Protokoll der Sitzung vom 16.07.2008

Bei aller Sympathie für das vorgegebene Ziel, Rechtsextremisten leichter in Schranken weisen zu können, ist entscheidend, dass das Gesetz nicht nur gegen Rechtsextremisten, sondern gegen alle gemacht wird.

Dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlt jeglicher liberaler Geist. Es ist überhaupt kein Bemühen erkennbar, die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu erleichtern und die Wahrnehmung eines Grundrechts zu gewährleisten. Ich sage das nicht deshalb, weil man es sich leisten kann, generös zu sein, sondern deshalb, weil es hier um ein selbstverständliches Recht der Bürgerinnen und Bürger geht und nicht um einen Gnadenentscheid.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Gesetzentwurf und – da mag mancher staunen – auch das Gesetz von 1953 beruhen auf der Grundphilosophie, dass der Staat die Ausübung des Versammlungsrechts dulden müsse, aber es nicht wünsche und dass der Gebrauch der Versammlungsfreiheit als potenziell gefährlich gelte, vor der sich der Staat zu schützen habe.

Weil das so ist, verstehe ich all diejenigen nicht, die in der aktuellen Diskussion so tun, als wäre das bestehende Versammlungsgesetz von 1953 das Musterbeispiel eines liberalen Versammlungsgesetzes. Das ist mitnichten so. Was wir jetzt haben, ist erst durch Rechtsprechung geworden.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf der Staatsregierung riecht nach Obrigkeitsstaat. Der Gesetzentwurf ist aus dem Blickwinkel der Kreisverwaltungsbehörden und der Polizei, nicht aus der Sicht derjenigen geschrieben worden, die ein Grundrecht wahrnehmen wollen und es nach richtigem Verfassungsverständnis auch sollen, wenn diese Demokratie stabil bleiben und von dem Vertrauen ihrer Bürger getragen werden soll.

geführt worden wäre. Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns über die tatsächlichen Anliegen und Schwerpunkte unseres Gesetzentwurfs unterhalten, und wir hätten uns gern auch hierüber auseinandersetzen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war bezeichnend, dass beide bisherigen Redner der Oppositionsfraktionen zunächst längere Ausführungen gemacht haben und dann auf Einwürfe der Kollegen der CSU-Fraktion ausdrücklich erklärt haben, bisher hätten sie zum vorliegenden Gesetzentwurf noch gar nicht gesprochen. Es ist schon bemerkenswert, welche Art von Debatten wir hier manchmal führen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Christine Stahl (GRÜNE))

Entscheidend ist aber vor allen Dingen, was draußen im Lande in den letzten Wochen abgelaufen ist. Was wir dort erlebt haben, kann man in manchen Teilen leider nur noch als Polittheater bezeichnen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist Demokratie, Herr Herrmann!)

Das war eine Schmutzkampagne, die mit einer sachlichen Auseinandersetzung um die vorliegenden Gesetzentwürfe überhaupt nichts mehr zu tun hatte, eine Schmutzkampagne, in der es oft nur noch um pauschale polemische Vorwürfe ging, teilweise auch um eine vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit. Daran haben sich vor allen Dingen die GRÜNEN massiv beteiligt.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Landtagswahl immer näher rückt und die Schärfe mancher Kontroverse zunimmt – ein so grundlegendes und zentrales Gesetzesvorhaben wie ein bayerisches Versammlungsgesetz hätte schon eine etwas unaufgeregtere und von mehr Sachlichkeit geprägte Debatte verdient gehabt, eine sachlichere Debatte jedenfalls, als sie Teile der Opposition in den letzten Wochen geführt haben.

Ich sage das in aller Deutlichkeit: Viele Vorwürfe, die von Ihrer Seite gemacht wurden, waren entweder schlicht falsch oder böswillige Verzerrungen.

Wohlgemerkt: Mein Vorwurf richtet sich nicht an die zahlreichen Verbände, Organisationen und Bürger, die als Laien mit dem Versammlungsrecht umgehen müssen und oft nur Einschätzungen anderer in dieser Debatte aufgreifen können, um sich eine Meinung zu bilden. Sie können sich oftmals nur an den Wertungen anderer orientieren.

Deshalb richtet sich der Vorwurf gegen jene, die mit dem Versammlungsrecht vertraut sind, sei es in rechtlicher Hinsicht oder sei es, dass man, wie zum Beispiel die Gewerkschaft ver.di, breite Erfahrungen in der Organisation von Versammlungen hat. Einzelne Mitglieder von ver.di haben in den letzten Wochen wider besseres Wissen Dinge im Lande verbreitet, nur um sich an einer solchen Kampagne zu beteiligen. Wenn von dieser eigentlich kundigen Seite

Ich muss jetzt aufhören, verspreche Ihnen aber: Ich melde mich noch mehrfach zu Wort, um dann auch die Details nennen zu können.

Eine letzte Bemerkung. Aufgrund der genannten grundsätzlichen Erwägungen und Bedenken und nicht nur wegen der vielen Detailfragen, die man so oder so sehen kann und die sich auch durch Rechtsprechung entwickeln müssen – gibt es keine Chance, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen werden.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Joachim Wahnschaffe (SPD): Das war eine Sternstunde! Es kann nur schwächer werden! – Zuruf des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Schindler.

Der Staatsminister des Innern, Herrmann, hat ums Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einige Monate intensiver Diskussionen um den angemessenen Umgang mit der Versammlungsfreiheit hinter uns. Mit den Gesetzentwürfen haben sich einschließlich des federführenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen immerhin sieben Ausschüsse dieses Hohen Hauses befasst. Insbesondere der Gesetzentwurf der Staatsregierung wurde so intensiv wie kaum ein anderer Gesetzentwurf diskutiert.

An der öffentlichen Diskussion hat sich auch eine Reihe von Verbänden, Organisationen und Bürgern beteiligt. Insgesamt hat also eine breite Debatte stattgefunden. Das ist auch gut so. Denn das Versammlungsrecht geht uns als Demokraten alle unmittelbar an. In kaum einem anderen Bereich fließen unsere jeweiligen Vorstellungen von Demokratie und auch von Streitkultur so unmittelbar in Gesetzesform wie im Versammlungsrecht.

Herr Kollege Schindler, das Versammlungsrecht, die Versammlungsfreiheit, ist in der Tat etwas ganz Selbstverständliches. Aber genauso selbstverständlich sind, wie bei anderen Grundrechten auch, die Grenzen, über die wir reden müssen. So wie die Meinungsfreiheit in unserem Land selbstverständlich ist, so klar ist auch, dass zum Beispiel Beleidigung und üble Nachrede laut Strafgesetzbuch strafbar sind, weil die Freiheit des Einen immer dort endet, wo die Freiheitsrechte des Anderen beginnen. Genau darum geht es auch, wenn wir über ein Versammlungsrecht für Bayern diskutieren.

Ich meine, dass sich die intensiven und auch kontroversen Diskussionen der letzten Wochen gelohnt haben. Die CSU-Fraktion hat Ergebnisse der Diskussion aufgegriffen und Änderungen zum Gesetzentwurf vorgeschlagen. Dies sind sinnvolle Änderungen, um die tatsächlichen Kernanliegen des Gesetzentwurfs noch stärker herauszuarbeiten und manches nicht gewollte Missverständnis zu klären. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass diese Diskussion von allen Seiten in der nötigen Sachlichkeit und Fairness

lungsrechtes von einer CSU-Linie dominiert worden wäre.

(Zurufe von der SPD)

Wir können über all diese Fragen gern diskutieren. Ich freue mich sehr, dass der Kreisverwaltungsreferent der Landeshauptstadt München, Herr Dr. Blume-Beyerle, heute an dieser Debatte teilnimmt. Herr Dr. Blume-Beyerle hat das Problem sozusagen im Alltag ständig auf dem Tisch liegen. In Bayern finden in keiner Stadt so viele Versammlungen statt wie in München. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass nicht jede einzelne Demonstration an einem Schreibtisch im Innenministerium vorbereitet wird, sondern die Demonstrationen werden von den Kreisverwaltungsbehörden vorbereitet. In Bayern werden die allermeisten Demonstrationen von der Landeshauptstadt München, von dem Kreisverwaltungsreferat, betreut und mitgestaltet.

Gerade der Vollzug in der Landeshauptstadt München ist ein Beispiel dafür, dass in Bayern die Versammlungsfreiheit nicht behindert, sondern geschützt wird. Man kommt dabei natürlich auch in bestimmte Konfliktsituationen, zum Beispiel bei gegenläufigen Demonstrationen, und da kann der Staat nicht einfach nur zuschauen und am Schluss bedauernd feststellen, dass etwas schief gegangen ist, sondern das bedarf natürlich einer vernünftigen Vorbereitung, Begleitung und – bei Konflikten – auch Steuerung solcher Veranstaltungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Unsere Polizei und unsere Versammlungsbehörden müssen nach dem Auftrag des Grundgesetzes einen enormen Aufwand leisten, um Versammlungen auch von extremistischen Personen und Gruppen zu schützen, solange die Versammlungen nicht verboten sind. Lassen Sie sich doch einmal von einer Versammlungsbehörde erklären, wie viel Arbeit in der Vorbereitung und Durchführung eines Kooperationsgesprächs liegt, das nur zum Ziel hat, eine Versammlung zu sichern und ohne Gefahren für die Teilnehmer und Dritte durchführen zu können! Schauen Sie sich doch einmal bei einer beliebigen Versammlung die Polizeibeamten näher an, die dort eingesetzt werden, um beispielsweise rechts- und linksextremistische Banden voneinander zu trennen! Sie können mir glauben, keiner dieser jungen Polizeibeamten tut diesen Dienst gern. Keiner von ihnen freut sich über die Aussicht, womöglich in Gewalttätigkeiten zwischen Links und Rechts zu geraten.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von den GRÜNEN)

Aber sie kommen ihrem Auftrag nach, die Versammlungsfreiheit zu schützen und das Recht auf Leben und Unversehrtheit aller Beteiligten an solchen Demonstrationen zu garantieren, solange eine solche Versammlung nicht verboten ist. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, wir wollten Versammlungen künftig allgemein erschweren, wirklich grotesk.

Ich bedauere vor allen Dingen, dass es in den letzten Wochen auch einzelne Gewerkschaftsmitglieder gege

Vorwürfe erhoben werden, die offensichtlicher Unfug sind und die sich jedem Unbeteiligten, der sich um ein objektives Urteil bemüht, als geradezu absurd aufdrängen, dann muss es auch klar als das bezeichnet werden, was es ist, nämlich als Teil einer Wahlkampfkampagne, die in Ihren Reihen schon begonnen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber auch, wir stellen uns dieser Debatte gerne, weil wir davon überzeugt sind, dass die Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Versammlungsfreiheit, aber gegen die Gewalt und Chaos auf unseren Straßen sind.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb entspricht dieser Gesetzentwurf eindeutig dem Willen der Mehrheit der Menschen in Bayern.

Ich bedauere, dass bestimmte Organisationen versuchten und immer noch versuchen, den Eindruck zu erwecken, als wollten wir mit unserem Gesetzentwurf Versammlungen allgemein verhindern oder erschweren; denn dies ist weder das Ziel unseres Gesetzentwurfs noch lassen es unsere Regelungen zu. Ich bedauere auch, dass Sie die von der CSU-Fraktion vorgeschlagenen Klarstellungen und Ergänzungen in der Debatte nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Dann müssten Sie nämlich zugeben, wie haltlos Ihre Vorwürfe sind. Bereits der Gedanke, dass unser Staat nur nach Möglichkeiten suchen würde, Versammlungen – vor allem unerwünschte Versammlungen – zu unterbinden, ist eine absolut böswillige Unterstellung.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Man ignoriert den hohen Aufwand, den in unserem Land die Kreisverwaltungsbehörden in Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der bayerischen Polizei in der Tat betreiben, um unserem Verfassungsauftrag gerecht zu werden, Versammlungen zu ermöglichen und zu schützen.

Ich kann Ihnen gerne erläutern, wie viel Sorgfalt Versammlungsbehörden und Polizei in die Vorbereitung einer Versammlung stecken. Ich spreche in diesem Zusammenhang nicht nur von den Großversammlungen, wie etwa anlässlich der jährlichen Sicherheitskonferenz hier in München oder der Heß-Gedenkmärsche der Neonazis in Wunsiedel, sondern ich spreche auch von vielen einfachen Versammlungen, die auf öffentlichen Straßen stattfinden und deshalb Schutz brauchen.

Lieber Herr Kollege Schindler, Sie führen hier bemerkenswerte Beispiele aus dem Landkreis Schwandorf an. Ich bin sicher, Sie unterstützen es nächstes Mal, dass der Landkreis Schwandorf einen anderen Landrat bekommt.

(Karin Radermacher (SPD): Schämen Sie sich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass in den letzten Jahren im Landratsamt Schwandorf der Vollzug des Versamm

Herr Kollege Schindler, ich bin dankbar dafür, sich mit Ihnen wenigstens in Teilbereichen über diese Fragen – im Unterschied zu manch anderem Diskussionsbeitrag, den es in den letzten Wochen und Monaten vor allen Dingen vonseiten der GRÜNEN gegeben hat – seriös unterhalten zu können. Sie haben teilweise auf die nationalsozialistische Vergangenheit Bezug genommen. Ich will Ihre Ausführungen damit nicht auf eine Ebene stellen, aber wenn ich diese Nachrichten aus Ungarn zur Kenntnis nehme, muss ich feststellen, dass wir, bevor es zur Machtergreifung kam, auch in Deutschland einige Jahre hatten, in denen von Monat zu Monat größere Horden der SA auf Deutschlands Straßen aufgetreten sind.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Es war auch ein Problem der Weimarer Republik, die die erste Demokratie in unserem Land geschaffen hatte, dass sie sich in der Tat solchem Missbrauch der Freiheitsrechte nicht richtig zur Wehr zu setzen wusste.