Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 14. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Punkt 9.00 Uhr waren noch wesentlich weniger von Ihnen im Saal anwesend, als es jetzt der Fall ist. Wir konnten nicht beginnen, weil noch keine Schriftführer anwesend waren. Die Fraktionsvorsitzenden sind gerade erst hereingeeilt. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Sitzung nach der Tagesordnung um 9.00 Uhr beginnt. Mir ist klar, ich schimpfe die Falschen; denn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ja hier. Ich rege die Fraktionsvorsitzenden aber an, in den Fraktionen wieder einmal darauf hinzuweisen, dass um 9.00 Uhr Sitzungsbeginn ist. Ich bitte darum, dass die Fraktionen zu diesem Zeitpunkt auch vertreten sind. Ich bin froh, dass die Zuschauertribüne im Moment noch nicht besetzt ist. Es würde wirklich einen sehr schlechten Eindruck machen, wenn wir nicht pünktlich anfangen können. Dabei geht es heute in der Aktuellen Stunde um ein wichtiges Thema.
Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, darf ich eine Reihe von Gratulationen aussprechen. Halbrunde Geburtstage begingen am 29. März Herr Kollege Jakob Schwimmer und am 13. April Herr Kollege Eike Hallitzky. Beide sind im Moment nicht da. Einen runden Geburtstag konnte am 2. April Herr Kollege Peter Winter und am 8. April Herr Kollege Dr. Helmut Müller feiern. Herzlichen Glückwunsch!
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine aktuelle Stunde zum Thema: „Für einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst in Bayern – keine 42-Stunden-Woche“ beantragt.
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder zehn Minuten Redezeit. Diese werden auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit.
Meine Damen und Herren, ich bitte auf das Signal zu achten. Ich mache auf eine Änderung am Rednerpult aufmerksam. Anders als bisher bedeutet das Aufblinken der Lampe nicht mehr, dass noch fünf Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, sondern dass nur noch eine Minute Redezeit übrig ist. Ich bitte, dass Sie sich darauf einstellen. Das Präsidium hat das geändert. Wenn die Lampe rechts aufleuchtet, dann heißt das: noch eine Minute ist übrig. Das ist ab dieser Sitzung neu. Als ersten Redner rufe ich Herrn Kollegen Sprinkart auf. Herr Sprinkart, bitte.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsregierung will für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die 42-Stunden-Woche einführen und damit erklärtermaßen eine Vorreiterrolle für die Wirtschaft übernehmen. Was die Bürgerinnen und Bürger davon halten, können Sie auf der Website der CSU-Landtagsfraktion nachlesen. Auf die Frage „Muss Deutschland wieder mehr arbeiten, um an die Spitze zu kommen?“ haben 93 % der bislang 3400 User mit Nein geantwortet. Ich würde dieses Ergebnis für die CSU Fraktion schlicht und ergreifend peinlich nennen.
Neben dem Votum der Bürger gibt es immer mehr Fachleute aus der Wirtschaft, die den Sinn der Arbeitszeitverlängerung infrage stellen. Sie verfolgen damit im öffentlichen Dienst ausschließlich das Ziel, die Ausgaben durch Personaleinsparungen zu senken. Angesichts von 4,6 Millionen Arbeitslosen ist das Wegrationalisieren von 5600 Arbeitsplätzen verantwortungslos. Die Arbeit ist da, sonst bräuchten Sie die Arbeitszeit nicht zu verlängern.
Besonders verantwortungslos ist das gegenüber der jungen Generation. Im Klartext bedeutet das nämlich: Es fehlen 5600 Stellen, um den jungen Menschen eine Beschäftigung zu geben. Nun kommt der Freistaat seiner Ausbildungspflicht schon bisher nicht in ausreichender Form nach. Künftig soll es sogar nur noch Einstellungskorridore in der Größenordnung von 20 % geben. Das heißt, statt der bisherigen 3500 wird es künftig nur noch 700 Neueinstellungen geben. Meine Damen und Herren, angesichts von 3500 jungen Menschen, die Ende des Jahres 2003 in Bayern ohne Lehrstelle waren, ist das eine Katastrophe.
Das Ganze bekommt schizophrene Züge, wenn die Staatsregierung die Wirtschaft auffordert, mehr Lehrstellen zur Verfügung zu stellen und in ihrer Ausbildungsbereitschaft nicht nachzulassen. Was macht die Staatsregierung selbst? – Anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen, zieht sie sich, wenn auch nicht vollständig, so doch weitgehend, aus dem Ausbildungsmarkt zurück. So ist es kein Wunder, dass die Appelle bei der Wirtschaft ungehört verhallen.
Um es noch einmal zu sagen: Hier liegt die eigentliche Brisanz der Arbeitszeitverlängerung. Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Wie man hört, gibt es im Justizministerium bereits jetzt beim mittleren und gehobenen Dienst einen Einstellungsstopp für das Jahr 2004. Dabei haben wir gerade erst ein Viertel des Jahres hinter uns.
An den Berufsschulen führt das dazu, dass Studienreferendare, die aufgrund einer Sondermaßnahme vor eineinhalb Jahren rekrutiert wurden und sich derzeit in Ausbildung befinden, zu Beginn des kommenden Schuljahres nur noch geringe Anstellungschancen haben. Das heißt, wir haben Akademiker aus der Wirtschaft abgeworben, weil der Lehrerbedarf sonst nicht zu decken gewesen wäre. Jetzt aber droht zumindest einem Teil von ihnen die Arbeitslosigkeit.
Letztes Beispiel: die Hauptschullehrer. Noch in der jüngsten Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums war zu lesen, eine höhere Zahl von Studienanfängern als in den vergangenen Wintersemestern sei dringend erforderlich. Jetzt werden nur wenige, die mit der Ausbildung fertig werden, auch eine Anstellung bekommen.
Sie fordern immer Verlässlichkeit in der Politik. Ich sage Ihnen: Fassen Sie sich an die eigene Nase. Was Sie mit den jungen Menschen machen, ist an Unzuverlässigkeit kaum zu überbieten.
Was wir heute in der „Augsburger Zeitung“ über die Pläne zur Altersteilzeit lesen konnten, passt in dieses Bild. Die Altersteilzeit wird gewissermaßen im Jahresrhythmus geändert. Wie sagt der Volksmund dazu? – Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.
Sie versprechen den Beamtinnen und Beamten erst gar nicht mehr, dass die 42-Stunden-Woche zeitlich befristet ist. Das ist auch gut so. Das würde Ihnen ohnehin keiner mehr glauben.
Inzwischen ist mir auch klar, warum die CSU das Berufsbeamtentum so hochhält. Sie kann die Beamten wie Leibeigene halten, da diese keine Möglichkeit haben, sich zu wehren; und wenn sie es versuchen, wird ihnen vorsorglich Rechtsbruch vorgeworfen.
Hier werden nach meiner Einschätzung Allmachtsfantasien einer Zwei-Drittel-Mehrheitspartei ausgelebt.
In den Reaktionen der Staatsregierung und der CSU auf unser Pressegespräch in der letzten Woche lese ich beispielsweise, der Vorsitzende der Finanzgewerkschaft sei schlecht beraten, wenn er sich vor den parteipolitischen Karren der GRÜNEN spannen lasse. Das kann eigentlich
nur bedeuten, dass Sie in Ihrer ganzen Selbstgefälligkeit von den Beamtinnen und Beamten auch noch erwarten: Wenn sie schon gegen die 42-Stunden-Woche protestieren müssen, dann sollen sie das gefälligst an der Seite der CSU machen und nicht mit der Opposition.
Die Kommunen, die Bürgermeister wollten Sie in einem Aufwasch gleich mit vereinnahmen. Das ist aber gescheitert; denn diese können sich wehren und wehren sich Gott sei Dank auch
Deren Argumente stimmen. Natürlich bringt die Kündigung des Tarifvertrags so gut wie nichts. Die 42-StundenWoche gilt nur für Neueinstellungen, und diese werden angesichts der Haushaltslage praktisch nicht mehr vorgenommen. Ob Sie in den Tarifverhandlungen je eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden durchsetzen können, steht in den Sternen, und selbst wenn, würden Sie an anderer Stelle dafür zahlen müssen. Diese Kosten sind real und belasten die Haushalte der Kommunen.
Ein entscheidender Kritikpunkt der Kommunen lautet, hierdurch würden die laufenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die Flexibilisierung der Arbeitszeit und über leistungsorientierte Bezahlung, also über wirkliche Reformen, gestört. Während die Kommunen davon sprechen, dass man auf gutem Weg sei, bezeichnet die Staatsregierung die Verhandlungen als erfolglos. Vielleicht könnte die Staatsregierung, was das Verhandlungsgeschick anbelangt, etwas von den Kommunen lernen.
Frei nach dem Slogan der CSU „näher am Menschen“ sind die Bürgermeister deutlich näher an ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als die Staatsregierung an ihrer Ministerialbürokratie.
Während die Kommunen auf Verhandlungen setzen, kommt die Staatsregierung zum wiederholten Male nicht einmal der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungspflicht der Spitzenorganisationen nach, geschweige denn dass sie mit dem Ziel eines gemeinsam getragenen Ergebnisses eingehende Beratungen mit den Vertretern der Beamtenschaft sucht.
Nun versuchen Sie, jegliche Kritik an der Einführung der 42-Stunden-Woche als Besitzstandswahrung zu diskreditieren. Den Schuh ziehen wir uns nicht an, meine Damen und Herren.
Leitlinie aller Reformmaßnahmen ist für uns eine ergebnisorientierte und bürgerfreundliche Verwaltung. Eine Reform kann nur mit und nicht gegen die Beschäftigten in der Verwaltung erfolgreich sein. Wir müssen die Beschäftigten zu Beteiligten machen, nicht zu Betroffenen. Mit der Einführung der 42-Stunden-Woche lässt sich die öffentliche Verwaltung nicht verbessern, ganz im Gegenteil: Sie wird kontraproduktiv, weil dies die Mitarbeiter demotiviert. Wir brauchen aber motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Gestaltung einer modernen, bürgernahen und transparenten Verwaltung mittragen.
Eine internationale Vergleichsstudie des Instituts für Arbeit und Technik kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass lange Arbeitszeiten die Arbeitsproduktivität bremsen. Statt einer reinen zeitlichen Ausdehnung der Arbeitszeit sind unserer Meinung nach Maßnahmen erforderlich, die die Arbeitszeit der Beschäftigten im Interesse der Bürgerinnen und Bürger flexibler gestalten und effektiver nutzen.
Dazu gehören ein Personalmanagement, das die Mitarbeiter als wichtigste Ressource und nicht als größten Kostenfaktor versteht, eine Organisationsentwicklung mit flachen Hierarchien, großen Handlungsspielräumen und dezentralen Entscheidungsstrukturen. In Bayern ist das leider genau umgekehrt. Der Jahresbericht 2003 des Obersten Rechnungshofs kritisiert insbesondere die Kopflastigkeit der Ministerialverwaltung. 70 % aller Führungskräfte haben weniger als fünf Mitarbeiter, ein Drittel sogar weniger als drei. Nicht zuletzt gehört hierzu auch eine leistungsgerechte Bezahlung. Bei den Beamten haben Sie die zarten Ansätze in Form der Leistungsstufen und Leistungszulagen gerade wieder abgeschafft. Im Tarifbereich setzen Sie durch die Kündigung des Tarifvertrags durchaus Erfolg versprechende Verhandlungen aufs Spiel.