Insgesamt gesehen hat die Bundesregierung auf die Anschläge von Madrid richtig und besonnen reagiert. Das Sicherheitskabinett hat getagt und Entscheidungen getroffen. Die Sicherheitsstufe im Land wurde erhöht, und die Bundesregierung hat eine Eilkonferenz auf EU-Ebene eingefordert; denn hier ist eine europaweite Abstimmung geboten, um koordinierte Abwehrmaßnahmen zu treffen. Ihre Vorschläge in Ihrem Antrag sind aus unserer Sicht nicht hilfreich, was die Bekämpfung des internationalen Terrorismus betrifft. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen. Dem Antrag der GRÜNEN werden wir zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Den Schutz der Bevölkerung vor Terrorgefahren verbessern: Sachlichkeit vor Ideologie“ haben wir unseren Dringlichkeitsantrag überschrieben. Wir müssen die Terrorgefahren analysieren, um sie gut bekämpfen zu können. Wir dürfen sie nicht instrumentalisieren, Herr Kreuzer.
Die furchtbaren Anschläge in Spanien zeigen eine erschreckend neue Dimension des Terrors auch für Europa. Ich möchte aber deutlich sagen: Wir haben nicht eine völlig neue Sicherheitslage, so wie Sie tun und wie sich auch Herr Stoiber geäußert hat. Unsere Bedrohung durch terroristische Anschläge ist nicht neu, neu ist die Größenordnung.
Gestatten Sie mir einen Blick zurück. Terroranschläge begleiten uns schon lange, nicht nur in Spanien, wo in den letzten 30 Jahren über 800 Menschen ums Leben kamen, nicht nur in Kabul, Bagdad und Istanbul, nicht nur in dem bis an die Zähne bewaffneten Israel, was ihm freilich nicht hilft, nicht nur in Urlaubsregionen, sondern auch bei uns. Wir müssen uns nicht nur an die RAF-Geschichte erinnern, wir müssen uns auch an viele ausländerfeindliche Anschläge in Deutschland erinnern. Wir erinnern uns an den Brandanschlag auf das Haus der Familie Genc in Solingen, wir erinnern uns an brennende Asylbewerberunterkünfte, zum Beispiel in Rostock, an den Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin. Wir erinnern uns an Attentate auf ganz unterschiedliche Politiker in Europa von Olof Palme über Ytzak Rabin und Zoran Dzindzic bis Pim Fortuyn. Wir erinnern uns an den Mord an dem Arbeitsrechtler in Bologna, aber auch an das schlimme Attentat
Eine Vielzahl von Terroranschlägen begleitet uns. Lassen Sie mich nur noch einen erwähnen: 26. September 1980, München, Oktoberfest. 13 Menschen starben, 211 wurden verletzt, viele davon für ihr Leben gezeichnet.
Ich zitiere aus einem älteren Artikel der „Süddeutschen Zeitung“. Damals war Wahlkampf in Deutschland, die letzten Tage vor der Entscheidung. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß wollte Bundeskanzler werden, Helmut Schmidt entmachten. Gleich nach dem Wies’n-Attentat – Strauß vermutete linke Täter – ging er auf den liberalen Innenminister Gerhart Baum los. Baum, der mit dem RAFAnwalt und Ex-Terroristen Horst Mahler im „Spiegel“ ein Streitgespräch geführt hatte, habe schwere Schuld auf sich geladen, verharmlose den Terrorismus, demoralisiere die Sicherheitskräfte. Die Union glaubte, einen Wahlkampfschlager zu haben. Damit war es vorbei, als sich herausstellte, dass der mutmaßliche Attentäter im rechten Milieu verkehrte.
Die politischen Ziele derjenigen, die Terroranschläge verüben, sind unterschiedlich und oft nicht nachvollziehbar. Terroranschläge taugen deshalb auch nicht, Herr Kreuzer und meine lieben Kolleginnen von der CSU, zur politischen Instrumentalisierung.
Notwendig ist vielmehr ein Bekenntnis zu einer Kultur der Gewaltfreiheit, zu einer Wertschätzung des anderen Menschen und ein Bekenntnis zu den demokratischen Grundrechten. Diese gilt es zu verteidigen gegen Terroranschläge und gegen ihre Aushöhlung. Herr Stoiber sagte vorgestern in der Kabinettssitzung:
Wir haben in unserem Land eine große Zahl ausländischer Mitbürger, darunter auch viele Menschen muslimischen Glaubens. Die übergroße Mehrheit unserer ausländischen Mitbürger lehnt jeden Terror genauso ab wie wir. Wir wollen ein gutes Zusammenleben mit unseren ausländischen Mitbürgern.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, das endlich die Integrationsfragen regelt. Dies sagte auch Staatsministerin Stewens gestern Abend.
Die Terroranschläge dürfen nicht dazu missbraucht werden, das Zuwanderungsgesetz zu torpedieren und – das haben Sie hier vor – ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen.
Herr Schuster hatte schon gesagt: Schon jetzt können Ausländer ausgewiesen werden, wenn ihr Aufenthalt die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt. Wir wissen und sollten uns daran erinnern: Terrorgefahren drohen nicht nur von Ausländern.
Zur Bundeswehr: Bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen kann bereits jetzt die Bundeswehr in Anspruch genommen werden, natürlich auch bei ABC-Unfällen. Das Luftsicherheitsgesetz konkretisiert und präzisiert die verfassungsrechtliche Lage in Bezug auf die Unterstützung durch die Bundeswehr aus der Luft. Eine Verfassungsänderung, wie Sie sie vorhaben, ist überhaupt nicht erforderlich. Darüber hinausgehende Gesetze zum Einsatz der Bundeswehr im Innern sind abzulehnen. Notwendig – das ist wirklich zu betonen – sind vielmehr eine gute Ausstattung und eine gute Arbeit der Polizei. Zu diesem Thema haben gestern Abend ja auch einige Diskussionen stattgefunden.
Was tut weiterhin Not? Erforderlich ist eine Verbesserung der Frühaufklärung und der Zusammenarbeit der Länder, des Bundes und der europäischen Mitgliedstaaten im Bereich der Aufklärung und der Prävention. Wir müssen die Gefahren und die terroristischen Bedrohungen genau analysieren und gezielte Vorsorge treffen. Dies betrifft, meine Kolleginnen und Kollegen, auch die Sicherheit unserer Atomkraftwerke vor Terrorgefahren. Aber Sie machen vor den Risiken beide Augen zu. Die Vernebelungstaktik, die uns der Umweltminister Schnappauf präsentiert hat, ist hier absolut fehl am Platz. Ich erwarte, dass Sie mit Ihrem kritischen Blick ein Auge darauf werfen, eine andere Politik einzuschlagen.
Eine politische Instrumentalisierung der Anschläge von Madrid schadet den Sicherheitsbemühungen und verstellt den Blick auf die Gefahren insgesamt. Hierzu ist bezüglich des Beispiels Oktoberfest schon einiges deutlich geworden. Es wird einiges aber auch an den Geschehnissen von Madrid deutlich. Wir mussten erfahren, dass die spanischen Sicherheitsbehörden dem Bundeskriminalamt falsche Informationen geliefert haben. Zweimal wurde der BKA-Verbindungsmann in Madrid über den bei den Anschlägen verwendeten Sprengstoff falsch informiert, weil der Verdacht in Richtung ETA gelenkt werden sollte. Zuerst hieß es, der Anschlag sei mit einem Sprengstoff verübt worden, der üblicherweise von der ETA benutzt werde. Dann erfolgte eine Korrektur. Danach gab es noch einmal eine Korrektur. Erst am Schluss, nach den spanischen Parlamentswahlen, hat es die letzte Version gegeben.
Es hieß, das verwendete Dynamit sei in dieser Form noch niemals von der ETA benutzt worden. Gegenüber den deutschen Sicherheitsbehörden ist bis zur Wahl verschwiegen worden, dass die gefundenen Zünder noch nie von der ETA benutzt worden sind. Auch nach der Festnahme von zwei Marokkanern und zwei Indern hatte man dem Bundeskriminalamt immer noch mitgeteilt, dass man eine Verbindung zu islamistischen Kreisen nicht bestätigen könne. Von einer vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit, meine Kolleginnen und Kollegen, unter den EU-Ländern kann hier keine Rede sein. Solange wir Terrorgefahren so für politische Zwecke instrumentalisieren, kommen wir mit unserer Sicherheit nicht weiter. Wir
Kölner Verfassungsschützer beobachteten den marokkanischen Studenten Motassadeq schon deutlich vor dem 11. September. Die Hamburger Kollegen erfuhren davon erst im Jahr 2003 aus der Presse. Hier besteht Handlungsbedarf, Herr Kreuzer. Aber es kommt noch schlimmer. Mailänder Ermittler haben nach den Informationen des „Corriere della Sera“ schon im vergangenen Herbst vor einem bevorstehenden Bombenanschlag in Spanien gewarnt. Sie haben über seit 2001 bestehende enge Kontakte zwischen Al-Qaida-Zellen in Italien und Spanien berichtet.
Offenbar aus wahltaktischen Erwägungen haben die spanischen Behörden zweimal das Bundeskriminalamt falsch über ihre Erkenntnisse aus den Attentaten in Madrid informiert. Auch die eigene Bevölkerung wurde belogen. Das gefiel der Bevölkerung nicht. Ich denke, wir sollten daraus lernen und die Terrorgefahren schonungslos und klar analysieren und sie nicht weiter für politische Zwecke instrumentalisieren.
Zwei Minuten sind wenig. – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sollten versuchen, aus den schrecklichen Anschlägen in Spanien etwas zu lernen, und sollten uns nicht gegenseitig mit Vorwürfen überziehen, bzw. Sie sollten uns nicht mit solchen Vorwürfen überziehen.
Lernen können wir daraus vor allem, dass der Terrorismus nach wie vor und noch mehr als früher eine Gefahr darstellt, gegen die wir uns wappnen müssen. Das bedeutet nicht Instrumentalisierung, sondern die Feststellung einer Situation.
Es kann nicht richtig sein, dass wir jemanden, der wegen Mangel an Beweisen strafrechtlich freigesprochen wird, obwohl er erheblich unter Verdacht steht, wegen Überschreitens der Studienzeit ausweisen und nicht wegen der Gefahr, die er für die öffentliche Sicherheit als mutmaßlicher Terrorist darstellt. Wer heute noch meint, die Beweisanforderungen für eine Ausweisung müssten so hoch sein wie für eine Bestrafung, liegt absolut falsch. Das muss sich ändern.
Gerade deswegen ist auch der letzte Satz in dem Antrag der GRÜNEN völlig falsch. Da heißt es, schon jetzt könnten Ausländer ausgewiesen werden, wenn ihr Aufenthalt die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt. Nein, da muss dazu streng Beweis geführt werden. Aber das darf so nicht bleiben. Das muss sich ändern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben doch Ihre Liebe zur inneren Sicherheit erst entdeckt, als draußen die Polizeibeamten demonstrierten, weil Sie gedacht haben, Sie könnten dort Ihr politisches Süppchen kochen. Das ist Ihre Beziehung zur inneren Sicherheit, nichts anderes!
Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt: Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukusch geschützt. Wir sagen: Durch die Bundeswehr soll, wenn es notwendig ist, die Sicherheit Deutschlands und besonders der Menschen, auch zum Beispiel in Nürnberg geschützt werden.
(Beifall bei der CSU – Zuruf von den GRÜNEN: Geben Sie Geld; dann kann die Polizei die Auf- gabe erledigen!)
Zur Sitzung wurde bis 18.00 Uhr eingeladen. Aber der Herr Staatssekretär hat sich noch zu Wort gemeldet. Können wir zumindest darin übereinstimmen, dass die Aussprache jetzt abgeschlossen ist? Dann könnten wir die Abstimmung nämlich im nächsten Plenum vornehmen. Besteht damit Einverständnis?
Wenn keine Übereinstimmung besteht, dann kann ich es nicht ändern. Ich habe einen Versuch gemacht, aber da ist nichts möglich.
Dann erteile ich das Wort dem Herrn Staatssekretär. Ich bitte, noch ein paar Minuten in Ruhe und Geduld auszuhalten.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern eine überaus lange Debatte über viele Fragen geführt, die unser Land berühren. Wir haben von Nachmittag 15 Uhr über den späten Abend bis in die frühen Morgenstunden debattiert. Es müssten doch zehn Minuten übrig sein, dann, wenn terroristische Gefahren an unser Land heranrücken, ein solches Thema miteinander zu besprechen.
(Christine Kamm (GRÜNE): Aber nicht auf diese Art und Weise! – Christine Stahl (GRÜNE): Wenn einer so etwas sagt wie Herr Panzer, dann ist das unterste Schublade!)
Aufgrund der terroristischen Anschläge in Madrid mussten wir feststellen, dass al Qaida mitten in Europa aktiv geworden ist. Wir wissen, dass wir ein hohes Potenzial an islamistischen Kämpfern hier in Deutschland haben, und