dass Sie die guten Jahre nur sich selbst zurechnen, über die schlechten Jahre unter Ihrer Regierungsverantwortung den Mantel des Schweigens decken und sich die guten Jahre unter einer rot-grünen Regierung selbst als Lobeszeichen an die Brust heften. Wenn es dann einmal eine Delle gibt, dann wären wir schuld. So nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister, Sie haben doch selbst Ihrem Haushalt zunehmende Steuereinnahmen zugrunde gelegt. Es wird tatsächlich eine Zunahme geben. Es mag sein, dass diese bescheidener ausfällt als in den sehr guten Jahren. Gerade die Kolleginnen und Kollegen von der Christlich Sozialen Union müßten doch das Gleichnis von den sieben mageren Jahren, die den sieben fetten Jahren folgen, kennen. Wären Sie, Herr Staatsminister

Faltlhauser, und Ministerpräsident Stoiber gute Hausväter, hätten Sie für die mageren Jahre vorgesorgt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt rächt es sich nämlich, dass Ministerpräsident Dr. Stoiber in guten Steuerjahren, in Jahren mit großen und größten Einnahmen, wie die Goldmarie durchs Land gezogen ist und Milliarden

(Dr. Bernhard (CSU): Schulden zurückgezahlt hat!)

von so genannten Privatisierungserlösen über das Land hat regnen lassen. Herr Kollege Dr. Bernhard, Sie haben damit eine auf kurzfristige Erfolge ausgerichtete, prozyklische Wirtschaftspolitik betrieben.

(Dr. Bernhard (CSU): Langfristig!)

Ja, das sieht man an den Folgekosten.

(Zuruf des Abgeordneten Pschierer (CSU) – Gegenruf der Frau Abgeordneten Elisabeth Köhler (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Liebe Kollegin Elisabeth Köhler, Herr Pschierer hat sicher noch keinen einzigen Haushaltsband gelesen. Deshalb muß man ihm auch nichts glauben.

Herr Kollege Dr. Bernhard, Sie haben die Wirtschaftsförderung in einer konjunkturellen Aufschwungphase massiv ausgeweitet. Das war ineffizient und zeugt nicht gerade von besonderem Weitblick. Heute stehen Sie mit leeren Händen – oder besser gesagt: mit leeren Kassen – da und müssen die Erfahrung machen, dass Privatisierungserlöse keine nachwachsenden Rohstoffe sind.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Bernhard, wenn Sie ehrlich sind, dann stimmen sie mir doch darin zu,

(Dr. Bernhard (CSU): Ich bin immer ehrlich!)

dass dem Freistaat Bayern ein zielgerichteter zusätzlicher Investitionsschub sehr, sehr gut täte.

(Dr. Bernhard (CSU): Dem Bund auch!)

Ich komme zur Steuerpolitik. Wir als GRÜNE finden es richtig, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode im Bundestag über Steuerreformen diskutiert und befunden wird. Ziel dieser Diskussion muß es sein, dem Staat die notwendigen Einnahmen für seine Aufgaben zu sichern, eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit sicherzustellen und die immer währende Sisyphusarbeit, mehr Transparenz zu erreichen, zu erledigen. Die Diskussion um Vermögen- und Erbschaftsteuer kommt ja nicht von ungefähr; sie hat einen ernsthaften Hintergrund. Wir alle erleben – auch Sie, Herr Prof. Dr. Faltlhauser, und Sie, Herr Huber, haben es selbst oft beklagt –, dass sich Großkonzerne zwar gern der guten Infrastruktur in Deutschland bedienen und daran auch gut verdienen, sich aber nicht an den Kosten daran beteiligen. Wir sehen auch, dass in Deutschland große und größte Erb

schaften zu einem im internationalen Vergleich – auch im Vergleich zu den USA – äußerst niedrigen Steuersatz vererbt werden. Damit meine ich ausdrücklich nicht den Fall, dass von Eltern auf Kinder ein Haus vererbt wird. Ich meine damit auch ausdrücklich keine ganz normalen Betriebsübergaben.

Gemeint sind bei dieser Diskussion die wirklich großen Privatvermögen. In Deutschland werden jährlich 100 Milliarden e vererbt, und zwar mit steigender Tendenz.

(Zuruf des Abgeordneten Kränzle (CSU))

Herr Kränzle, ich erinnere Sie an Artikel 123 Absatz 3 der Bayerischen Verfassung.

(Kränzle (CSU): Lesen Sie einmal das Grundgesetz!)

Lesen Sie lieber die Bayerische Verfassung. Ich zitiere: „Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern.“ – Das schreiben Sie sich einmal gut auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerechtigkeit und Transparenz müssen die Basis unseres Steuersystems sein. Es geht nicht an, dass die abhängig Beschäftigten, die Lohnsteuerzahler, die Melkkühe der Nation sind, nicht nur bei den Steuern, sondern auch bei den Abgaben. Die anderen können sich ja der so genannten Steuergestaltungsmöglichkeiten bedienen, bis am Ende Null dabei herauskommt. Meine Damen und Herren, das geht nicht an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen mehr Steuergerechtigkeit erreichen und die Einnahmen verbessern. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, und Sie sind alle gut beraten, diese mit uns sorgfältig zu überlegen und zu diskutieren. Eine Möglichkeit ist, dass man sich die Körperschaftsteuer noch einmal vornimmt, wobei darauf geachtet werden muss, dass es bei Veränderungen nicht wieder zu neuen Verwerfungen kommt. Zu dieser Einsicht ist auch Ministerpräsident Stoiber gekommen, als er noch Kandidatenstatus hatte.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Bernhard (CSU))

Nein, das haben wir nicht. Darüber haben wir hier ausführlich diskutiert. Herr Kollege Dr. Bernhard, hören Sie mir bitte bei den folgenden Ausführungen zu, weil das eminent wichtig ist. Ein wichtiger Punkt in der Steuerdiskussion ist die Bekämpfung der Umsatzsteuerkriminalität. Wenn hier jährlich an die 23 Milliarden e an Verlusten entstehen, dann lohnt es sich allemal, dass man sich der Sache widmet und dafür Personal einsetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es steht doch fest, dass die notwendigerweise zu erfüllenden Aufgaben bei Bildung und Kinderbetreuung neue Finanzquellen erforderlich machen.

Da dürfen Sie sich doch nichts vormachen. Es ist nicht damit getan, dass man hier oder dort ein paar tausend Euro wegzupft. Hier geht es in der Tat um einen Paradigmenwechsel. Wir haben eine Wissensgesellschaft, und nur wenn wir ausreichend Geld für Bildung zur Verfügung stellen, werden wir vorne sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau deshalb verstehen wir als Grüne nicht, warum Sie so für die Subventionierung des Trauscheins statt für die Förderung des Lebens mit Kindern eintreten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch wahrlich keine soziale Tat, wenn ein Spitzenverdienerpaar einen Splittingvorteil von 9.600 e einfahren kann, während ein Arbeiterehepaar mit ein paar Euro – wenn überhaupt – abgespeist wird. Da muss ich mich auch an Sie wenden, Herr Finanzminister Faltlhauser: Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass Sie, als Sie mit mir in der „Münchner Runde“ waren, als es nach dem Verfassungsgerichtsurteil im Zusammenhang mit den Familien darum ging, wie in Zukunft Kinder und Familien gefördert werden, wie ich bedauert haben, dass genau 3 Millionen Kinder in Deutschland, und zwar die, die am nötigsten Unterstützung bräuchten, nicht in den Genuss einer zusätzlichen Förderung kommen. Hier muss man ansetzen und nicht an der Spitze.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie wie wir keine Steuererhöhung wollen, dann müssen Sie im bestehenden System umschichten. Wir orientieren uns doch auch bei den Lernerfolgen an den skandinavischen Ländern. Deshalb fordere ich Sie auf, sich auch einmal deren Bildungs- und Familienfinanzierung anzusehen. Ich sage auch, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer – selbst wenn man parallel dazu die Einkommensteuer senken würde –, kommt für uns Grüne nicht in Frage; denn eine Mehrwertsteuererhöhung würde in jedem Fall immer die unteren Einkommensschichten gravierend benachteiligen.

Heute, Herr Staatsminister Faltlhauser, sagen Sie, Sie wollten keine Lasten auf kommende Generationen verlagern. Das habe ich hier schon 1990 in meiner ersten Haushaltsrede gesagt. Da haben die Kollegen auf dieser Seite milde gelächelt oder mich sogar verspottet. Heute haben Sie unsere Grundsätze übernommen. Das hätten Sie auch schon vor zehn Jahren so haben können.

Gerade wegen der Finanz- und Haushaltspolitik ist es ein Segen, dass Rot-Grün wieder die Regierung im Bund stellt. Denn, Herr Finanzminister Faltlhauser, die von Kanzlerkandidat Stoiber propagierten Steuersenkungen und sonstigen Versprechungen würden noch größere Löcher in die Haushalte von Ländern und Kommunen reißen. Allein 20 Milliarden e hätte das 100-Tage-Programm gekostet. Sie haben uns nie erklärt, woher Sie dieses Geld nehmen wollen.

(Zuruf von der CSU)

Natürlich stimmt es. Wir haben es doch ausgerechnet, Herr Huber. Das können Sie sich heute nicht mehr heransieden.

(Huber (CSU): Wir haben es selber gerechnet! Meine Rechnung ist richtig!)

Wahrscheinlich sind Sie heute froh, dass Sie nicht diese 20 Milliarden e als Adlatus und als Hilfsdienstleister für den Ministerpräsidenten herbeischaffen müssen.

Die GRÜNE Fraktion hält am Ziel Haushaltskonsolidierung und Rückführung der Verschuldung fest; allerdings nicht sklavisch am Jahr 2006. Ich sage Ihnen auch warum, Herr Finanzminister. Manchmal kann Sparen auch rechtzeitiges Investieren bedeuten. Gerade im Bildungsbereich dulden die notwendigen Reformen keinen Aufschub. Am falschen Ende gespart – zum Beispiel bei staatlichen Kontroll- und Aufsichtsbehörden; BSE, Sondermüllskandal Neuendettelsau lassen grüßen – kann sehr, sehr teuer werden.

In Zeiten zähfließender Steuerquellen zeigt sich die Qualität eines Finanzministers. Es wird sich zeigen, Herr Faltlhauser, ob Sie Gestaltungskraft besitzen oder ob Sie als Rasenmäher in die Geschichte der bayerischen Finanzpolitik eingehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Reformer oder Rasenmäher – Sie haben die Wahl, Herr Finanzminister. Reformwillen, das Infragestellen von Pfründen und das Setzen von Prioritäten sind gefragt. In Zeiten knapper Kassen wird deutlich, was Ihnen wirklich wichtig ist. Wir sehen: Egal wie leer die Kasse auch sein mag, Straßenbau genießt bei der CSU immer Priorität, und wenn der letzte Euro dafür aus der Tasche gezogen werden muss. Für uns stellt sich nicht die Frage, ob ein Etat schrumpft, sondern für uns stellt sich die Frage, wo er schrumpft. Wir sagen, Herr Finanzminister: Es ist eine Überprüfung von Strukturen und Förderprogrammen angesagt. Wie viele Ministerien braucht der Freistaat Bayern? Ich frage Sie: Ist es tolerierbar, dass die wichtigen Ressorts Bildung und Hochschule zur MobbingMasse der jeweiligen Ministerpräsidenten geworden sind? Sie erinnern sich: Als man den damaligen Kultusminister Mayer loswerden wollte, wurden schnell die Ministerien zusammengelegt, später wurden sie wieder getrennt – das habe ich hier erlebt – und dann wieder zusammengelegt. So geht es ewig hin und her, je nachdem ob man den jeweiligen Minister gerne haben möchte oder nicht. Das wird diesem wichtigen Ressort nicht gerecht.