Protokoll der Sitzung vom 18.07.2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen guten Morgen.

(Zurufe: Guten Morgen!)

Ich eröffne die 100. Vollsitzung des Bayerischen Landtages. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung ist erteilt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es eben gehört: Wir treten in dieser Legislaturperiode zum 100. Mal zusammen. Ich wollte dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, Ihnen allen für die gute Mitarbeit in diesem Hause zu danken, trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Doch ich stelle fest, dass es bei dieser 100. Vollversammlung ein Novum ist, dass die Opposition im Augenblick die Mehrheit in diesem Saal hat. Herr Kupka sollte vielleicht nicht telefonieren, sondern für die Mehrheiten sorgen.

Deswegen werden wir aber jetzt noch nicht in eine Abstimmung einsteigen, sondern ich rufe auf: Tagesordnungspunkt 2 b

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Umsetzung der Polizeiorganisationsreform (Drs. 15/8600) – Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird von der Staatsregierung begründet. Herr Staatssekretär Schmid, ich bitte Sie um die Begründung.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen. Ich freue mich, dass ich die heutige Jubiläumssitzung mit Ihnen eröffnen darf. Es geht um die Umsetzung der Organisationsreform innerhalb der Polizei. Wir müssen jetzt gesetzgeberisch darauf reagieren. Das, was wir in den letzten drei Jahren miteinander diskutiert und entwickelt haben, muss jetzt in Gesetzesform umgesetzt werden. Das POG, also das Polizeiorganisationsgesetz, und das PAG, das Polizeiaufgabengesetz, sind gemeinsam mit anderen Vorschriften anzupassen und entsprechend zu ändern.

Bei dieser Reform war folgende Überlegung entscheidend: Wenn wir zu einer effektiven Veränderung der Gesamtsituation kommen wollen, müssen wir die Gesamtstruktur ändern. Wir sind vom vierstufi gen Aufbau – Ministerium, Präsidium, Direktion, Inspektion – weggegangen. Durch die Zusammenführung von Direktion und Präsidium soll dieses vierstufi ge System in einen dreigliedrigen Aufbau zusammengeführt werden. Das ist die Grundauslegung gewesen. Das heißt, wir sind von 56 Führungs- und Verwaltungsdienststellen zu zehn Dienststellen gekommen. Das zeigt, dass die Organisationsreform im OverheadBereich angesetzt hat. Wir haben immer wieder doku

mentiert, dass die Ebene der Inspektionen und Stationen unverändert bleiben soll und nur in dem Zwischenbereich der Direktionen und des Präsidiums eine Zusammenfassung zu erfolgen hat.

Wir haben dieses Thema wiederholt auch im Hohen Hause diskutiert. Der erzielte Synergiegewinn dokumentiert sich darin, dass wir in den Stäben künftig statt bisher knapp 1900 Stellen nur noch 1300 haben. Von den 600 Stellen, die wir damit gewinnen, bleiben 420 für die schutz- und kriminalpolizeiliche Basisarbeit übrig; 180 Stellen werden eingezogen. Das haben wir an dieser Stelle wiederholt miteinander besprochen.

Entscheidend ist, dass es keinen Rückzug aus der Fläche gibt. Die Fläche soll weiterhin Polizei mindestens in der gleichen Stärke wie bisher haben, sie soll aufgebaut werden. Die Synergieeffekte sollen gerade in diesem Bereich eingesetzt werden. Für München beispielsweise überlegen wir jetzt, eine neue Inspektion am Messegelände zu schaffen. Das ist hierfür, glaube ich, ein exzellentes Beispiel.

Wir haben mit der Umsetzung der Reform in Unterfranken begonnen. Unterfranken war das Pilotprojekt. Dort haben wir gute Erfahrungen gemacht. Es war auch der richtige Weg, möglichst lange zu diskutieren, lange vorzubereiten und erst dann in den Entscheidungsprozess einzusteigen. Ich denke, wir haben in Unterfranken ein gutes Konzept entwickelt. In Mittelfranken ist die Reform zwischenzeitlich umgesetzt. Jetzt geht es weiter mit München, dann folgen Schwaben und Oberbayern. Das sind die nächsten Entscheidungen. Wir wollen diesen Reformprozess bis Mitte 2009 abschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist aus meiner Sicht auch erreicht worden, dass wir miteinander dokumentieren können: Entscheidend ist die Polizeiarbeit unmittelbar vor Ort, damit die Bürger auch weiterhin Sicherheit in der Präsenz der Polizei spüren. Dieses Ziel wird mit der Reform erreicht.

Wir haben die Organisation der Polizei darüber hinaus dadurch effektiver gemacht, dass die Verwaltungsabläufe insgesamt gestrafft wurden. Durch den dreigliedrigen Aufbau wurde eine Ebene herausgenommen, wodurch mehr Effi zienz erreicht werden konnte.

Wir sind Marktführer beim Thema der inneren Sicherheit, und es steht fest, dass wir mit dieser Reform diesen Anspruch noch einmal dokumentieren können. Dass wir dieses Thema immer in besonderer Weise im Fokus gehabt haben, dokumentiert sich darin, dass wir das sicherste Land in der Bundesrepublik sind, dass wir zusammen mit Baden-Württemberg die höchsten Aufklärungsquoten haben und dass wir diese Arbeit jetzt durch die Umsetzung des Grundsatzes „weniger Polizei am Schreibtisch und mehr Polizei auf der Straße“ insgesamt effektiver gestalten können.

Um die Gesamtreform umsetzen zu können, müssen, wie gesagt, das POG, das PAG und weitere gesetzliche Vor

schriften geändert werden. Ich bitte um Beratung dieses Gesetzentwurfes und um Zustimmung.

(Beifall bei der CSU)

Herr Staatssekretär, vielen Dank. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und weise noch darauf hin: Fünf Minuten Redezeit pro Fraktion. Erster Redner: Herr Kollege Schuster.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Polizeiorganisationsreform in Erster Lesung. Obwohl es sich um eine Erste Lesung handelt, wurde über die Thematik der Polizeireform hier im Hohen Haus schon mehrfach diskutiert, und die Argumente für und wider wurden ausgetauscht. Nichtsdestotrotz hat die SPD beantragt, dass auch zur Ersten Lesung des Parlaments im Plenum gesprochen wird, weil es aus unserer Sicht ein Gesetz ist, das den Steuerzahler viel Geld kosten wird, weil es ein Gesetz ist, das aus polizeifachlicher Sicht in die falsche Richtung geht, und weil es ein Gesetz ist, das nicht zu mehr Polizeipräsenz auf den Straßen führen wird, sondern ein Gesetz ist, das einzig und allein dazu dient, Personal bei der Polizei abzubauen.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen ist der Probebetrieb in Unterfranken abgeschlossen, und ein weiterer Probebetrieb in Mittelfranken wurde durchgeführt. Interessant ist, dass es in diesen Bezirken in Zukunft unterschiedliche Führungsstrukturen geben wird: in Unterfranken ein Präsidium, Inspektionen und an den Standorten, an denen es früher Direktionen gab, Inspektionen mit besonderen Einsatzaufgaben; in Mittelfranken ein Präsidium, drei Abschnitte mit Abschnittsleitern und unter den Abschnitten die Inspektionen.

Als Nächstes wird die Reform in München umgesetzt werden. Wir sind gespannt, wie die Polizei in München gegliedert sein wird. Fest steht jedoch, dass es in Bayern unterschiedliche Polizeistrukturen geben wird und dass es, wenn man es sich genauer anschaut, zumindest in Mittelfranken weiterhin eine versteckte Vierstufi gkeit geben wird, auch wenn die Abschnittsleiter im Präsidium angesiedelt sind.

Interessant ist auch, dass die Probebetriebe dort durchgeführt wurden, wo sich geografi sch nichts ändern wird. Wichtig wäre es jedoch gewesen, den Probebetrieb dort durchzuführen, wo Präsidien geteilt werden; denn dort ist mit größeren Schwierigkeiten zu rechnen, und es werden zusätzliche „Wasserköpfe“ aufgebaut, die man eigentlich abbauen wollte.

Kronzeuge für unsere Kritik an der Reform ist der frühere Polizeipräsident von Schwaben, Herr Dr. Endres. Er hat berechnet, dass in Schwaben mindestens 100 zusätzliche Polizeikräfte für das neu entstehende zweite

Polizeipräsidium in Kempten notwendig werden. Durch die Teilung in Schwaben entstehen zwei Mini-Präsidien, denen lediglich jeweils 1400 bis 1500 Beamte unterstellt sein werden. Mittelfranken hat alleine 5000 Polizisten im Präsidialbereich. Alleine der Abschnitt Mittelfranken-Ost hat mehr Beamte zu betreuen als künftig ein Präsidium in Schwaben.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass bei der Einführung des Pilotprojekts in Unterfranken unter anderem als Grund für die Aufl ösung der Direktionen die Notwendigkeit einer veränderten Kriminalitätsbekämpfung angeführt wurde. Das heißt, Verbrecherbanden agieren heute großräumiger und die Polizei muss darauf reagieren. So war die Argumentation des Innenministeriums im Innenausschuss.

Dies steht natürlich im absoluten Widerspruch zu der Absicht, jetzt große Präsidien in kleinräumige Präsidien aufzuteilen. Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen: Agieren Verbrecherbanden in Unterfranken anders als in Schwaben?

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abgeordneten Jo- hanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Kolleginnen und Kollegen, in der Begründung des Gesetzentwurfs steht unter anderem: „Die Verwaltung wird organisatorisch auf drei Stufen beschränkt und dadurch effi zienter. Die Verwaltungsabläufe können um 25 % verringert werden.“ Leider ist dies nicht der Fall, denn das zeigen unter anderem auch die Erkenntnisse aus dem Pilotbetrieb in Unterfranken und Mittelfranken: Eingetreten ist nur eine Umverteilung. Heute beklagen sich die Polizeiinspektionen, dass die Verwaltungsaufgaben, die früher die Direktionen wahrgenommen haben, also zusätzliche Verwaltungsaufgaben, auf die Polizeieinheiten delegiert worden sind, die eigentlich auf die Straße gehen und mehr Präsenz auf der Straße zeigen sollten.

Hier geht der Schuss nach hinten los. Der andere Teil der Aufgaben ist nach oben in die Präsidien verlagert worden. Es hat also keine Reduzierung der Verwaltungsaufgaben stattgefunden, sondern nur eine Umschichtung.

Lassen Sie mich am Schluss noch zu den Kosten kommen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Sie, Herr Innenminister, am Anfang von einem – ich sage einmal – Nullsummenspiel gesprochen haben, dann von 30 Millionen Euro, dann längere Zeit von 50 Millionen Euro, und jetzt ist die Reform mit 67,1 Millionen Euro im Gesetzentwurf veranschlagt. „Bravo!“, kann ich da nur sagen, und ich sage Ihnen auch: Dabei wird es nicht bleiben. Diese Organisationsreform – vorbei an den Bürgern, vorbei an den Polizeipraktikern – wird 100 Millionen Euro kosten.

Mittlerweile, Herr Minister, sind Sie anscheinend auch nicht mehr so überzeugt von der Polizeireform, denn inzwischen reduzieren sich die Vorteile dieser Reform, die Sie immer nennen, auf einen fl ächendeckenden Kri

minaldauerdienst und auf die für einen Präsidialbereich zuständigen großen Einsatzzentralen.

Dies, Kolleginnen und Kollegen, hätte man auch ohne eine Polizeireform haben können. Wir von der SPD-Fraktion haben versucht, diese Reform mit mehreren Anträgen zu stoppen. Wir haben immer gesagt, eine Reform muss von innen kommen und darf nicht von außen übergestülpt werden. Ich kann Ihnen deshalb auch heute schon, bei der Ersten Lesung, sagen: Wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Peterke.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt habe ich den Vorteil oder das Glück, sagen zu können, dass ich als damals junger Polizeibeamter die Verstaatlichung der bayerischen Polizei, die Überführung der Grenzpolizei in eine staatliche Polizei Anfang der 70er-Jahre persönlich miterleben durfte. Ich kann Ihnen sagen, das war damals sicherlich ein Quantensprung, ein Riesenfortschritt, der die Sicherheit der Bürger durch die Schaffung von Schutzbereichen viele, viele Jahre verbessert hat, der Polizei neue Möglichkeiten an die Hand gegeben und sich bewährt hat.

Nur: Im Laufe von Jahrzehnten werden Sicherheitskonzepte und Organisationsstrukturen ganz natürlich, meine ich, verändert. Die Führungsleitstelle Polizeidirektion nach der damaligen Konzeption hat sich immer mehr zu einer allumfassenden Verwaltungseinheit entwickelt, hat Stäbe aufgebaut, hat viel Personal an sich gezogen und ist zu Recht in die Kritik gekommen. Deswegen war es nach 30 Jahren Existenz von Schutzbereichen nur richtig, zu überlegen, inwieweit und auf welcher Grundlage eine Änderung erfolgen soll. Es bestand also dringlicher Handlungsbedarf, die Organisation der Polizei zu prüfen und zu ändern.

Jetzt haben wir nun schon über viele Jahre Diskussionen geführt, und da sind auch – bitte erinnern Sie sich einmal daran – viele Anfangsüberlegungen gekommen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ich möchte ausdrücklich eines sagen: Es bestand von Anfang an nicht nur die Absicht, Polizeistellen abzubauen oder zu verringern.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): „Nicht nur“ – sehr gut!)

Das ist auch heute nicht die Absicht.

(Zurufe von der SPD)

Nein! Es bestand im Gegenteil insbesondere die Absicht, die Polizei den veränderten Aufgabenstellungen, aber auch den veränderten Möglichkeiten anzupassen,

sie effi zienter und besser zu machen. Und das ist gelungen,

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Der Abbau ist gelungen, ja!)

indem wir den vierstufi gen Aufbau auf einen dreistufi gen Aufbau reduziert und damit auch neue Führungsverantwortung eingerichtet haben.

Ich möchte ein Argument, das Kollege Schuster eingebracht hat, noch einmal eindeutig klarstellen. Sie argumentieren in der Hauptsache ständig damit, dass die Polizeireform – Herr Beyer, jetzt komme ich auf Ihren Zwischenruf gern zu sprechen – nur dem Zweck gedient haben soll, Stellen abzubauen. Natürlich war es im allgemeinen Bereich der Verwaltungsreform durchaus ein erklärtes Ziel, zu straffen und Stellen abzubauen.