Protokoll der Sitzung vom 17.07.2008

Gott sei Dank, das macht ja auch die Parteienlandschaft irgendwo interessant.

Klar, die Handlungsempfehlungen wurden von unseren Experten teilweise in knochenharter und schweißtreibender Arbeit sowie in schlaflosen Nächten erarbeitet.

(Engelbert Kupka (CSU): Schlaflos?)

Ihnen sei an dieser Stelle noch einmal ganz, ganz herzlich gedankt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der GRÜNEN und des Abgeordneten Engelbert Kupka (CSU))

Aber es bleibt unbestritten, dass wir schon noch mehr hätten leisten können, wenn wir für diesen Part mehr Zeit gehabt hätten.

(Engelbert Kupka (CSU): In der nächsten Legislaturperiode!)

Als äußerst unglücklich empfand ich es auch, dass in den sechs finalen Wochen auch noch die Beratungen zum Bildungskapitel anstanden. Ahnend, welch schreckliches Hauen und Stechen uns bei der Behandlung von bildungspolitischen Themen bevorstehen würde, wollten die jugendpolitischen Sprecher im Vorfeld der EnqueteKommission, also Bernd Sibler, Thomas Mütze und ich, dieses Thema gerne ausklammern.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das war ein schwerer Fehler!)

Aber darum kommen Sie natürlich nicht herum. Wenn Sie den ungeheuer wichtigen außerschulischen Bildungsauftrag der Jugendverbände oder die Zeit, die junge Menschen angesichts notwendiger Ganztagsschulen mit der Freizeitgestaltung verbringen, streifen wollen, dann kommen Sie immer auf das Thema Bildung zu sprechen,

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Selbstverständlich! Was denn sonst?)

Bildung als elementarer Inhalt, als grundlegend prägendes Element im Leben eines jungen Menschen.

Aber – der Vorsitzende hat es gesagt – wir haben uns auf die jugendpolitischen Themen konzentriert,

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ist das keine Jugendpolitik?)

Trotzdem haben wir von der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag frühzeitig darauf hingewiesen, dass hier die parteipolitischen Unterschiede so gravierend sind, dass Darstellungen im Konsens nicht möglich sind. Natürlich können wir die Darstellung des Status quo in Bayern nicht leugnen, wollen es auch nicht. Aber wir sehen natürlich manche Fakten in einem anderen Licht

Herr Jungkollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Mütze.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist jetzt nicht entscheidend, wie voll oder wie leer dieses Hohe Haus heute bei der Debatte ist.

(Beifall der Abgeordneten Ruth Paulig (GRÜNE))

Wichtig ist jeder und jede, der/die heute bei der Debatte da ist. Diese Debatte ist ja nur ein Zwischenschritt. Wichtig wird das, was in der nächsten Legislaturperiode daraus gemacht wird und was die Kolleginnen und Kollegen, die dann für Jugendpolitik zuständig sein werden, die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher, daraus machen und wie dieses Haus mit diesem Werk umgehen wird. Von daher bin ich jetzt nicht traurig oder böse, dass die Kolleginnen und Kollegen andere Dinge zu tun haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Journalist hat den Vorsitzenden gefragt, ob unsere Enquete-Kommission die unnötigste bisher gewesen sei. Sepp Zellmeier hat das natürlich verneint. Ich möchte ihm darin auch beispringen. Ich möchte nur einige der Fachleute aufzählen, die uns in der dreijährigen Arbeit unterstützt und allein mit ihrer Anwesenheit gezeigt haben, wie wichtig sie diese Enquete-Kommission genommen haben:

Frau Sybille Picot, Prof. Dr. Helga Theunert, Prof. Spanhel, Elisabeth Seifert, Klaus Lutz, Prof. Dr. Helmut Lukesch, Prof. Dr. Marci-Boehncke, Dr. Eveline von Arx, Klaus Schenk, Elena Stingl und Fabian Raith, Dr. Monika Deuerlein, Johannes Merkl, Albert Riedelsheimer, Dr. Ahmet Toprak, Dr. Wolfgang Weber und nicht zuletzt Seyran Ates aus Berlin. Wie gesagt: nur eine Auswahl.

Hat sich irgendjemand in Bayern schon drei Jahre lang so ausführlich mit Jugendpolitik beschäftigt? Hat irgendjemand Jugendpolitik unter all diesen Facetten – Werte, Engagement, Schule, Ausbildung, Kultur, Gesundheit, Gewalt, Geschlecht, Migration, Behinderung und nicht zuletzt Ökologie – beleuchtet? Schon irgendjemand? Nein, das hat niemand getan. Das ist für mich ein weiterer Beweis, dass diese Enquete wichtig und richtig war.

Ich möchte zuerst einige Feststellungen machen, dann die Forderungen hierzu entwickeln und unsere Position darstellen. Ich picke nur einige Themen heraus; sie werden sicher anmerken: Holla, da lässt er ja was aus. Und zu dem eine oder anderen hat er nichts gesagt. Sie werden mir das aber bei 256 Seiten hoffentlich nachsehen.

Beginnen möchte ich mit den Werten. Eigentlich dachte man ja, Jugendliche hätten heute keine Werte. Das kann man nach dem Vorliegen des Berichtes nicht bestätigen. Die Null-Bock-Generation ist praktisch verschwunden. Prosoziale Werte wie Menschen zu helfen, Rücksicht zu nehmen, Verantwortung zu übernehmen, haben stark zugenommen. Gleichzeitig aber wird auch die Selbstentfaltung immer wichtiger. Dabei fällt auf, dass das weibliche

er meint, dass die Jugend-Enquete-Kommission hätte laufen müssen, weil er der Allkompetente zu diesem Thema wäre.

Wer mich kennt und wer das Vorspiel zur Jugend-Enquete-Kommission verfolgt hat, weiß, dass die EnqueteKommission ein Leib- und Magenthema für mich war und dass ich mich ordentlich ins Zeug gelegt habe, um die Frau Präsidentin des Bayerischen Jugendrings, die im Vorfeld sehr für diese Enquete-Kommission gekämpft hat, mit allen Mitteln zu unterstützen. Heute aber in rückblickender Bewertung der Sinnhaftigkeit der EnqueteKommission halte ich dieses Instrument für weniger geeignet, um Politik effektiv zu gestalten. Das Programm war sehr ambitioniert, aber gerade deshalb hat es viele Kapazitäten gebunden, die der eigentlichen politischen Arbeit des Parlaments verloren gegangen sind.

Die Enquete-Kommission hatte im Grunde Aufgaben einer Jugendberichtskommission, vergleichbar mit § 84 des Sozialgesetzbuches, übernommen, allerdings in anderer Zusammensetzung. Deshalb hat die SPD bereits in einem frühen Stadium in der Diskussion der EnqueteKommission den Vorschlag eingebracht, zukünftig in Bayern eine solche Kommission für einen Kinder- und Jugendbericht gesetzlich zu verankern. Dieser Vorschlag wurde in der Enquete-Kommission zwar diskutiert, fand aber in der abschließenden Abstimmung keine Mehrheit. Dabei will ich noch einmal betonen: Das ist keine Kritik an den Experten, sondern an den beteiligten Politikern der Enquete-Kommission. Ich glaube, die Experten hätten auch ohne uns eine gute Grundlage erarbeiten können, auf der wir dann hätten diskutieren können.

Ein Weiteres möchte ich anmerken, wo ich besonders quer zur Expertenmeinung liege. Dieses Konstrukt der Enquete-Kommission des Landtags war noch aus einem weiteren Grund für mich ein problematischen Werkzeug für die politische Arbeit als Abgeordneter hier im Landtag. Denn die Enquete-Kommission musste – der Vorsitzende hat es gesagt – nach der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags in der Regel nichtöffentlich tagen. Das war nicht zuletzt ein teilweise verständlicher Wunsch der Expertengruppe, welcher die Kompromissfindung förderte, weil einzelne Themen nicht im Umfeld im parteipolitischen Kalkül ausgeschlachtet und polarisiert wurden. Aber ich hätte es mir manchmal vielleicht eher gewünscht.

Ich sehe, meine Redezeit ist zu Ende, wobei ich noch so viel zu sagen hätte. Es bleibt mir nur eine abschließende Conclusio: „Jugendliche sind herbe cool und voll korrekt drauf, wenn man sie nur machen lässt und entsprechend fördert.“

Für uns Parlamentarier im Bayerischen Landtag bleibt ein mahnender und wahrlich weiser Spruch des großen Weisen Konfuzius: „Achte die Jugend. Du weißt nicht, wie sie sich entwickeln wird.“

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

der reinen Wissensvermittlung immer mehr die Vermittlung sozialer Kompetenz. Einig waren wir uns auch darin, dass der Schulanfang nicht mehr weiter vorzulegen ist.

Kommen wir zu Ausbildung und Beruf: Das von uns gezogene Fazit lautet, dass Jugendliche in Bayern gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn sie in einer Wachstumsregion wohnen oder dorthin ziehen oder einen nachgefragten Beruf erlernt haben. Kritisch bleibt die Situation für Jugendliche, die nicht in der Region München oder Nürnberg wohnen, die nicht mobil sind oder sein können, die sozial benachteiligt sind, die keinen Schulabschluss haben und deren Berufsausbildung nicht unbedingt einer prosperierenden Branche zugehört.

Für junge Menschen mit Migrationshintergrund sieht die Situation noch schwieriger aus. Hier sind die belastenden Faktoren wie Arbeitslosigkeit um das zwei- bis dreifache höher als bei der deutschen Vergleichsgruppe. Daher ist die Ausbildungsumlage eine Forderung, die von den GRÜNEN und der SPD auch in dieser Jugend-Enquete erhoben wurde. Im Medienbereich stellen wir fest, dass die wachsende Konvergenz der Medien der unübersichtlichen Zuständigkeit des Jugendschutzes gegenübersteht. Auf diesem Feld muss optimiert werden. Unser Vorschlag ist es, die Kommission für Jugendmedienschutz besser auszustatten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Jugendlichen müssen durch verstärkte Medienpädagogik in die Lage versetzt werden, mit der überbordenden Medienflut vernünftig umgehen zu können. Natürlich müssen auch Lehrkräfte und pädagogisches Personal in Medien fit gemacht werden.

Kommen wir zu Gesundheit und Jugendschutz: Gesundheitsförderung ist nicht nur ein Thema für Kinder und Kinderbetreuung. Viele gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen sind Ausdruck alterstypischer Entwicklungskrisen von Jugendlichen. Verbessert werden muss die Kooperation zwischen Gesundheitssystem und Kinder- und Jugendhilfe. Dafür – in dieser Beziehung hat die EnqueteKommission die Forderungen klar aufgestellt – ist auch der Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes unabdingbar. Wir brauchen keine Verschärfung beim Jugend- und Gesundheitsschutz. Wir brauchen die Kontrolle der bisherigen Ausnahmen und Regeln. Hierbei fehlt es allerdings an Personal. In dieser Beziehung muss aufgestockt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch ein Wort dazu: Die Regelungen des Jugendschutzes richten sich nicht in erster Linie an die Jugendlichen. Die Regelungen des Jugendschutzes richten sich an die Erwachsenen. Diese können wir nicht aus der Verantwortung nehmen; sie müssen ihrer Verantwortung beim Jugendschutz gerecht werden.

Wenn wir über Gewalt und Extremismus sprechen, kann man Folgendes feststellen: Wir müssen die jungen Männer in den Fokus nehmen. Gewalt wird vor allem von

Geschlecht eindeutig mehr Wertebewusstsein zeigt als die Jungen.

Schauen wir uns das Engagement der Jugendlichen an. Was fällt dabei auf? Jugendliche sind nicht weniger engagiert als Personen anderer Altersgruppen. 75 % der Jugendlichen sind dauerhaft oder zumindest gelegentlich aktiv; lediglich die Art des Engagements hat sich vielleicht geändert. Am meisten engagieren sich die Jugendlichen in Sportvereinen. Die Bedeutung der Sportvereine möchte ich später noch näher erläutern.

Auffällig ist: Je höher der Bildungsgrad unserer Jugendlichen ist, desto höher ist das Engagement. Was jugendliche Migranten angeht ist festzustellen, dass die Jugendverbände Jugendliche mit Migrationshintergrund unterdurchschnittlich erreichen, während in offenen Jugendtreffs und Jugendzentren dies eher gelingt. Anscheinend ist es so, dass die Jugendverbände mit ihrer besonderen Organisationstradition und den Voraussetzungen für das Mitmachen Hürden aufbauen, die jugendliche Migranten nicht überspringen können oder wollen. Das ist ein klarer Fingerzeig für die Jugendarbeit in Bayern.

Ich komme auf die Sportvereine zurück: Dabei zeigt sich die große Integrationskraft der Sportvereine in Bayern. 63 % der einheimischen Jugendlichen sind in einem Sportverein engagiert. Dabei sind immerhin 48 % der ersten Generation und 55 % der zweiten Generation von jugendlichen Migranten im Alter zwischen 12 und 15 Jahren aktiv. Auch hier ist festzustellen: Mädchen sind generell weniger als Jungen Mitglied in Sportvereinen. Dies gilt insbesondere für Mädchen mit Migrationshintergrund. Unserer Meinung nach bedarf es einer größeren interkulturellen Öffnung der Vereine und noch stärkerer Kontakte mit Migrantenorganisationen sowie Kooperationen mit Schulen und Kindergärten.

Zur Bildung – Herr Kollege Förster hat es schon angesprochen – möchte ich nur so viel sagen: Jugendpolitik ist nicht nur Bildungspolitik. Jugendpolitik kann auch – das muss man vielleicht grundsätzlich hinzufügen – allein nichts ausrichten. Eine gute Jugendpolitik braucht eine gute Sozialpolitik, eine gute Arbeitsmarktpolitik und eine gute Finanzpolitik, um wirksam zu werden. Jugendpolitik und Bildungspolitik greifen natürlich ineinander. Unsere Aufgabe in der Jugend-Enquete war es aber nicht, die Lösung der Probleme des gegliederten Schulwesens in Bayern oder der Einführung des G 8 herbeizuführen bzw. entsprechende Hinweise zu geben. Wir konnten diese Probleme aber auch nicht ignorieren. Wir haben vorrangig die jugendpolitische Perspektive verfolgt und ich stehe auch dazu. Klar ist aber auch geworden: Gleiche Chancen für alle Jugendlichen in Bayern sind nur über Bildung und Schule zu erreichen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Zentraler Bestandteil für den Abbau von Bildungsbenachteiligungen bleibt die Beherrschung der deutschen Sprache. Ein großes Problem der Schule sind die Hausaufgaben. Das mag vielleicht marginal klingen, aber viele Eltern sind nicht in der Lage, ihre Kinder bei der Erledigung der Hausaufgaben zu unterstützen. Das verstärkt letztlich die Chancenungerechtigkeit. Wichtig wird neben

Ich springe in den Themen jetzt ein bisschen hin und her, ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund stehen unter noch höheren Anforderungen als ihre einheimischen Kolleginnen und Kollegen. Sie, die oft noch in stark archaisch patriarchalisch geprägten Familien aufwachsen müssen, leben hier in einer säkularen Gesellschaft, in einer freien Gesellschaft, in der sie sich zurechtfinden müssen. Unsere Unterstützung muss deshalb noch weit stärker für diese Jugendlichen als für die einheimischen Jugendlichen sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Botschaft unserer Gesellschaft muss sein, die Migranten-Jugendlichen willkommen zu heißen und sie als wichtige Mitglieder unserer Gesellschaft zu achten. Das muss ihnen vermittelt werden. Es darf nicht sein, dass den Migranten-Jugendlichen vermittelt wird – wie sie uns das auch in der Enquete-Kommission gesagt haben –: Eigentlich seid Ihr hier nicht willkommen, ob Ihr einen deutschen Pass habt oder nicht. – Wir müssen ihnen zeigen, dass wir sie hier wollen und dass sie wichtig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Noch einmal: Deutsch ist der Schlüssel zur Integration. Die Herkunftssprache aber ist der Anker, der ebenfalls gefördert werden muss. Wir GRÜNEN fordern deshalb den Wiederaufbau des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts als Konsequenz aus dem Bericht der Enquete-Kommission „Jungsein in Bayern“.