Protokoll der Sitzung vom 20.10.2004

Im Übrigen muss ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der CSU, wir haben im Frühjahr den Versuch gemacht, auf der Basis unseres Kommissionsergebnisses eine gemeinsame Entschließung hinzubekommen. Das haben Sie abgelehnt. Dann habe ich einen Europateil herausgenommen, um wenigstens den gemeinsam zu verabschieden. Das war die Drucksache 15/995. Den haben Sie uns damals leider auch abgelehnt. Wir werden uns also aus diesen Verfahrensgründen der Stimme enthalten und appellieren an Sie, diesen Versuch noch einmal gemeinsam und ernsthaft anzugehen.

Jetzt ein paar kursive Anmerkungen zum Bestand, zu dem, was Sie in Ihrem Antrag ausführen. Sie beginnen mit der Bildungshoheit. Das ist nett formuliert. Sie beginnen beim Kindergarten – ich hoffe, Sie beginnen sogar bei der Kinderkrippe – und enden bei der Hochschule. Das bedeutet, das ist der Anspruch der Länder auf die Unverrückbarkeit eines umfassenden Kulturhoheitsbegriffes. So sehe ich das, und das findet nachhaltig meine Zustimmung.

Trotzdem – in dieser knappen Formulierung ist das auch nicht als Vorwurf zu sehen, Herr Ministerpräsident – bleibt eine Reihe von Punkten offen, die ich schon gerne in diesem gemeinsamen Gespräch oder vielleicht Antrag untergebracht hätte. Ich möchte sie nur andeuten – eine davon haben Sie angedeutet. Ich bin, wie Sie wissen, kein Fan von Gemeinschaftsaufgaben. Trotzdem muss in diesem Kontext, wenn ich den umfassenden Kulturbegriff hochziehe, geklärt werden, was zum Beispiel mit der GA Hochschulbau ist. Ist das da mit drin, oder fällt das raus? Darauf brauchen wir eine Antwort.

Ich denke an die Spitzenforschung, Herr Ministerpräsident, jenseits der Frage, ob wir dafür oder dagegen waren, FRM II, ein Riesenbetrag. So etwas möchte ich, wenn ich sage, der Kulturbegriff der Länder reicht auch in den Forschungsbereich hinein, und zwar ausschließlich, wenn wir im Bereich der Spitzenforschung den Standort Deutschland erhalten wollen – denken Sie nur als Beispiel an den FRM II, – gerne in einem solchen Text irgendwo geklärt haben.

Ich denke an die berufliche Bildung. Es hat mich sehr überrascht, dass die Unternehmerseite, mit der ich vor kurzem geredet habe, gesagt hat: Um Gottes willen, berufliche Bildung nicht auf Länderebene! Wir können nicht von Globalisierung, Internationalisierung, europäischem Markt usw. reden, wir können nicht eine Wirtschaftswirklichkeit haben, wo die Mittelständler bereits in mehreren Bundesländern tätig sind und wo unter Umständen bereits in einem Ausbildungsvertrag festgelegt wird, dass er im Rahmen seiner Ausbildung die Betriebsstätte A, B oder C aufzusuchen hat – und uns dann unter Umständen auf Länderebene in der Frage der beruflichen Abschlüsse nicht einigen. Ich will es heute weder so noch so ausführen, aber das muss meiner Meinung nach da rein.

Ein viertes Beispiel will ich Ihnen nennen: KJHG, Kinder- und Jugendhilferecht. Ich glaube, die grundgesetzliche Bestimmung der Menschenwürde und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, über die in letzter Zeit zum Teil so süffisant hergezogen wird, ist ein hohes Gut. Deshalb bin ich der Meinung – und nicht nur ich, sondern ich glaube, ich kann da meine ganze Fraktion als Zeuge rufen –, dass das KJHG, das Kinder- und Jugendhilferecht, als solches, ob in der jetzt vorliegenden Form oder darüber hinaus, keine geeignete Materie für eine landesunterschiedliche Behandlung ist, sprich: das muss in Bundeshand bleiben.

Ich will auf den Bereich Beamtenrecht kurz eingehen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es geradezu kurios ist oder zumindest so anmuten kann, dass ein Land, welches Dienstherr sein kann, nicht zugleich die Gesetzgebungskompetenz über seine Beamten haben soll. Das ist vollkommen richtig. Andererseits ist auch klar, dass mindestens die Kernbereiche, also die Statusbereiche für die Beamten, bundeseinheitlich geregelt sein müssen. Denn es muss für jeden Beamten, aber auch für einen möglichen Dienstherrn möglich sein, einen Beamten des Landes auf die Bundesebene zu holen oder umgekehrt, auch über die Kommune. Dazu muss es verlässliche Rahmenbedingungen geben. Das Laufbahnrecht muss es ermöglichen, von der einen in die andere Ebene zu kommen. Deshalb ist dieser Antrag, glaube ich, sehr wichtig, aber das Anliegen ist nicht mit sechs, sieben Zeilen beschrieben. Hätten wir darüber reden können, wüssten wir vielleicht, was Sie damit meinen oder eben auch nicht. Jedenfalls hätten wir dann eine klarere Position von Ihnen, um zu wissen, ob wir zustimmen oder nicht.

Zum Bereich der zustimmungspflichtigen Gesetze, Artikel 84 des Grundgesetzes, muss ich noch mal auf Sie eingehen, Herr Kollege. Wenn ich Sie richtig verstanden habe – ein bisschen sibyllinisch war das schon –, sagen Sie, die Materien der Zustimmungspflichtigkeit haben sich erweitert – das haben Sie nicht wörtlich gesagt, aber so in etwa –, und das sei ein beklagenswerter Zustand.

In der Tat haben wir im Moment ungefähr 60 % Zustimmungspflichtigkeiten. Das lag einmal bei 10 oder 20 %. Ich muss Ihnen aber auch sagen: Dies geht in erheblichem Maße auf uns – mit „uns“ meine ich jetzt als Sammelbegriff die Länder – zurück. Das haben wir uns letztlich selbst zuzuschreiben. Nach meiner festen Überzeugung muss es im Interesse eines modernen und vernünftigen Föderalismus liegen, den gesamten Materienkatalog der Mischkompetenzen zu entflechten. Ich glaube, das ist der Kernpunkt.

Wenn wir uns darin einig sind, dann ist es für mich gar nicht so entscheidend, ob der eine oder andere Spiegelstrich, der die eine oder andere Materie regelt, da oder dort zugeordnet ist. Wichtig ist, dass der Mischbereich entflochten wird und dass es damit im Ergebnis in Zukunft für uns Länder auch mehr eineindeutige, nur durch Landesregeln oder durch Zugriff zu behandelnde Materien geben wird. Wenn ich Sie da richtig verstanden habe, dann liegen wir auf einer Linie.

Nichtsdestotrotz brauchen wir natürlich am Ende – das ist jetzt nicht unsere Aufgabe, sondern die der Kommission – eine Verständigung darüber, wie die Kataloge im Einzelnen dann tatsächlich aussehen werden.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen: Unsere Enquete-Kommission hat Hervorragendes geleistet. Sie war zum Teil ihrer Zeit im Sinne der Kommission auf Bundesebene voraus, auch wenn sie das eine oder andere, zum Beispiel die Grundsatzgesetzgebung, mit einem damals neuen Begriff versehen hat, so wie jetzt die Zugriffsregelung auch ein neuer Begriff ist.

Deshalb noch einmal mein Appell an Sie: Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah. Lassen Sie uns auf der Basis der Enquete-Kommission, die wir hatten, darüber reden. Wir versuchen schon seit längerer Zeit auf unserer Seite, bei unseren Leuten das eine oder andere dieses guten Werkes herüberzubringen, und viele haben überhaupt erst zur Kenntnis genommen, dass es bei uns eine solche Enquete-Kommission gab. Lassen Sie uns das also auf dieser Ebene versuchen. Dann sollten wir zumindest eine gute Chance haben, in weiten Bereichen Übereinstimmung zu erzielen.

Ich darf Sie noch einmal um Verständnis dafür bitten, dass wir sagen: Allein aus Verfahrensgründen ist es uns weder in der einen noch in der anderen Sache möglich, heute materiell darüber zu befinden. Ich bitte auch um Verständnis, namentlich den Herrn Präsidenten. Sie wollen unsere Zustimmung zu einer so wichtigen Materie. Dies lässt sich wirklich nicht in vier Spiegelstrichen auf einer halben Seite niederschreiben. Das lässt mehr Fragen offen, als beantwortet werden. Wir müssen aber eine Entscheidung treffen, die alle heute auftretenden Fragen tatsächlich behandelt. Ich hoffe auf Sie, was die Zukunft angeht.

(Beifall bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt zwar nicht zum Inhalt – dazu habe ich jetzt keine Möglichkeit, und das ist auch nicht meine Rolle –, aber zum zeitlichen Ablauf etwas sagen. Am vergangenen Donnerstag fand in Berlin vor der Kommissionssitzung eine Besprechung der so genannten Bank der Landtage mit den Vertretern der Ministerpräsidenten statt, dem Ministerpräsidenten Stoiber und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit. Beide haben im Laufe des Gespräches sehr dafür geworben, dass sich die Landtage in allernächster Zeit und so rasch wie möglich hinsichtlich ihrer Anliegen im Hinblick auf den weiteren Ablauf in der Kommission positionieren, den der Herr Ministerpräsident anschließend sicher darstellen wird.

Daraufhin haben die anwesenden Präsidentinnen und Präsidenten, die ich zum Flughafen eingeladen hatte, und die Vertreter der Fraktionsvorsitzendenkonferenz – vonseiten der SPD war Kollege Drexler aus Baden-Württemberg und vonseiten der GRÜNEN war Kollege Ratzmann aus Berlin da – einstimmig die Formulierungen verabschiedet, die ich am Dienstag allen Fraktionen als Vorschlag zeitgleich zugeleitet habe. Gegen 11 Uhr – ich habe das Schreiben nach der Präsidiumssitzung unterschrieben – war das Schreiben bei allen drei Fraktionen. Ich lege Wert darauf, dass dieses Schreiben allen Fraktionen zeitgleich zugegangen ist. Bei Ihnen ist es im Büro liegen geblieben und offensichtlich nicht weitergegangen.

(Christa Naaß (SPD): Man hat zum Diskutieren keine Zeit gehabt!)

Ich sage nur, dass es nicht um 13 Uhr kam. Das andere ist Ihre Sache. Ich mache daraus keinen Vorwurf. Ich lege nur Wert darauf: Da am Flughafen mit der Verabschiedung dieser Formulierungen eine gemeinsame Willensbildung der Parlamentsvertreter in der Kommission zum Ausdruck gekommen ist, habe ich diese Formulierungen bis auf eine Passage, die im Brief erwähnt ist, nämlich die Steuerfrage, exakt übernommen. Dies will ich klarstellen.

Was den Ablauf und die Zeitfrage im Parlament betrifft, teile ich mit: Am 4. November findet die vorletzte Sitzung der Kommission statt; die abschließende Sitzung wird am 17. Dezember sein. Der Herr Ministerpräsident wird das Verfahren vorstellen. Wir werden wohl bald nach dem 4. November von Herrn Müntefering und von Ministerpräsident Stoiber einen gemeinsamen Vorschlag zum weiteren Verfahren haben. Insofern haben wir dann eine andere Verfahrenslage.

Das nur zur Erläuterung. Inhaltlich kann ich dazu jetzt natürlich nicht Stellung nehmen. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Eine grundlegende Reform des Föderalismus ist überfällig. Die Diagnose ist unstrittig: Die Republik leidet unter zu vielen Vermengungen, zu vielen Verflechtungen, vor allem zwischen Bundesrat und Bundestag. Ergebnis ist ein zäher Fortgang politischer Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse, sind Blockademöglichkeiten, Schwarzer-Peter-Spiele und Intransparenz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei den Bürgerinnen und Bürgern führt dies wiederum zu Verwirrungen, Verärgerung und schließlich zu Politikmüdigkeit. Es ist also ganz klar: Es gilt die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze massiv zurückzuführen; es gilt, die Vermengungen insgesamt auszudünnen, also zu entflechten. Das betrifft nicht nur die zustimmungspflichtigen Gesetze, sondern – Kollege Welnhofer hat es vorhin angesprochen – es geht beispielsweise auch um die Gemeinschaftsaufgaben und um anderes mehr.

Gleichzeitig – das muss uns in diesem Hause ganz wichtig sein – gilt es, die Kompetenzen der Länder und – das sage ich dezidiert – der Landesparlamente massiv zu stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Trotz des Konsenses in der Diagnose, trotz des guten Willens, der sicher bei allen Beteiligten herrscht, gestaltet sich das Voranbringen des Kommissionsanliegens doch als schwierig, was aber auch wiederum nicht weiter verwunderlich ist, da es doch auch irgendwie und irgendwo um Besitzstände geht.

Vorgestern – der Herr Landtagspräsident hat eben darüber berichtet – haben die Landtagspräsidenten und die Mitglieder der Bank der Landtage ihre Position in der so genannten Münchner Erklärung zusammengefasst. Die Inhalte und Forderungen dieses Papiers wünscht sich unser Landtagspräsident Alois Glück – ich zitiere – nach innen und nach außen möglichst wirksam zu vertreten. Aus diesem Grund hat die CSU-Fraktion dann die Münchner Erklärung auch als Dringlichkeitsantrag übernommen, ergänzt um eine Forderung zur Steuerpolitik.

Anliegen von Ihnen, Herr Präsident, war, dass wir das Papier in einem gemeinsamen Dringlichkeitsantrag einbringen, wobei wir an dieser Stelle auch noch festhalten wollen: Ihr Anliegen wurde gestern kommuniziert. Mir ist es relativ egal, ob das um 13 Uhr oder um 11 Uhr war. Es ist gestern kommuniziert worden. Dieses Vorgehen erinnert doch an die Vertretung der Landtage in der Föderalismuskommission. Das Vorgehen weist gravierende Parallelen auf, nämlich die stiefmütterliche Behandlung des Landtags, die stiefmütterliche Behandlung der Parlamentarier, der Landtagsabgeordneten, und die stiefmütterliche Behandlung der Landtage insgesamt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben in der Kommission 16 Bundesratsmitglieder und 16 Bundestagsmitglieder. Es gibt die Bank der Landtage, sie diskutiert auch mit – gar keine Frage. Spätestens dann, wenn es um die Abstimmung geht, ist sie aber außen vor.

Wir freuen uns über Diskussionen im Landtag zur Thematik. Wir haben im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten schon zwei Sitzungen mit dieser Thematik verbracht und werden die Diskussion, so Sie oder Vertreter der Staatsregierung wieder mit dabei sind, sicher gerne weiter führen.

Unsere Enquete-Kommission hat eine hervorragende Vorarbeit geleistet. Die Prinzipien dieser Kommission war die Bemühung um Entflechtung, solidarischen Wettbewerb und Transparenz. Herr Präsident, der Weg, den Sie beschritten haben, war hingegen wenig glücklich. Am Dienstag kam Ihr Brief einschließlich der Münchner Erklärung in die Fraktionen. Am Dienstag haben auch die Fraktionssitzungen der SPD, der GRÜNEN und der CSU mit einem begrenzten zeitlichen Rahmen stattgefunden, weil wir gleichzeitig Arbeitskreise hatten und anschließend das Plenum. Die Tagesordnungen waren längst erstellt und gefüllt. Das bedeutet, dieser Brief musste zwangsläufig an den Fraktionen – zumindest an den Fraktionen der Opposition – vorbeigehen. Herr Präsident, gestatten Sie, mir zu sagen: Das entspricht nicht unserem Selbstverständnis. Bei uns gibt es keine von der Obrigkeit diktierte Kathederpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zu dieser Erklärung und damit zum Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion. In der Münchner Erklärung hat man sich auf den kleinsten Nenner geeinigt. In fast allen Punkten können wir dieser Erklärung zustimmen. Das brauchen wir nicht in extenso auszuführen. Das haben wir schon an anderer Stelle getan. Ich möchte aber anmerken, dass sämtlichen strittigen Punkte ausgeklammert worden sind, über die sich eine Diskussion gelohnt hätte.

Ich möchte im Überflug nur einige dieser Punkte anführen: Zunächst der Dissens zwischen Bund und Ländern bezüglich der außerschulischen Bildungsarbeit. Die Länder hätten die außerschulische Bildungsarbeit gerne in ihrem Kompetenzbereich. Ich nenne außerdem die Nähe zur Wirtschaft. Hier zeichnet sich bereits eine erste Lösung ab. Der nächste Knackpunkt ist die öffentliche Fürsorge. Die Mehrheit der Länder strebt eine Kompetenzübertragung bzw. einen Zugriff auf das Sozialhilferecht sowie auf die Kinder- und Jugendhilfe an. Die Koalition begründet dies mit der Zielsetzung gleichwertiger Lebensverhältnisse und der drohenden Absenkung von Standards.

Zum Thema „Recht der Wirtschaft“ gibt es in einigen Feldern Konsens. In anderen Feldern bestehen jedoch wesentliche und erhebliche Differenzen. Ich nenne nur das Gewerberecht, die Handwerksordnung, die Industrie- und Handelskammern sowie das Umweltrecht. Strittig war das Ziel eines eigenständigen Kompetenztitels „Umwelt“ und ein mögliches Zugriffsrecht der Länder. Bekanntermaßen wünschen sich die Länder ein Zugriffsrecht für den Naturschutz und den Wasserhaushalt.

Wesentlich ist auch der Artikel 84 Grundgesetz, der zu einem nicht unerheblichen Teil für das entstandene Gemenge und die entstandenen Verflechtungen verantwortlich ist. In diesem Artikel geht es um das Verfahrensrecht und die Einrichtung von Behörden. Hier zeichnet sich eine Lösung ab, wonach die Länder beim Verwaltungsverfahren und bei der Einrichtung von Behörden abweichen können. Im Gegenzug entfällt erfreulicherweise die Zustimmungspflicht. Im Detail knackt es aber wiederum. Strittig ist beispielsweise wieder, ob der Bund für besondere Fälle eine verbindliche Festlegung für einheitliche Verfahrensregeln treffen kann, welche dann wiederum von der Zustimmung des Bundesrats abhängig sind.

Insgesamt sind die Abweichungsmöglichkeiten und Zugriffsrechte das spannendste Thema in der Kommission. Eines ist klar: Auch wenn es die Kommission schafft, eine weitere Abgrenzung bei den Kompetenzgebieten zwischen Bund und Ländern zu erarbeiten, werden zahlreiche Felder übrig bleiben, bei denen eine Trennung nicht ohne weiteres möglich ist. Hier soll der Versuch unternommen werden, eine weitere Abschichtung zwischen Bundes- und Länderkompetenzen durch Abweichungsmöglichkeiten zu erreichen.

Wie das geschehen soll, ist wiederum strittig. Diskutiert werden zum Beispiel verfassungsrechtlich verankerte Pflichten, gesetzliche Öffnungsklauseln, verfassungsunmittelbare Abweichungsrechte oder Zugriffsgesetzgebungen. Hierbei ist strittig, ob beispielsweise Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz, also die Erfordernisklausel, gestrichen werden sollte. Dazu ist klar zu sagen: Der Teufel steckt hier im

Detail. Die jeweilige Ausgestaltung hat erhebliche Auswirkungen auf die inhaltliche Zielsetzung. Ich nenne als Beispiel nur das Umweltgesetzbuch oder die Bundeskompetenz für die öffentliche Fürsorge. Für uns als Parlamentarier eines Landtags ist entscheidend, hier genau hinzusehen. Der Bund wird sicherlich große Begehrlichkeiten nach Rückhol- bzw. Sperrklauseln zeigen, also gegen ein „Zuviel“ an Zugriff.

Ausgeklammert wurde auch ein Punkt, den ich und meine Fraktion liebend gern diskutieren würden, nämlich die Europapolitik. Herr Glück, Sie haben dazu ausgeführt, dies sei geschehen, weil dieses Thema sehr diffizil sei und es dabei aufeinander prallende Interessen gebe. Wir meinen aber schon, dass wir darüber demnächst diskutieren sollten und diskutieren müssen. Dabei geht es um den Spannungsbogen zwischen nationaler Interessenwahrnehmung, funktionsfähiger Kompetenzverteilung, der Gewährleistung der Rechte der Länder und last but not least die innerstaatliche Haftung. Ich erinnere hierzu an Ihren Antrag zum nationalen Stabilitätspakt.

Die Vorstellung der Länder und des Bundes zur Mitwirkung des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten – das ist der berühmte Artikel 23 Grundgesetz – weichen meilenweit voneinander ab. Die Länder wollen mehr Mitwirkungsrechte, unter anderem durch die Verbindlichkeit von Bundesratsbeschlüssen für die Verhandlungen in Brüssel in bestimmten Fällen. Sie wollen außerdem eine alleinige Vertretung auf europäischer Ebene in ihren Kompetenzbereichen. Wir alle haben aber mitbekommen, dass der Bund die Vertretung der gesamtstaatlichen Interessen auf europäischer Ebene stärken will. Der Artikel 23 Absätze 3 bis 7 Grundgesetz ist hier im Feuer. Das Mitwirken der Länder soll zurückgeführt werden. Wir meinen, dies wäre ein Ansatzpunkt für eine nochmalige vertiefte und ernsthafte Diskussion im Bayerischen Landtag.

Der nächste Punkt ist die Steuerpolitik und die Steuerautonomie. Zu diesem Thema findet sich in Ihrem Dringlichkeitsantrag die einzige inhaltliche und materielle Abweichung zur Münchner Erklärung. Sie fordern eine Steuersatzautonomie für Landessteuern und somit auch für kommunale Steuern. Es ist bekannt, dass zu diesem Thema schon im Bundesrat keine Einigung herzustellen war. Das möchte ich jedoch an dieser Stelle ausblenden. Wir sind in der Sache noch nicht überzeugt, weil wir meinen, dass die Folge dieser Maßnahme eine weitere Verstärkung von Disparitäten in unserer Republik sein könnte. Wollen wir das? Unsere Antwort darauf ist eher ein Nein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich nenne dazu nur das Stichwort „Dumping-Wettbewerb um die reicheren Erblasser“.

Der Präsident hat bereits darauf hingewiesen, dass unser Kollege Ratzmann der Münchner Erklärung zugestimmt hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir mit jeder Formulierung einverstanden sein müssen. In dieser Erklärung und in Ihrem Dringlichkeitsantrag ist zum Beispiel zu lesen, dass die Landespolitik, und zwar Parlament und Regierung gleichermaßen, profitierten. Herr Präsident – ich

wende mich auch an die Staatsregierung -, das ist mit Sicherheit nicht unser Anliegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen, dass das Parlament gestärkt wird, dass die Landesparlamente insgesamt gestärkt werden. Wir wollen aber nicht, dass die Landesregierungen gestärkt werden. Wir wollen schon gar nicht, dass die Bayerische Staatsregierung gestärkt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)