Wenn es wirklich um Sicherheit geht, dann können wir uns ganz bestimmt keine Demütigung und Demotivation unserer Polizei und unserer Vollzugsbeamten leisten, wie sie in den letzten Monaten stattgefunden hat durch Arbeitszeitverlängerung, durch Kürzung und Streichung bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld – alles Dinge, die Sie vor den Landtagswahlen verschwiegen haben.
Ich zitiere wörtlich Ministerpräsident Stoiber im April 2003 – gut, dass man so etwas dabei hat -: „Es wird keine Verlängerung der Arbeitszeit bei Beamten geben wie zum Beispiel in Baden-Württemberg.“
Das ist ein wörtliches Zitat vom April 2003. Nach der Landtagswahl haben Sie exakt das gemacht, was Sie vor der Landtagswahl bestritten haben.
Sie sind nicht mehr Generalsekretär, Herr Huber, sonst wäre Ihnen vielleicht aufgefallen, dass die CSU-Veranstaltungen mittlerweile nicht mehr von der Polizei, sondern vor der Polizei geschützt werden müssen, weil die Polizeibeamten draußen vor der Tür gegen Ihre Partei demonstrieren, und zwar mit Recht.
Im Übrigen gibt es auch erhebliche Chancen in der Verbrechensbekämpfung, die in der Erweiterung der Europäischen Union liegen. Bislang unterhielten vor allem die Täter internationale Kontakte. Jetzt haben wir ganz andere Zugriffsmöglichkeiten, wenn sich ein Krimineller ins Ausland absetzen will. Die Zusammenarbeit der Grenzpolizeien in Europa ist intensiviert worden. Die Verfolgung flüchtiger Straftäter endet nicht mehr an den nationalen Grenzen. Die Grenzpolizei wird auch zur Schleierfahndung mit eingesetzt, wie das nach dem Beitritt Österreichs ebenfalls der Fall war. Europol gibt es und wird weiter ausgebaut. Die EU-Staaten arbeiten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität intensiver zusammen und tauschen ihr Wissen und ihre Informationen besser aus.
Nicht zuletzt dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht vergessen, unsere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Menschenhandel, Sextourismus und Zwangsprostitution zu verstärken. Mit Entsetzen muss man feststellen, dass der Handel mit Frauen und Kindern mittlerweile welt
weit den Drogenhandel als Form der Wirtschaftskriminalität weit überholt hat. Die Gewinne der Verbrecher sind enorm. Die Dunkelziffer ist hoch, und die Aufklärungsraten sind leider niedrig. Leider müssen wir auch konstatieren, dass die bayerische Ostgrenze zu einer Nahtstelle für Kinder- und Frauenhandel sowie Sextourismus geworden ist. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die derzeit im Gesetzgebungsverfahren des Bundes befindlichen Änderungen des Strafgesetzbuches mit dem Ziel, den Straftatbestand des Menschenhandels deutlicher zu gestalten und den Menschenhandel damit härter bestrafen zu können. In einem eigenen Antrag haben wir heute weitere Maßnahmen vorgeschlagen, die Bayern ergreifen kann, um ganz entschlossen gegen diese besonders schlimme und üble Form von Kriminalität vorgehen zu können.
Wenn wir alle Maßnahmen in der Regional- und Strukturpolitik, in der Verkehrspolitik, bei der inneren Sicherheit und bei der Bekämpfung der Kriminalität ergreifen, die ich dargestellt habe, dann können wir guten Gewissens unseren Bürgerinnen und Bürgern die Vorteile der Europäischen Union nahe bringen und Angstmacherei und Pessimismus entgegentreten.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal zur Europapolitik kommen, weil ich noch kurz auf den möglichen Beitritt der Türkei, den Sie auch angesprochen haben, eingehen möchte. Die Europapolitik ist bei uns in guten Händen. Würden wir der CSU die Verantwortung für die deutsche Außenpolitik und die Europapolitik in die Hände legen, wäre es um Deutschland schlechter bestellt.
Ich muss ein einziges Mal Herrn Westerwelle zitieren, mit dem Sie unbedingt in Deutschland gemeinsam regieren wollen. Herr Westerwelle sagt über Sie, Herr Stoiber, wörtlich Folgendes: „Herr Stoiber könnte als Außenminister nicht einmal Frieden mit Österreich halten.“
So weit wie Ihr Freund Westerwelle würde ich gar nicht gehen, aber bemerkenswert ist es schon, was die CSU und Herr Stoiber immer wieder als europapolitische Leitlinien ausgegeben haben. 1999 hat Herr Stoiber wörtlich Folgendes erklärt – er kennt das Zitat, darum muss er es nicht noch einmal hören -:
im Moment nicht für aufnahmefähig. Wir haben noch die Strukturen des Europa der Sechs, und es gibt schon große Probleme, das Europa der Fünfzehn damit zu bewältigen.
Das war vor vier Jahren. Gott sei Dank hat sich niemand an Ihre Vorschläge gehalten, sonst hätten wir nämlich keine EU-Erweiterung zum 1. Mai dieses Jahres feiern können.
Den Beitritt Tschechiens haben Ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament einstimmig abgelehnt. Wissen Sie, warum Sie das machen können, Herr Bocklet?
Weil es völlig egal ist, was Sie in der Europapolitik tun. Es ist bedeutungslos, denn wenn sich alle so verhalten hätten wie Sie, dann hätten wir nicht den Beitritt der Tschechischen Republik gehabt, den Sie so großmächtig feiern und begehen. Sie befanden sich übrigens in dieser Abstimmung in einer bemerkenswerten Fraktionsgemeinschaft. Es waren nur einige versprengte Abgeordnete außer den Ihren darunter, Herr LePen und andere – lauter ewig Gestrige. Sie haben damals als Begründung angegeben, dass die Wunden der Vergangenheit gegenüber den deutschen Vertriebenen noch offen sind. Das war die Begründung für die Ablehnung des Beitritts der Tschechischen Republik. Hätten auch andere eine solche Einstellung gepflegt, dann wären der Eiserne Vorhang und die Spaltung Europas niemals überwunden worden. Das ist die Wahrheit. Auch ich bin dafür, die Rechte der Vertriebenen zu wahren und ganz deutlich zu machen, dass die so genannten Benesch-Dekrete klare Menschenrechtsverletzungen sind und dass sie endlich endgültig aus der Welt geschafft werden müssen. Daran darf es keinen Zweifel geben. Ich bin aber auch dafür, dass aus Belastungen aus der Vergangenheit nicht Belastungen für die gemeinsame Zukunft werden.
Auf diplomatischem Parkett möchten Sie wortreich im Smoking als glühender Europäer auftreten und sich dafür feiern lassen. Am Stammtisch aber eifern Sie im Holzhackergewand gegen die EU-Erweiterung, um die Ängste und Sorgen der Menschen auch noch zu bedienen und deren Stimmen einsammeln zu können. So ist es jetzt auch wieder mit der Frage eines möglichen Beitritts der Türkei in die EU. Sie wollen – so haben Sie es ebenso wie Ihr Generalsekretär angekündigt – die Europawahlen am 13. Juni zur Abstimmung über einen möglichen Beitritt der Türkei umfunktionieren. Das ist unappetitlich, weil es ein Scheingefecht mit dumpfen Parolen ist. Damit wir uns recht verstehen: Auch ich bin skeptisch, was einen baldigen Beitritt der Türkei betrifft. Ich habe das auch immer wieder und seit langem so formuliert, weil der wirtschaftliche Rückstand der Türkei zu groß ist, weil viele Demokratie- und Menschenrechtsfragen ungeklärt sind und weil es große kulturelle Unterschiede gibt. Ein baldiger Beitritt der Türkei zur Europäischen Union steht aber auch gar nicht zur Debatte. Das behaupten Sie lediglich, um zusätzlich
Ängste zu schüren. Der fundamentale Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position liegt darin, dass Sie die Türkei grundsätzlich für nicht beitrittsfähig erklären, weil sie, wie Sie sagen, geographisch nicht zu Europa gehöre und auch nicht zum christlichen Abendland. Mit dieser Kehrtwendung in Ihrer Europapolitik spielen Sie mit dem Feuer. Sie können sich das wirklich nur leisten, weil auch in dieser Frage niemand auf Sie hören wird und weil Ihre Haltung hierzu völlig belanglos ist.
Außerdem ist Ihre Haltung noch dazu unehrlich. Die Beitrittsperspektive für die Türkei wurde nämlich von der von Ihnen gestellten Bundesregierung eröffnet. Im Dezember 1997 bekundeten der Europäische Rat in Luxemburg und Ihr Bundeskanzler Helmut Kohl höchstpersönlich – ich zitiere ihn – –
Ihnen ist das Wurst, aber das war die Politik Deutschlands gegenüber der Türkei. Es ist nicht hinzunehmen, dass wir heute so tun, als wären Sie damals dagegen gewesen. Sie waren in Ihrer Regierungsverantwortung genauso daran beteiligt.
Ich zitiere Ihren damaligen Bundeskanzler, dessen Politik Sie auch in dieser Frage rückhaltlos unterstützt haben. Ich zitiere Helmut Kohl aus dem Jahre 1997 wörtlich:
Dass Sie heute sagen: „Das ist mir doch Wurst!“, ist eine bemerkenswerte Aussage für einen bayerischen Ministerpräsidenten.
Worauf, Herr Dr. Stoiber, sollen sich denn die Partner der Europäischen Union noch verlassen können, wenn man ihnen zuerst Zusagen gibt, wenn man ihnen auf einem Sondergipfel der Europäischen Union die Option auf einen Beitritt gibt, und dann, wenn es Ihnen in den wahlpolitischen Kram passt, setzt sich der Ministerpräsident Bayerns hin und sagt: „Das ist mir doch wurst, was die Europäische Union der Türkei an Zusagen gegeben hat!“?
Aufgrund dieser Entscheidung der Europäischen Union, getragen und vorbereitet von der deutschen Bundesregierung Kohl/Waigel, hat die Europäische Kommission daraufhin eine so genannte europäische Strategie für die Türkei – so hieß das wörtlich – entwickelt und begonnen. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte dann zum Abschluss
Ich habe in der Debatte auf zweierlei hingewiesen, nämlich erstens darauf, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, sehr damit einverstanden sind, dass die Türkei in der Perspektive der Zukunft eine Chance hat, der Europäischen Union beizutreten.
Heute wollen Sie davon nichts mehr wissen und wollen der Türkei die Türe vor der Nase zuschlagen. Das hätte gravierende außenpolitische Folgen, unter anderem die Gefahr, dass die Türkei von ihrer westlichen Orientierung abrückt, abgedrängt wird und islamistischen Kräften dort Vorschub geleistet wird. Dies könnte katastrophale Folgen haben.
Auch der Vorsitzende Ihrer Landesgruppe, der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos hat damals wörtlich zum Beitritt der Türkei erklärt – ich zitiere Michael Glos vom 23. Oktober 1997: