Protokoll der Sitzung vom 23.10.2007

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 107. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer erteilt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Ministerbefragung

Die vorschlagsberechtigte CSU-Fraktion hat hierfür als Thema „Ambulante Pflege bedarfsgerecht ausbauen und qualitativ absichern“ benannt. Zuständig für die Beantwortung ist Frau Staatsministerin und Vertreterin des Ministerpräsidenten Christa Stewens. Erster Fragesteller: Herr Kollege Unterländer. Zu Beginn bitte ich, die Redezeiten einzuhalten, damit ich nicht unterbrechen muss. Bitte schön, Herr Kollege Unterländer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Staatsministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Pflegebedürftigen älteren Menschen in ihrer vertrauten Wohnumgebung eine Perspektive zu geben, ist erklärtes sozialpolitisches Ziel im Freistaat Bayern, das wir über Parteigrenzen hinweg miteinander anstreben und weiterentwickeln wollen.

Wir diskutieren sehr viel über Qualitätsstandards, Fehlentwicklungen und Missstände bei der stationären Altenhilfe, in Pflegeheimen – zuletzt in der letzten Vollversammlung. Auch die Menschen, die im Pflegefall in ihrer vertrauten Wohnumgebung bleiben wollen, haben Anspruch auf Qualitätssicherung bei den ambulanten Pflegediensten. Ich unterstelle nicht, dass überall Fehlentwicklungen vorhanden sind. Wir brauchen aber Qualitätsstandards. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen und das Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München haben eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass bei der Überprüfung von ambulanten Intensivpflegediensten in sechs von zwölf Fällen massive Beanstandungen vorgekommen seien.

Frau Staatsministerin, ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Welche Maßnahmen hat die Bayerische Staatsregierung ergriffen und wird sie ergreifen, um die Qualität der ambulanten Pflege abzusichern, ohne dass dadurch neuer, hoher bürokratischer Aufwand entsteht?

Frau Staatsministerin, bitte sehr.

Danke schön, Herr Kollege Unterländer! Wir müssen uns grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass wir klare Abgrenzungen der ambulanten Pflegedienste, die in Wohngemeinschaften tätig werden, brauchen. Wir müssen klare Definitionen, klare Rechtsvorschriften und Mindestqualitätsstandards für die betreuten Wohngemeinschaften, von denen es künftig noch wesentlich

mehr in Bayern geben wird, auf den Weg bringen. Die demografische Entwicklung zeigt dies.

Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es auch dann Probleme geben wird, wenn die Menschen in ihren eigenen vier Wänden bleiben. Wir können nicht für die Qualitätsstandards für den häuslichen privaten Bereich oder für die Kontrolle in den eigenen vier Wänden sorgen. Der Staat ist hier ein Stück weit außen vor, weil dies über Ländergesetze gar nicht geregelt werden kann.

Geplant ist, im künftigen bayerischen Pflege- und Wohngesetz entsprechende Standards rechtssicher zu normieren und die Abgrenzungen zu tätigen.

Eine Nachfrage: Frau Kollegin Schmid. Bitte schön.

Frau Präsidentin, Frau Ministerin! Uns allen ist die demografische Entwicklung bekannt, die zeigt, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen ansteigen wird. Aus humanitären Gründen muss für die Pflege der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gelten. Dazu hat die CSU-Landtagsfraktion ein Antragspaket eingebracht, das bereits im Januar 2007 verabschiedet worden ist. Im Rahmen der Aktion „Rollentausch“ konnte ich mich vor wenigen Wochen detailliert über die Notwendigkeit und auch über die Probleme bei der ambulanten Versorgung informieren.

Ein ganz wichtiger Baustein für die Verbesserung und Erleichterung der Situation ist es, flexible, qualitätsgesicherte und – besonders wichtig – unbürokratische Wohnformen zu forcieren. Daher stelle ich die Frage, in welchem Zusammenhang der bedarfsgerechte Ausbau der ambulanten Pflege beschleunigt werden kann und inwieweit dies im Entwurf des Bayerischen Pflege- und Wohngesetzes aufgegriffen wurde. Wie ist der derzeitige Sachstand bei dem Modellprogramm „Innovative Altenhilfekonzepte“?

Frau Staatsministerin.

Zum Sachstand der innovativen Altenhilfekonzepte, Frau Kollegin – um bei der letzten Frage anzusetzen –, kann ich Ihnen mitteilen, dass wir den Bereich Innovation und den Bereich kommunale Altenhilfekonzepte ausgeschrieben haben. Wir haben zurzeit sehr viele Bewerbungen. Innovative Projekte werden daraus ausgesucht und für drei Jahre gefördert. Wir haben also zurzeit die Anmeldungen und befinden uns sozusagen in dem Prozess, die echten Innovationen herauszufiltern.

Bei den ambulanten Pflegediensten und den ambulanten Wohngemeinschaften ist es für uns besonders wichtig, dass wir in dem neuen Pflege- und Wohngesetz – die Eckpunkte sind in der Anhörung gewesen und befinden sich zurzeit in der Ressortanhörung –, Mindeststandards formulieren. Das bedeutet, dass der ambulante Pflegedienst zum Beispiel von demjenigen unabhängig sein muss, der den Neubau einer ambulant betreuten Wohn

gemeinschaft auf den Weg bringt. Zwischen den angebotenen Diensten und der Bauträgerschaft muss eine Entkoppelung erreicht werden. Es sollen auch nicht mehr als zwölf Personen in der Wohngemeinschaft wohnen. Für uns ist es besonders wichtig, dass wir in betreuten Wohngemeinschaften Mindeststandards festschreiben, die dann regelmäßig, durchaus auch anlassbezogen, überprüft werden können.

Im Moment werden diese Einrichtungen vom MDK, vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, überprüft. Dadurch ist auch der Münchner Fall ans Tageslicht gekommen. Innerhalb von drei Jahren soll die Qualität aller ambulanten Pflegedienste vom MDK überprüft werden. Das sind die grundsätzlichen Vorstellungen einer exakten Definition ambulanter Wohnformen. Wir werden bestimmte Qualitätsstandards haben. Wir wissen, da tummelt sich zurzeit sehr viel, nicht nur in Bayern, sondern deutschlandweit. Wir werden eine Meldepflicht einführen. Es kann durchaus dazu kommen, dass einem ambulanten Dienst bei mangelnder Qualität die Erlaubnis zur Pflege entzogen wird.

Vielen Dank. Jetzt darf ich dem Kollegen Wahnschaffe das Wort erteilen.

Frau Staatsministerin, wenn einer oder mehrere der hunderttausend Pflegebedürftigen in Bayern dieser Ministerbefragung heute zuhören würden, wären sie wahrscheinlich enttäuscht; denn die Fragestellung der CSU hat viel erwarten lassen, aber bisher wenig gebracht. Die Staatsregierung hat zu diesem Thema bisher viel geredet, aber sie hat kaum gehandelt. Entscheidend für Ihr Handeln – und daran müssen Sie sich messen lassen – sind die Gesetze, die Sie auf den Weg bringen, und das Geld, das Sie für selbst gesetzte Zwecke einzusetzen bereit sind. Wenn man das auf den Prüfstand stellt, ist das in diesem Jahr sehr wenig.

Laut dem SGB XI sind die Länder verpflichtet, zur Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur beizutragen. Das heißt, sie haben die Letztverantwortung. In Bayern hat man das geschickt gelöst, indem man diese Verantwortung den Kommunen übertragen hat. Aber man hat die Kommunen – und zwar sinngemäß nach dem Kommunalen Entlastungsgesetz – in dieser Frage aus der Pflicht entlassen; denn sie müssen für die Struktur nur soweit etwas tun, als das die kommunalen Haushalte zulassen. Der Freistaat Bayern hat sich aus der Förderung der Pflege, der Investitionspflege, vollständig zurückgezogen. Wir warten sehnsüchtig auf ein neues Heimgesetz. Frau Staatsministerin, wir warten darauf, dass Sie etwas tun, um einen drohenden Pflegenotstand zu beseitigen, indem zum Beispiel der Nachwuchs stärker gefördert wird. Bisher haben Sie das weitgehend abgelehnt.

Wir haben es mit der neuen Situation zu tun, dass Tarifverträge unterlaufen werden und Kommunen neuerdings mit den Trägern darum feilschen, wer der Billigste ist. Das trifft ausgerechnet auf die Behindertenhilfe zu, die schließ

lich Schnittstellen zur Pflege aufweist. Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, was die Staatsregierung in diesem Jahr konkret getan hat, wann wir mit einem Heimgesetz zu rechnen haben und welche gesetzgeberischen und vor allen Dingen welche Haushaltsinitiativen die Staatsregierung zur Verbesserung der Situation ergreifen wird.

(Beifall bei der SPD)

Frau Staatsministerin.

Herr Kollege Wahnschaffe, Sie haben sehr viele Fragen gestellt. Ich bemühe mich darum, diese telegrammstilartig zu beantworten; denn auch unsere Redezeiten sind beschränkt, und wir sind zur Selbstdisziplin aufgerufen worden.

Im Bericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen hat Bayern sowohl in der ambulanten Pflege als auch in der stationären Pflege besser als alle anderen Länder abgeschnitten. Wichtig für mich war immer, dass die Struktur, die Prozesse und vor allem die Ergebnisqualität stimmen, gerade für die Menschen, die in Heimen leben oder auf die ambulante Pflege angewiesen sind. Das heißt, dass die Menschen gut gepflegt werden, um es ganz einfach auszudrücken.

Herr Kollege Wahnschaffe, ich denke schon, dass Bayern, nachdem wir sowohl bei der ambulanten Pflege als auch bei der stationären Pflege bei der Prozess- wie auch bei der Ergebnisqualität um 10 % besser abgeschnitten haben,

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Nicht Sie, sondern die Träger!)

ein Vorbild für andere Länder sein kann. Gleichwohl sage ich Ihnen ganz klar: Jede einzelne Beanstandung ist eine zu viel. Deshalb verkaufe ich das auch nicht als Erfolg. Ich möchte Ihnen aber deutlich sagen, dass sich Bayern durchaus sehen lassen kann. Ich stehe persönlich für die Qualität in der stationären und der ambulanten Pflege.

Es ist richtig, dass wir aus der finanziellen Förderung der Investitionskosten der Pflegeheime ausgestiegen sind. Das ist gar keine Frage. Wir werden – in aller Kürze – ein zinsverbilligtes Programm für die Modernisierung auflegen. Wir halten die Modernisierung für notwendig. Gleichzeitig hat der Ministerrat dem Sozialministerium vorgeschrieben, dass wir 2009 die Ergebnisse der Einstellung der Förderung noch einmal überprüfen müssen. Das werden wir tun.

Zur stärkeren Förderung des Nachwuchses: Uns stehen aus dem ESF-Programm für jede zusätzliche Ausbildungsstelle in Altenheimen 2500 Euro zur Verfügung. Das kann sich durchaus sehen lassen und kommt übrigens auch bei den Trägern gut an. Jede zusätzliche Ausbildungsstelle wird durch das Bayerische Sozialministerium mit 2500 Euro gefördert. Ansonsten kann ich Ihnen nur

sagen: Wir verfügen in der ambulanten wie der stationären Altenpflege zurzeit über genügend Pflegekräfte, weil sehr viele Kräfte im Krankenhausbereich freigestellt worden sind. Letztendlich kann ich eine Umlage nur dann auf den Weg bringen – das ist verfassungsrechtlich geboten –, wenn ich einen Mangel bei den Pflegeberufen nachweisen kann.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Heimgesetz!)

Die Tarifverträge sind eine Aufgabe der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Da ist das Staatsministerium außen vor.

Im Haushalt haben wir die Programme für Ausbildung und Fortbildungsförderung, ob das die Heimleitung ist, ob es das Heimmanagement ist, ob es die gerontologische Fachkraft ist oder die unterschiedlichen Schwerpunkte, die wir haben, auch im Bereich Palliativpflege. Diese Mittel sind nie gekürzt worden. In den letzten 10 Jahren haben wir dafür knapp 15 Millionen Euro ausgegeben, und das hat natürlich weiterhin seinen Niederschlag in unserem Haushalt.

Zur Nachfrage: Frau Kollegin Sonnenholzner, bitte.

Frau Staatsministerin, bei mir geht es jetzt schneller als beim Kollegen Wahnschaffe. Wenn Sie meine konkrete Frage mit einem klaren „Ja, lassen Sie uns das zusammen machen“ beantworten, dann sind Sie auch ganz schnell fertig, und den Menschen in Bayern wäre gedient.

Herr Unterländer hat schon die Zustände angesprochen, die in der letzten Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ unter „lebensgefährliche Intensivpflege“ beschrieben worden sind. Das ist natürlich unerträglich. Es gibt in München Hunderte von Anbietern ambulanter Dienste. Es ist klar, dass es da auch Wildwuchs geben kann. Allerdings sind Sie gefordert, die Qualitätsstandards festzusetzen. Das ist Aufgabe des Bayerischen Heimgesetzes. Wir haben mehrfach angemahnt, dass die Dinge in Bewegung kommen, und zwar schon bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wenn Ihre Fraktion Sie nicht mit Fragen dieser Art löchern würde, dann hätten Sie vielleicht eine Stunde mehr Zeit gehabt, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Aber die ganz konkrete Frage: Frau Staatsministerin, sind auch Sie der Meinung, dass in diesem Fall betroffene Patientinnen und Patienten das Recht auf Information haben sollten, welche Anbieter von guter Qualität und welche von schlechter Qualität sind, dass die guten Anbieter nicht unter einer pauschalen Berichterstattung leiden dürfen und das Recht haben, dass die schwarzen Schafe genannt werden, und dass wir folglich in Bayern ein Verbraucherinformationsgesetz brauchen, das nicht nur in diesem Bereich, aber auch in diesem Bereich eben genau diese Möglichkeit schafft?

(Beifall bei der SPD)

Frau Staatsministerin.

Frau Kollegin Sonnenholzner, Bayern ist das erste Land, das sich auf den Weg gemacht hat, vor dem Hintergrund der Föderalismusreform das Heimgesetz zu novellieren. Alle anderen Länder schauen auf Bayern, was die Inhalte des neuen Heimgesetzes sind.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD) und Joachim Wahnschaffe (SPD): Das sehen wir am Nichtraucherschutz!)

Glauben Sie mir, wir arbeiten weiter daran, völlig unabhängig davon, ob ich Ihnen hier eine Dreiviertelstunde lang Rede und Antwort stehe.

(Beifall bei der CSU)

Vom Grundsatz her kann ich Ihnen durchaus eine positive Antwort geben. Wir sind der festen Überzeugung, dass diejenigen, die eine ambulante Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen, das Recht auf Information haben, und dass wir hier einheitliche Qualitätsstandards benötigen und nicht Zertifizierungen, bei denen sich jeder Träger sein eigenes Zertifizierungsprogramm ausdenkt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist ein ganz neuer Ton!)

Deswegen Ja zum Recht auf Information, damit der Verbraucher bzw. derjenige, der zu pflegen ist, oder die Angehörigen sich nach einheitlichen Qualitätskriterien entscheiden können, welchen ambulanten Dienst oder welche stationäre Pflegeeinrichtung sie in Anspruch nehmen wollen.