Protokoll der Sitzung vom 20.07.2004

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht können Sie schreiben: Ein Urteil kann der Freistaat Bayern nicht erwirken, weil er nicht Mitgliedstaat ist. Sie können schon einmal an den EuGH schreiben und sich interpretieren lassen, was Sie uns hier erzählen wollten. Wahrscheinlich würden Sie in bestem Juristendeutsch folgende Auskunft bekommen: Das ist ein Stabilitäts- und Wachstumspakt, zu dem dieses Urteil ergangen ist. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten, die diesen Pakt geschlossen haben, zur Erfüllung zweier Ziele, die unter Umständen einen Zielkonflikt – oder eigentlich immer einen Zielkonflikt – darstellen, nämlich für die Stabilität der Währung zu sorgen und zugleich für Wachstum und Beschäftigung innerhalb der EU.

Für Wachstum und Beschäftigung zu sorgen, heißt für einen Staat, darauf zu achten, dass die von ihm, das heißt durch öffentliche Gelder, ausgelösten Investitionen und die so entstehende Nachfrage wie auch die daraus resultierenden Arbeitsplätze den Teil zur Erreichung des Paktes beitragen, den der öffentliche Teil beitragen kann. Das ist seine Aufgabe. Gleichzeitig darf er aber das Ziel nicht verfehlen, das da heißt: Geldwertstabilität schaffen. Das wiederum heißt, keine künstliche Erhitzung zu erzeugen. Diese Aufgabe haben alle: die Bundesrepublik Deutschland, die den Pakt geschlossen hat, aber auch alle weiteren Gliederungen, sprich die Länder und die Kommunen.

Meine Damen und Herren, wenn die Bundesrepublik Deutschland 1998 im Oktober neu erfunden worden wäre und mit einer Eröffnungsbilanz „Null“ gestartet wäre, dann wäre die Frage des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Deutschland eine komplett andere. Die Frage würde dann nämlich nicht heißen: Übersteigt ihr das 3,0-Defizit-Kriterium?, sondern: Tut ihr durch staatliche Investitionen genügend, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern? – Das wäre die Frage.

(Beifall bei der SPD)

Wenn das jetzt aber nicht geschieht – ich bedaure sehr, dass es nicht geschehen kann, dass nicht genügend Investitionen getätigt werden, um damit Wachstum und Beschäftigung zu fördern –, dann stellt sich die Frage, warum das nicht geschieht. Die Antwort ist: Es geschieht nicht, weil man sich dem zweiten Ziel verpflichtet fühlen muss, nämlich für die notwendige Stabilität zu sorgen.

Dieses Ziel kann ein Staat aber leider nur erfüllen, wenn er nicht mit Altschulden belastet ist, die er nicht herausrechnen kann. Eine Bundesrepublik ab 1998 hätte kein 3,0Problem, sondern sie hätte einen Musterknaben-Status; einen Status, den Sie ihr vorher auch zugestanden haben.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CSU)

Das 3,0-Problem, das Sie hier besprechen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist zu 80 % ein Kohl-Weigel-Problem. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Von den Nominalschulden, die die Bundesrepublik Deutschland in den 55 Jahren seit 1949 angehäuft hat, sind 75 bis 80 % in den 16 Jahren von Kohl und Weigel entstanden. Wer so volle Hosen hat, meine Damen und Herren, der kann sehr wohl stinken, aber keinem anderen einen Ratschlag geben, wie er zu handeln hat.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abgeordneten Manfred Ach (CSU) und Kurt Eckstein (CSU))

Sie werfen der Bundespolitik immer vor: Ihr gebt zu wenig für Straßen, Verkehr usw. aus. Sie fordern also gleichzeitig Mehrausgaben und eine Verringerung der Schulden beim Bund. Das ist nicht möglich.

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Und die Steuersenkung!)

Und die Steuersenkung kommt noch hinzu. Hingegen behaupten Sie, Sie in Bayern würden die Maastricht-Kriterien sozusagen nach heutigem Stand erfüllen. Das lässt sich zwar nicht ausrechnen, wegen der Sozialversicherung, aber immerhin, nehmen wir an, Sie würden sie erfüllen. Für Sie, Herr Minister Faltlhauser, stellt sich dann die Frage, ob Sie, wenn Sie die gedanklichen Maastricht-Kriterien bei der Stabilität erfüllen, Sie diese auch in dem anderen Bereich erfüllen, nämlich bei Wachstum und Beschäftigung. Dort erfüllen Sie sie nämlich nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Sie tragen deshalb zur Lösung des Problems in Deutschland leider nichts bei. Trotz finanzieller Spielräume haben Sie Ihre Politik nicht darauf angelegt, für Wachstum und Beschäftigung zu sorgen. Das ist aber Ihre Aufgabe aufgrund Ihrer Finanzsituation. Die Aufgabe des Bundes kann es aufgrund der Deutschen Einheit und der Finanzpolitik der Neunzigerjahre nur sein, ein angemessenes Maß an Disziplin bei der Ausgabenpolitik zu erfüllen.

Herr Kollege, Sie sind schon deutlich über Ihrer Redezeit.

Dann werde ich mich ans Ende meines Vortrages begeben.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Ein Zitat geht noch!)

Nicht nur wegen des lustigen Titels, Herr Ach, sondern wegen der völlig unterschiedlichen Bedingungen, die der Bund und der Freistaat Bayern vor sich haben, ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Berlin anders auszulegen als in München. Der Münchner Teil wird im Bayerischen Landtag und von der Bayerischen Staatsregierung leider nicht erfüllt.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Staatsminister Professor Dr. Faltlhauser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoderlein hat gerade den Versuch gemacht, den Stabilitätspakt maßstabsgerecht an Bayern anzulegen. Herr Kollege Hoderlein: Erstens. In Bayern haben wir eine Stabilität, die besagt, dass wir, an die Kriterien angelehnt, etwa ein Prozent Nettoneuverschuldung machen könnten. Das bedeutet, wir könnten unsere Verschuldung verdreifachen. Das ist die Frucht unserer Stabilitätspolitik.

(Beifall bei der CSU)

Zweitens. Sie haben vermisst, dass wir keinen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung leisten. Ich stelle fest: Der Freistaat Bayern hat in den letzten zehn Jahren mit großem Abstand das stärkste Wachstum von allen Bundesländern zu verzeichnen. Außerdem haben wir nach Baden-Württemberg die wenigsten Arbeitslosen. Was wollen Sie eigentlich mehr?

Ich halte nichts davon, dass wir hier nach den einzelnen Ländern die Kriterien abprüfen. Wenn Sie das aber tun, dann sind Sie leider in die Falle geraten. Gerade Bayern ist bei allen Kriterien Vorbild, sowohl in der Haushaltsstabilität als auch beim Wachstum und im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit.

(Susann Biedefeld (SPD): Wie sieht es bei den Kommunen im Ländervergleich aus?)

Frau Biedefeld hat in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt, Bayern weigere sich, einen Beitrag bei möglichen Strafen nach den Regeln des Stabilitätspaktes zu leisten. Frau Kollegin: Das ist richtig. Wir denken gar nicht daran, unsererseits stabile Haushaltspolitik zu betreiben und dann für andere die Strafen zu zahlen. Wo kämen wir denn da hin?

(Beifall bei der CSU – Susann Biedefeld (SPD): Erst Brandstifter, jetzt als Feuerwehrmann auftreten!)

Meine Damen und Herren, wenn andere Länder, beispielsweise Nordrhein-Westfalen, mittlerweile dahin kommen, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind, dass man die Frage stellen muss, ob dieses Bundesland in zehn Jahren überhaupt noch existieren kann – mittlerweile beträgt die Nettoneuverschuldung 5,66 Milliarden Euro, wenn ich das richtig in Erinnerung habe –, dann denke ich nicht daran,

mit bayerischen Steuergeldern dafür die Strafe zu bezahlen.

(Beifall bei der CSU – Susann Biedefeld: Dann zahlt Bayern aber kräftig für die FFH-Strafengel- der!)

Meine Damen und Herren, wir können heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen sehr interessanten Artikel lesen mit dem Titel: „Die Zukunft des Stabilitätspaktes“. Geschrieben hat ihn nicht irgendein Unbedeutender, sondern der beamtete Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums Caio Koch-Weser. Er ist für die internationale Finanzpolitik zuständig. In dem Artikel stellt er die Behauptung auf, dass nach dem Urteil die Finanzminister im Ecofin-Rat die Herren des Verfahrens sind. Genau das ist falsch, und das steht auch nicht im Urteil. Genau deshalb hat der Europäische Gerichtshof gesagt: Das, was die damals im November des Jahres 2003 gemeinsam in einem Hinterzimmer ausgehandelt haben – in rauchiger Atmosphäre, wie in einem SPD-Hinterzimmer –, das ist rechtswidrig und nichtig. Genau das ist die Realität.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist ein Dokument, wie die Bundesregierung die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland mit falschen Informationen bedienen will. Hier heißt es – ich bitte um Aufmerksamkeit: „Das Urteil weist den Organen den Weg zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit“. Meine Damen und Herren, genau diese vertrauensvolle Zusammenarbeit hat die Bundesregierung mit ihrer Stabilitätspolitik verlassen. Erstens. Schon im Frühsommer 2002 verhinderte Deutschland mit politischem Druck einen Blauen Brief aus Brüssel, der Deutschland vor einem übermäßigen Defizit warnen sollte.

Zweitens. Die Bundesregierung zögerte vor der Bundestagswahl 2002, die vorgeschriebenen Meldungen an die EU-Kommission für das Defizitverfahren abzugeben.

Drittens. Eine Reihe von Sonderfaktoren wie Flutkatastrophe, Irak-Konflikt und Lage der Weltwirtschaft wurden als Ausreden von der Bundesregierung angeführt.

Jetzt, im Jahr 2004, kommt zum vierten Mal in Folge eine Überschreitung der Defizitgrenze von 3 %.

Der Bundesrat hat mit meiner massiven Unterstützung und Mitwirkung an der Formulierung am 17. März 2003 ausdrücklich gefordert, am Stabilitätspakt festzuhalten. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, zu einer soliden und verlässlichen Finanzpolitik zurückzukehren. Der EuGH hat in seinem Verfahrensspruch im Grunde nichts anderes gesagt. Er hat gesagt: zurück zu den Regeln, wofür haben wir sie?

(Susann Biedefeld (SPD): Die Sie 16 Jahre lang ignoriert haben!)

Der Stabilitätspakt ist nichts anderes als eine – vielfach sicher nicht leicht einzuhaltende – feste Regel, die nicht nur bei Schönwetter gilt, sondern auch in schwierigen

konjunkturellen Zeiten. Diese Regel muss auch die Bundesregierung einhalten. Vor diesem Hintergrund sehe ich erhebliche Gefahren.

Im Raum steht die Aussage von Bundeskanzler Schröder, dass der Stabilitätspakt wachstumsorientiert auszulegen ist.

(Werner Schieder (SPD): Sehr richtig!)

Herr Hoderlein, Sie haben am Ende Ihres Redebeitrags diese These noch einmal zu unterstreichen versucht. Sie wollen die Stabilität gegen Wachstum ausspielen. Die Bundesbank hat in diesem Land eine große Stabilitätstradition. Wenn Sie Bundesbankpräsidenten wie Herrn Tietmeyer, Herrn Schlesinger oder andere gefragt hätten, ob die Bundesbank zuständig ist und an einer Wachstums- oder Wechselkurspolitik mitwirken soll, dann hätten diese – und haben das auch getan – in allen Veröffentlichungen gesagt: Um Gottes willen, wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Stabilität zu wahren. Deshalb war die Stabilitätspolitik in der Bundesrepublik Deutschland auch so erfolgreich. Gegenwärtig wird die Stabilitätstradition in Kumpanei über die Staatsgrenzen hinweg verschleudert. Der französische Staatspräsident sagt, dass die öffentlichen Haushalte mehr für das Wachstum tun müssen. Chirac will den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister des Euro-Raums zu einer Wirtschaftsregierung ausbauen. Er sagt gleichzeitig: Stabilitätspolitik, wie im Vertrag vorgegeben, ist nicht mehr zeitgemäß.

Meine Damen und Herren, das ist ein Frontalangriff auf den Stabilitätspakt, auf die Vereinbarung, die wir gemeinsam getroffen haben. Der Bundesfinanzminister hätte die Aufgabe, zu widersprechen. Was tut er? – Er hakt ein und sagt: Mit dir mache ich gemeinsame Politik, die darauf hinausläuft, den Stabilitätspakt auszuhöhlen. Was wird das Ergebnis sein? – Unsere Kinder werden in 10 bis 15 Jahren feststellen müssen: Die Politik kann überhaupt nicht mehr handeln, weil wir das gesamte Geld für Personal und Zinsen ausgeben. Das heißt, wir handeln derzeit weiterhin auf Kosten der nächsten Generationen. Der Stabilitätspakt dient unter anderem dazu, genau dies zu verhindern. Wenn große Nationen wie Deutschland und Frankreich in Kumpanei mit Italien dies unterminieren, ist dies ein Verspielen einer historischen Chance, die wir mit der Einführung des Euro errungen haben.

Dieser Weg darf nicht weiter beschritten werden. Deshalb wollen wir in Bayern unseren Stabilitätsweg weiter gehen. Der Vertrag, den wir für so bedeutsam halten, sagt nichts anderes: Erstens. Stabiles Wachstum ist nur mit konsolidierten öffentlichen Haushalten zu erreichen. Nur das stellt Vertrauen her. Zweitens. Der Stabilitätspakt signalisiert Flexibilität für alle. Es ist nicht wahr, dass das ein zu enges Korsett ist. Drittens. Aufweichungen des Stabilitätspaktes sind nicht möglich. Jeder muss sich an die Regeln halten. Der Europäische Gerichtshof hat nachhaltig die Einhaltung dieser Regeln angemahnt.

Der Rechtsspruch des Europäischen Gerichtshofs ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung. Die Bundesregierung sollte deshalb zu einem vernünftigen Stabilitätskurs zurückkehren.

(Beifall bei der CSU)

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.