Protokoll der Sitzung vom 20.10.2004

Jetzt komme ich zu Ihrer Bemerkung, das G 8 sei international konkurrenzfähig, das müsse noch bewiesen werden. Fragen wir doch einmal unsere Kunden – das sind in diesem Fall die Eltern. Der Bayerische Philologenverband hat das getan und die Eltern gefragt: „Halten Sie die derzeitige

bayerische Bildungspolitik für geeignet, den Spitzenplatz bayerischer Gymnasien im internationalen Vergleich zu behaupten?“ – Die Antwort zeigte, dass zwei Drittel der befragten Eltern die Frage verneinen. Wie gesagt, es ist noch zu beweisen; aber zwei Drittel der Eltern vertrauen Ihnen nicht. Das liegt sicher nicht daran, dass Sie eine derart tolle Politik machen.

Zurück zum Antrag: Ich zitiere den Bildungsbericht der OECD, den Sie ebenfalls nur in Teilen zur Kenntnis nehmen wollen. Ich denke aber, dieser Bericht hat bestätigt, dass Bildungsausgaben wichtiger Bestandteil einer sinnvollen Bildungs- und Gesellschaftspolitik sind. Investitionen – und ich möchte Bildungsaufgaben auch so begriffen sehen, denn ich meine, wenn man von Investitionen in die Bildung spricht, dann ist das eine andere Herangehensweise –, Investitionen in die Bildung, das sind Investitionen in unsere Zukunft. Wir brauchen deshalb für diesen Bereich mehr Geld, um im internationalen Vergleich nicht den Anschluss zu verpassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht ist es berechtigt, Herr Kollege Sibler, dass die CSU nicht mehr Geld ausgeben will; denn wer investieren will, braucht ein Konzept.

(Lachen des Abgeordneten Bernd Sibler (CSU))

Ein solches Konzept sehe ich bei Ihnen aber nicht, um es einmal gelinde zu formulieren.

(Bernd Sibler (CSU): Wir schon!)

Wir, die GRÜNEN, wollen den internationalen Vergleich, und wir wollen, dass Bayern dabei an der Spitze steht. Leider ist der Herr Ministerpräsident schon wieder gegangen. Ich denke aber, in dieser Frage befinden wir uns mit ihm in Übereinstimmung. Vor ungefähr einem Jahr hat er gesagt, er wolle in exzellente Bildung auf internationalem Niveau investieren. Genau, Herr Kollege Sibler, internationales Niveau muss her. Das liegt im Moment bei 6,2 % des Bruttoinlandsproduktes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit Sie einen Vergleich haben: Bayern liegt seit Jahren konstant bei 1,2 %. Wir wollen uns aber auch mit Deutschland vergleichen. Hier beträgt die Zahl 4,3 %. Ich meine, wir müssen aufholen. Unsere Haushaltspolitiker – bei uns ist Herr Mütze für meinen Einzelplan zuständig – sind vernünftige Menschen. Deshalb können wir uns einen langfristig vernünftig planbaren Zeitraum von zehn Jahren vorstellen. Ich meine, das ist maßvoll.

Ich komme jetzt zur Einzelkritik am bayerischen Bildungssystem. Das bayerische Bildungssystem hat viele Mängel. Der größte Mangel ist meiner Meinung nach die Chancenungerechtigkeit, die es produziert. Bildungsarmut wird vererbt. Das ist mittlerweile durch viele Untersuchungen bewiesen. Das führt dazu, dass wir viele Talente nicht erkennen. Auch ich bekenne mich hier noch einmal zur Lernmittelfreiheit. Ihr Büchergeld ist aus meiner Sicht kein Bü

chergeld, sondern ein Schulgeld, und es zockt die Eltern ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin gespannt, was Sie in der mündlichen Fragestunde darauf antworten, welche Kalkulationsgrundlage Sie den 40 Euro zugrunde legen.

Ich bin auch frauenpolitische Sprecherin meiner Partei. Deshalb stelle ich fest: Ein weiteres Manko sind die Karrierechancen für Frauen. Hierbei liegt Bayern, europaweit betrachtet, ganz weit hinten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für Frauen und Männer nicht gegeben.

(Gertraud Goderbauer (CSU): Das stimmt doch nicht!)

Das hat etwas mit Ganztagsschulen zu tun, mit den bekannten Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut bei Alleinerziehenden sowie im europäischen Vergleich mit einer unterdurchschnittlich niedrigen Geburtenrate. Ich bin selbst allein erziehende Mutter. Es fehlt überwiegend an Betreuungsmöglichkeiten.

Jetzt komme ich zum Notstand an Bayerns Schulen. Es gebietet allein schon dieser Notstand, dass wir im kommenden Haushalt die Mittel erhöhen, damit wieder Ruhe einkehrt, auch wenn Sie eine andere Realität in die Protokolle sprechen. Eines hat mich schon sehr amüsiert. Kollege Herrmann hat nach einer Zeitungsmeldung gesagt: Wer behaupte, das G 8 sei kein Erfolg, der hätte kein Gymnasium von innen gesehen. Für mich darf ich sagen – ich bin Zweckverbandsrätin –, mindestens zweimal im Jahr ist das der Fall. Erst gestern, sehr verehrter Kollege Sibler, war ich in einem Gymnasium in Bad Aibling zusammen mit dem Kollegen Pfaffmann. Leider hat die CSU gefehlt. Sonst hätten Sie sich auch davon überzeugen können, dass die Eltern eine andere Wahrnehmung der Realität haben als Sie. Wir könnten mit mehr Investitionen im Einzelplan 05 mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen und hätten damit automatisch kleinere Klassen oder ein besseres Lehrer-SchülerVerhältnis, bei dem sich die Lehrerinnen und Lehrer intensiver den Belangen unserer Kinder widmen könnten. Durch einen höheren Bildungsetat können wir auch mit individueller Förderung an allen Schulen beginnen und damit eine stärkere Chancengleichheit erreichen. Denn, ich habe Ihnen ja vorhin schon gesagt, in Bayern ist der Schulabschluss vom Geldbeutel der Eltern abhängig.

Wir könnten mittelfristig ein flächendeckendes Netz von Ganztagsschulen aufbauen und mit neuen pädagogischen Modellen verknüpfen. Jetzt komme ich zum wesentlichen Punkt: Langfristig könnten wir dann das Schulsystem nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen modernisieren und Bayern so zu einem Vorzeigeland im Bildungswesen machen. Aber dazu braucht man eine Vision. Eine Vision kann ich in diesem Bildungsministerium und bei dieser CSU-Bildungspolitik nicht erkennen. Es gibt kein Leitbild oder keine Vorstellung davon, wie der Schüler, die Schülerin auszusehen hat, die in zehn Jahren eine bayerische Schule verlässt, welche Kompetenzen er, sie haben muss. Und wenn es an diesen Grundlagen fehlt, dann ist es klar, dass der Rest nichts wird.

Jetzt möchte ich einmal finanzpolitisch argumentieren. Den nächsten Satz habe ich aus einem Lehrbuch. Da können Sie lesen:

Investitionen in Bildung sind dann lohnend, wenn der zukünftige Nutzen in Form höherer Einkommen die Kosten überkompensiert. Aus bildungsökonomischer Sicht betrachtet man die Höhe der Investitionen und vergleicht die Opportunitätskosten der Bildungsinvestition mit deren Rückzahlung in Form höherer Einkommen.

Sprich: Wenn man sich einen verstärkten – jetzt sage ich den BWL-Fachbegriff – „Return on Invest“ erwartet, dann ist Investition eine lohnende Geldanlage. Und dass Investitionen in Bildung mit höheren Einkommen korrelieren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wurde auch schon wissenschaftlich bewiesen. Wenn die Staatsregierung nicht handelt, dann heißt das eigentlich nur Folgendes: Sie trauen unserer Jugend nichts zu.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Oh!)

Oder Sie vertrauen Ihrer eigenen Gestaltungskraft nicht, und das nenne ich hasenfüßig. Derart feige kann man im Globalisierungswettbewerb nun wirklich nicht bestehen.

(Zuruf des Abgeordneten Bernd Sibler (CSU))

Ihre Politik verkennt eines: Gut ausgebildetes Humankapital spielt eine Schlüsselrolle. Hierfür brauchen wir – das habe ich auch schon des Öfteren gesagt – zwei „K“: erstens Kohle, zweitens Konzept. Hier, Herr Kollege Sibler, könnten wir Jobsharing betreiben: Sie liefern das Geld und wir die Konzepte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will, dass Bayerns Nachwuchs fit für die Herausforderungen der Zukunft wird. Mit Bildungsinvestitionen investieren wir da, wo es sich am meisten auszahlt und die größte Rendite zu erwarten ist. Bildung ist eine Investition in unsere Kinder und damit in wirtschaftliches und gesellschaftliches Wohlergehen. Also können Sie mal ein wenig Mumm zeigen. Sie kennen sicherlich auch die alte Fußballerregel: Mit Mitteln der Regionalliga kann man nicht in der Champions League spielen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ums Wort hat Frau Staatsministerin Hohlmeier gebeten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf allgemeines Katastrophengerede will ich nur ganz kurz mit Fakten antworten. Ich glaube, es ist jetzt einmal notwendig, mit Fakten zu antworten, anstatt sich ständig die Katastrophen, die es gar nicht gibt, anhören zu müssen.

(Beifall bei der CSU – Bernd Sibler (CSU): Sehr richtig!)

Ich beginne mit Ihrer These, die Klassengrößen seien gestiegen. Die Klassengrößen der Grundschulen und der Hauptschulen sind gesunken. Bei den Gymnasien sind die Klassengrößen seit letztem Jahr etwas gesunken. Bei den Realschulen und Förderschulen sind die Klassenstärken gleich geblieben.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler: Da schau her!)

An den Volksschulen haben nur noch 0,4 % der Klassen über 30 Schülerinnen und Schüler.

(Marianne Schieder (SPD): Im Durchschnitt!)

Wir haben dafür 54 % mehr Sprachlernklassen, nämlich 220 anstatt 166 im letzten Schuljahr. Wir haben die Vorkurse für Kinder mit Migrationshintergrund von 167 auf 336 ausgeweitet.

Dann stellen Sie die Behauptung auf – ich würde vorschlagen, Sie revidieren vielleicht Ihren Antrag im Laufe der Zeit –, immer mehr Schüler würden die Schule ohne Abschluss verlassen - 10 %! Sie sollten dazusagen, dass nur 5,6 % davon aus der Hauptschule kommen und dass der restliche Teil aus der Förderschule kommt.

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Ich halte es für absolut nicht in Ordnung, wie Sie hier argumentieren; denn die Kinder der Förderschule kann man nicht so ungefähr als Schulabbrecher oder Schulversager bezeichnen.

(Beifall bei der CSU – Marianne Schieder (SPD): Das habe ich auch nicht getan!)

Des Weiteren beschreiben Sie, dass 18 364 Schüler das Gymnasium verlassen. Sie verschweigen dabei allerdings, dass Fachoberschulen – –

(Unruhe bei der SPD)

Sie dürfen sich ja aufregen, aber Fakten bleiben Fakten.

(Marianne Schieder (SPD): Das ist die Zahl des Ministeriums!)

18 364 Schüler verlassen das Gymnasium, schreiben Sie. Das ist richtig, davon geht aber der größte Teil an Fachoberschulen, und zwar freiwillig nach der 10. Klasse, weil sich die Schüler dezidiert für den Weg der Fachoberschule entscheiden.

Was ich auch nicht für akzeptabel halte, ist, dass Sie immer wieder sagen, dass nur 17 % das Abitur machen würden – wir sind mittlerweile bei fast 33 % angekommen –,

(Marianne Schieder (SPD): Von der allgemeinen Hochschulreife war die Rede!)

weil Sie immer noch nicht Fachoberschüler und Berufsoberschüler anerkennen und das Fachabitur auch nicht.

(Beifall bei der CSU)