Protokoll der Sitzung vom 19.10.2004

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 25. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 29. September ist Herr Johann Wimmer im Alter von 83 Jahren verstorben. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1958 bis 1970 an und vertrat für die Fraktion der CSU den Stimmkreis Altötting. Aus der Kommunalpolitik in seiner Heimatgemeinde Reischach kommend, gehörte er nacheinander dem Ausschuss für Eingaben und Beschwerden, dem Ausschuss für Fragen des Beamtenrechts und der Besoldung, dem sozialpolitischen Ausschuss und dem Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen an. Neben der Kommunal- und Landespolitik war Hans Wimmer auch in vielen Gremien des wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und kirchlichen Lebens aktiv. Er war insbesondere auch ein Anwalt der Bürgerinnen und Bürger. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zu Ehren des Toten von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Einen nachträglichen Geburtstagsglückwunsch darf ich dem Kollegen Otto Zeitler aussprechen, der am 10. Oktober einen runden Geburtstag gefeiert hat. Ich wünsche ihm persönlich und im Namen des Hohen Hauses alles Gute.

Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung noch zwei praktische organisatorische Hinweise. Heute ist die erste Plenarsitzung, deren vorläufige Plenarprotokolle beschleunigt bereitgestellt werden. Durch diese technische Neuerung des Stenografischen Dienstes steht das vollständige Vorabprotokoll bereits circa zwei Stunden nach Sitzungsende im Intranet zur Verfügung. Damit wird einem Vorschlag der Interfraktionellen Arbeitsgruppe für Informations- und Kommunikationstechnik entsprochen.

Ein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Anordnung hier im Saal aufgrund der Erfahrungen aus der ersten Sitzung. Die meisten von Ihnen haben vor ihren Stühlen jetzt ein Netz hängen. Dieses dient der Papierablage. Bitte deponieren Sie die Papiere, die Sie wieder verwenden möchten, in dieser Ablage. Papiere, die Sie nicht mehr gebrauchen, bitten wir, in die Papierkörbe zu geben. Ich möchte ganz ausdrücklich für alle festhalten, und sagen Sie es bitte weiter an diejenigen, die jetzt verzögert hereinkommen: Papiere, die am Boden liegen, werden nach Sitzungsende als Abfall beseitigt.

Ich habe noch die dringende Bitte, dass Sie Ihr Abfallpapier selbst in die diversen Abfallkörbe geben, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das nicht alles vom Bo

den beseitigen müssen. Wir haben einige Körbe mehr aufgestellt – Herr Kollege Herbert Müller demonstriert gerade, wie das geht -, sodass es in Reichweite möglich ist, das Altpapier zu entsorgen.

Wir treten damit in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1 Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung hat die Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Vorschlagsrecht. Sie hat die Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Notstand an Bayerns Schulen: Kein Konzept, kein Personal, kein Geld.“

Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen die Regeln für die Aktuelle Stunde: grundsätzlich fünf Minuten Redezeit. Die ersten Redner können auf Antrag einer Fraktion zehn Minuten sprechen; das wird natürlich auf die Gesamtredezeit angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, dann erhält eine Fraktion auf Antrag eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit. Ich bitte also, auf das Signal bezüglich der Redzeit zu achten. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in Bayern zwei Realitäten: Die eine hat die Kultusministerin, die übrigens nicht da ist, soeben auf einer Pressekonferenz verkündet. Die andere ist die, die uns die Leute erzählen. Die GRÜNEN sind bei den Leuten, und die GRÜNEN sagen, wie es wirklich ist.

An Bayerns Schulen herrscht Notstand; denn der Asket Stoiber predigt den Mangel als allein selig machendes Heil, und Mangel herrscht an Bayerns Schulen allemal. Was den Bildungsbereich angeht, herrscht im Kultusministerium ein Mangel an politischem Willen für gute Bildung. Dazu gehört die beste Ausstattung mit Personal.

Herr Staatssekretär, berücksichtigt man den Umstand, dass Sie noch einmal 200 000 Stellen an den Finanzminister verlieren werden, könnte man fast meinen, Sie haben sich fest vorgenommen, im internationalen Vergleich langfristig abzurutschen. Dafür, Herr Staatssekretär, tun Sie im Moment ziemlich viel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beginnen wir mit dem G 8 als Sinnbild für die Unfähigkeit des Bildungsministeriums. Das G 8 werde kein Sparmodell sein, so haben Sie vor einem Jahr angekündigt. Im Nachtragshaushalt war schon eine Kürzung von sechs Millionen Euro zu sehen. Da konnte man bereits erahnen, dass Ihr Hochglanzprospekt zum G 8 nur eine hohle Sprechblase ist. Wahr ist, dass die Eltern ran müssen. Im „Donaukurier“ heißt es: „Wenn Vater Mathe gibt – Eltern als mobile Reserve.“ Im Gymnasium in Grafing unterrichtet ein Vater seit Beginn des Schuljahres eine Klasse in Mathematik. Das Münchner Michaeligymnasium legt gerade eine Liste an, um im Krankheitsfall auf Eltern zurückzukommen, die sich für kompetent halten.

Bayerischer Landtag · 15. Wahlperiode

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass es so weit gekommen ist, nur weil Sie unbedingt auf die Schnelle ein achtjähriges Gymnasium einführen wollen, halte ich für einen Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Realität an den bayerischen Gymnasien ist eine Bankrotterklärung der Bildungspolitik der Kultusministerin Hohlmeier. Wenn Sie Eltern engagieren, um den Lehrermangel an den Schulen auszugleichen, steigt einem jungen Lehrer der Zorn ins Gesicht, weil Sie ihm keine Arbeit geben wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für Ihr G 8 fehlen die Lehrer und Lehrerinnen. Der Philologenverband hat in einer verbandsinternen Umfrage herausgefunden, dass aktuell rund 1500 Unterrichtsstunden nicht abgedeckt sind und dass pro Woche über 700 Stunden Pflichtunterricht ausfallen. Betroffen sind die Fächer Mathematik und Latein. In über 1200 Klassen sitzen zwischen 31 und 32, in rund 600 Klassen sogar 33 und mehr Schülerinnen und Schüler. Ich meine nicht, dass dies eine zukunftsfähige Bildungspolitik ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die von Ihnen genannten vier Millionen Euro, die Sie im Sommer auf Kosten der Berufsschulen locker gemacht haben, ist diese Summe, die 63 Lehrerinnen und Lehrern entspricht, ein Tropfen auf den heißen Stein. Um Ihr Kernstück und Qualitätsmerkmal, die Intensivierungsstunden, erbringen zu können, fehlen Ihnen Lehrerinnen und Lehrer. Sie wissen das, tun aber nichts dagegen. Die Lage wird umso schlimmer, je mehr Klassen in das neue G 8 rutschen und je mehr zusätzliche Intensivierungsstunden somit anfallen. Für diesen Fall haben Sie keine Lösung parat, weil Sie unfähig sind, beim Finanzminister die erforderlichen Stunden herauszuboxen. Schlimmer ist noch: Sie lassen es zu, dass Lehrerstellen gekürzt werden. Frau Hohlmeier, das ist schwach, weil auch Sie schwach sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Zukunft unserer Kinder lässt dies nichts Gutes erahnen.

In Ihrem Hochglanzprospekt haben Sie ein weiteres Versprechen gegeben: Darin steht schwarz auf weiß, dass das Budget für den Wahlunterricht nicht angetastet wird. Fakt ist, dass auch der Wahlunterricht – also das, was wir „Schulprofil“ nennen – zusammengestrichen wurde. Ich kenne ein Gymnasium, das dieses Jahr das zwanzigjährige Jubiläum seines Schulgartens hätte feiern können. Dieser Garten wurde Opfer Ihrer Sparpolitik, und ich verwende ihn als Sinnbild für das bayerische Bildungssystem. Dieser Garten wird nur deshalb brach liegen und verwildern, weil Sie nicht in der Lage sind, Ihren Job ordentlich zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich fasse die Lage mit den Worten der Hauptpersonalrätin der Gymnasien zusammen: Die Schulen fahren am Limit.

Da können Sie noch so viel schönrechnen. Sie sehen einfach zu.

Kommen wir zur Hauptschule. Der BLLV hat schon vor Wochen davor gewarnt, dass die mobile Lehrerreserve nicht den tatsächlichen Erfordernissen entspricht, sondern nur bereits bekannte Ausfälle abdeckt. In Krankheitsfällen kommen die Schulen ins Schwimmen. Auch an den Hauptschulen werden der Wahlunterricht abgebaut und die Anzahl der Arbeitsgemeinschaften wegen Personalmangel reduziert. Der Förderunterricht wird gestrichen. Will man ihn trotzdem beibehalten, müssen die Schulen dafür das Fach Arbeitslehre in der fünften Klasse streichen.

Auch an den Realschulen gibt es mit bis zu 37 Schülerinnen und Schüler überfüllte Klassen. 244 Klassen haben mehr als 34 Schüler. In 34 % aller Realschulklassen sind mehr als 31 Kinder.

Zusammengefasst kann man sagen: Bayerns Schulen haben ein Personalproblem. Im Sommer standen die Junglehrer arbeitslos auf der Straße. Ich möchte Ihnen die Lehrerarbeitslosigkeit anhand folgender Zahlen verdeutlichen: Berufsschule 25 %, Förderschule 30 %, Grundschule 50 %, Gymnasium 58 %, Hauptschule 19 % und Realschule 49 %. Im Schnitt macht das 43 %. Frau Hohlmeier, aus diesem gut ausgebildeten Potenzial hätten Sie schöpfen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Hohlmeier, im Zusammenhang mit dem G 8 sollen Sie auf einer Ihrer „Road-Shows“ einmal den schönen Satz gesagt haben: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Frau Ministerin, da kann ich Sie nur bestärken. Stellen Sie Lehrer ein. Alles andere halte ich für Ihr persönliches Versagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Schluss will ich folgenden weiteren Mangel nennen: Es fehlt Ihnen im Personalbereich an Weitblick und an Strategien für Personalentwicklung. Sie wissen ganz genau, dass in den nächsten Jahren 40 % der Lehrerinnen und Lehrer in Pension gehen werden. Trotzdem gibt es keine langfristigen Überlegungen und haben Sie einen Antrag von uns abgelehnt, sich mit diesem Problem zu befassen.

Ein Teil des Notstands in der Bildung besteht aus der Demotivation, die durch die Arbeitszeiterhöhung und nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ – wie mir die Lehrer gesagt haben – entstanden ist.

Unsäglich in diesem Zusammenhang sind auch die Äußerungen des Ministers Huber, Lehrer würden erst gegen Ende September anfangen zu arbeiten und schon Anfang Juli damit aufhören. Oder, Frau Ministerin Hohlmeier, jemand sagte – so wurde es mir erzählt -, ein guter Lehrer engagiere sich trotz der Arbeitszeiterhöhung ohne Abstriche weiter; dieser Lehrer ergänzte: bis er umfällt. Das zeigt, dass Sie die Arbeitsbelastung von Lehrkräften nicht ernst nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich empfehle für tiefere Einblicke der CSU den Selbstversuch. Werden Sie zur mobilen Reserve. Verschaffen Sie sich einen Eindruck von den Auswirkungen Ihrer Entscheidungen, bevor Sie den nächsten Doppelhaushalt abnicken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf jeden Fall auf: Stellen Sie die Lehrer ein, die Bayerns Schulen brauchen; denn ohne zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen werden unsere Schulen nicht in der Lage sein, ihrem Bildungsauftrag in angemessener Form gerecht zu werden. Hören Sie auf, Ihre Kraft beim Vertuschen zu verschwenden. Ich habe hier eine E-Mail vorliegen, wonach wir bei den Leistungstests die Schnitte nach unten korrigiert haben, damit nicht auffällt, dass sie schlechter ausfallen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Der politische Wille muss im Kultusministerium aufgebracht werden. Hier nehmen die Mängel ihren Anfang.

Das Ministerium muss dazu gebracht werden, neue Lehrer einzustellen. Wagen Sie den personellen Neuanfang im Kultusministerium und für viele Junglehrerinnen und Junglehrer in Bayern!

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schneider.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Tolle, ich hatte den Eindruck, dass es Ihnen bei Ihrem Beitrag weniger um die Bildungspolitik, weniger um die Schüler in Bayern ging, sondern mehr darum, persönliche Angriffe zu starten, statt eine sachliche Auseinandersetzung zu suchen.