Protokoll der Sitzung vom 16.03.2004

Sie sollten schon bereit sein, sich die Gesamtzusammenhänge anzusehen. Aber dies zu tun, weigern Sie sich gänzlich.

(Anhaltende Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ja, Sie verweigern sich. Nehmen Sie doch nur einmal das SGB IX, die Frühförderung. Weil das SGB IX so schlampig ausgearbeitet ist, haben wir Probleme mit der Frühförderung und wissen nicht, wer sie bezahlt, die gesetzlichen Krankenkassen oder die Sozialämter. Sie kennen das Problem doch ganz genau.

(Zuruf der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Das alles ist doch Politik für Menschen mit Behinderungen, für Kinder mit Behinderungen.

(Marianne Schieder (SPD): Schauen Sie sich doch die Ausstattung für die schulvorbereitenden Einrichtungen an, für die Sie zuständig sind – anhaltende Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich komme jetzt gleich auf Einzelplan 10, zu sprechen, um Sie zu beruhigen.

(Anhaltende Unruhe bei SPD und bei den GRÜNEN)

Es wurden die Kürzungen bei der Landesstiftung „Mutter und Kind“ angesprochen. Wir haben nicht bei der Konfliktberatung gekürzt. Das will ich ganz klar sagen. Wir haben lediglich in der Schwangerenberatung bei Einzelfallhilfen gekürzt, wobei wir auf Pauschalen umgestellt haben. Wir haben keineswegs das getan, was andere Länder machen, nämlich Einkommensgrenzen einführen. Bayern hat das nicht gemacht. Wir sind mit unseren Leistungen aus der Landesstiftung im Vergleich mit den anderen Bundesländern nach wie vor an der Spitze.

Sie haben auch das Landeserziehungsgeld angeführt und gleichzeitig auf die Situation der Alleinerziehenden verwiesen. Zum Einkommen der Alleinerziehenden in Bayern möchte ich sagen: Eine Alleinerziehende mit einem Kind hat in Bayern im Monat circa 130 Euro mehr zur Verfügung hat als im Rest Deutschlands. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern steigt dieser Unterschied auf 213 Euro pro Monat an. Das ist am monatlichen Äquivalenzeinkommen nach der neuen OECD-Skala gemessen. Sie sollten sich ruhig einmal genau anschauen, wie es allein erziehenden Müttern in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern geht.

Zum Landeserziehungsgeld: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nur vier Bundesländer zahlen das Landeserziehungsgeld. Auf der einen Seite haben wir beim ersten Kind sowohl in der Höhe als auch in der Bezugsdauer gekürzt. Auf der anderen Seite haben wir das Landeserziehungsgeld beim zweiten Kind in Höhe und in der Bezugsdauer gleichgehalten. Beim dritten Kind haben wir das Landeserziehungsgeld erhöht. Die Bezugsdauer bleibt bei 12 Monaten. Das ist eine familienpolitische Komponente, weil wir die Familien mit zwei und mehr Kindern stärker unterstützen wollen. Ich möchte dazu sagen, dass die jungen Familien, die nur ein Kind haben, wesentlich früher erwerbstätig sind. Vor diesem Hintergrund bauen wir die Kinderbetreuung gleichzeitig aus.

(Christa Steiger (SPD): Und die Alleinerziehenden?)

Die Kommunen in Bayern werden übrigens allein durch den Einstieg in die Förderung der bestehenden Krippen und Horte in fünf Jahren um 112 Millionen Euro entlastet. Das sollten Sie sich vor Augen führen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Es wurde die Insolvenzberatung angesprochen. Für Sie gibt es jetzt noch zusätzlich 800.000 Euro. Dafür möchte ich mich beim Haushaltsausschuss ganz besonders bedanken.

(Beifall bei der CSU)

Die Insolvenzberatung wird immer mit der Schuldnerberatung durcheinander geworfen. Die Insolvenzberatung ist die außergerichtliche Beratung, die

ein Insolvenzverfahren vermeiden soll. Durch die Insolvenzberatung sind keine 20 % der Insolvenzverfahren am Insolvenzgericht vermieden worden. Das möchte ich zu bedenken geben, wenn man die stärkere Förderung anmahnt.

Zur Unterstützung der Obdachlosen hat Herr Kollege Unterländer bereits Stellung bezogen. Die Unterstützung Obdachloser ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen und weiß Gott keine Aufgabe des Sozialministeriums. Trotzdem führen wir den Ansatz zu 50 % mit 200 000 Euro – ursprünglich waren es 409 000 Euro – weiter.

Den Ausbau der Kinderbetreuung habe ich bereits erwähnt. Hier wird nicht gekürzt. Ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass es uns gelungen ist, bei der Kinderbetreuung nicht zu kürzen.

Von Ihnen angesprochen wurden auch Asylbewerber, Aussiedler und die Ausländersozialberatung. Ich möchte Ihnen die Zahlen nennen: Wir haben beim Zugang von Asylbewerbern einen Rückgang um 30 % im Jahr 2003. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres gab es noch einmal einen Rückgang um 38,5 %. Ähnlich ist die Situation bei den Spätaussiedlern. Im letzten Jahr gab es einen Rückgang um 20 %, in den ersten zwei Monaten dieses Jahres einen Rückgang um 23 %. Dass dieser Rückgang finanzielle Folgen für die Förderung nach sich zieht, ist doch völlig klar. Ich frage mich manchmal, warum Sie nicht genau hinsehen. Das möchte ich Ihnen einmal ganz klar sagen.

Herr Kollege Wahnschaffe, der gerade nicht hier ist, hat Regensburg angesprochen. Hierzu ist zu erklären, die Anträge betreffend die Hausaufgabenhilfe müssen zur Zeit bei den Regierungen gestellt werden. Sie werden von den Regierungen gesichtet; anschließend wird entschieden, was noch gefördert wird. Vor dem Hintergrund des großen Rückgangs der Zahlen sind aber Kürzungen durchaus gerechtfertigt.

Wir haben uns im Einzelplan 10 die Mühe gemacht, keineswegs überall Kürzungen von 10 % durchzuführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein schwieriges Unterfangen. Gleichwohl habe ich von Anfang an die Verbände und die Betroffenen zu intensiven Gesprächen eingeladen. Dabei ist es mir gelungen, mit den Verbänden gemeinsam die Schwerpunkte bei den Kürzungen festzulegen. Wir haben viele Bereiche im Einzelplan 10 von jeglichen Kürzungen ausgenommen. Ich denke hier zum Beispiel an den Ausbau der Kinderbetreuung, die Schwangerenkonfliktberatung, die Erziehungsberatung, das ehrenamtliche Engagement in der Erziehungshilfe, die berufsbezogene Jugendsozialarbeit, die Jugendsozialarbeit an Schulen, den erzieherischen und gesetzlichen Jugendschutz, das Bayerische Jugendwerk, das Landesnetzwerk für

bürgerschaftliches Engagement, die Dienste der offenen Behindertenarbeit, die Fachdienste der Frühförderstellen und die heilpädagogischen Tagesstätten und Heime für behinderte Jugendliche nach dem Schulfinanzierungsgesetz.

Ich meine durchaus, dass es uns in Bayern gelungen ist, mit den Leistungen, die wir aufrechterhalten, aber auch mit den gekürzten Leistungen das soziale Antlitz Bayerns zu erhalten.

(Beifall bei der CSU – Christa Steiger (SPD): Das meinen auch nur Sie!)

Wir fahren weiter in der Debatte. Frau Kollegin Schieder, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Können Sie sich auch noch erinnern an den Sommer des vergangenen Jahres, an die wunderschönen, großflächigen Plakate mit strahlenden Kindern beim Lesen und Lernen, an die vielen Inserate mit großen Ankündigungen zur Bildungspolitik, an die wunderbaren Reden der Frau Staatsministerin und des Herrn Staatssekretärs, in denen es zum Beispiel um Tausende von Lehrerneueinstellungen ging, in denen es ging um die ganz besondere Bedeutung der inneren Schulentwicklung und der wirklich guten Arbeit der Modus-21-Schulen, in denen es ging um die besondere Förderung für das Ehrenamt, die Jugendarbeit, die Erwachsenenbildung und den Sport und in denen es darum ging, dass Bayern einen ganz besonderen Schwerpunkt auf die Bildung legen wolle?

Die Menschen in Bayern mussten in der Tat den Eindruck gewinnen, die Staatsregierung hat die Bedeutung des Themas Bildung erkannt, wird sich endlich um die Probleme vor Ort kümmern und das nötige Geld in die Hand nehmen, um für Verbesserungen zu sorgen, die dort schon lange ersehnt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war der Sommer, das war die Zeit vor dem 21.09.2003, und das war die Zeit vor der Wahl.

Mit dem 06.11.2003 kündigte sich der Winter an, und das Klima an Bayerns Schulen kühlte drastisch ab. In der Jugendarbeit, in der Erwachsenenbildung und im Sport breiteten sich Angst und Schrecken aus. Wovon nämlich vor der Wahl niemals die Rede war, nämlich von Kürzungen von 2,5 % für den Bildungshaushalt insgesamt und von circa 30 % für Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, sprachen plötzlich der Herr Ministerpräsident und die Staatsregierung.

Nach heftigen Debatten und Auseinandersetzungen – ich vermute auch, nach einer genauen Beschäftigung mit der Zusammensetzung des Bildungshaushalts – wurden daraus eine Kürzung des Ge

samthaushaltes um 1,7 % und eine Kürzung bei Jugendarbeit und Erwachsenenbildung um 15 %. Es handelt sich um 1,7 %, die sich unscheinbar anhören, die aber gravierende Schäden anrichten werden, weil es in diesem Bildungshaushalt nämlich keine Reserven gibt und eigentlich mehr investiert werden müsste anstatt weniger. Bildlich dargestellt, würde ich sagen, die Zitrone hat mangels Nährstoffund Wasserzufuhr schon lange keinen Saft mehr. Da können Sie pressen, wie Sie wollen, es kommt dabei nicht mehr heraus.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch so, es muss nicht etwa eingespart werden, weil sich in den einzelnen Bereichen nach gründlicher Prüfung der Sachlage und unter Einbeziehung der Betroffenen vielleicht sinnvolle und vertretbare Einsparmöglichkeiten aufgetan hätten, nein, es muss eingespart werden, weil der Herr Ministerpräsident es sich in den Kopf gesetzt hat, in nur zwei Jahren die Nettoneuverschuldung auf Null zu führen, und zwar ohne Rücksicht auf Folgen und Verluste. Es wurde heute schon mehrmals richtigerweise festgestellt, dass die finanzielle Lage des Freistaates Bayern es wahrlich nicht nötig macht, in so rasanter und unverantwortlicher Art und Weise die von ihnen geplanten Einsparungen vorzunehmen.

Aber zurück zum Haushalt des Kultusministeriums. Von den etwa 7,7 Milliarden Euro sind über 6 Milliarden Euro allein durch Ausgaben für Personal inklusive Versorgung und Beihilfe gebunden. Wer mit Schule zu tun hat, weiß, dass wir nicht etwa zu viele Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen haben, sondern viel zu wenige.

(Beifall bei der SPD)

An der Tatsache, dass der Unterrichtsausfall beträchtlich ist, können die besten Beschwichtigungs- und Schönrechnungsversuche der Staatsregierung seit Jahren nichts ändern. Eine Mutter sagte mir vor kurzem auf einer Veranstaltung: „Wenn ich den Unterrichtsausfall meiner Tochter am Gymnasium zusammenrechne, dann haben wir heute schon das G 8.“

Die Ausstattung der Mobilen Reserve ist so mager, dass sie oftmals nicht einmal ausreicht, um die Mutterschutzvertretungen gewährleisten zu können. In den meisten Fällen gibt es spätestens ab dem Zwischenzeugnis, oft schon ab Weihnachten, keine verfügbaren Lehrkräfte mehr. Der Schulleiter, der dann einen Ersatz für einen durch längere Krankheit ausfallenden Lehrer braucht, hat Pech gehabt und muss versuchen, das Problem intern zu lösen, oder mit dem Unterrichtsausfall leben. Aber der Unterrichtsausfall, liebe Kolleginnen und Kollegen, scha

det unseren Kindern. Wer in unseren Schulen mehr individuelle Förderung will, der muss zuerst dafür sogen, dass die nötige Zeit dafür vorhanden ist.

(Beifall bei der SPD)

Denn wenn der Unterrichtsausfall weiter hingenommen wird, wird es die Zeit nicht geben für individuelle Förderung, geschweige denn für eine dringend notwendige Vertiefung des Unterrichtsstoffs. Aber, man kann es kaum glauben, die Staatsregierung sieht das alles anders und kürzt trotz der bestehenden Engpässe 12,3 Millionen Euro bei den Aushilfslehrkräften.

Diese Maßnahme wird alle Schularten treffen und insgesamt zur Nichtbesetzung von ca. 200 Stellen führen. Man hat noch einen Weg gefunden, Stellen einzusparen: Der Religionsunterricht in der 3. und 4. Klasse der Grundschule wird jeweils um eine Stunde gekürzt, damit wiederum ein paar Stellen übrig bleiben.

Zum nächsten großen Block in diesem Haushalt gehören die Kosten, die durch das Schulfinanzierungsgesetz entstehen. Auch dadurch sind bereits circa 1,4 Milliarden Euro gebunden. Auch hier lässt sich in der Tat nichts mehr einsparen, denn der Beitrag, den der Freistaat Bayern den Trägern von kommunalen und privaten Schulen zukommen lässt, ist wirklich alles andere als üppig. Seit Jahren fordern die Betroffenen zu Recht eine Aufstockung dieses Beitrages, was seitens der Staatsregierung – unterstützt durch die CSU-Fraktion – hartnäckig verweigert wird. Wenn hier nicht bald etwas getan wird, werden kommunale wie private Schulträger ihre Schulen entweder aufgeben, im Umfang beschränken oder – was zur Zeit Land auf Land ab schon der Fall ist – Schulgeld einführen müssen.

Ich meine, die Staatsregierung sollte endlich erkennen, dass man langfristig auf diese Weise keine Einsparung erzielen kann, denn gäbe es diese privaten und kommunalen Schulen nicht, müsste der Freistaat selber staatliche Schulen erhalten und müsste dann selbstverständlich 100 % der Lehrerpersonalkosten übernehmen.

Für absolut unerträglich halte ich die Diskussion um die Abschaffung der Lernmittelfreiheit oder deren Beschränkung durch die Einführung eines Büchergeldes. Wie weit sind wir denn in diesem Land gekommen – das frage ich Sie ernsthaft -, wenn wir meinen, uns nicht einmal mehr die Schulbücher für unsere Kinder leisten zu können?

(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt in einem Flächenland auch für die weitere Einschränkung der Schulwegkostenfreiheit. Da geht es nämlich wirklich „um das Eingemachte„.

Wer in diesen Bereichen sparen will, verabschiedet sich von den Grundprinzipien des staatlichen Bildungsauftrags.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Kurt Faltl- hauser (CSU))

Das werden wir dann schon sehen. Die Lernmittelfreiheit ist nicht vom Tisch, Herr Finanzminister, wie Sie wissen, und die Schulwegkostenfreiheit auch nicht. Die Einschränkungen sind nicht vom Tisch. Sagen Sie nicht solche Dinge. Rechnen Sie erst einmal, was Ihre Kürzungen im Bereich des ÖPNV bewirken werden, wenn sie umgesetzt werden.

Wer als Staatsregierung seinen verfassungsgemäßen Auftrag ernst nimmt und wirklich dafür sorgen will, dass den Menschen in Bayern gleiche Lebenschancen eröffnet werden, und zwar unabhängig davon, wo sie wohnen, darf gerade, wenn es um die Frage geht, ob ein Kind eine weiterführende Schule besuchen kann, diese Entscheidung nicht vom Wohnort oder vom Geldbeutel der Eltern abhängig werden lassen. Das wäre in der Tat ein unverantwortlicher Rückschritt nicht nur für die Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD)