Protokoll der Sitzung vom 21.07.2004

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Der Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1467, das ist der Antrag der Fraktion der GRÜNEN, betrifft den Landtag selbst. Er wird deshalb gemäß § 60 Absatz 2 Satz 4 der Geschäftsordnung vor der endgültigen Beschlussfassung im Plenum an den Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen federführend überwiesen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1543, das ist der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Dr. Otmar Bernhard, Manfred Ach und anderer und Fraktion (CSU) Bewährte bayerische Finanzverwaltung beibehalten – Ablehnung einer Bundessteuerverwaltung (Drucksa- che 15/1468)

Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat sich Frau Kollegin Guttenberger gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Bundesminister Eichel meint, eine zentralis

tische, bundeseigene Steuerverwaltung ist effizienter, wirkungsvoller, wirtschaftlicher und steuergerechter.

Wir halten dies für einen Anschlag auf die bestehende Ordnung, für ein Halali auf die Grundsätze Föderalismus und Subsidiarität.

(Lachen bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das föderale Steuersystem mit den Steuerverwaltungen in den Händen der Länder hat sich bewährt. Ein deutliches Zeichen für die Leistungsstärke der bayerischen Finanzverwaltung ist nicht zuletzt die hohe Kundenzufriedenheit, die in Umfragen immer wieder deutlich wird. In der aktuellen Umfrage des Wirtschaftsmagazins „Capital“ nimmt die bayerische Steuerverwaltung gemeinsam mit Baden-Württemberg einen Spitzenplatz ein. Die bayerische Finanzverwaltung ruht sich auch nicht auf ihren Lorbeeren aus, sondern baut konsequent ihren Servicecharakter aus. Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit finden nicht zuletzt in der sukzessiven Einrichtung von Servicecentern ihren Ausdruck. Diese Servicecenter sind geeignet, 90 % der Anliegen, die an sie herangetragen werden, sofort zu beantworten. Was wollen wir mehr?

Auch bei den Steuerberatern und Lohnsteuerhilfevereinen genießt die bayerische Finanzverwaltung einen hervorragenden Ruf. Rund 3250 Steuerberater und 720 Steuerhilfevereine haben 8300 Fragebögen ausgefüllt und hierbei die Tätigkeit bewertet. Dies war ein wichtiger Baustein für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Behörden auf der einen und den Beratern auf der anderen Seite.

Erkennen von Schwachstellen und gezielter Einsatz für die Verbesserung: Dies war die Aufgabe, und dieses Ziel wurde erreicht. Diese Befragung war auch ein erster Baustein in dem länderübergreifenden Projekt „Leistungsvergleich in den Finanzämtern“, an dem sich Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen und Bayern beteiligen. Qualitätsziele dieses Steuerungsprojektes sind Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Wirtschaftlichkeit und Auftragserfüllung. Gerade die dadurch erzielten Verbesserungen im Steuervollzug werden nicht nur mehr Effizienz, sondern vor allem auch mehr Steuergerechtigkeit nach sich ziehen. Wem also, meine sehr geehrten Damen und Herren, würde eine zentralistische, bundeseigene Steuerverwaltung nutzen? Kurz und knapp: niemandem.

Die Behauptung, eine zentrale Bundesverwaltung sei effizienter und gerechter, ringt mir – sicher nicht nur mir – ein Schmunzeln ab. Großprojekte sind - wie viele Beispiele zeigen - nicht unbedingt Sache der rot-grünen Bundesregierung. 90 000 Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit sind nur schwer in Einklang zu bringen. Ich sage jetzt überspitzt: einem „Toll Collect“ wollen wir kein „Tax Collect“ folgen lassen.

(Beifall bei der CSU – Manfred Christ (CSU): Sehr gut!)

Wie sich dies nach den bisherigen Erfahrungen mit Großprojekten der Bundesregierung auswirken würde, kann

sich angesichts von 120 000 Beschäftigten in den Steuerverwaltungen jeder mit gewissem Gruseln selbst ausmalen. Damit würde ein Anschlag auf die Lebensadern eines Staates verübt. Die Folgen wären weniger Einnahmen, höhere Verschuldung, weniger Gestaltungsspielräume und mehr Bürokratie, um nur einige zu nennen.

Lassen Sie mich auf das Märchen eingehen, eine zentrale Steuerverwaltung würde Vollzugsunterschiede beseitigen. Wer glaubt, dass bei 29 Millionen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerfällen und 120 000 Beschäftigten keine Vollzugsunterschiede und Abstimmungsnotwendigkeiten bestünden, der trägt eine Naivität zur Schau, die einen erschaudern lässt. Auch die Behauptung, Controlling und Leistungsvergleiche fänden nicht statt, ist falsch. Gerade der Wettbewerb der Länder um das beste und effektivste Vorgehen hat in der Steuerverwaltung vieles bewirkt, viele Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger gebracht und sich letztlich positiv ausgewirkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es drängt sich der Schluss auf, dass die rot-grüne Bundesregierung den Ländern hier nur die Teilnahme an einem weiteren Akt des Sommertheaters aufbürdet mit dem Titel: Eichels Sommernachtstraum – Ein heiteres Verwirrspiel; wie vertausche ich Ursache und Wirkung, und keiner merkt’s?

Fakt ist: Die Steuerverwaltung macht keine Gesetze; die Steuerverwaltung vollzieht Gesetze. Fakt ist auch, dass unser Steuersystem an Kompliziertheit, an Komplexität und an Häufigkeit von Änderungen nicht zu überbieten ist. Das ist das wahre Hindernis für einen effizienten und unbürokratischen Steuervollzug, für die Ansiedlung von ausländischen Unternehmen und für Existenzgründungen sowie die wahre Ursache bürokratischer Hürden. Weiteres Herummäkeln an Länderzuständigkeiten hilft hier nicht; hier hilft nur die Entschlackung der Steuergesetze, eine bessere Gesetzgebung, eine vereinfachte Gesetzgebung. Dabei - das muss ich auch leider feststellen - hat die Bundesregierung versagt.

Das Manöver, über Verwaltungsorganisation zu reden, aber die eigenen Hausaufgaben, nämlich die Entschlackung der Steuergesetze, nicht zu erledigen, haben wir durchschaut. Uns fehlt jede Neigung, in diesem Possenspiel eine Rolle zu spielen. Ich bitte Sie sehr herzlich um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächster hat Kollege Schieder das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine sehr begrenzte Redezeit erlaubt es mir leider nicht –

(Thomas Kreuzer (CSU): Ihr habt noch 17 Minuten!)

ich meine, die mir zur Verfügung stehende Zeit –, dass ich auf diese Argumentation im Einzelnen eingehe.

Wir werden diesen Antrag ablehnen. Wir haben vorhin vom Leiter der Staatskanzlei lange Ausführungen zur Frage einer effizienten und schlagkräftigen Verwaltung gehört. Dort, wo sich wirklich Chancen für Gesamtdeutschland bieten, zu einer schlagkräftigen Verwaltung zu kommen, sind Sie in Ihrem Separatismus und Partikularismus dagegen. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Guttenberger, ich empfehle Ihnen, einen Blick in die Berichte des Obersten Rechnungshofs der letzten Jahre zu werfen und sich ein Bild über den Zustand der bayerischen Steuerverwaltung zu machen. Dass sie leistungsfähig ist, verdanken wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,

(Beifall bei der SPD)

aber sicher nicht der Staatsregierung. Es ist richtig, dass es auf Bundesebene Überlegungen gibt, die Steuerverwaltung als Bundessteuerverwaltung zu vereinheitlichen. Wir halten das durchaus für überlegenswert. Diesen Vorschlag sollte man weiter diskutieren. Dafür gibt es einige Gründe. Ich kann nur stichwortartig einige herausgreifen. Deutschland, auch Bayern, hat weniger ein Ausgabenproblem denn ein Einnahmenproblem. Uns fehlen Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Manche sagen, dem Staat entgehen pro Jahr 15 bis 30 Milliarden Euro wegen unzulänglichem Steuervollzug. Diesem Problem muss man sich stellen. Der Bundesrechnungshof hat in verschiedenen Untersuchungen ebenso wie internationale Institute belegt, dass die deutsche Steuerverwaltung insgesamt signifikante Effizienzdefizite hat, die maßgeblich auf den Partikularismus der einzelnen Länderfinanzverwaltungen zurückzuführen sind.

Die Steuerverwaltung ist in 16 unabhängige Einzelverwaltungen aufgesplittet, was 16 unterschiedliche Prioritäten bei Personaleinsatz, Steuervollzug, Prüfungspraxis, der Anwendung von EDV oder Prüfungsfrequenzen bzw. Prüfungsschwerpunkten bedeutet. Das ist ein großes Problem. Die Länder sind auch mit dem Vorwurf konfrontiert, wegen einer gewissen Standortpolitik ihre Möglichkeiten nicht entsprechend auszunutzen.

Ich will Sie einmal auf Folgendes hinweisen: Die Situation führt dazu, dass nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Interpretation der Gesetzgebung durch Richtlinien, Handbücher, Verwaltungsregelungen oder Formulare zwischen 16 verschiedenen Bundesländern in mühsamen und personalintensiven Diskussionsrunden in unzähligen Bund-Länder-Kommissionen abgestimmt werden muss. Das ist alles andere als effizient. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass derzeit allein bei der Steuerverwaltung auf Bundesebene 50 Bund-Länder-Gremien eingesetzt sind, von denen zum Beispiel im Monat März 2004 allein 10 an fast jedem Tag des Monats März getagt haben. Das heißt mit anderen Worten, es sind Hundertschaften von deutschen Ministerialbeamten tagein tagaus nur damit beschäftigt, die Partikularinteressen von 16 Bundesländern beim Steuervollzug miteinander abzustimmen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist Bürokratie!)

Sie reden hier von einer Verwaltungsreform, und auf der anderen Seite stellen Sie sich, Frau Kollegin, hier hin und sagen, was wir haben, sei das Beste überhaupt. Das passt hinten und vorne nicht zusammen. Ich will mir weitere Ausführungen ersparen. Wir werden sicher ein anderes Mal im Haushaltsausschuss Gelegenheit haben, die Angelegenheit näher zu besprechen.

Wir werden den Antrag ablehnen, weil der Vorschlag des Bundesfinanzministers, eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung einzuführen, überlegenswert ist. Sie wissen vielleicht, dass das im Grundgesetz auch so vorgesehen war; es ist nicht am Einspruch der Länder bzw. dem Einspruch Bayerns gescheitert, sondern am Einspruch der Alliierten. Man hielt das damals für eine vernünftige Lösung. Man muss aber nach über 50 Jahren schauen, ob sich die Regelung bewährt hat. Es gibt gute Gründe, Herr Finanzminister, eine Bundessteuerverwaltung einer ernsthaften Prüfung und Diskussion zu unterziehen, weil es absolut ineffizient ist, wenn Hundertschaften von Ministerialbeamten tagaus tagein nichts anderes tun, als sich abzustimmen, und gleichzeitig bei diesen ineffizienten Verfahren Milliardenbeträge an möglichen Steuereinnahmen verloren gehen, weil sich die Länder nicht auf vernünftige Regelungen zur Steuererhebung verständigen können und der Bund, der die Gesetzgebungskompetenz hat, keinerlei Handhabe hat, die Länder zu einer vernünftigen Steuererhebung zu veranlassen. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegin! In der Diplomatenloge hat die Vizepremierministerin von Quebec, Frau Monique Gagnon-Tremblay, Platz genommen, die ich hiermit recht herzlich begrüße.

(Allgemeiner Beifall)

Ich freue mich, Sie hier im Landtag begrüßen zu können, denn seit Jahren verbindet Quebec und Bayern ein reger Austausch. Ich selber konnte schon zweimal an einem solchen Austausch teilnehmen und weiß daher aus eigener Erfahrung um die intensive Zusammenarbeit. Ich habe nur angenehme Erinnerungen und freue mich, dass wir den Austausch mit Ihrem jetzigen Besuch fortsetzen können. Herzlich Willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Als Nächster hat Herr Kollege Mütze das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Guttenberger, Sie hätten vorhin vielleicht nicht englisch reden sollen, wenn die Vizepräsidentin aus Quebec da ist, Sie hätten vielleicht französisch sprechen sollen. Ich dachte, die CSU wollte von den Anglizismen wie Tax-collect wegkommen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fraktion der CSU will also ihre angeblich so erfolgreiche Landessteuerverwaltung nicht aufgeben und lehnt vehement die Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung ab. Diese Vor

gehensweise ist unserer Meinung nach nicht zielführend. Es muss zumindest erlaubt sein, über eine zentrale deutsche Steuerverwaltung nachzudenken. Sie wollen selbst diesem Nachdenken mit ihrem Antrag einen Riegel vorschieben.

Ich möchte unsere Ablehnung des Antrags kurz begründen: Die Steuerverwaltung ist natürlich ein Kind des föderalen Staatsaufbaus. Dies gilt aber nicht für das Steuersystem. Zwar bestimmt Bayern im Bundesrat alle das Bundesland betreffenden Steuern mit; diese sind aber grundsätzlich bundeseinheitlich geregelt, mit Ausnahme einiger kommunaler Steuern. Die Leistungsstärke der bayerischen Finanzverwaltung ist schon länger in der Diskussion. Erinnern Sie sich bitte an die ORH-Berichte der letzten Jahre; letztmals 2003. Es wurden Steuerausfälle von jährlich immerhin 50 Millionen Euro kritisiert, die nur durch die zu hohe Arbeitsbelastung in den Ämtern entstanden sind.

Gemessen an dem Verhältnis zwischen Steuereintreibung und Steueraufkommen ist die deutsche länderweite Steuerverwaltung im internationalen Vergleich so ineffizient wie keine andere. Wir hatten im letzten Doppelhaushalt beantragt, zusätzliche Stellen einzurichten, um zumindest den Umsatzsteuerbetrug einzudämmen. Hier wäre auch eine Bundessteuerfahndung denkbar, die komplexere Ermittlungen, zum Beispiel für Karussellgeschäfte, zentral führen könnte. Es gibt für Sie durch Ihre Zahlerrolle im Finanzausgleich keinen besonderen Anreiz, die Effektivität der Finanzbehörde zu verbessern. Dies wird sich hoffentlich ab dem nächsten Jahr, wenigstens zum Teil, ändern.

Herr Kollege Mütze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Guttenberger?

Ja, gerne.

Herr Kollege Mütze, ist Ihnen bekannt, dass – Sie sprachen gerade den Umsatzsteuerbetrug an – bislang vom Bund keinerlei Tätigkeiten unternommen wurden, um eine Gesetzesänderung herbeizuführen, obwohl bekannt ist, dass unser derzeitiges System der Betrugsmöglichkeit Vorschub leistet. Ist Ihnen auch bekannt, dass sie auch für die Abstimmung auf EU-Ebene zuständig ist und bislang nicht tätig geworden ist?

(Beifall bei der CSU)

Was mir bekannt ist, Frau Kollegin Guttenberger, ist Folgendes: Es gibt den neuen Länderfinanzausgleich ab 2005, und in diesem neuen Länderfinanzausgleich ist eine verstärkte Umsatzsteuerfahndung mit enthalten. Von daher sehe ich es so, dass weitergehende Regelungen angedacht wurden.