Protokoll der Sitzung vom 16.03.2004

(Beifall bei der SPD)

Dabei hätten die blinden Menschen selbst Verständnis für Ihre Sparmaßnahmen. Sie haben es selbst in eigener Verantwortung gesagt: Wenn wir im Rahmen der durchschnittlichen Sparmaßnahmen im Sozialbereich mit etwa 10 % beteiligt werden, könne man darüber mit uns reden. Diese Menschen verdienen unseren Respekt für diese Aussage. Sie, meine Damen und Herren, wollten Ihnen ursprünglich sogar 30 % aufs Auge drücken. Aber vielleicht sind Sie nur deshalb so hoch gegangen, um sich anschließend dafür feiern zu lassen, dass Sie das Ganze auf 15 % reduziert haben. Aber das ist immer noch überproportional viel für eine Bevölkerungsgruppe – ich betone das noch einmal –, die sehr, sehr stark behindert ist und deren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben dadurch behindert wird.

88 Euro im Monat beträgt dieser überproportionale Sparbeitrag. Ich frage mich da manchmal schon: Wissen Sie eigentlich, welche Belastungen über ihre Behinderungen hinaus diese Menschen auf sich nehmen müssen? Wissen Sie, wie viel ein Buch in Blindenschrift kostet? Es kostet zehnmal soviel wie ein „normales“ Buch. Wissen Sie, wie viel mehr ein Hörbuch kostet? Wissen Sie, was ein Blindenhund im Monat kostet? Wissen Sie, was die dringend notwendige Begleitung auf einer Reise kostet? Wissen Sie, was technische Einrichtungen zum Ausgleich der Folgen dieser Behinderung kosten? Wissen Sie das alles, und wenn Sie es wissen, halten Sie dann immer noch eine Kürzung um 88 Euro im Monat für gerechtfertigt?

(Zuruf von der SPD: Sie sollten sich schämen!)

Im Vergleich dazu möchte ich Ihnen einmal die auch von Ihnen geschürten Proteste gegen die Praxisgebühr vor Augen halten. Die haben Sie doch selbst mit durchgesetzt und mit ins Gesundheitsmodernisierungsgesetz hineingeschrieben.

(Zurufe von der SPD)

Da unterstützen Sie eine Protestbewegung, bei der halb Deutschland in Aufruhr wegen ein- bis zweimal 10 Euro in drei Monaten ist. Und den blinden Menschen in Bayern muten Sie gleichzeitig neunmal so viel zu. Monat für Monat. Zwölfmal im Jahr. Und das haben Sie versucht, klammheimlich im Wirrwarr des Nachtragshaushalts zu verstecken.

Der bayerische Ministerpräsident redet so gern davon, die Interessen der kleinen Leute zu vertreten.

(Zuruf von der SPD: Weiß er denn, was kleine Leute sind?)

Er entdeckt vor der Bundestagswahl die soziale Frage und will für mehr soziale Balance in unserem Land sorgen. Schöne Worte. Das Gegenteil tun Sie nun, meine Damen und Herren. Das soziale Bayern gerät durch diese unverhältnismäßigen Kürzungen in eine soziale Schieflage. Und gerade die auf unsere besondere Hilfe angewiesenen Menschen wie die Blinden drohen auf dieser Schieflage abzurutschen. Ich fordere Sie auf, wenn Sie schon meinen, den Menschen tatsächlich etwas wegnehmen zu müssen, es verantwortbar und höchstens in dem Ausmaß zu tun, wie Sie durchschnittlich im Sozialhaushalt sparen, nämlich maximal 10 %.

Als Kommunalpolitiker habe ich gelernt, dass man Deckungsvorschläge bringen muss, wenn man kostenwirksame Vorschläge macht. Hier ist mein Vorschlag für das Blindengeld: Streichen Sie einfach 10 % der überflüssigen Stellen in der Staatskanzlei. Das spart nachhaltig Geld und versetzt Sie nachhaltig in die Lage, den blinden Menschen in Bayern weiterhin ein angemessenes Blindengeld zu bezahlen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Die Ministerin wäre damit einverstanden! Kürzun- gen in der Staatskanzlei, nichts dagegen!)

Danke, Herr Kollege Werner. Zu Wort hat sich Frau Staatsministerin Stewens gemeldet.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Werner, das Blindengeld um 15 % zu kürzen, ist mit Sicherheit keine einfache Aufgabe gewesen. Das muss ich bekennen.

(Zurufe von der SPD)

Hören Sie doch erst einmal zu. Ich habe Ihnen auch zugehört. Sie dürfen nicht vergessen, dass unser Blindengeld in Höhe von 585 Euro im Monat ab Antragstellung gezahlt wird, also ab der Geburt, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der gleichen Höhe von 585 Euro.

Ich lese Ihnen einmal andere Zahlen vor: BadenWürttemberg 409 Euro, Berlin 468 Euro, Niedersachsen 409 Euro, Rheinland-Pfalz 410 Euro und Sachsen 333 Euro usw.

(Zurufe von der SPD)

Zum Teil differenzieren diese Länder auch noch zwischen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Als ich die Gespräche mit dem Bayerischen Blindenbund geführt habe, wurde mir signalisiert, dass 500 Euro die Grenze ist. Bis zu diesem Betrag könnten sie mitgehen. Jetzt sind wir bei 497 Euro für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Trotz der schwierigen Situation in der wir uns befinden, können wir uns mit der Höhe des Blindengelds im Ländervergleich durchaus messen.

Ich habe Ihnen und Ihren Einlassungen über die Menschen mit Behinderungen sehr genau zugehört. Ich kann mich aber noch sehr genau erinnern, wie wir beim SGB IX ein Leistungsgesetz verlangt haben. Wo waren denn da Ihre theatralischen Bemerkungen? So viel Scheinheiligkeit auf einem Platz wie heute hier im Plenum habe ich noch nie erlebt.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Wir wollten ein Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen. Das haben wir nicht bekommen. Wenn ich heute Ihre Reden höre, dann gehe ich davon aus, dass Sie uns unterstützen, wenn wir eine Bundesratsinitiative hierzu machen. Ich hoffe auf die Unterstützung Ihrer rot/grünen Bundesregierung für ein Strukturgesetz für Menschen mit Behinderungen.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Schieder (SPD))

Sie haben die Situation sehr genau geschildert. Es ist richtig, zum ersten Mal wachsen in Deutschland die Menschen mit Behinderung ins Alter. Dafür haben wir alle gemeinsam eine ethische Verantwortung.

(Christa Steiger (SPD): Was regen Sie sich so auf?)

Glauben Sie wirklich, es ist gerechtfertigt, die Kommunen auf diesen Kosten alleine sitzen zu lassen?

(Marianne Schieder (SPD): Das machen Sie doch tagtäglich in der Schulpolitik!)

Sollten wir diese Kosten nicht gemeinsam tragen, Bund, Länder und Kommunen zu je einem Drittel? Was aber höre ich von Ihrer rot-grünen Bundesregierung? – Die war schon gegen das Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderung.

(Susann Biedefeld (SPD): Was sagen die Menschen mit Behinderung zu Ihren Ausführungen?)

Dazu höre ich gar nichts. In Berlin werden die Augen zu und die Ohren dicht gemacht. Das möchte ich hier doch einmal ganz klar sagen. Gerade was die

Belastung der Kommunen angeht, kommen mir fast schon die Tränen.

(Susann Biedefeld (SPD): Bitte nicht schon wieder Tränen!)

Bei den Hartz-Gesetzen, bei Hartz IV kommen mir wirklich fast die Tränen. Da werden die bayerischen Kommunen nach den ersten Hochrechnungen mit circa 5 Millionen Euro zusätzlich belastet. Das sind die Zahlen, die Ihr Bundesfinanzministerium vorgelegt hat. Die Kommunen werden zusätzlich belastet, weil man in Berlin falsch rechnet. Doch Sie beklagen sich über die finanzielle Situation.

Nächstes Beispiel: Grundsicherung. Die Landkreise haben eine Hochrechnung vorgelegt. Allein die Landkreise werden zusätzlich mit 22 Millionen Euro bayernweit belastet. Da wundern Sie sich, dass die Kommunen kein Geld mehr haben? Da möchte ich schon mal sagen, sehen Sie sich doch einmal genauer an, wo die Verantwortung liegt.

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt den nächsten Bereich anführen, ich kann, wenn Sie das stört, auch gerne leiser reden.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Reden Sie über Ihren Haushalt – anhaltende Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN – Glocke der Präsidentin)

Wenn die Frau Staatsministerin leiser reden soll, dann müssen Sie bitte etwas leiser sein.

(Beifall bei der CSU)

Zur Kinder und Jugendhilfe: Wir haben jetzt zum dritten Mal eine Bundesratsinitiative zur Kinderund Jugendhilfe eingereicht. Ich hoffe, dass wir jetzt zusammen mit Nordrhein-Westfalen, nachdem wir einen gemeinsamen Entschließungsantrag ausgearbeitet haben, erfolgreich sein werden.

(Christa Steiger (SPD): Wie wäre es, wenn Sie endlich zum bayerischen Haushalt zum Einzelplan 10 reden würden!)

Sie waren aber nie bereit, die Kommunen in der Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich zu entlasten. Nur wenn Boulevardblätter Internatsausbildungen in Schottland thematisieren, die von der Kinder- und Jugendhilfe bezahlt werden, weil die Eltern das nachträglich einklagen oder eine solche Forderung ans örtliche Jugendamt gestellt haben – wie in der Stadt Regensburg –, dann wird Ihre rot-grüne Bundesregierung hellhörig.

(Christa Steiger (SPD): Das ist die Bundesregierung, die aus Sozialdemokraten und GRÜNEN besteht!)

Ich muss Ihnen schon sagen, Sie müssen genauer hinschauen, was da eigentlich passiert. Oder nehmen wir die Eigenbeteiligung von Eltern. Ist es eigentlich sozial gerecht, dass Eltern das Kindergeld bekommen, wenn ihre Kinder in einem Heim untergebracht werden? Ist es gerecht, dass in einem solchen Fall das Kindergeld nicht für die Jugendhilfe angerechnet wird? In solchen Fragen tun wir uns mit Rot-Grün ungeheuer schwer. Bis man hier auch nur ein bisschen Bewegung signalisiert, damit die Kommunen auf der Aufgabenseite entlastet werden.

(Beifall bei der CSU – Susann Biedefeld (SPD): Sie kennen doch die Initiative von Renate Schmidt!)

Nun zu den einzelnen Punkten. Sie tragen die Verantwortung in Berlin. Verantwortlich ist die rot-grüne Bundesregierung.

(Christa Steiger (SPD): Unterhalten wir uns hier über den Bundeshaushalt oder über den Einzelplan 10? – Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Steiger, Sie sollten aufhören zu schreien.

Sie sollten schon bereit sein, sich die Gesamtzusammenhänge anzusehen. Aber dies zu tun, weigern Sie sich gänzlich.