Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

(Günter Gabsteiger (CSU): Die waren cleverer!)

Das zeigt auf, wie wenig Interesse man daran hat, die Lebensbedingungen der Menschen durch die Erweiterung nicht zu verschlechtern, sondern zu steigern.

Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn sich die LKWs auf nicht ausgebauten Bundesstrassen zur Grenze quälen müssen? Was bedeutet das für die Menschen, die an dieser Straße leben?

Daher fordern wir Priorität für die dringend erforderlichen Verkehrsprojekte im ostbayerischen Grenzraum. Wir brauchen ein Programm „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“, wie wir das früher hatten.

(Beifall bei der CSU)

Die Versäumnisse und Fehler der Bundesregierung bei der Vorbereitung der Erweiterung sind für Bayern schon schlimm genug. Das Schlimmste aber ist: Die Bundesregierung hat die gravierenden Wettbewerbsschwächen Deutschlands nicht beseitigt. Seit Jahren gibt es kaum Wachstum – im letzten Jahr ein Minus-Wachstum. Die rotgrüne Politik hat Deutschland vom weltweiten Wachstumszug abgekoppelt. Sie können es heute wieder lesen, dass bei der OECD-, der Welt-, der Europaprognose Deutschland mit einem Wachstum von 1,1 % das Schlusslicht ist. Die Weltprognose liegt bei 3 bis 4 % und die Europaprognose bei 1,7 bis 1,8 %.

Seit Jahren steigt die Arbeitslosigkeit, und der April-Wert 2004 ist der Höchste seit der Wiedervereinigung. Seit Jahren gibt es immer neue Pleitenrekorde und immer drastischere Löcher in den öffentlichen Haushalten. Finanzminister Eichel und Bundeskanzler Schröder haben sich anscheinend damit abgefunden, den Stabilitätspakt – von Deutschland initiiert und einvernehmlich gestaltet – im Jahre 2005 zum vierten Male in Folge und entgegen allen Bekundungen von Finanzminister Eichel vor zwei Jahren zu verletzen.

Es gibt keine positive Perspektive für die notwenigen Reformen. Es regiert nicht die „ruhige Hand“, sondern die „chaotische Hand“. Viel schlechter kann man ein Land auf die neuen Herausforderungen der Zukunft nicht vorbereiten. In dieser schwierigen Lage muss Deutschland in einem international verschärften Wettbewerb bestehen.

In die Europäische Union treten zehn selbstbewusste Staaten. Alle diese Länder – das dürfen wir nicht vergessen – haben in einem Jahrzehnt ihr Land mit wirklich tief greifenden Reformen verändert. Sie sind technologie- und innovationsfreudig; sie sind zukunfts- und wettbewerbsorientiert.

Wer so wie die Bundesregierung die Erweiterung forciert – mit dem frühen und gleichzeitigen Beitritt aller zehn Staaten –, der hätte gleichzeitig im eigenen Land die notwendigen Strukturreformen vorantreiben müssen. Die Vorstellungen der CDU/CSU liegen vor: Arbeitsmarktreform, Sozialversicherungsreform und Steuerreform. Die Vereinfachung der Steuergesetze ist ein riesiges Problem. Unser kompliziertes Steuerrecht steht im Wettbewerb zum Beispiel zum vereinfachten Steuerverfahren in der Slowakei. Es ist eine slowakische Entscheidung, alle Aus

nahmen abzuschaffen und überall einen 19-prozentigen Steuersatz – Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Umsatzsteuer – einzuführen. In der Slowakei wurden wahrscheinlich die Hälfte oder drei Viertel des Personals der Steuerverwaltung nach Hause geschickt, weil vieles einfach und nicht mehr zu prüfen ist. Ob das richtig ist, müssen die Slowaken entscheiden. Wegen unseres komplizierten Steuerrechts sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig. Sie haben es fünf Jahre lang nicht geschafft, das Steuerrecht zu vereinfachen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Gegenfinanzierung!)

Das muss man Ihnen vorhalten.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, nach Gründung der Europäischen Gemeinschaften durch die Römischen Verträge 1957 und der Schaffung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht 1992 befinden wir uns zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut in einem grundlegenden Prozess der Umgestaltung Europas. Die Notwendigkeit des Wandels wird am besten mit drei Stichworten beschrieben: Osterweiterung, institutionelle Anpassung und europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Der geplante EU-Verfassungsvertrag ist dabei ein wichtiger Schritt zu einer handlungsfähigen, transparenten und demokratischen Gemeinschaft.

Im institutionellen Bereich enthält der Entwurf für einen Verfassungsvertrag insgesamt gute Vorschläge. Mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und einem europäischen Außenminister könnte die EU mehr Kontinuität und eine einheitliche Vertretung nach außen entfalten. Dies würde die EU stärken.

Mit der vorgesehenen Stärkung des Europäischen Parlaments durch Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens, voller haushaltsrechtlicher Mitentscheidung und der Wahl des Kommissionspräsidenten wird die demokratische Legitimation europäischer Gesetzgebung gestärkt. Eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips bedeutet das vorgesehene Frühwarnsystem und das Klagerecht nationaler Parlamente, also auch des Bundesrates. Der Verfassungsvertrag stärkt die europäische Integration und die Handlungsfähigkeit. Aber dieser Verfassungsvertrag hat natürlich, das lesen Sie jetzt auch immer wieder aus Dublin, nach wie vor Mängel. Die Bundesregierung hat es hier versäumt, elementare deutsche Interessen in die Verhandlungen einzubringen: Die Bundesregierung hat sich nicht für die Einstimmigkeit der EU bei der Zuwanderungs- und Asylpolitik eingesetzt: Dieses Thema ist für Deutschland anders als für Portugal oder Schweden oder Finnland von höchstem Interesse.

(Wolfgang Hoderlein (SPD): A’ geh!)

Über unsere Köpfe hinweg darf keinesfalls entschieden werden, wer nach Deutschland zuwandern darf und wer nicht.

(Beifall bei der CSU)

Die Bundesregierung hat sich nicht für die Festschreibung von Preisstabilität und Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in der Verfassung eingesetzt. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit klarstellen: Die Bayerische Staatsregierung und die sie tragende CSU werden eine Aufweichung der Stabilitätskriterien von Maastricht sicherlich nicht hinnehmen.

(Beifall bei der CSU – Christine Stahl (GRÜNE): Das ist doch lächerlich!)

Preisstabilität und Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank waren Voraussetzung für unsere Zustimmung zum Euro, auch für die Zustimmung zum Euro in der Bevölkerung, soweit sie vorhanden war. Statt den Stabilitätspakt zu bekämpfen, sollte die Bundesregierung lieber lernen, wie man mit Geld umgeht.

(Beifall bei der CSU)

Damit wäre den Menschen mehr gedient. Um die unverantwortliche Schuldenpolitik zu rechtfertigen – wir werden das ja morgen auf den Tisch gelegt bekommen –, schreckt Herr Müntefering jetzt auch vor einem dreisten Anschlag auf den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht zurück. Der Satz von Müntefering, Europa solle sich entscheiden zwischen Einhaltung des Stabilitätspakts und Ausgaben für Innovationen,

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

stellt die europäischen Vertragsgrundlagen und die Stabilität des Euro grundsätzlich zur Disposition.

(Beifall bei der CSU)

Im Übrigen ist das auch nicht gemeinschaftsfördernd. Die Verschuldenspolitik hat für das Schuldenland den aktuellen Vorteil, dass man keine Reformen machen muss, die Nachteile tragen aber alle elf, zwölf Mitgliedstaaten im Währungspakt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, so kann man nicht miteinander umgehen. Und deswegen sage ich hier auch: Das ist außerordentlich verhängnisvoll.

Die Position meiner Regierung in Bayern ist eine grundsätzlich andere. Wir haben mit dem Sparhaushalt für dieses Jahr Vorsorge für unser Land getroffen. Während die Regierung in Berlin vor milliardenschweren Finanzlöchern mit immer höheren Schulden steht, ist der Haushalt in Bayern verlässlich. Wir müssen in diesem Jahr keinen Euro mehr neue Schulden aufnehmen, weil wir mit unserem Sparkurs, dem Sparkurs der CSU-Fraktion und der Staatsregierung, vorgesorgt haben. Das ist nachhaltige Politik.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

In Berlin hingegen ist das wirklich chaotisch.

Die Bundesregierung hat sich bedauerlicherweise auch nicht für den Gottesbezug in der Präambel des EU-Verfas

sungsvertrags eingesetzt. Wir haben immer dafür gekämpft, dass das, was in der Präambel des Grundgesetzes steht, auch in die Präambel der EU-Verfassung aufgenommen wird. Ich hoffe, dass wir noch „Mitstreiter“ finden. Denn das gleiche Ziel wird von acht oder neun anderen Staaten massiv gefordert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss sich einmal anschauen, was die anderen Staaten fordern. Um noch einmal auf die Einstimmigkeit bei der Zuwanderung zurückzukommen: Das ist eine Hauptforderung von Tony Blair. Ich kann nur sagen: Hoffentlich setzt sich Tony Blair da durch. Ich bin davon fest überzeugt, dass er sich durchsetzen wird – denn wenn er sich nicht durchsetzt, kann er sein Referendum in England gleich abschreiben.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, hier haben wir, glaube ich, einen echten Verbündeten.

Die Bundesregierung hat nicht verhindert, dass die Zuständigkeit für die Daseinsvorsorge den Städten und Gemeinden entzogen und auf die EU übertragen wird. Da klagen die SPD-Oberbürgermeister mit Recht. Wir tun alles, was wir können, aber wir sitzen nicht am Verhandlungstisch. Sie müssen Ihre Kritik dahin richten, wo es angebracht ist. Meine Damen und Herren, wir hoffen, dass die Österreicher hier in den Schlussverhandlungen noch etwas mehr erreichen, weil die Österreicher unserer Meinung sind. Wir müssen uns mehr auf die Österreicher verlassen als auf die eigene Bundesregierung; das ist schon ein Trauerspiel!

(Zustimmung bei der CSU)

Wir wollen politische Gestaltungsspielräume und das kommunale Selbstverwaltungsrecht für öffentliche Dienstleistungen stärken. Gerade so sensible Bereiche wie die Trinkwasserversorgung oder die Abwasserentsorgung müssen in bewährter kommunaler Verantwortung bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CSU)

Die Bundesregierung hat das alles unterlassen mit dem Hinweis, der Entwurf der Verfassung dürfe nicht aufgeschnürt werden. Die meisten anderen Mitgliedstaaten haben ihre Positionen eingebracht und haben ihr Interesse wahrgenommen. Wir müssen heute darauf hoffen, wie ich es schon angeführt habe, dass andere Regierungen in Europa, vor allem die von Wolfgang Schüssel und Tony Blair, Veränderungen durchsetzen, die wir auch für unser Land als wichtig erachten. Spätestens seit den Vorstößen von Tony Blair und dem französischen Superminister, Finanz- und Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy, stellt sich natürlich die Frage eines Volksentscheids zum Verfassungsvertrag.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Jetzt auf einmal?)

Ich bin der Meinung: Der Verfassungsvertrag ist eine elementare Entscheidung für unsere Zukunft und stellt daher

sicherlich einen singulären Fall dar. Deswegen sollte die Bundesregierung für eine Diskussion offen sein, dass die Staats- und Regierungschefs beim Abschluss des Verfassungsvertrags vereinbaren, zeitgleich in allen Mitgliedstaaten Referenden durchzuführen. Wenn die Völker Europas über die Europäische Verfassung entscheiden, dann ist das eine große Chance, das Thema Europa viel näher an die Bürger heranzubringen. Ich persönlich halte es seit langem für dringend notwendig, europäische Fragen viel mehr zum Thema der Bürger zu machen. Wenn das Referendum zeitgleich in allen Mitgliedsländern stattfindet, dann wird es auch mit Sicherheit nicht von nationalen Fragen überlagert werden, was im Einzelfall natürlich immer der Fall sein kann.

Der historische Erweiterungsschritt vom 1. Mai 2004 um jetzt zehn und bald sogar 13 Staaten ist in keiner Weise mit früheren Erweiterungen vergleichbar. Die Handlungsfähigkeit im vergrößerten Rat und in der Kommission verschlechtert sich natürlich. Der nötige Konsens wird schwieriger. Die bisherigen EU-Subventionen können nicht einfach auf die Beitrittsstaaten ausgedehnt werden. Das erfordert drei grundlegende Weichenstellungen:

Erstens. Um eine größere Union regierbar zu halten, muss sich Europa künftig auf die Kernaufgaben beschränken: auf eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, auf die Vollendung und Sicherung des Binnenmarktes, auf eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der inneren Sicherheit und auf die grenzüberschreitende Dimension der Umwelt- und Infrastrukturpolitik. Auch nach dem Verfassungsvertrag bleibt hier entscheidender Reformbedarf. Für ihre Zukunft wird entscheidend sein, ob diese Konzentration auf die Kernaufgaben auch gelingt.

Deswegen, meine Damen und Herren, zweitens: Nur mit einer Konzentration der Aufgaben kann die erweitere Europäische Union auch finanzierbar bleiben. Die meisten Beitrittsländer erreichen in ihrer Wirtschaftskraft nicht einmal die Hälfte des EU-Durchschnitts. Das bedeutet: Die Beitrittsstaaten werden lange Zeit Nettoempfänger bleiben, also mehr Geld erhalten, als sie in den europäischen Haushalt einzahlen. Zugleich haben aber die bisherigen Nettozahler der Europäischen Union, Deutschland im Besonderen, die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung und die unzureichenden Strukturreformen insbesondere in Deutschland erfordern auch einen immer schärferen Sparkurs.

Wir wollen die Beitrittsländer solidarisch unterstützen. Die Solidarleistung an die zehn neuen Mitglieder kann aber nicht mehr durch eine schlichte Erhöhung des EU-Haushaltes finanziert werden. Unerlässlich sind Umschichtungen und Einsparungen auch innerhalb der Union. Das heißt: Die Europäische Union steht vor bisher nicht gekannten Sparzwängen.

Leider hat die Kommission diese Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die von der Europäischen Kommission geplante starke Ausweitung der EU-Ausgaben von derzeit 100 Milliarden Euro jährlich auf 143 Milliarden Euro im Jahre 2013 ist den bis an die Grenzen belasteten Nettozahlern nicht mehr zumutbar. Wir unterstützen daher die Position und

die Forderung der Bundesregierung nach Begrenzung des EU-Haushaltes auf 1 % des Bruttonationaleinkommens der Europäischen Union. Ich vermisse aber Vorschläge der Bundesregierung, wie sie dies sicherstellen will. In der Regierungskonferenz hat die Bundesregierung keine Anstrengungen unternommen, die Aufgaben der Europäischen Union auf das Wesentliche zu konzentrieren oder die kostenträchtigen EU-Politikbereiche zu reformieren.