Eine Föderalismusreform, die dies bewirken würde, hätte in unseren Augen eklatant versagt. Herr Ministerpräsident, nehmen Sie es mir nicht übel: Die Staatsregierung und die Landesregierungen wissen selbst, dass sie gravierende Opfer bringen müssen, weil es entscheidend ist, dass wir endlich vom Exekutivföderalismus wegkommen.
Dieser Exekutivföderalismus hat die Landesparlamente geschwächt und gleichzeitig die Landesregierungen gestärkt. Wir hoffen, dass diese Auswirkung in den Verhandlungen und im Ergebnis der Föderalismuskommission zurückgedrängt wird. Herr Ministerpräsident, für Sie in Bayern ist das angesichts der Symbiose der CSU-Landtagsfraktion und damit der Landtagsmehrheit und der Regierung kein Schaden. Wir hoffen aber, dass dies nicht immer so bleibt.
Ich habe zwei, drei inhaltliche Punkte skizziert, wobei für unser Abstimmungsvotum als Grund des Vorgehens überwiegt, welche wir so nicht akzeptieren. Wir freuen uns auf weitere Diskussionen zum Thema Föderalismusreform. Wir setzen große Hoffnung in Sie, Herr Ministerpräsident als einer der beiden Vorsitzenden der Kommission. Ich habe schon ein klein wenig angedeutet, in welche Richtung es laufen soll.
Bevor ich dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort gebe, möchte ich mein Schreiben an die Fraktionen zur Kenntnis geben. Man kann unterschiedlicher Meinung sein. Es geht mir darum, dass alle den gleichen Informationsstand haben. Das Schreiben ist adressiert an die Fraktionsvorsitzenden der Fraktionen und hat zum Inhalt:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der gestrigen Tagung der Landtagspräsidenten und der Mitgliederbank der Landtage in der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung wurden die Positionen in einer Münchner Erklärung zusammengefasst. Es kommt nun sehr darauf an, dass die Landtage die Position der Lan
despolitik nach innen in ihren Parteigliederungen und nach außen möglichst wirksam vertreten. Deshalb rege ich an, auf der Basis dieser Münchner Erklärung beim Tagesordnungspunkt Dringlichkeitsanträge einen gemeinsamen Antrag zu verabschieden.
Für einen solchen Antrag habe ich diese Erklärung redaktionell etwas bearbeitet; die Einleitung war nicht geeignet für einen Antrag. Einen Punkt habe ich hinzugefügt, der in der Präsidentenrunde nicht einhellige Zustimmung fand – es handelte sich um Mecklenburg-Vorpommern –: die Steuerhoheit der Länder und damit des Landesparlaments für die Steuern, die voll den Ländern zugute kommen.
Ausgespart ist in dieser Erklärung der Themenkomplex Europa, weil es hierbei unterschiedliche Akzente gibt. Es war das Anliegen der GRÜNEN in der Sitzung. Nach meiner Kenntnis der Diskussionslage wäre es gut, wenn wir eine solche Erklärung bzw. Entschließung verabschieden könnten. Wenn es gewünscht wird, gebe ich dazu im Plenum gerne eine entsprechende Erläuterung und kurze Einführung. Ich bitte um eine entsprechende Rückäußerung bzw. Verständigung untereinander, da nur ein einvernehmlicher Antrag zielführend ist.
Ich habe weder von der SPD-Fraktion noch von der Fraktion der GRÜNEN irgendeine Rückäußerung bekommen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zum Verfahren: Ich glaube, dass das Gespräch, das ich mit Herrn Wowereit und mit allen Landtagspräsidenten letzten Donnerstag geführt habe, bei den Landtagspräsidenten die Initiative ausgelöst hat, das Thema in allen Landtagen noch einmal intensiv zu diskutieren. Wir diskutieren über dieses Thema seit vielen, vielen Monaten, und ich habe immer gesagt, dass ich das Fenster für eine große Reform des deutschen Staates – wenn ich es so sagen darf – nur bis zum Ende des Jahres offen sehe.
Deswegen haben Franz Müntefering und ich letztendlich vereinbart, dass die letzte Kommissionssitzung am 17. Dezember mit open end stattfinden soll und dass am 17. Dezember in der Kommission abgestimmt wird, sodass man sehen kann, ob es für die eingereichten Vorschläge eine Zweidrittelmehrheit geben wird. Wir haben noch eine Kommissionssitzung am 4. November. Bei dieser Sitzung geht es nicht um Kompetenzen – diese sind in der Kommission praktisch ausdiskutiert, wenn auch noch nicht mit einem konkreten Ergebnis –, sondern um die Gemeinschaftsaufgaben und die Mischfinanzierungen, also darum, wie letztendlich die Entmischung stattfinden soll. Das ist ein sehr komplexes und sehr schwieriges Thema, das vorbereitet und am 4. November abschließend erörtert wird.
Ich bin um jede Unterstützung in Richtung Länder und Länderhoheit dankbar. Es ist natürlich wichtig, dass möglichst der gesamte Landtag hinter bestimmten Positionen steht, weil man dadurch eine höhere Durchschlagskraft hat. So haben wir und habe ich als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz immer Wert darauf gelegt, auf der Ebene der Ministerpräsidenten eine 16 : 0-Entscheidung zu bekommen. Wir haben diese im März 2003 bei einem umfangreichen Katalog und am 6. Mai dieses Jahres noch einmal erreicht. Das heißt, die Positionen, die sich mehr oder weniger in dem Antrag wiederfinden – in dem Antrag ist nichts über die Gemeinschaftsaufgaben und die Mischfinanzierung enthalten – sind im Grunde genommen praeter propter die Meinung aller Ministerpräsidenten.
Ob Kollege Platzeck hinter all dem so steht wie Kollege Teufel, ist eine andere Frage, weil wir – ich will auch das deutlich machen – drei große Konfliktfelder haben. Das erste und schwierigste Konfliktfeld ist das zwischen den großen und den kleinen Ländern, zwischen den starken und den schwächeren Ländern. Das ist das größte Konfliktfeld in der Diskussion. Das zweite Konfliktfeld liegt im Bereich Bundestag und Bundesrat. Das dritte Konfliktfeld ist eigentlich das unwichtigste. Es betrifft die A- und B-Länder, das heißt, die CDU/CSU-regierten Länder und die SPD-regierten – wenn ich einmal die großen Parteien nennen darf – oder FDP und CDU/CSU auf der einen Seite und SPD und GRÜNE auf der anderen Seite. Wenn ich die Äußerung der Bundesregierung außer Betracht lasse, dann gibt es auf diesem Feld bei der Auseinandersetzung in der Kommission die geringsten Probleme. Es gibt im Prinzip kein A-BProblem; es mag in dem einen oder anderen Punkt eine Auseinandersetzung geben, aber der schwierigere Teil betrifft die großen und die kleinen Länder, und der zweitschwierigste betrifft Bundestag und Bundesrat.
Man muss sich natürlich auch die Empfindungen der Kollegen des Bundestages vor Augen führen. Sie sehen sich in einer doppelten Zange. Man muss insoweit immer wieder versuchen, argumentativ vorzugehen. Sie sehen, dass auf der einen Seite durch den europäischen Verfassungsvertrag eine Reihe von nationalen Kompetenzen zunehmend nach Europa fließen und sich das Europäische Parlament immer selbstbewusster mit den Zuständigkeiten beschäftigt – sie verfolgen das ja alle und sehen es alle –, und so erscheint es dem einen oder anderen etwas zu viel, weitere Kompetenzen an die Länder bzw. an die Landtage abzutreten, vielleicht ein Stückchen zu viel Differenzierung in Deutschland und zu wenig Einheitlichkeit. Wir werden das aber meines Erachtens alles überwinden.
Ich bin der Meinung, dass es gut ist, wenn der Landtag die Position der Länder deutlich macht. Wenn es am 11. November noch einmal eine Diskussion – vielleicht eine einheitliche Diskussion – gibt, so würde ich das begrüßen; denn man kann meines Erachtens zu diesen Themen nicht oft genug die Stimme erheben. Andere tun es in entsprechender Weise.
Lassen Sie mich vielleicht noch etwas zum Verfahren sagen – damit Sie auch den Verfahrensablauf sehen: Es gibt 16 Ministerpräsidenten und 16 Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag. Als beratende Mitglieder sitzen die Landtagspräsidenten – an der Spitze der Sprecher der Landtagspräsidenten – in der Kommission. Des Weite
ren sitzen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände – Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag – in der Kommission. In der Kommission sitzen außerdem – ich sage es unbescheiden – die vielleicht zehn größten Koryphäen auf dem juristischen Gebiet von den Universitäten, die sich sehr breit und intensiv zu allen Vorschlägen in den Kommissionssitzungen geäußert haben und sehr grundsätzliche, professorale Anmerkungen zu diesem oder jenem gemacht haben. Man hat dabei oft gespürt, dass es einen gewaltigen Kollegenstreit in aller Höflichkeit gab zwischen dem Professor Sowieso und dem Professor Sowieso, der dann zum Teil in eine halbstündige Replik ausgeartet ist.
Bevor ich zur Sache komme, möchte ich über den Ablauf etwas sagen, damit Sie sich darüber im Klaren sind.
Es gibt zu allen Gebieten Obleute und Koordinatoren. Vier Ministerpräsidenten beschäftigen sich vorwiegend mit der Thematik und bereiten sie vor. Es gibt eine Reihe von Abgeordneten aus den vier Fraktionen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Herr Müntefering und ich waren eigentlich der Meinung, wir bräuchten eine Redaktionskonferenz, da noch viele Fragen offen sind und am 17. Dezember 2004 Abschlusstag sein soll. An der Redaktionskonferenz sollten einige Ministerpräsidenten und Bundestagsabgeordnete teilnehmen, die die Arbeitsgrundlage vorlegen, die in weiteren Sitzungen beraten wird.
Leider haben die Obleute der Kommission – das ist mir fast zu viel – soviel Vertrauen in die beiden Vorsitzenden, Herrn Müntefering und mich, gesetzt, dass Sie uns beide beauftragt haben, ein Papier vorzulegen, welches die Obleute der Kommission dann begutachten und dazu Ihre Anmerkungen abgeben sollen. Mir wäre es lieber gewesen, Sie wären schon bei der Abfassung des Papiers dabei, weil es leichter ist, etwas zu kritisieren als etwas zu formulieren. Sei dem, wie es wolle: Wir werden letzten Endes spätestens bis zum 9. November 2004 zu den wesentlichen Punkten ein hoffentlich gemeinsames Papier vorlegen. Dieses wird am 10.11.2004 in der ersten Konsultationsrunde mit den Obleuten beraten. Später gibt es eine zweite Konsultationsrunde. Die letzte Sitzung findet am 17. Dezember 2004 statt.
Unabhängig von der heutigen möglichen Beschlussfassung macht es sicherlich Sinn, sich noch einmal zur Mischfinanzierung, zu den Gemeinschaftsaufgaben und zu Europa usw. eine Meinung zu bilden und am 11.11.2004 einen Beschluss zu fassen, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch in der Konsultationsrunde sind. Ich komme auf das zurück, was Kollege Hoderlein eben angesprochen hat, aber das ist Angelegenheit der Fraktionen und ob die CSU-Fraktion dies aufnimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige sachliche Anmerkungen machen. Herr Kollege Dr. Runge, ich glaube, Sie haben noch nicht völlig aufgenommen, dass die Ministerpräsidenten eine sehr starke Stellung haben. Sie müssen 60 % der Gesetze im Bundesrat zustimmen. Der Bundesrat als zweite Kammer ist formal nicht von den Länderparlamenten abhängig. Die Stellung der Ministerpräsidenten ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten un
geheuerlich gewachsen. Mussten sie 1950 etwa 20 % der Gesetze zustimmen, so dürfen sie das heute bei 60 %.
Entscheidend ist also, dass die Ministerpräsidenten bereit sind – das sind Sie alle –, vom Mitwirkungsföderalismus zum Gestaltungsföderalismus zurückzukehren und bestimmte Entwicklungen zu verändern, also Macht abzugeben. Das ist keine streitige Frage. Das heißt, der Bundesrat wird in seiner Bedeutung relativiert; er wird weniger mitzureden haben; er wird vielleicht noch bei 30 % der Gesetze zustimmen müssen, während gleichzeitig – das ist die andere Seite – die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag bereit sein müssen, bestimmte Kompetenzen aus der konkurrierenden Gesetzgebung und Rahmengesetzgebung zurückgeben und den Landtagen mehr Möglichkeiten zu geben, eigenständige Entscheidungen einzubringen.
Insoweit ist es bemerkenswert, dass alle Ministerpräsidenten bereit sind, im Interesse des Gestaltungsföderalismus auf Einfluss zu verzichten, die Zustimmung zu reduzieren, wenn sie dafür mehr Zuständigkeit für die Landtage bekommen. Sie haben das angesprochen, deshalb wollte ich noch einmal auf diesen Punkt eingehen. Warum sind die Ministerpräsidenten einheitlich dieser Meinung? – Ich will für die anderen fünfzehn Ministerpräsidenten mitsprechen. Sie wollen das, weil unser föderales System in dieser schnelllebigen Zeit, durch die Internationalisierung unseres Lebens und durch die Europäisierung unserer Entscheidungen in der Zwischenzeit nicht mehr durchhaltbar ist. In Deutschland dauern die Entscheidungen zu lange.
Interessant daran ist, dass es alle so sehen. Es war nicht immer so, dass das überall akzeptiert worden ist.
Das ist in erster Linie keine Reform des Föderalismus, sondern in erster Linie eine Reform unseres Staates, damit wir zu schnelleren Entscheidungen kommen und wir vor allen Dingen zu Entscheidungen kommen, von denen die Bürger wissen, wer verantwortlich ist. Eines unserer großen Probleme für die Demokratie ist, dass immer mehr große Entscheidungen im Bundestag und im Bundesrat strittig entschieden werden, zum Vermittlungsausschuss gehen und dort dann lange Debatten geführt werden. Es gibt endlose Sitzungen des Vermittlungsausschusses. Am Ende gibt es meist eine einheitliche Meinung des Vermittlungsausschusses. Es gibt einen Kompromiss, der oftmals den einen oder anderen nicht zufrieden stellt. Es gibt eine unklare Zurechenbarkeit, weil die Menschen nicht mehr wissen, wer zuständig ist, weil weiter gestritten wird, obwohl ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses vorliegt.
Es gibt zwei Themenbereiche. Erstens. Deutschland ist in vielen Bereichen das letzte Land bei der Umsetzung von europäischem Recht, weil wir 16 Landesregierungen damit befassen müssen. Oft gibt es Koalitionsstreitigkeiten, und es bleibt liegen. Also dauert es zu lange. Deshalb sind die Deutschen alleine wegen der komplexen Abstimmungssituation und der Dauer der Abstimmung schwerfällig. Das müssen wir im Interesse unseres Landes – ich rede von Deutschland, meine aber auch Bayern – ändern.
Ein Zweites: Ich glaube, dass eine ganze Reihe von Entscheidungen von den Landtagen besser getroffen werden kann, weil sich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität viele Bürgerinnen und Bürger intensiver mit der Materie beschäftigen, wenn das Thema im „Landesteil“ behandelt wird, als wenn weniger wichtige Dinge im „Bundesteil“ behandelt werden. Im „Landesteil“ sind sie meist bedeutsamer und werden besser erfasst und gesehen. Ich glaube, wir müssen unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität darauf achten, dass die Landtage wieder mehr Zuständigkeiten bekommen.
Ich will mich zwar nicht in Einzelheiten verlieren, aber es gibt zwei Schulen, die wir allerdings schon sehr nahe zueinander geführt haben. Die einen wollen, nur die reine Trennung – das zum Land, und das wandert zum Bund. Dabei gibt es drei große Blöcke, die Ausgangspunkt für die gemeinsamen Beratungen sind.
Der erste Block ist, dass die Länder – das wird vom Bund akzeptiert – Personalhoheit bekommen, vor allem um eigenständig über den Haushalt entscheiden zu können; denn 50 % des Haushalts einschließlich der Pensionsausgaben sind Personalkosten. Das bedeutet mehr Organisations- und Personalhoheit für die Länder. Die kleinen Differenzierungen lasse ich aus.
Der zweite Bereich ist im Grundsatz unbestritten. Die Bildung soll komplett den Ländern zugeteilt werden – vom Kindergarten bis zur Hochschule. Die reine Lehre heißt: Der Bund hat in den Bereichen vom Kindergarten bis zur Hochschule keinen Einfluss mehr. Das wird nicht von allen so gesehen. Es gibt Diskussionen, ob Details einheitlich sein müssen oder unterschiedlich sein dürfen. Ich wollte lediglich den Block beschreiben.
Der dritte Bereich sind Sachverhalte mit Regionalbezug. Darunter fallen Sozialhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Wohnungswesen, regionale Arbeitsmarktpolitik, Teilbereiche des Umweltrechts und Teilbereiche des Wirtschaftsrechts, zum Beispiel Gaststättenrecht oder Ladenschluss usw. Hier gibt es noch weitgehend Meinungsverschiedenheiten. Soll die Sozialhilfe in die Hand der Länder? – Das fordern vor allem die stärkeren Länder, unisono fordern es die süddeutschen Länder. Oder soll die Sozialhilfe bzw. die öffentliche Fürsorge bundeseinheitlich geregelt werden? Darüber wird diskutiert und gestritten. Bei der Kinder- und Jugendhilfe gibt es auch viele Bezüge, die unterschiedlich betrachtet werden.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Für den Fall, dass man sich nicht auf eine Trennung einigen kann, haben wir das Modell des so genannten Zugriffsrechts entwickelt. Das wäre praktisch die Umkehrung des Grundsatzes „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Das heißt, der Bund bleibt zum Beispiel für bestimmte Bereiche des Hochschulrechts zuständig, aber die Länder können, wenn sie wollen, davon gesetzlich abweichen. Ich glaube, das ist eine Lösung. Das Trennmodell ist sehr schwierig, weil man sich dabei möglicherweise nicht so einigen kann. Das Trennmodell wird dann nicht lupenrein durchgeführt werden, sondern man kann sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Landesebene großzügiger sein. Die Länder können sagen: Lassen wir die Materie auf der Bundesebene, wir können
Dann will ich das Thema Zustimmungspflicht des Bundesrats ansprechen. Das deckt sich mit dem Antrag. Das müssen Sie auch wissen, Herr Runge und lieber Kollege Hoderlein. Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze ist von 20 % im Jahr 1950 auf 60 % gewachsen. Das liegt nicht an den Ländern, sondern das liegt allein am Bund. Der Artikel 84 des Grundgesetzes hat sich nicht geändert. Nachdem der Bund aber in immer größerem Maße die Organisation und die Zuständigkeit in seinen Gesetzen regelt, werden immer mehr Gesetze zustimmungspflichtig. Dazu muss man natürlich folgendes sagen – und das ist jetzt schon wichtig für die Beurteilung: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil gesagt: Wenn nur 0,1 % der Materie eines Gesetzes zustimmungspflichtig ist, dann ist das ganze Gesetz zustimmungspflichtig. Nur wenn ein kleiner Teil zustimmungspflichtig wäre, wird das ganze Gesetz zustimmungspflichtig.
Wenn ein Gesetz irgendwo eine kleine Organisationsbestimmung enthält, obwohl das Land sachlich gar nicht zuständig ist, wird das ganze Gesetz zustimmungspflichtig. Jetzt muss man wissen, dass ehemalige Verfassungsrichter in der Kommission gesagt haben, dass das Bundesverfassungsgericht bei erster Gelegenheit diesen Grundsatz wieder ändern wird. Das Bundesverfassungsgericht würde davon Abstand nehmen, dass das ganze Gesetz zustimmungspflichtig wird, wenn nur ein ganz kleiner Teil zustimmungspflichtig ist.
Zu unser aller Überraschung hat das Bundesverfassungsgericht diese alte Rechtsprechung aber nicht infrage gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar die Rechte der Länder enorm verstärkt, indem es bei Artikel 72 fragt, ob ein Gesetz überhaupt zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen notwendig ist, wenn der Bundesgesetzgeber von seinem Recht der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch macht. Ein typisches Beispiel dafür ist das Ladenschlussgesetz, bei dem diese Entscheidung getroffen worden ist.
Ich weiß, diese Debatte ist jetzt mehr für Juristen interessant. Ich muss das aber einfügen; denn es ist eine Kernangelegenheit. In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes hieß es, dass der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch machen kann, wenn er es zur Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse für erforderlich hält. Diese Verfassungsbestimmung des Artikels 72 ist vom Verfassungsgericht in den Sechziger-, den Siebziger- und den Achtzigerjahren so ausgelegt worden, dass das Verfassungsgericht diese Frage überhaupt nicht prüfen darf; es sei allein gesetzgeberisches Ermessen des Bundestages; wenn der Bundestag ein Gesetz für die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse für erforderlich hält, dann ist es so.
Deswegen ist in der Verfassungskommission von 1994 – ich sage es jetzt ganz unbescheiden – auf Anraten der Rechtsabteilung der Staatskanzlei der Vorschlag gemacht worden, Artikel 72 grundlegend zu ändern. So ist es auch passiert. Derjenige, der in diesen Verfassungsdiskussionen