Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

Ich bitte Sie, einige Punkte dieses Dringlichkeitsantrages mit mir kritisch durchzugehen. Er enthält Ansätze, von denen wir uns eine Belebung des Arbeitsmarktes in unserem Land versprechen.

Eine Anmerkung noch zu Ihnen, von der SPD und den GRÜNEN: Die volkswirtschaftlichen Kennziffern belegen, dass die Bundesrepublik bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf heute weit unter dem EU-Durchschnitt liegt. Wir sind auf dem Level von Griechenland, Portugal und Spanien angelangt.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Im Fußball wäre das eine Leistung!)

Das wäre nicht dramatisch, wenn die Politik und die Gesellschaft dieses Landes bereit wären, zu akzeptieren, dass wir die Sozialstandards und Sozialleistungen ebenfalls auf das Niveau dieser Länder absenken. Wir können nicht auf der einen Seite Spitzenreiter bei den sozialen Standards sein, andererseits die Leistungsbereitschaft und die Arbeitszeit aber nicht anpassen.

Deshalb bitte ich Sie, es nicht so zu verstehen, wie es von der SPD und den GRÜNEN gerne behauptet wird, die CSU wolle sozialen Kahlschlag machen. Nein, wir wollen, dass der Arbeitsmarkt flexibler wird und es wieder Wachstumsimpulse gibt. Die Fülle arbeitsrechtlicher Instrumentarien, mit denen wir die Arbeitnehmer in jeder Angelegenheit sichern, nützen nichts, wenn immer weniger Arbeitnehmer diese Rechte in Anspruch nehmen können.

Deshalb möchte ich unseren Dringlichkeitsantrag, der die Bundesregierung intensiv auffordert, eine Arbeitsmarktflexibilisierung vorzunehmen, kurz begründen. Wir begrüßen, was zurzeit in der freien Wirtschaft passiert. Dort unterhält man sich über Arbeitszeitverlängerung, also Mehrarbeit ohne Lohnausgleich. Ungeachtet dessen haben wir in vielen Bereichen Regelungsbedarf. Diesen können wir nicht in der Weise bearbeiten, dass wir sagen: Wenn es in der Hütte brennt, setzen sich vor Ort Betriebsrat und Arbeitgeber zusammen, und die werden zu einer Regelung kommen, die vielleicht dem Tarifvertrag entspricht. Auf diese Zufallsergebnisse von Beratungen wollen wir uns nicht verlassen. Wir fordern den klaren Einsatz der Bundesregierung betreffend die betrieblichen Bündnisse und Vertriebvereinbarungen.

Herr Kollege Pschierer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Werner?

(Hans Joachim Werner (SPD): Sie wäre nur kurz gewesen!)

Wir wollen, dass die Tarifvertragsregelungen geändert werden. Wir wollen die Bindung und die Befristung der Tarifverträge ebenfalls flexibilisieren. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es mag für den einen oder anderen sozialpolitisch hart klingen, aber wir müssen bereit sein, bei der Einstellung von Arbeitslosen über den Tariflohn zu reden. Unser Interesse sollte es sein, dass Arbeitslose eine Stelle bekommen. Wenn die Bereitschaft der Arbeitslosen besteht, bei etwas niedrigerem Einkommen eine Arbeitsstelle anzunehmen, sollte die Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Gleiches gilt für den Kündigungsschutz. Wir haben nach wie vor in Europa die strengsten Kündigungsschutzregelungen. Das Betriebsverfassungsgesetz und andere Bestimmungen sehen viele Regelungen vor, die Beschäftigungshemmnisse sind. Der Anspruch auf Teilzeitarbeit ist ein solches Hemmnis. Wie sollen wir einen mittelständigen Handwerksbetrieb dazu bringen, jemanden einzustellen, wenn er weiß, er ist sehr schnell gezwungen, den tariflichen Teilzeitanspruch einzulösen.

Meine Damen und Herren, es gibt viele Beispiele, sich auf dem Arbeitsmarkt bewegen zu können. Stellen Sie sich bitte bei der Durchsicht der gesetzlichen Instrumentarien folgendes vor: Darunter ist vieles, was sozialpolitisch wünschenswert ist – gar keine Frage. Aber es ist vieles dabei, was die Unternehmer davon abhält, Beschäftigung voran zu treiben. Sie merken das in keinem Land so deutlich wie in der Bundesrepublik. In vielen anderen Ländern stellen die Firmen ein, wenn die Konjunktur anzieht. Nur in der Bundesrepublik Deutschland nützt der beste Konjunkturaufschwung nichts. Bei konjunkturell besseren Zeiten dauert es sehr lange, bis die Unternehmen wieder zu Einstellungen bereit sind. Warum tun sie es nicht? – Weil bei Einstellungen die strengsten und schärfsten Arbeitszeitregelungen, Kündigungsschutzbestimmungen

und vieles andere gelten. Hier ist Flexibilisierung also dringend nötig.

Ich will mich in wenigen Sätzen mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik auseinandersetzen. Ich behaupte, diese Arbeitsmarktpolitik ist in den letzten zwei Jahren kläglich gescheitert. Seit August 2002 gibt es eine Dreiviertelmillion Arbeitslose mehr. Es gingen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – nichts Fiktives – verloren. Ich frage Sie kritisch. Wer immer für Ihre Fraktion anschließend spricht, sollte erklären, was bei den Personalservice-Agenturen, den IchAGs, bei Job-Floater, Masterplan und vielen anderen Dingen, die der Bundesagentur für Arbeit Hunderte Millionen Euro gekostet haben, herausgekommen ist. Das waren Millionen-Gräber. Die Ich-AGs sind kläglich gescheitert. 7700 Vermittlungen der Personalservice-Agenturen kosten 230 Millionen Euro. Sinnloser kann man das Geld der Beitragszahler der Bundesrepublik nicht vernichten.

Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, bitte ich Sie, unserem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen. Wir wollen, dass der Arbeitsmarkt flexibler wird und wir besser reagieren können, damit wir die Globalisierung, Osterweiterung und vieles andere bewältigen können.

Ich gehe kurz auf Ihren nachgereichten Dringlichkeitsantrag ein. Normalerweise wäre ich geneigt, bei diesem Thema zu einer fraktionsübergreifenden guten Lösung zu kommen. Schon alleine die Überschrift „Standortvorteil: Flexibilität des Tarifvertragswesens“ hindert mich daran. Der Behauptung im dritten Absatz, das Tarifvertragswesen in Deutschland, also der Flächentarifvertrag, sei ein Standortvorteil, ist zu widersprechen. Das ist ein Standortnachteil.

Im ersten Absatz wird davon geredet, dass Großes passiert sei, weil einige Firmen dazu übergegangen sind, betriebliche Vereinbarungen hinsichtlich der Arbeitszeit zu schließen, geht das nicht weit genug. Wir sollten es nicht beim Prinzip Zufall belassen, sondern wir sollten grundsätzlich daran gehen Dinge wie Bindung, Bindungsfristen, Nachwirkung und das gesamte Tarifvertragsrecht auf die Agenda zu setzen. Ich plädiere deshalb dafür, Ihren Dringlichkeitsantrag abzulehnen.

Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Kronawitter. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pschierer, ich knüpfe gerne an Ihren Ausgangspunkt an, nämlich an die problematische Arbeitsmarktlage. In der Tat ist richtig, dass wir zu viele Arbeitslose haben. Ich will aber auch auf das Stichwort „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ eingehen; denn diesen flexiblen Arbeitsmarkt haben wir. Sie haben völlig übersehen, dass der Beweis für die Flexibilität in den letzten Wochen erneut geliefert wurde.

(Beifall bei der SPD – Franz Josef Pschierer (CSU): Wo ist der geliefert worden?)

Lassen Sie sich Zeit. Ich komme darauf.

Zuvor will ich eine Korrektur anbringen. Die Wochenarbeitszeitverhältnisse treffen nicht so zu, wie Sie das gesagt haben. Die tatsächlich gearbeitete Wochenarbeitszeit beträgt aktuell 39,9 Stunden. In Europa haben wir eine Vergleichszahl von 40 Wochenarbeitsstunden, also 0,1 Stunde mehr. Das bedeutet, dass es kaum Unterschiede gibt.

(Abgeordneter Franz Josef Pschierer (CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Auch unsere Redezeit ist knapp. Deshalb sollten wir es bei Zwischenrufen belassen.

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pschierer?

Nein, er war vorher auch so streng, deshalb lassen wir es so.

Ich dachte, Sie hätten das Thema gewählt, weil Sie Vorgänge bewerten wollen, die uns in den letzten Wochen tatsächlich sehr beschäftigt haben und die nun zu einer guten Lösung gefunden haben. Ich meine die betrieblichen Lösungen bei Siemens betreffend die Werke Bocholt und Kamp-Lintfort. Das waren im Hinblick auf die Flexibilität des Arbeitsmarktes überraschende und sehr gute Ergebnisse.

Wir haben auch registriert, dass die Tarifabkommen, zum Beispiel beim Reinigungsgewerbe in Bayern, den Beschäftigten einen Lohnabschlag von 10 Prozent zumuten. Ich will nicht darüber reden, was das für die Einzelnen bedeutet. Ich will sagen, dass wir hier zwei weitere Beispiele haben, die belegen, dass die tarifvertraglichen Regelungen voran kommen und in diesen Verfahren sehr genau auf die Tatsache reagiert wird, dass wir einen globalen Arbeitsmarkt haben, was leider großen Druck für die Beschäftigten bedeutet.

Die Frage ist nun, welche Schlüsse für die Politik gezogen werden müssen. Ich hätte gedacht, Sie bringen einen Antrag, in dem Sie positiv bewerten. Sie ziehen aber nicht diesen Schluss, sondern Sie sagen, der Staat müsse mehr regeln und müsse Gesetze ändern.

(Franz Josef Pschierer (CSU): Weniger!)

Ihre gesamten Vorschläge – Kollege Wörner wird darauf eingehen – sind ein gesetzliches Instrumentarium. Sie nehmen Ihre arbeitsmarktpolitischen „Folterwerkzeuge“ und wollen diese zur Realität machen.

(Beifall bei der SPD)

Das geht nicht. Die tarifvertraglichen Organisationen finden zu eigenen Lösungen. Das halten wir für besser. Wir unterstützen Ihre Vorschläge also nicht.

Wir haben auch einen anderen Schluss aus diesen Vorgängen gezogen, den wir hier zur Abstimmung stellen. Wir halten es für richtig, wenn wir als politisches Gremium, als Landtag diese Beschlüsse positiv bewerten. Wir begrüßen es, dass die Tarifvertragsparteien für sich selbst auf die Herausforderungen eingehen und solche Lösungen entwickeln. Diese Abkommen beweisen die Funktionsfähigkeit unseres Tarifvertragswesens, das flexibel auf die Herausforderungen reagiert. Sie können betriebliche Vereinbarungen allerdings nur dann schaffen, wenn Sie eine starke Betriebsratsvertretung haben. Schwächen Sie diese also nicht, sondern stärken Sie sie! Dann sind Sie auch in der Lage, flexibel zu reagieren, wenn es notwendig ist.

Als Drittes stellen wir fest: Dieses Tarifvertragswesen war und ist ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland. Da können Sie sagen was Sie wollen; das kann man historisch belegen, und das gilt auch für die Gegenwart.

(Franz Josef Pschierer (CSU): Historisch vielleicht!)

Ich kann es Ihnen für die Gegenwart anhand von wenigen Zahlen belegen. Wir haben aktuell in Deutschland eine

Streikziffer von fünf Tagen im Jahr. In Ungarn sind es 23 Tage, in den USA 45 Tage und in Frankreich sind es beispielsweise 92 Tage im Jahr. Das bedeutet, dass der Arbeitsfrieden dort viel gefährdeter ist als bei uns. Der Umkehrschluss, dass wir ein Tarifvertragswesen haben, das die Betriebskultur stärkt und den Arbeitsfrieden erhöht, ist ein Standortfaktor, mit dem wir wuchern können.

(Beifall bei der SPD)

Eine letzte Bemerkung. – Herr Pschierer, es gibt Untersuchungen, deren Ergebnisse Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil Sie Ihnen nicht ins politische Kalkül passen. Ich nenne als Beispiel die Studie von Ernst & Young, von der Sie sicher gehört haben. Deutschland ist nach dieser sehr gründlichen Studie, die mit ausländischen Top-Managern gemacht wurde, weltweit der drittattraktivste Standort.

(Thomas Kreuzer (CSU): Darum haben wir ein so hohes Wirtschaftswachstum in Deutschland!)

Ist das nicht ein gutes Ergebnis? Bezogen auf Europa besagt diese Studie, die auf einer sehr gründlichen Recherche beruht, dass Deutschland am attraktivsten ist, und das wird belegt mit der guten Qualifikation der Arbeitskräfte, mit den Forschungs- und Entwicklungsausgaben und mit der guten Infrastruktur. Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis. Es ist doch hilfreich, wenn wir positive Nachrichten auch positiv bewerten und uns darüber freuen.

(Beifall bei der SPD)

Eben diese Studie besagt auch, dass die Löhne bei uns im Vergleich hoch sind, dass sie aber nur ein Teilbereich der Betrachtung sind. Die anderen Teilbereiche überwiegen offensichtlich so gewaltig, dass das Gesamtergebnis positiv ist.

Meine Damen und Herren, unser Antrag ist ein Signal, dass wir zu den Lösungsmechanismen, wie sie 50 Jahre und mehr Bestand haben, stehen. Es ist gut und es ist wichtig, dass bei uns die Politik nicht alles zu regeln versucht, sondern wir wollen die Flexibilität des Tarifvertragswesens stärken. Bitte stimmen Sie für unseren Antrag! Dem CSU-Antrag stimmen wir nicht zu, weil wir denken, es ist nicht die Zeit, uns im Bundesrat weiterhin für politische Folterwerkzeuge einzusetzen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Kronawitter. Das Wort hat Herr Kollege Hallitzky. Bitte, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Dringlichkeitsantrag geht es der CSU offensichtlich nicht um die Frage, welchen Beitrag Arbeitsmarktpolitik zur Überwindung der Stagnation liefern kann. Ihnen geht es vielmehr schlicht um die Zerschlagung der deutschen Arbeitsmarktordnung. Ich wer

de das gleich noch etwas ausführen, dann brauchen Sie jetzt nicht zu protestieren, um sich hinterher belehren lassen zu müssen. Denn nichts anderes als die Schleifung des kollektiven und des individuellen Arbeitsrechtes ist Ihr Verständnis von Flexibilisierung. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Ihrem Antrag unterstellen Sie, dass die angeblich zu starre Arbeitsmarktordnung in Deutschland die Hauptursache für die Stagnation in Deutschland sei. Wörtlich schreiben Sie in Ihrem Text, dass die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Hauptbestandteil eines Reformkonzepts ist. Diese Fokussierung auf die Arbeitsmarktordnung ist Unfug. Ich erwähne nur die hohen Transferlasten der deutschen Einheit, das Bildungssystem, die Innovation, Wissenschaft und Finanzierungsprobleme der Wirtschaft durch andere Kreditvergaberichtlinien bei den Banken. Es gibt sehr, sehr viele Ursachen. Die Fokussierung auf den Arbeitsmarkt ist falsch.

Aber lassen wir uns ruhig auf die falsche Argumentation ein, dass die Probleme am Arbeitsmarkt im Wesentlichen mit Arbeitsmarktpolitik zu lösen wären. Hier ist besonders interessant, dass Sie die hohen Lohnnebenkosten in Deutschland nicht erwähnen, obwohl gerade diese ein sehr wichtiger Grund dafür sind, dass Arbeitsplätze in der Vergangenheit wegrationalisiert wurden und auch noch werden. Es gibt mindestens drei Gründe dafür, warum Sie an dieser Stelle so schweigsam sind: