die Forderung der Bundesregierung nach Begrenzung des EU-Haushaltes auf 1 % des Bruttonationaleinkommens der Europäischen Union. Ich vermisse aber Vorschläge der Bundesregierung, wie sie dies sicherstellen will. In der Regierungskonferenz hat die Bundesregierung keine Anstrengungen unternommen, die Aufgaben der Europäischen Union auf das Wesentliche zu konzentrieren oder die kostenträchtigen EU-Politikbereiche zu reformieren.
Drittens. Die „Subventionsgemeinschaft“ EU kann in ihrem bisherigen Umfang nicht fortgeführt werden. Die deutlich gesunkene Pro-Kopf-Wirtschaftskraft der Europäischen Union lässt Umverteilung im alten Stil nicht mehr zu. Deshalb hätte die Bundesregierung die sehr kostenträchtige Strukturpolitik unbedingt vor der Erweiterung reformieren müssen. Nach der Erweiterung um zehn neue Mitglieder wird das viel schwieriger. EU-Fördermittel müssen auf die strukturschwächsten Regionen der EU konzentriert und beschränkt werden. Eine Förderung mit der Gießkanne können wir uns nicht mehr leisten.
Natürlich wird dies zu Verschiebungen führen. Beispielsweise kann Irland, mittlerweile weit über die durchschnittliche EU-Wirtschaftskraft hinausgekommen, künftig keine Höchstförderung mehr bekommen, andere Mitgliedstaaten, die sich gut entwickelt haben, sehr viel weniger. Diese frei werdenden Mittel müssen zur Förderung der vergleichsweise schwächeren Länder eingesetzt werden. Das heißt: Hier muss es einen Umverteilungsprozess geben, nicht einen Draufsattel-Prozess.
Zudem muss der Eigenanteil der geförderten Mitgliedstaaten und Unternehmen deutlich erhöht werden. Eine solche höhere so genannte Kofinanzierung würde zur Konsolidierung des EU-Haushaltes beitragen und Mitnahmeeffekte verhindern. Im Gegensatz zur Mittelkonzentration auf europäischer Ebene sollte der strukturpolitische Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten und der Regionen, also auch Bayerns erweitert werden.
Damit die EU-Agrarpolitik auch in Zukunft finanzierbar bleibt, halte ich es zudem für unverzichtbar, das Finanzierungssystem der EU-Direktzahlungen zu reformieren. Auch hier bräuchten wir das Instrument der nationalen Kofinanzierung. Damit könnten die Mittel für die deutsche Landwirtschaft gesichert und zugleich die deutsche Nettozahlerposition verbessert werden. Auch hier, meine Damen und Herren, ist es dem Bundeskanzler leider nicht gelungen, im Jahre 2000 bei der Agenda 2006 oder bei der EU-Agrarreform des Jahres 2003 die Kofinanzierung durchzusetzen. Trotzdem fordere ich dazu auf, dies umzusetzen; denn ohne Mittel der Kofinanzierung der nationalen Länder wird die Agrarpolitik auf Dauer so nicht finanzierbar sein. Die Polen, die Tschechen, die Esten müssen natürlich auch eigene Mittel einsetzen, um europäische Mittel zu bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das müssen wir erreichen, sonst schaffen wir die Finanzierung nicht.
Meine Damen, meine Herren, viele Menschen fragen sich bei aller positiver Einstellung gegenwärtig auch besorgt,
ob die Europäische Union weitere rasche Beitritte verkraften kann, ohne an Substanz zu verlieren. Nach der Erweiterung um zehn Staaten stehen mit Bulgarien, Rumänien und Kroatien bereits drei weitere Beitrittskandidaten in diesem Jahrzehnt, im Jahre 2007 vor der Tür.
Ich sage ganz offen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Europa braucht auch Grenzen. Bevor über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entschieden wird, muss die Europäische Union ihr Selbstverständnis klären: Wo liegen die geographischen, wo liegen die politischen und wo liegen die kulturellen Grenzen Europas? Welche Grenzen setzen die Identität Europas und die Integration der Gemeinschaft? Meine Damen und Herren, diese Fragen werden in der Bevölkerung zutiefst diskutiert. Wir müssen diese politische Diskussion in aller Fairness führen.
Die Türkei ist einer unserer wichtigsten Partner. Sie ist mit der EU bereits über Assoziationsabkommen verbunden. Wir haben viele türkische Mitbürger in Deutschland und in Bayern. Sie sind eine Brücke in die Türkei. Die Türkei kann für die EU und für Deutschland auch eine Brücke zu anderen islamischen Ländern sein. Wir stehen mit der Türkei in einer engen Sicherheitspartnerschaft in der Nato. Aus all diesen Gründen wollen wir gute Beziehungen und Freundschaft mit der Türkei. Wir begrüßen deshalb die in der Türkei eingeleiteten politischen und wirtschaftlichen Reformen.
Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Die Türkei ist ein Freund und Partner Europas. Wir treten ein für eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei, aber nicht für eine Vollmitgliedschaft innerhalb der Europäischen Union, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht; denn in der Zwischenzeit hat sich Superminister Nicolas Sarkozy in der gleichen Weise geäußert, was mich sehr freut, und französische Regierungspolitik definiert, indem er sagt: Das ist der richtige Weg. Wenn die französische Position die gleiche wie jene der CDU/CSU wird, dann, glaube ich, werden wir uns auch letzten Endes in diesem Punkte durchsetzen können. Deswegen ist es auch wichtig, auf die französischen Freunde einzuwirken.
Die Bundesregierung macht heute bereits deutlich, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen zu wollen.
Beitrittsverhandlungen haben noch immer zum Beitritt geführt. Sie entwickeln eine Eigendynamik. Beitrittsverhandlungen zu beginnen, wenn ein Beitritt lange Zeit unrealistisch ist – dies wäre den Bürgern gegenüber, aber auch der Türkei gegenüber außerordentlich unredlich. Ich weiß natürlich: In der Vergangenheit sind gegenüber der Türkei Erwartungen auf einen Beitritt geweckt worden. Heute
Ich sage auch: Diese Erwartungen sind in erster Linie geweckt worden, als wir noch eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft waren und nicht eine Europäische Politische Union werden wollten oder die Chance hatten, diese zu werden.
Meine Damen, meine Herren, eine Vollmitgliedschaft der Türkei würde die Integrationskraft der Europäischen Union weit überfordern und die Gefahr einer Rückentwicklung der Europäischen Union in eine Freihandelszone in sich bergen. Dieser Schritt wäre das Ende der Vision einer Politischen Europäischen Union. Deshalb sollten wir die Warnung des großen Europäers Valéry Giscard d`Estaing nicht auf die leichte Schulter nehmen, der sagt: Ein Beitritt der Türkei wäre das Ende der Europäischen Union.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist auch die Meinung eines großen Teiles unserer Bevölkerung. Deswegen werden wir dieses Thema auch im Interesse unserer Bevölkerung hier immer wieder in dieser Weise vortragen.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen, meine Herren, die Erweiterung ist ein wichtiger Schritt zur Vollendung der Europäischen Union. Wir wollen sie zu einem Erfolg machen. Hierzu sind aber zwei Voraussetzungen notwendig: Erstens. Konzentration auf Kernaufgaben der Europäischen Union. Nur so wird die Europäische Union auch finanzierbar und regierbar bleiben. Zweitens. Die Europäische Union braucht Grenzen, wie ich gerade gesagt habe. Wer sie wirklich will, darf sie nicht überdehnen. Deshalb brauchen wir jetzt Zeit für die Konsolidierung und Integration der neuen zehn bzw. zwölf oder dreizehn Mitgliedstaaten. Wir dürfen die Menschen auch im Interesse der Kraft der Europäischen Union nicht überfordern. Wir sind gegenwärtig aber durchaus dabei, die Menschen mit weiteren Forderungen und mit weiteren Beitritten zu überfordern. Das dürfen wir nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Bayerische Staatsregierung wird diese weitere Entwicklung des neuen Europa konstruktiv und engagiert begleiten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treten für ein starkes Bayern in Europa ein und brauchen ein starkes und stabiles Europa als Partner in der Welt. Lassen Sie uns für Bayern in Europa arbeiten!
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich einen organisatorischen Hinweis geben. Nach diesem Tagesordnungspunkt wird die Sitzung für eine Stunde unterbrochen und nicht – wie das ursprünglich geplant war – für
eine halbe Stunde. Die CSU wird in dieser Zeit eine Fraktionssitzung durchführen. Alle Fraktionen sind damit einverstanden. Im Anschluss daran werden die Dringlichkeitsanträge und eine Eingabe aufgerufen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union und ihre Erweiterung, die am 1. Mai dieses Jahres stattgefunden hat, ist das größte Friedensprojekt, das die Politik in den letzten hundert Jahren auf unserem Kontinent in Gang gesetzt hat.
Ich möchte mit einer persönlichen Vorbemerkung beginnen: Mein Vater war noch mit Gewehr und Artilleriegeschütz in Frankreich und in Polen. Ihm wurde in der Schule noch beigebracht, dass Deutschland und Frankreich Erbfeinde seien, denen man nur mit Waffengewalt begegnen könne. Er war 30 Jahre alt, ehe er nach Arbeitsdienst, Krieg und russischer Gefangenschaft nach Deutschland in seine bayerische Heimat zurückkehren konnte. Nur eine einzige Generation später haben wir das Glück, in eine Zeit des Friedens und des wirtschaftlichen Aufschwungs hineingeboren worden zu sein. Meine Generation genießt das Glück und das Privileg, in einer Zeit jahrzehntelang andauernden Friedens leben und arbeiten zu dürfen.
Darüber bin ich nicht nur glücklich, ich empfinde dafür auch etwas, worüber wir viel zu wenig sprechen, nämlich Dankbarkeit. Ich empfinde Dankbarkeit all denjenigen gegenüber, die dieses gewaltige Friedensprojekt getragen, immer wieder neu belebt und schließlich durchgesetzt haben. Dazu gehören viele junge Menschen, die sich für Europa im deutsch-französischen Jugendwerk, in
deutsch-tschechischen und deutsch-polnischen Aussöhnungsprojekten engagiert haben. Dazu gehörten vor allem die Völker Mittel- und Osteuropas und der neuen EU-Mitgliedstaaten Polen, Tschechien und Ungarn, die ihre Freiheitsliebe in den Jahrzehnten kommunistischer Diktatur niemals aufgegeben haben. Wir freuen uns alle gemeinsam, dass die diplomatischen Vertreter dieser neuen Mitgliedstaaten heute als Gäste im Maximilianeum sind und dieser Debatte zuhören. Ich heiße Sie im Namen des ganzen Hauses herzlich willkommen.
Zu den Personen, denen wir Europa verdanken, gehören auch viele Visionäre und Realpolitiker, die immer wieder unser heutiges Europa vorgedacht und vorangebracht haben, allen voran Willy Brandt und seine Ostpolitik, die seinerzeit von vielen verspottet, verhöhnt und im innenpolitischen Meinungskampf angegriffen worden ist. Diese Ostpolitik der Sozialdemokraten war eine zentrale Voraussetzung für die beginnende Aussöhnung zwischen Ost und West, über den Eisernen Vorhang hinweg.
Ich empfinde übrigens auch gegenüber unserer Bundesregierung und Bundeskanzler Gerhard Schröder Dankbarkeit dafür, dass er sich strikt geweigert hat, Deutschland in den Krieg gegen den Irak hineinzuziehen.
Ich hätte dieses Thema heute ausgespart. Aber die Heuchelei, mit der Herr Dr. Stoiber den Krieg im Irak heute angesprochen hat, bedarf schon einer deutlichen Kommentierung.
Herr Ministerpräsident, wir alle sind beschämt und empört über die Bilder, Fotos und Videos, die wir sehen müssen und die schreckliche Misshandlungen zeigen, die von einigen wenigen amerikanischen und britischen Soldaten an ihren irakischen Gefangenen verübt wurden. Das waren einzelne Soldaten, das ist richtig. Aber das ist eben auch der Alltag des Krieges. Das hat uns alle schockiert. Umso glücklicher müssen wir darüber sein, dass wir uns dem Drängen, vor allem Ihrem Drängen, widersetzt haben, ebenfalls Truppen in den Irak zu entsenden. Wie glücklich müssen wir darüber sein!
Ich weiß, Sie hören es nicht gern, aber es ist die historische Wahrheit. Die Zuschauerinnen und Zuschauer dieser Debatte erinnern sich noch ganz genau daran, wie es war. Das ist die Wahrheit. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte sich Deutschland an der Seite von Bush und Blair und ihren Freunden Aznar und Berlusconi an diesem unnötigen Krieg beteiligt.
Ohne Bundeskanzler Schröder hätte es die in dieser Frage wichtige Achse Chirac-Schröder-Putin nie gegeben. Das ist die historische Wahrheit, auch wenn Sie sie nicht gerne hören. Herr Ministerpräsident, heute fordern Sie – ich habe das aufmerksam zur Kenntnis genommen – eine stärkere Verantwortung der Vereinten Nationen. Das hätten Sie lieber im letzten Jahr tun sollen.
Damals ging es um die Frage, wer auf diesem Globus über die Frage von Krieg und Frieden entscheiden darf, die Vereinten Nationen oder eine einzige Militärmacht allein. Das war die entscheidende Frage.