Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf dem Hohen Haus bekannt geben, dass für beide Dringlichkeitsanträge auf Drucksache 15/209 und Drucksache 15/214 namentliche Abstimmung beantragt worden ist. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Schieder.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten ist an den bayerischen Gymnasien nichts mehr, wie es war. Entgegen aller anders lautenden Beteuerungen vor der Wahl, die Sie übrigens auch mehrmals in diesem Hohen Hause abgegeben haben, wurde von oben herab als beschlossene Sache verkündet, dass nun eine Verkürzung der gymnasialen Schulzeit kommen wird und dass damit das achtjährige Gymnasium eingeführt wird. Noch dreister kam es: Es wurde sogar verkündet, dass es bereits ab diesem Schuljahr eingeführt werden wird, ohne dass dabei überhaupt die Rede davon war, welche Konzeption dem Ganzen zugrunde liegen soll. „G 8 über Nacht“, so sagen jetzt die Leute richtig.

Niemand, aber auch niemand kann seitdem den betroffenen Eltern, den Schülerinnen und Schülern und auch den Lehrerinnen und Lehrern sagen, wie denn diese für die Gymnasien wirklich einschneidenden Veränderungen in der Schulstruktur umgesetzt werden sollen. Beinahe jeden Tag können wir in der Presse neue Theorien lesen. Von Vorschlägen wie der angeblich ganz einfachen Kürzung des Unterrichtsstoffes um 60 % bis hin zu einer vollkommen unausgegorenen Vorstellung von Stundentafeln für eine neue gymnasiale Oberstufe reichen die mehr oder weniger sinnvollen Positionen. Auch ein Anruf bei der so genannten Hotline des Kultusministeriums bringt wenig Erhellung. Ich habe es selbst probiert.

Der Zwischenbericht des Kultusministeriums, den wir nach hartnäckigem Nachbohren seitens der Opposition letzten Donnerstag im Bildungsausschuss endlich bekommen haben, lässt sich am treffendsten mit den Worten von Bertold Brecht beschreiben: „Drama aus, Vorhang zu und alle Fragen offen.“

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es ist für mich absolut verständlich, dass sich überall an den Schulen, bei den Sachaufwandsträgern, aber auch den Familien tiefe Verunsicherung breit

gemacht hat und auch große Verärgerung vorherrscht. Die vielen E-Mails und Briefe, die ich und sicher auch viele von Ihnen seitdem erhalten haben, sprechen eine deutliche Sprache. Sie zeigen, wie groß die Sorgen vor Ort wirklich sind. Ich kann nur noch den Kopf schütteln, wenn manche von Ihnen von gestellten Leserbriefen, von unflexiblen Lehrkörpern oder gar von aufgehetzten Schülerinnen und Schülern sprechen. Ich meine, Sie täten besser daran, sich wirklich um das zu kümmern, was in diesen E-Mails und Briefen steht. Darin zeigt sich nämlich auch, wie viele Fragen im Zusammenhang mit der möglichen Einführung eines G 8 offen sind und wie wenig die Betroffenen vor Ort auf die Entscheidung vorbereitet sind. Anstatt sich der Sorgen und Nöte anzunehmen – Frau Ministerin, ich muss es Ihnen in dieser Härte sagen –, setzen Sie sich mit einer Arroganz und Kaltschnäuzigkeit über alle Proteste, Nachfragen und Bitten hinweg, die nur noch das Kopfschütteln hervorrufen kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie meinten sogar, das Problem noch aufschaukeln zu müssen, indem Sie kurz vor Weihnachten, wiederum über die Köpfe der Betroffenen hinweg, an alle Schulen ein Schreiben geschickt haben, in dem Sie lapidar mitgeteilt haben, dass die Schulreform nicht erst nächstes Jahr beginne, sondern bereits begonnen habe. Sie wurde also sozusagen rückwirkend angeordnet. Auch die jetzigen fünften Klassen sollten mit oder ohne Lehrplan in das G 8 mit einbezogen werden.

(Walter Nadler (CSU): Den Lehrplan haben wir schon!)

Für ein G 9 haben Sie einen Lehrplan, Herr Kollege, aber nicht für ein G 8.

(Beifall bei der SPD)

Noch im Juli 2003 haben Sie der Frau Kollegin Anna Maria Förstner auf eine mündliche Anfrage geantwortet, es sei nicht richtig, zu behaupten, es liege schon ein Lehrplan für das G 8 vor. Das sei nur ein Lehrplan für ein G 9, und über das G 8 könne nicht diskutiert werden, da die Modellversuche erst begonnen hätten. Diese müssten erst ausgewertet werden. So viel zur Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Walter Nadler (CSU): Das ist Ihre Meinung!)

Das ist nicht meine Meinung. Sie können es im Plenarprotokoll nachlesen. Auch nach Ihrer Tagung in Kreuth haben Sie gemeint, wieder ein Schreiben an die Schulen schicken zu müssen. Sie haben ihnen dann mitgeteilt, dass die CSU-Fraktion das G 8 nun endlich beschlossen habe, dass die Schulen für die Umsetzung zu sorgen hätten und dass nun angeordnet wird, dass Räume gesucht werden und Schulen sich zusammentun müssen, damit die

Ministerin oder der Staatssekretär kommen und den Betroffenen erklären können, was nun Sache ist.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Ohne Landtag!)

- Ja, ohne Landtag. Ich komme noch darauf zurück. Ein Schulleiter – übrigens einer, der seit 33 Jahren der CSU angehört, wie er mir mitgeteilt hat – rief mich darauf an und fragte mich, ob es seiner Aufmerksamkeit entgangen wäre, ob es in Bayern überhaupt noch einen Landtag gäbe oder ob der von der Zweidrittelmehrheit der CSU schon abgeschafft worden wäre. Er hätte nämlich immer gedacht, dass er sich als Schulleiter an Gesetze halten müsse – zum Beispiel an das Erziehungs- und Unterrichtsgesetz – und nicht an Beschlüsse von CSU-Klausurtagungen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

In der Tat ist es so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Manche scheinen es wirklich vergessen zu haben: Um ein G 8 einführen zu können, muss das Erziehungs- und Unterrichtsgesetz geändert werden.

(Zurufe von der CSU: Das wird auch gemacht!)

Diese Änderung muss hier im Bayerischen Landtag beschlossen werden. Dafür reichen noch keine Beschlüsse einer CSU-Fraktion.

(Markus Sackmann (CSU): So ein Schmarrn! – Herbert Fischer (CSU): Von Ihnen wird es ja nicht verändert!)

Der von mir schon zitierte Schulleiter fragte mich weiter, ob es denn immer noch stimme, was er laut Lehrplan den Schülerinnen und Schülern im Sozialkundeunterricht lehre, dass der Landtag die gesetzgebende Gewalt sei, die Gesetze beschließe und dass die Staatsregierung als Exekutive die Gesetze umsetzen müsse.

Kurz gesagt: In Bayern schafft der Landtag an, die Staatsregierung führt aus und der Landtag kontrolliert die Staatsregierung.

(Walter Nadler (CSU): Genau das werden wir tun!)

Ich konnte ihm versichern, dass der demokratische Staatsaufbau dies zwar so vorsieht, dass jedoch in Bayern die Uhren anscheinend anders gehen: Bei uns schafft die Staatsregierung an und kontrolliert streng, dass sich keiner in der CSU etwas anderes zu denken traut. Die CSU stimmt anschließend brav hinterher, ganz gleich, welcher Unsinn vorgeschlagen wurde.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Walter Nadler (CSU): Die Staatsregierung macht das, was wir wollen!)

Mir wurde mitgeteilt, dass eine niederbayerische Abgeordnete der CSU-Fraktion diese Situation bei einer Diskussion so zusammengefasst hat: Was der Chef anschafft, das muss man tun. Daraufhin hätte ihr ein anwesender Lehrer entgegnet, dass er noch nicht gewusst hätte, dass das Gewissen eines Abgeordneten mit Vornamen Edmund und mit Nachnamen Stoiber heiße.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das hört sich zwar lustig an, allerdings ist mir diese Sache bitter ernst. Für mich ist es unerträglich, wie die Kultusministerin und das von ihr geleitete Kultusministerium in dieser Sache versuchen, den Landtag bei der Entscheidung außen vor zu lassen und unter Missachtung dieses Hohen Hauses die Entscheidung als getroffen und durchgesetzt verkünden. Ich glaube, dass es der Respekt vor diesem Hohen Haus und die Achtung vor der Demokratie dem Kultusministerium und der Ministerin gebieten sollten, den Bayerischen Landtag möglichst früh und möglichst intensiv in diese Entscheidung einzubeziehen. Meine Damen und Herren von der CSU, Sie sollten dabei auch an Ihr eigenes Selbstverständnis denken.

Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Wir mussten sogar um den Zwischenbericht bitten und betteln. Die Ministerin hat es dabei nicht einmal für nötig befunden, persönlich dabei zu sein.

(Eduard Nöth (CSU): Sie hat sich doch entschuldigt!)

Richtig. Sie war entschuldigt. Ich bin auch bereit, eine Entschuldigung anzunehmen, wenn die Ministerin einen Termin gehabt hätte, bei dem sie wirklich unentbehrlich war. Sie war jedoch bei einem Pressetermin. Dieser Showtermin war ihr offenbar wichtiger als die Zukunft des bayerischen Gymnasiums.

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

So kann man keine verantwortungsbewusste Bildungspolitik betreiben. Die für die nächsten Wochen großartig angekündigte Tour der Ministerin und des Herrn Staatssekretärs durch Bayern wurde von einem Kollegen – im Rahmen eines Versprechers – im Bildungsausschuss als Tortur bezeichnet. Diese Tour wird zu keiner Befriedung vor Ort führen. Ich habe gelesen, dass bei den Veranstaltungen 20 Minuten für eine Kurzdarstellung, eine Stunde für einen Workshop und eine Stunde für das Gespräch mit jeweils 150 Leuten zur Verfügung stünden. Bei jeder Veranstaltung werden die Vertreter von etwa zehn Schulen zusammengefasst, wobei diese Schulen wahrscheinlich kontingentiert sind, damit nicht die falschen Leute bei einer solchen Veranstaltung auftauchen.

Im Rahmen einer solchen Veranstaltung können die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Einführung eines G 8 stellen und die geklärt werden müssen, bevor die Entscheidung getroffen ist, nicht gelöst werden. Dieses Verfahren als „Dialog“ zu bezeichnen, macht deutlich, auf welch hohem Ross Sie sitzen und in welch ignoranter Art und Weise Sie die Sorgen von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sowie von Eltern und Sachaufwandsträgern vom Tisch wischen.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte für diesen Etikettenschwindel den Begriff „Road-Show“ für passender. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine so wichtige und einschneidende Maßnahme wie die Einführung eines achtjährigen Gymnasiums bedarf der intensiven und gründlichen Vorbereitung. Die Betroffenen vor Ort müssen wissen, was auf sie zukommt, wenn sie die Entscheidung akzeptieren und die Umsetzung mit vollem Einsatz begleiten und vorantreiben sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, ich bitte Sie, uns die Zeit für eine gründliche Vorbereitung zu geben. Stimmen Sie – wie es in unserem Antrag heißt – für ein zweijähriges Moratorium. Lassen Sie uns dieses Moratorium mit einer Anhörung beginnen, in der wirklich alle Betroffenen ihre Fragen, ihre Bedenken und ihre Forderungen vortragen können und in der alle Fragen auf den Tisch kommen, die geklärt werden müssen.

Das Vertrauen in die Politik würde nicht gestärkt, wenn wir den Betroffenen nicht einmal die Möglichkeit zur Mitsprache einräumten, obwohl sie diejenigen sind, die vor Ort mit der Entscheidung leben und diese Entscheidung durchsetzen müssen. Lassen Sie uns in aller Ruhe darüber diskutieren, ob ein G 8 überhaupt notwendig ist. Sie haben in diesem Zusammenhang auf die Regelungen der anderen Bundesländer hingewiesen. Sie tun aber sonst auch nicht, was die anderen Bundesländer machen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns darüber reden, wie in aller Ruhe ein Lehrplan gestaltet werden kann, damit das G 8 zu einem erfolgreichen Gymnasium wird und es zu keiner Qualitätsverschlechterung kommt. Sie wissen schließlich, dass die Herausnahme des Stoffes eines ganzen Schuljahres aus dem Lehrplan keine einfache Sache ist. Sie haben lange Jahre gebraucht, um den in diesem Schuljahr in Kraft getretenen neuen Lehrplan für das G 9 erarbeiten zu lassen. Sie haben dabei gesehen, wie schwer es ist, den Lehrplan zu entrümpeln und für neue Freiräume zu sorgen. Mehr Freiräume in den Lehrplänen werden zunächst von allen begrüßt. Wenn es jedoch um ihr Fach geht, stehen diese Leute alle wieder auf der Matte. Deswegen brauchen wir eine gründliche Vorbereitung.

Lassen Sie uns in Ruhe über die Ergebnisse der Modellversuche diskutieren. Diese Modellversuche haben in der bisherigen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt. Ich frage mich manchmal, warum sie eigentlich eingerichtet wurden. Lassen Sie uns in Ruhe darüber reden, wie die Sachaufwandsträger vor Ort in die Lage versetzt werden können, die räumlichen Voraussetzungen für ein G 8 zu schaffen. Am letzten Donnerstag ist deutlich geworden, dass das neue G 8 de facto eine Ganztagsschule sein wird. Mit seiner Einführung wird das Gymnasium zur Ganztagsschule. Das lässt sich nicht wegleugnen, auch wenn Sie dieses Wort nicht leiden können. Das Konzept dieser Schule darf deshalb nicht lauten: Vormittagsunterricht mal zwei. Es kann nicht sein, dass die Schülerinnen und Schüler über keinen Raum verfügen, in dem sie sich aufhalten können, und dass es keine Räume gibt, in denen Verpflegung ausgegeben, zubereitet und gegessen werden kann.

(Walter Nadler (CSU): Das stimmt doch nicht!)

Das stimmt schon. Zeigen Sie mir doch die Räumlichkeiten. Ich erhalte derzeit von vielen Schulleitern Briefe, in denen diese nachfragen, ob diese Räumlichkeiten geschaffen werden können. Lassen Sie uns auch darüber reden, wie die vor allem für das G 8 nötige individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden kann. Es müsste Sie genauso wie uns erschüttert haben, dass die Pisa-Studie ergeben hat, dass es in keinem vergleichbaren Land Europas einen engeren Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Kinder, den Schullaufbahnen, für die sie sich entscheiden, und den Schulabschlüssen gibt. Der Philologenverband hat deutlich gemacht, dass die individuellen Fördermöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler an den jetzigen Gymnasien schon fast nicht mehr vorhanden sind. Wegen des steigenden Drucks am G 8 werden individuelle Fördermöglichkeiten mehr denn je nötig sein. Das beweisen auch die Modellversuche.

Wir müssen auch darüber sprechen, dass es nicht weiter angehen kann, dass 25 % der Gymnasiasten das Abitur nicht erreichen, wobei davon besonders Schülerinnen und Schüler betroffen sind, die aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern kommen.

(Walter Nadler (CSU): Intensivierungsstunden!)

Herr Kollege Nadler, auf die Intensivierungsstunden komme ich noch. Im Zusammenhang mit den Intensivierungsstunden müssen wir einmal über die nötigen Lehrerstellen diskutieren. Frau Staatsministerin Hohlmeier hat zu Recht gesagt, das G 8 sei kein Sparpaket. Sie brauche 1500 neue Lehrerinnen und Lehrer. Frau Staatsministerin, ich bin gespannt, ob das auch im Haushalt stehen wird. Bis jetzt habe ich nur von Kürzungen im Bildungshaushalt gehört. Ich habe weder von einer Aufstockung

des Bildungshaushaltes noch von einem Zeitplan oder einem Rahmenplan etwas gehört.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wenn die Lehrer 42 Stunden pro Woche arbeiten müssen, wird es wieder mehr Lehrerstellen geben!)

Wir müssen in Ruhe über die Situation der Lehrerinnen und Lehrer diskutieren. Es kann nicht sein, dass man den Gymnasiallehrern eine totale Umstrukturierung ihrer Schulart verordnet, ihnen damit mehr Einsatzbereitschaft und Engagement abfordert und gleichzeitig zwei Stunden draufsattelt und das Arbeitszeitkonto an den Gymnasien einführt. Das verträgt sich nicht miteinander. Darüber muss noch einmal gesprochen werden.