Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

Damals ging es um die Frage, wer auf diesem Globus über die Frage von Krieg und Frieden entscheiden darf, die Vereinten Nationen oder eine einzige Militärmacht allein. Das war die entscheidende Frage.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist auch exakt der Unterschied in unserer Außenpolitik. Wir sind der Auffassung, dass es nur die Vereinten Nationen sein dürfen, die über Fragen von Krieg und Frieden entscheiden, und niemals eine Militärmacht allein, sei sie auch noch so stark. Dieser Grundsatz leitet unsere Politik, aber leider nicht die Ihre.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mit dem Eintritt unserer neuen Nachbarn – insgesamt zehn Staaten – in das gemeinsame europäische Haus haben wir uns einen Traum erfüllt, der jetzt zu unserer großen politischen Zukunftschance werden muss und werden wird. Dies gilt auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Bei allen Sorgen und Ängsten, die es angesichts der EU-Erweiterung berechtigterweise gibt, stehen für uns die Chancen deutlich im Vordergrund.

Alle ernstzunehmenden Prognosen sagen uns voraus, dass Deutschland und gerade auch Bayern zu den wirtschaftlichen Gewinnern Europas und der europäischen Erweiterung gehören werden. Die ökonomischen Effekte der Ausdehnung sind von großer Bedeutung. Ost-/ Mitteleuropa ist ein echter Wachstumsmarkt für die westliche Welt. Die rasanten wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen haben die mittel- und osteuropäischen Länder inzwischen zu attraktiven Wirtschaftspartnern werden lassen, die nicht nur für unsere exportorientierte Wirtschaft von größter Bedeutung sind. Die deutschen und vor allem die bayerischen Exporte in die zehn neuen Länder haben sich im vergangenen Jahrzehnt vervierfacht. Diese positive Entwicklung wird sich fortsetzen.

Um eine ganze Reihe negativer Auswirkungen auf unsere Arbeitsmärkte zu vermeiden, haben die deutsche und die österreichische Bundesregierung über zusätzliche Übergangsbestimmungen und Schutzklauseln für die bisherigen Mitgliedstaaten verhandelt und sie auch durchsetzen können. Diese Regelungen sollen für sieben Jahre gelten und betreffen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die grenzüberschreitenden Dienstleistungen und den grenzüberschreitenden Güterverkehr. Mit klaren und langfristigen Übergangsregelungen haben wir auch unsere Landwirtschaft geschützt. Die Angst mancher Landwirte vor der Überflutung unserer Märkte mit billigeren und schlechteren Produkten aus den Beitrittsländern ist deshalb unbegründet. Man sollte diese Angst auch nicht weiter schüren.

Dass es diese Schutzklauseln und Übergangsbestimmungen gibt, ist der alleinige Erfolg der deutschen Europapolitik und unserer Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Sie schmücken sich mit diesem Erfolg; in Wahrheit aber haben Sie überhaupt nichts zum Gelingen dieser Übergangsbestimmungen beigetragen.

(Beifall bei der SPD)

Immer wieder fordern Sie eine Mindestbesteuerung in Europa. Das klingt gut. Wir könnten sie vielleicht sogar haben, wenn nicht Sie immer wieder gegen den Brüsseler Zentralismus und die europäische Fremdbestimmung in der Steuerpolitik gekämpft und gewettert hätten.

(Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser: Das ist doch Quatsch!)

Sie haben sich doch gegen eine stärkere Harmonisierung in der europäischen Steuerpolitik mit dem Hinweis auf nationale Souveränitätsrechte gewehrt. Deshalb kam es

im gleichgelagerten Fall Irland mit höchsten Fördersätzen und niedrigsten Unternehmenssteuern in Europa genau zum gleichen Problem, wie wir es heute in Tschechien wieder erleben. Während Ihrer Regierungszeit war es genauso. Irland konnte die niedrigsten Steuern verlangen und festsetzen, gleichzeitig war es aber das Höchstfördergebiet der Europäischen Union. Auch hier bitte ich Sie um mehr Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Nun soll für das gemeinsame Europa gewissermaßen als krönender Abschluss eine gemeinsame europäische Verfassung beschlossen werden. Damit wäre auch eine gemeinsame Wertegrundlage gefunden, auf der sich die Völker der Europäischen Union verständigen könnten. Der vorliegende Entwurf, den der Verfassungskonvent dazu vorgelegt und verabschiedet hat, ist, wie ich finde, ein guter Kompromiss. Er kann mit Sicherheit weitestgehend unsere Zustimmung finden. Dass ein Text, in dem sich 25 Nationen wiederfinden müssen, nicht in jedem Punkt und Komma alle bayerischen Ansichten und Belange zu hundert Prozent widerspiegeln kann, liegt in der Natur der Sache. Wer den Menschen vormacht, es könnte in einer europäischen Verfassung Wort für Wort ausschließlich das stehen, was der Bayerische Ministerpräsident für richtig hält, belügt die Menschen, täuscht die Öffentlichkeit und ist im Grunde genommen nur ein Wichtigtuer, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Freuen wir uns darüber, dass dieser europäische Verfassungsentwurf ein gewaltiger Fortschritt ist gegenüber dem, was wir heute haben.

Absurd ist der Vorwurf, den ich eben vernommen habe: Die europäische Verfassung würde die kommunale Daseinsvorsorge in Deutschland zerstören. Gefahr droht vielmehr von den Privatisierungs- und Liberalisierungsfanatikern in der Europäischen Kommission und im Europäischen Parlament. Das stimmt. Gerade dort sind es aber ausgerechnet die konservative und die liberale Fraktion im Europäischen Parlament, die immer neue Privatisierungsorgien bei bisher öffentlichen Dienstleistungen feiern, statt dafür zu kämpfen, dass beispielsweise kommunale Sparkassen und unsere bewährte Trinkwasserversorgung in öffentlicher Verantwortung bleiben können.

(Beifall bei der SPD)

Erst jüngst gab es im Europäischen Parlament eine Abstimmung zur Trinkwasserversorgung. Ausschließlich die sozialdemokratische Fraktion hat im Gegensatz zu den Fraktionen der europäischen Volkspartei und der konservativen Parteien im Europäischen Parlament die Position bestätigt und geschlossen getragen, die Sie hier – zu Recht – vertreten haben.

(Beifall bei der SPD)

Die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament ist am Ende immer die einzige, die konsequent für die Erhaltung der kommunalen Daseinsvorsorge eintritt.

(Lachen bei der CSU)

Deshalb muss sie bei den Europawahlen auch gestärkt werden.

(Beifall bei der SPD)

Nun höre ich, dass der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende eine Volksabstimmung über die europäische Verfassung fordert. Hoppla! Das ist doch eine Überraschung.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Man möchte es gar nicht glauben!)

Wir bayerischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind begeisterte Anhänger von Volksbegehren und Volksentscheiden. Gegen den Widerstand der CSU haben wir viele Volksentscheide in Bayern erfolgreich durchgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Gegen den Widerstand der CSU haben wir zudem Volksentscheide auf kommunaler Ebene in Form von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Städten und Gemeinden durchgesetzt. Jeden Fortschritt in der Volksdemokratie, den wir in Bayern Gott sei Dank erreichen konnten, mussten wir gegen Ihren Widerstand durchsetzen. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es stimmt, ein Volksentscheid zur europäischen Verfassung wäre das beste und sichtbarste Zeichen der Zustimmung unserer Bevölkerung zu diesem Europa. Damit haben Sie Recht. Sie verschweigen aber, warum wir nach Lage der Dinge in Deutschland leider nicht die rechtliche Möglichkeit haben, eine solche Volksabstimmung tatsächlich durchzuführen. Leider ist es nämlich bislang trotz mehrfacher Anläufe im Deutschen Bundestag niemals gelungen, direkte Demokratie im Grundgesetz und damit die Möglichkeit von Volksentscheiden in der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Immer sind alle Anläufe dazu an Ihrem Widerstand im Bundestag gescheitert.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Purer Populismus!)

Zuletzt haben SPD und GRÜNE am 13. März 2002 – also erst vor zwei Jahren – einen neuerlichen Anlauf gemacht und einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht mit dem Ziel, Volksabstimmungen in Deutschland rechtlich zuzulassen und zu ermöglichen. Ich erspare es mir, die Argumente Ihrer Berichterstatter im Einzelnen Vorzutragen. Ihre Berichterstatter – Herr Scholz von der CDU und Herr Geis von der CSU – haben lang und breit erklärt, warum Volksabstimmungen schädlich seien und warum die Unionsparteien keine Volksentscheide in Deutschland haben wollen.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Joachim Wahnschaffe (SPD): Das wollen sie aber nicht hören, darum sind sie heute nicht hier!)

Deswegen widerspricht Ihr Vorschlag, Volksentscheide zur EU-Verfassung durchzuführen, leider hundertprozentig Ihrer bisherigen politischen Praxis. Er stellt sich als reine Propaganda heraus.

(Beifall bei der SPD)

Weil Sie davon ablenken wollten, dass Sie Volksentscheide nie haben wollten, schlagen Sie nun ein Referendum auf europäischer Ebene vor.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist sehr gut!)

Dabei verschweigen Sie aber wieder, dass genau dieser Vorschlag von Ihrer eigenen Fraktion im Deutschen Bundestag strikt abgelehnt wird. Ich lese Ihnen einmal vor, was der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Norbert Röttgen, zu Ihrem Vorschlag zu sagen hat. Ich zitiere:

In einem solchen Akt plebiszitärer Verfassungsgesetzgebung, einer einheitlichen Volksabstimmung in den Mitgliedstaaten Europas, würden sich die Bevölkerungen der Mitgliedstaaten als europäisches Staatsvolk konstituieren und damit den europäischen Staat kreieren.

Er zieht daraus das Fazit, ich zitiere erneut wörtlich:

Politisch bedeutete dies die Einbuße staatlicher nationaler Souveränität. Das kann niemand ernsthaft wollen.

Das ist die Wertung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu dem Vorschlag, den Sie hier wieder vollmundig begründen.

(Beifall bei der SPD – Joachim Wahnschaffe (SPD): Und hier etwas anderes erzählen! Pure Heuchelei!)

Das ist wirklich zu viel des Guten, Herr Ministerpräsident. Im Übrigen wäre ich aber sicher, dass unsere deutsche Bevölkerung dem EU-Vertrag zustimmen würde – und das, obwohl natürlich große Sorgen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung bestehen, auf die ich eingehen will, weil wir sie ernst nehmen und politische Antworten darauf finden müssen.

Besonders im bayerischen Grenzland machen sich die Menschen Sorgen um ihre Arbeitsplätze und um ihre wirtschaftliche Zukunft. Zum einen liegt das daran, dass entlang der bayerisch-tschechischen Grenze das Fördergefälle am deutlichsten zu spüren ist. Oft bestehen nur wenige Kilometer entfernt völlig andere wirtschaftliche Voraussetzungen, niedrige Löhne und niedrige Steuern. Das ist wahr. Zum anderen aber entspringen die Sorgen der Menschen der schlechten Vorbereitung ihrer Regionen durch

die Politik der Bayerischen Staatsregierung. Das ist ebenso wahr.

(Henry Schramm (CSU): Was macht die Bundesregierung?)