Protokoll der Sitzung vom 20.10.2004

Wer auch nur annähernd bereit ist, die Realitäten vor Ort zur Kenntnis zu nehmen, stellt doch fest, dass es keine Reserven mehr gibt, die man einsetzen könnte, und muss unumwunden zugeben, dass es vor Ort keine qualitativen Verbesserungen geben kann, wenn nicht mehr Geld im Bildungshaushalt bereit steht. Dazu gehört auch, dass wir uns endlich einmal des großen Problems, das wir in Deutschland und auch in Bayern haben, annehmen, dass wir uns nämlich mit dem viel zu engen kausalen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Kinder und ihren Schullaufbahnen und Schulerfolgen befassen. Einen derart engen Zusammenhang gibt es in keinem anderen vergleichbaren Land in Europa. Es hängt, in klaren Worten gesagt, immer noch vom Geldbeutel der Eltern und vom Interesse des Elternhauses an der Bildung ab, welchen Schulabschluss ihre Kinder erreichen können.

Dazu sage ich Ihnen: Es ist der falsche Weg, die Lernmittelfreiheit de facto abzuschaffen und ein Büchergeld einzuführen, wie Sie das wollen.

(Beifall bei der SPD)

Das sagen doch nicht nur wir immer wieder in diesem Landtag, sondern das weiß doch auch Ihre Basis. So darf ich Ihnen vorlesen, was der CSU-Ortsvorstand in Hirschau im Landkreis Amberg-Sulzbach zusammen mit der dortigen CSU-Fraktion und dem dortigen Fraktionsvorsitzenden, der selbst Leiter einer größeren Schule im Landkreis Amberg-Sulzbach ist, festgestellt hat. Man hat beschlossen, die Landtagsfraktion und die Staatsregierung aufzufordern, die bestehenden Regelungen zur Lernmittelfreiheit unverändert aufrechtzuerhalten. Es müsse festgestellt werden, so heißt es in der Presse, dass sich eine erhebliche

Anzahl von Abgeordneten sehr weit von der Basis entfernt habe.

(Beifall bei der SPD)

Es wird gefragt, ob sich der Herr Ministerpräsident nicht an das erinnern könne, was er in seiner Regierungserklärung 2003 versprochen habe, nämlich – ich zitiere – die Leistungen für Familien von jeglicher Einsparung auszunehmen. Herr Schulleiter Schulz stellt zudem fest, was richtig ist, dass das Büchergeld auch seiner Höhe nach nicht ganz nachvollziehbar sei und dass die Daten, die er vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung bekommen habe, deutlich nachwiesen, dass der Freistaat Bayern bislang weit geringere Beträge für Lernmittel zur Verfügung gestellt habe. So hat er errechnet, dass man pro Grundschüler 9,1 Euro, pro Hauptschüler 12 Euro, pro Realschüler 13 Euro und pro Gymnasiasten 19 Euro für Schulbücher ausgegeben hat. Es stimmt also, was wir Ihnen sagen, dass hier eine Verdummungspolitik betrieben wird und dass es das Ziel der Staatsregierung ist, die 20 Millionen Euro aus dem Haushalt zu streichen und den Verwaltungsaufwand, der mit der Finanzierung und Abwicklung der Lernmittelfreiheit verbunden ist, loszuwerden. Es geht Ihnen darum, den Eltern das Geld aus der Tasche zu ziehen, das dringend notwendig ist, um in den Schulen für bessere Bedingungen zu sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Dabei schrecken Sie auch nicht davor zurück, den Beitrag noch ein bisschen zu erhöhen. Das Büchergeld, sagt Herr Schulz weiter, wird auch durch die Ankündigung nicht besser, dass soziale Komponenten eingebaut werden. Schlimm ist für ihn als Schulleiter, dass Eltern künftig bei ihm ihre Einkommensverhältnisse offen legen müssen, um von der Zahlung des Büchergeldes befreit zu werden. Zudem, so meint er, werden Eltern, deren Kinder unterschiedliche Schulen besuchen, gleich mehrmals einen solchen Offenbarungseid leisten müssen. Ab dem dritten Kind müssten die Schulen zusätzlich überprüfen und überwachen, für welches der Kinder die Befreiung in Anspruch genommen wird.

Er weist auch darauf hin, dass die CSU-Fraktion ebenso wie die Staatsregierung in den letzten Jahren nicht müde geworden ist, der SPD vorzuwerfen, dass in manchen SPD-regierten Bundesländern die Lernmittelfreiheit eingeschränkt wurde, und fordert die CSU auf, Entscheidungen, die man jahrelang als falsch gebrandmarkt hat, nicht selbst in diesem Landtag zu vollziehen und damit Eltern zusätzlich zu belasten, was nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein kann.

(Beifall bei der SPD)

Wer wirklich will, was Sie dauernd fordern, nämlich eine möglichst frühe, intensive und individuelle Förderung unserer Kinder in der Schule, der muss bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen und alles dafür zu tun, dass die Klassen kleiner werden, dass Unterrichtsausfall verhindert wird und dass die Lernmittelfreiheit erhalten bleibt.

Ich bitte Sie: Folgen sie gemeinsam mit Ihrer Basis unserem Dringlichkeitsantrag. Der Ortsverein Hirschau ist nicht der einzige CSU-Ortsverein, der Ihnen die eben von mir zitierte Meinung zutragen wird. Wenn Sie es zur Kenntnis nehmen wollen, dann merken Sie ganz genau, wie es an Ihrer Basis rumort. Stimmen Sie zusammen mit Ihrer Basis für diesen Dringlichkeitsantrag, und tun Sie alles, damit im nächsten Doppelhaushalt die sinnlose Sparerei an Bayerns Schulen ein Ende nimmt und das getan wird, was notwendig ist. Wir brauchen mehr Mittel für Bayerns Schulen, damit es mehr Qualität und Zukunftschancen für unsere Kinder geben kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile das Wort Herrn Kollegen Sibler. Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Da ist es wieder einmal, das Wunschkonzert der SPD und der GRÜNEN, die mehr Geld verlangen. Da haben wir die Forderung, die Mittel im Einzelplan 05 zu erhöhen. Ich sage dazu: Nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis, und schauen Sie in den heute eingebrachten Haushaltsentwurf, der eine Steigerung beim Bildungsetat um 4,3 % für 2005/ 2006 aufweist. Der Staatsminister der Finanzen hat es heute genau so eingebracht. Nehmen Sie außerdem zur Kenntnis, dass der Hochschuletat um etwa 7 % steigen wird. Wir nehmen hier die bildungspolitische Verantwortung gegenüber unseren Kindern sehr bewusst wahr. Sie sollten es vermeiden, wie gestern den Eindruck von Chaos an den bayerischen Schulen zu erzeugen. Die Situation ist nicht so schlecht, wie Sie es darstellen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das Chaos haben Sie erzeugt!)

Der Bildungshaushalt hat in den letzten Jahren überproportionale Steigerungen erfahren, nämlich um 19 %, wie wir heute schon gehört haben. Diese Zahl ist bemerkenswert und im Bundesvergleich ausgesprochen gut.

Sie sprechen auch davon – das konnte man Ihren Presseerklärungen entnehmen –, dass Stellen eingespart werden. Der Finanzminister hat Ihnen heute Vormittag schon gesagt, dabei müssen Sie zwischen Köpfen und Kapazitäten unterscheiden. Außerdem möchte ich darauf verweisen, dass wir in den letzten Jahren 5500 neue Lehrerplanstellen geschaffen haben, die dazu beigetragen haben, dass sich die Situation nicht zum Schlechteren verändert hat. Die Ministerin hat gestern davon gesprochen, dass in diesem Jahr pro Woche 40 000 Unterrichtsstunden mehr zur Verfügung gestellt werden. Das sind die Fakten. Nehmen Sie diese zur Kenntnis.

Wir reagieren damit auch auf den Zuwachs bei den Schülerzahlen, den wir in Bayern zu verzeichnen haben. Die Schülerzahlen steigen entgegen längerfristigen Prognosen. Warum steigen diese Zahlen? – Gerade junge Menschen in den neuen Bundesländern verlassen ihre Heimat. Im Wahlkampf in Sachsen und in Brandenburg war die Bildungspolitik ein wichtiges Thema, allerdings unter völlig anderen Vorzeichen als bei uns. In Ostdeutschland fehlen in ganzen Landstrichen die jungen Menschen, sodass es zu viele

Lehrer gibt. Ich frage Sie: Wo gehen denn diese jungen Menschen aus dem Osten hin? – Sie gehen dorthin, wo die Lebensqualität und die Lebensart der Menschen gut sind. Sie gehen nach Bayern und Baden-Württemberg, also in jene Länder, in denen die Arbeitslosenzahlen objektiv am niedrigsten sind, in jene Länder, in denen objektiv gesehen die Wirtschaftskraft am größten ist, und in jene Länder, die bei der Pisa-Studie objektiv am besten abgeschnitten haben.

(Beifall bei der CSU)

„Vom Wiegen allein wird das Schwein nicht fett!“ – So hat ein Kultusminister von der SPD versucht, die Pisa-Studie herunterzureden. Ich glaube schon, dass die Ergebnisse den SPD-regierten Ländern nicht gefallen, aber diese Formulierung sollte man sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen; denn sie macht den hier wirkenden Verdrängungsmechanismus ganz deutlich. Ich finde es mittlerweile unerträglich, dass die objektiven Fakten von der Opposition immer wieder schlecht geredet werden. Sie vermitteln damit eine Atmosphäre von Chaos und Untergang, die so wohl nur von Ihnen wahrgenommen wird. Der Blick von Deutschland auf Bayern ist nämlich ganz ein anderer, wie dieses Beispiel zeigt.

(Beifall bei der CSU)

Ich möchte noch ein paar Worte über die Vorschläge, die wir letzte Woche zur Kenntnis nehmen durften, und den Antrag verlieren. Keiner soll verloren gehen, heißt es da. Das ist eine Überschrift, der wir uns wahrlich alle anschließen können. Das, was aber letztlich darunter subsumiert wird, sind oft bildungspolitische Ladenhüter, die einmal mehr einen falschen Ansatz vermitteln. Sie haben auf die Formulierung von gestern verwiesen, bei der Herr Prof. Waschler und ich von guten Ansätzen gesprochen haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Fall setzen wir einfach voraus, dass wir auf einem guten und soliden Fundament stehen, auf dessen Grundlage wir weiter neue Ansätze entwickeln wollen. Sie sprechen stattdessen undifferenziert von zu großen Klassen und übersehen dabei, dass sich bei den Grund- und Hauptschulen die Klassenstärke in den letzten Jahren deutlich nach unten bewegt hat. Auch am Gymnasium konnten wir trotz der schwierigen Situation die durchschnittliche Klassenstärke im letzten Jahr konstant halten. Bei den Neueinstellungen übersehen Sie, dass wir in schwierigen Zeiten bei der Grund- und Hauptschule vertretbare Anstellungszahlen erreicht haben.

Bei der Schilderung der Abiturquote lassen Sie das objektiv gute berufliche Schulwesen völlig außen vor.

Sie ignorieren, dass wir über den beruflichen Weg eine ganze Reihe von jungen Menschen zum Abitur führen. Sie ignorieren, dass wir über die Fachoberschule, die Berufsoberschule und durch die Fachhochschuloffensive ein sehr gutes Modell haben. Sie ignorieren, dass die sechsstufige Realschule dazu beigetragen hat, dass die Wiederholerquote nach unten gegangen ist.

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Frau Schieder, wir haben doch inzwischen längerfristige Versuche an den Realschulen. Die Realschule in Plattling hat seit 1995/96 die R 6 und 70 % weniger Wiederholer. Das sind die Fakten. Bitte nehmen Sie sie auch zur Kenntnis. Auch am Gymnasium sind wir auf einem guten Weg.

Sie setzen Ihre Kritik auch beim lebenslangen Lernen an. Sie fordern, der Staat soll wieder mehr machen. Ihre einfallslose Antwort lautet: mehr Staat. Wir setzen auf die Eigenverantwortung und machen deutlich, dass auch von der Wirtschaft eine ganze Menge geleistet wird. Sie träumen immer noch von der Gesamtschule.

(Karin Radermacher (SPD): Ha, Ha! – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie wissen doch gar nicht, was eine Gesamtschule ist!)

Dabei haben doch in Deutschland gerade jene Schulen objektiv besser abgeschnitten, die ein differenziertes System nachweisen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wissen Sie, was eine Gesamtschule ist?)

Ich kenne dieses Modell mittlerweile recht gut, Herr Dr. Dürr, Sie haben es schließlich oft genug dargestellt. Niedersachsen geht von der Orientierungsstufe weg. Ich habe einen Onkel, der dort Lehrer ist. Er sagt, er sei glücklich, dass er endlich auch am Gymnasium Schüler in der fünften und sechsten Klasse unterrichten kann, weil er mit ihnen ganz anders pädagogisch arbeiten kann. Den Schülern hier macht es Spaß, am Gymnasium zu sein. Das sollte man auch einmal deutlich machen.

Neben Pisa haben wir auch bei der Iglu-Studie gut abgeschnitten. Auch das macht deutlich, dass das bestehende bayerische Grundschulsystem gut funktioniert und gute Ergebnisse mit sich bringt. Sie schildern geradezu leidenschaftslos in Ihrem Konzept das Gymnasium. Beim Lesen des Papiers gewinnt man den Eindruck, dass man das halt so mitgenommen hat. Gerade diese Schulform ist aber recht erfolgreich. Die steigenden Schülerzahlen am G 8 geben uns Recht und zeigen, dass das Konzept angenommen wird. Das steht im Gegensatz zu der Weltuntergangsstimmung, die Sie in den letzten Jahren hier wieder an die Wand gemalt haben.

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Wir in Bayern reagieren anders. Wir entwickeln unser Schulsystem kontinuierlich und zielgerichtet weiter, orientiert an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler. Das G 8 macht die Schülerinnen und Schüler international konkurrenzfähig. Das R 6 schafft weniger Wiederholer. Durch die Hauptschulreform haben wir die Möglichkeit geschaffen, den mittleren Schulabschluss zu erwerben. Wir fördern gleichzeitig die Schwächeren mit den Praxisklassen.

(Zuruf von der SPD)

Wir haben Sprachlernklassen auf den Weg gebracht; wir haben vielfältige Möglichkeiten mit den Modus-Klassen nach vorn gebracht. Wir nehmen Kritik gern an, wenn sie konstruktiv ist. Ihre Kritik aber ist zerstörerisch.

(Lachen bei der SPD)

Sie versuchen hier, ein Bild zu zeichnen, das nicht der Realität entspricht.

Auch die GRÜNEN übersehen in ihrem Ansatz die kleineren Klassen und sehen nicht, dass gerade für Jugendsozialarbeit eine ganze Menge Geld bereitgestellt wurde. Die SPD fordert die Bildungsmilliarde. Es versteht sich fast von selbst, dass dafür, einmal mehr, keine Gegenfinanzierung vorgelegt wurde. Das ist die Art und Weise, wie Sie Politik machen. Bayern handelt anders. Bayern handelt so, dass wir auch in einigen Jahren noch finanzielle Spielräume für die Kinder haben werden. Wir lehnen die beiden Anträge deshalb ab.

(Beifall bei der CSU – Rainer Volkmann (SPD): Wer hat Ihnen denn aufgeschrieben, was Sie hier vorgetragen haben?)

Ich darf das Wort jetzt Frau Kollegin Tolle erteilen. Bitte, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sibler, ich mag Ihnen jetzt gerne etwas erwidern. Unsere Wahrnehmungsunterschiede zum Notstand, die führe ich später aus. Sie haben darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 05 eine 4,3-prozentige Steigerung hat. Herr Kollege Sibler, Sie haben sicher auch bemerkt, dass die Ausgaben für Pensionen immens steigen. Der Bund hat 148 Millionen Euro für Ganztagsschulen eingestellt. Die muss man herausrechnen. Anschließend schauen wir mal, wie hoch die Steigerung dann noch ist.

(Zuruf von der CSU)

Ich möchte Ihnen auch erwidern, dass die Opposition gestern festgestellt hat, dass an Bayerns Schulen ein Notstand herrscht. Es ist unsere vornehmste Aufgabe, diesen Notstand hier im Parlament aufzuzeigen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Herr Sibler, Sie haben die Iglu-Studie zitiert. Vielen Dank für diesen Aufschlag; ich gebe ihn gern zurück. Gerade Iglu hat bewiesen, dass die Welt an der Grundschule noch in Ordnung ist, also bevor wir sortieren. Danach ist sie es nicht mehr. Das, Herr Kollege Sibler, müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu Ihrer Bemerkung, das G 8 sei international konkurrenzfähig, das müsse noch bewiesen werden. Fragen wir doch einmal unsere Kunden – das sind in diesem Fall die Eltern. Der Bayerische Philologenverband hat das getan und die Eltern gefragt: „Halten Sie die derzeitige