Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Schlecker, Aldi!)

Sie sind der Totengräber eines Systems, das weltweit als gut befunden wird, nämlich eines Systems des sozialen Friedens. Es ist international anerkannt. Meine Damen und Herren, wer da an den Schrauben dreht und glaubt, damit Arbeitsplätze zu schaffen, der irrt.

(Thomas Kreuzer (CSU): Alle schaffen bei uns Arbeitsplätze, weil es hier so gut ist!)

Ich glaube, darüber muss man gar nicht lange nachdenken. Jeder normale Mensch begreift, dass Arbeitszeitverlängerung keine Arbeitsplätze schafft und dass es den sozialen Systemen schadet, wenn man mit weniger Menschen produziert, die auch noch weniger verdienen. Scheinbar kennen Sie die Systematik der sozialen Syste

me nicht, sonst würden Sie wissen, dass aus den Einkommen Beiträge bezahlt werden.

(Thomas Kreuzer (CSU): Hauptsache, Sie wissen alles!)

Wenn mit immer weniger Menschen immer mehr produziert wird, entsteht für die sozialen Systeme ein Negativergebnis.

Das müsste jedem klar sein. Wer so etwas fordert, verfehlt das Ziel. Wer den Kündigungsschutz schwächt und abbaut, hat keine Ahnung, dass bereits heute ein großer Teil der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt ist. Wer für neu Eingestellte die Absenkung der Tariflöhne fordert, hat keine Ahnung, dass einem Großteil der Arbeitnehmer, die beim Arbeitsamt vermittelt werden, bereits heute Lohnersatzleistungen bezahlt werden und damit der Lohn für die Arbeitgeber längst abgesenkt ist.

(Beifall bei der SPD)

Wer so einen Unfug fordert, beweist, dass er keine Ahnung von den bestehenden Systemen hat, sondern böswilligerweise etwas völlig anderes will. Er will die Zerstörung unserer bestehenden und gut funktionierenden Sozialsysteme erreichen, und diese nicht stärken. Sie wollen diese Systeme schwächen und den Unfrieden in die Betriebe tragen. Sie wollen, dass der Chef bestimmt, was bezahlt wird, und nicht mehr die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer. Sie wollen Lohndumping und Sozialdumping mit diesem Antrag fördern. Deswegen werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.

Sie sind die Speerspitze zur Vernichtung der Sozialsysteme in Deutschland. Dagegen werden wir uns mit allen Mitteln wehren. Interessant ist, dass die Leute in Ihrer Fraktion, die einigermaßen vernünftig mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern umgehen, heute nicht da sind. Wo ist der Vertreter der CSA, wo ist Herr Kollege Unterländer? Von diesen Leuten wissen wir, dass sie mehr von den sozialen Systemen verstehen und diese schützen. Diese Leute sind heute nicht da, weil sie sich vermutlich für das schämen, was Sie hier versuchen.

Meine Damen und Herren, Sie tun den Menschen in diesem Land keinen Gefallen, wenn Sie die Löhne noch weiter senken und sie mit der Aushöhlung des Kündigungsschutzes noch mehr als bisher in die Gefahr des Heuerns und Feuerns bringen. Sie wollen amerikanische Verhältnisse: Ein jeder soll drei Jobs haben und außerdem ein Ehrenamt übernehmen. Das ist Ihre Logik. Das funktioniert nicht. Deshalb werden wir diesen Antrag nicht mittragen können. Ich bitte Sie, noch einmal zu überlegen, ob Sie einen solchen Antrag überhaupt auf die Reise schicken sollten, wenn Sie weiterhin das C in Ihrem Parteinamen führen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wörner, nein, wir wollen nicht die Vernichtung der Solidarsysteme. Ganz im Gegenteil. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die außerhalb von Arbeit stehen, nämlich denjenigen, die arbeitslos sind.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb machen wir uns Gedanken, wie wir die Arbeitslosen wieder in den ersten Arbeitsmarkt bekommen können. Nach wie vor ist das sozial, was Arbeit schafft.

(Beifall bei der CSU – Susann Biedefeld (SPD): Durch Mehrarbeit und Aufhebung des Kündigungsschutzes! Lächerlich!)

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, Sie haben gesagt, dieses System bestehe seit 50 Jahren und sollte weitergeführt werden. Frau Kollegin Dr. Kronawitter, wir haben mittlerweile pro Tag den Verlust von gut 1600 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Das ist die Situation. Deutschland gehört innerhalb der Europäischen Union beim Wirtschaftswachstum zu den Schlusslichtern.

(Susann Biedefeld (SPD): Weil Sie das Land 16 Jahre lang heruntergewirtschaftet haben!)

- Seit sechs Jahren tragen Sie in der Bundesregierung die Verantwortung. Sie sollten diese Verantwortung nicht leugnen. Sie tragen für diese Entwicklung die Verantwortung. Seither haben wir ständig steigende Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen.

(Beifall bei der CSU – Susann Biedefeld (SPD): Sie haben in den 16 Jahren zuvor die Regierung gestellt!)

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Dr. Kronawitter?

Wir können uns nachher unterhalten. Ich möchte meine Redezeit jetzt nicht verlängern.

Herr Kollege Hallitzky, wir haben hohe Lohnnebenkosten und zu lange Ausbildungszeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Einführung des G8 und die etwas frühere Einschulung zu sehen. Wir haben außerdem eine zu hohe Steuerquote und eine zu hohe Staatsquote. Davon müssen wir runter. Die Bürgerversicherung ist aber mit Sicherheit nicht das Allheilmittel.

(Susann Biedefeld (SPD): Die Kopf-Pauschale auch nicht!)

Dadurch bekämen Sie im Moment zwar Einnahmen von allen Bürgern. Sie hätten jedoch auch Ausgaben. Das bedeutet, die Katze würde wieder auf die gleichen vier Füße fallen. Die Probleme aus Demographie und steigenden

Kosten durch die medizinische Innovation können Sie mit einer Bürgerversicherung nicht lösen.

(Beifall bei der CSU)

Mehr Arbeitsplätze schafft der Staat mit Sicherheit nicht. Herr Kollege Hallitzky, lesen Sie einmal nach, was der Sachverständigenrat und der Wissenschaftsrat zu diesem Thema sagen. Natürlich müssen wir die Lohnnebenkosten, die Steuerquote und die Staatsquote senken. Genauso wichtig ist aber auch die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes und des Arbeitsmarktes. Darauf hebt der Antrag der CSU-Fraktion ab. Deswegen ist dieser Antrag so wichtig.

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, noch einmal zu den Arbeitsstunden: Deutschland befindet sich hier mit circa 1400 Stunden am unteren Ende der Skala. Schauen Sie einmal in die USA. Dort liegt die Jahresarbeitszeit bei 2000 Stunden. Der Bundeswirtschaftsminister verbindet die Durchsetzung des Hartz-IV-Gesetzes mit seiner politischen Zukunft. Die Arbeitslosigkeit kann jedoch mit den Hartz-Gesetzen nicht beseitigt werden. Der Antrag der CSU-Fraktion geht genau in die richtige Richtung. Er strebt eine gesetzliche Absicherung tariflicher Bündnisse an. Wir müssen uns überlegen, wie diejenigen, die keine Arbeit haben, wieder Arbeit bekommen.

(Susann Biedefeld (SPD): Heuern und feuern, das wollen Sie!)

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen, weil er die Lösungen aufzeigt, die wir jetzt brauchen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, Sie haben eine Zwischenintervention beantragt. Bitte, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, Frau Ministerin! Ich möchte festhalten, dass ich mich auf das Tarifvertragswesen bezogen habe. Dieses sorgt in unserem Lande für den sozialen Frieden. Deshalb ist es schützens- und erhaltenswert.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir hier über die Verlängerung der Wochenarbeitszeit reden, müssen wir die Realität zur Kenntnis nehmen. Die Realität ist – wie heute in den Zeitungen vermeldet wird – die durchschnittlich tatsächlich geleistete Arbeitszeit.

Wenn wir die Jahresarbeitszeit in Deutschland umrechnen, kommen wir für jeden Beschäftigten auf eine 35Stunden-Woche. In diese Zahl sind allerdings auch die Teilzeitkräfte eingerechnet. Wir haben mittlerweile einen erfreulich hohen Anteil von Teilzeitkräften. Dies schlägt sich natürlich in diesen Zahlen nieder.

Wenn wir hier über Arbeitskosten und Arbeitszeiten reden, müssen wir uns auch über die Produktivität unterhalten; denn das ist eine entscheidende Maßzahl. Dies wollte ich noch einmal festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Die Aussprache ist damit geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Für die Abstimmung werden die Anträge wiederum getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1292, das ist der Antrag der CSU-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Wer gegen diesen Antrag ist, bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Ich sehe keine Stimmenthaltungen. Damit ist der CSU-Antrag angenommen.

Ich lasse jetzt über den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1322 abstimmen, das ist der Antrag der SPDFraktion. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit beenden wir für heute die für die Tagesordnung vorgesehenen Dringlichkeitsanträge. Die Anträge, die noch nicht zur Behandlung aufgerufen worden sind, werden in die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 6 Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Christa Naaß und anderer und Fraktion (SPD) Versprochen – Gebrochen hier: Verlängerung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst in Bayern (Drucksache 15/789)

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 15 Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf Ihnen, Frau Kollegin Naaß, das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin über Arbeitszeiten in Deutschland gesprochen. Jetzt reden wir über die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst in Bayern. Die SPD will mit diesem Antrag, dass der Landtag feststellt, dass Ministerpräsident Stoiber sein Wort gebrochen hat, welches er vor der Landtagswahl gegeben hat und mit dem er eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit für Bayerns Beamtinnen und Beamte ausdrücklich ausgeschlossen hat.

„Wer zweimal lügt, dem glaubt man nicht“, so steht es in einer Fachzeitschrift unter einer Karikatur. Dieses Zitat

möchte ich gerne in Bezug auf diese gebrochenen Versprechungen aufgreifen.