Die Menschen im Grenzland merken nämlich, Herr Kollege, dass ihre Infrastruktur mangelhaft ist, dass sie nicht fit gemacht und vorbereitet wurden, um die Zukunft zu bestehen. Jetzt rächt es sich, dass Sie unser Grenzland jahrelang systematisch benachteiligt haben.
Statt die Probleme, die wir seit Jahren kennen, tatkräftig anzugehen, haben Sie sich mit Ihrem Geschwafel von Aufsteigerregionen geradezu besoffen geredet.
Herr Huber, überall in Bayern haben wir nur Aufsteigerregionen: Oberfranken – Aufsteigerregion, Niederbayern – Aufsteigerregion, Oberpfalz – Aufsteigerregion. Jetzt stellen Sie sich hin und sagen: Das ist alles ganz schwierig. Sie haben alles schwierig gemacht, weil Sie Ihrer eigenen Propaganda erlegen sind.
Mit der Propagandaformel der Aufsteigerregion haben Sie versucht, Ihr Versagen und Ihre Defizite zu kaschieren. Sie haben unsere Landesteile, die an Tschechien angrenzen, denkbar schlecht auf die EU-Erweiterung und die neue Zeit vorbereitet. Die drei Grenzregionen Bayerns, Oberfranken, die Oberpfalz und Niederbayern haben zusammen in Bayern die höchste Arbeitslosigkeit – weit über dem Landesdurchschnitt –, das niedrigste Bruttosozialprodukt pro Kopf, die schlechteste Lehrstellenbilanz in ganz Bayern, die geringste Investitionsquote, den geringsten Anteil an Hochtechnologie und die niedrigsten Schulabschlüsse. Von den Privatisierungserlösen, die Sie zu verteilen hatten, haben sie auch am wenigsten bekommen.
Wie kommt es denn, dass wir ausgerechnet in Niederbayern die schlechtesten Schulabschlüsse in ganz Bayern haben? Wir haben dort die niedrigste Abiturentenquote. Von denjenigen, die für das Gymnasium geeignet sind, treten in Niederbayern die wenigsten an ein Gymnasium über.
Auf dem Ausbildungsstellenmarkt setzt es sich doch fort: Die schlechteste Ausbildungsplatzbilanz haben wir ausgerechnet in den Regionen, die jetzt den Herausforderungen der europäischen Erweiterung gewachsen sein müssen.
Wie ist denn die Ausbildungsbilanz heuer in Bayern? In Niederbayern haben wir heuer 14,6 % weniger Ausbildungsplätze als im Vorjahr. In der Oberpfalz sind es sogar 17,7 % weniger Ausbildungsplätze für die jungen Menschen als im Vorjahr. Sie wissen doch selbst, wie es um die Grenzregionen bestellt ist.
Im Konjunkturbericht Bayern für April 2004 weisen Sie die Arbeitsmarktstatistik und die Arbeitslosenzahlen aus. Schauen Sie sich die Zahlen doch dort an, wo es im wahrsten Sinne des Wortes schwarz ist. In den Grenzregionen ist die Arbeitslosigkeit am höchsten. Das ist die denkbar schlechteste Voraussetzung für die Erweiterung der Europäischen Union.
Schuld an dieser tatsächlich schlechten Ausgangslage in unseren Grenzregionen sind nicht Berlin oder Brüssel. Sie ist einzig und allein das Ergebnis der verfehlten Regional- und Strukturpolitik der Bayerischen Staatsregierung.
Man kann Argumente für eine Stärkung der Wachstumsregionen und der Wirtschaftszentren in München oder in Regensburg oder anderswo finden. Dann muss man aber auch ehrlich bekennen, dass man die Grenzregionen bewusst hintangestellt hat, und darf nicht versuchen, den Schwarzen Peter dafür nach Berlin oder nach Brüssel weiterzureichen.
(Beifall bei der SPD – Christian Meißner (CSU): Sie müssten sich selbst reden hören! – Marianne Schieder (SPD): Sie sollten zuhören!)
Wir dürfen und wollen unsere Grenzregionen jetzt nicht im Stich lassen. Wir haben deshalb in einem umfangreichen Antragspaket entsprechende Forderungen gestellt, um in unseren Grenzregionen gezielte Förderungen zu ermöglichen und einen eigenen Förderstatus Grenzland in der laufenden Förderperiode bis 2006 und dann in der Periode 2007 bis 2013 zu erhalten.
Eine weitere Sorge bereitet das zunehmende Verkehrsaufkommen; auch das ist richtig. Wir sind auf diese Situation nicht optimal vorbereitet.
Ich gebe zu, dass dies sowohl an den europäischen Verkehrsnetzen als auch an den Bundesstraßen und gleichermaßen an den Staatsstraßen liegt.
Natürlich ist es richtig, dass es zu einem starken Verkehrsaufkommen kommen wird, dass das Aufkommen steigen wird. Natürlich ist es wahr, dass wir deswegen unsere Infrastruktur dort gezielt verbessern müssen. Die Möglichkeiten, die wir hätten – das gebe ich auch zu –, reichen nicht immer aus. Deswegen muss man Prioritäten setzen. Die Hauptschienenstrecke Nürnberg – Marktredwitz – Eger – Pilsen – Prag wird mit Bundesmitteln realisiert. Die A 6, das wichtigste Straßenbauprojekt in diesem Zusammenhang, wird, wie zugesagt, in diesem Jahr begonnen; die Mittel sind bereitgestellt, und die Fertigstellung ist zeitgerecht sichergestellt.
(Otto Zeitler (CSU): Das ist lächerlich, was Sie erzählen! Am Sankt-Nimmerleins-Tag! Das ist eine Frechheit! – Joachim Wahnschaffe (SPD): Erzählen Sie nichts!)
Ich weiß, dass es noch viele weitere wichtige und wünschenswerte Straßen- und Schienenverkehrsprojekte gibt. Wir alle sind aufgefordert, die hierfür nötigen Finanzmittel bereitzustellen und dafür zu kämpfen.
Die Bayerische Staatsregierung macht es sich doch sehr einfach, Herr Kollege. Ihr Beitrag hat leider nur daraus bestanden, die Mittel für den Straßenbau im Nachtragshaushalt in diesem Jahr, und zwar auch für das Grenzland, massiv zusammenzustreichen und gleichzeitig Maximalforderungen an die Adresse des Bundes zu richten.
Sie selbst kürzen die Mittel und fordern von den anderen, dass sie die Mittel erhöhen. Das passt nicht zusammen, damit wird man nicht glaubwürdig, verehrter Herr Kollege.
Natürlich brauchen wir für alle Maßnahmen, die wir uns in Bayern wünschen, die finanziellen Mittel. Deswegen unterstützen wir die Initiative der Bundesregierung, den deutschen Finanzierungsbeitrag für die Europäische Union auf 1 % des Bruttonationaleinkommens zu deckeln.
Wenn wir diese Forderung stellen, werden wir keine schlechten Europäer. Es kann in Europa nicht mehr verteilt werden, als zu Hause verdient wird. Deutschland muss in diesen Jahren sparen und kürzen und tut gut daran, das gegenüber der Europäischen Kommission deutlich zu machen. Brüssel kann nicht höhere Beiträge von Deutschland erwarten, gleichzeitig aber von Deutschland unter Androhung von Strafen noch drastischere Einsparungen zur Einhaltung des Stabilitätspaktes verlangen.
Sie haben sich übrigens nicht als großer Patriot erwiesen, Herr Ministerpräsident, als Sie lautstark Beifall geklatscht haben, als die EU-Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine Strafe angedroht hat. Immerhin – und das möchte ich betonen – hat es Bundeskanzler Schröder geschafft und schon 1999 durchgesetzt, dass der deutsche Anteil am EU-Haushalt mittlerweile prozentual auf die Hälfte gesunken ist. Zahlte Deutschland Mitte der 1990er-Jahre, als Sie regiert haben, noch rund 33 % des EU-Haushaltes, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 22 %.
Sie sind mit Spendierhosen und dem Scheckbuch durch Europa gereist, und wir haben uns auf die nationale Verantwortung besonnen.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass Deutschland im Vergleich zu allen anderen Ländern der Europäischen Union eine Sondersituation zu bewältigen hat, und zwar nach wie vor. Kein anderes Mitgliedsland der Europäischen Union hat Kosten und Lasten zu tragen wie wir im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit. Wäre es 1990 nicht zur Vereinigung gekommen, sondern wäre wie zum Beispiel im Falle der Tschechoslowakei ein anderer Weg gewählt worden, würde die ehemalige DDR heute mit Sicherheit ein Beitrittsland sein und damit ein entsprechendes EU-Fördergebiet. Das alles bewältigt Deutschland aber seit 14 Jahren aus eigener Kraft allein. Gott sei Dank haben wir die Deutsche Einheit! Aber die Kosten haben wir allein zu tragen, und das muss bei der Umsetzung des Stabilitätspakts mit berücksichtigt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen die deutschen Zahlungen an die EU begrenzen, um mehr finanziellen Spielraum für eigene nationale und regionale Förderungen zu haben. Das Einzige, was wir dazu erreichen müssen – und dafür ist ein gemeinsames Ringen sicher notwendig und angesagt –, ist, dass wir das EU-Beihilferecht so gestalten, dass den Mitgliedstaaten und ihren Regionen größere Spielräume für die eigene regionale und strukturpolitische Förderung eingeräumt werden, weil wir nur so regionale Ungleichheiten verringern und ausgleichen können.
Eine weitere Sorge der Menschen betrifft die innere Sicherheit. Auch das ist wahr: Es kommen zusätzliche Aufgaben auf die Polizei zu. Wenn dem aber so ist, dann ist es das Törichtste und Dümmste, gerade jetzt bei der Polizei zu streichen und sie entscheidend zu schwächen.
Geradezu infam ist es, die Angst der Bevölkerung vor zunehmender Kriminalität im Zusammenhang mit der EUErweiterung zu schüren und im gleichen Atemzug bei der Polizei alles kurz und klein zu streichen. Sicherheit braucht Vertrauen, meine Damen und Herren. Damit ist das Ver
trauen der Bevölkerung in die Sicherheitskräfte ebenso gemeint wie das Vertrauen der Sicherheitskräfte in ihren Dienstherren, nämlich den Freistaat Bayern.
Wenn es wirklich um Sicherheit geht, dann können wir uns ganz bestimmt keine Demütigung und Demotivation unserer Polizei und unserer Vollzugsbeamten leisten, wie sie in den letzten Monaten stattgefunden hat durch Arbeitszeitverlängerung, durch Kürzung und Streichung bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld – alles Dinge, die Sie vor den Landtagswahlen verschwiegen haben.