Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

(Namentliche Abstimmung von 16.25 bis 16.30 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Abstimmung ist abgeschlossen. Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen. Das Ergebnis wird nachher bekannt gegeben.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich bitte Sie, die Plätze wieder einzunehmen, damit wir in der Sitzung fortfahren können. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Herrn Kollegen Wolfrum für eine Erklärung nach § 133 der Geschäftsordnung das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte hiermit eine Erklärung abgeben, um mein Abstimmungsverhalten zu erläutern. Die Diskussion um eine Teilansiedlung des neuen Landesamtes für Geologie und Wasserwirtschaft in Hof wird mit großer Leidenschaft geführt. Wie so oft wird auch dabei über das Ziel hinausgeschossen. Herr Dr. Dürr hat heute nicht über das Ziel hinausgeschossen, sondern eine ganze Region beleidigt. Ich kann ihn wirklich nur auffordern, sich in der Region zu entschuldigen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CSU)

Leider müssen wir heute zur Kenntnis nehmen, dass die Kolleginnen und Kollegen des BÜNDNISSES 90/

DIE GRÜNEN anscheinend nicht begriffen haben, worum es geht und was die – -

Herr Kollege Wolfrum, es tut mir leid. Ich muss Sie unterbrechen; denn Sie müssen bitte nach § 133 der Geschäftsordnung eine Erklärung über Ihr Abstimmungsverhalten abgeben.

Frau Präsidentin, das mache ich. – Mit diesem Dringlichkeitsantrag haben sich die GRÜNEN von ihrer strukturpolitischen Verpflichtung für Oberfranken verabschiedet.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Herr Kollege, § 133 der Geschäftsordnung sagt uns leider, dass Sie sich in diesem Hohen Haus jetzt darüber aussprechen müssen, warum Sie sich bei der Abstimmung so verhalten haben.

Frau Präsidentin, das möchte ich ja gerade für die Region Hof erklären.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Eigentlich wollte ich aber noch in die Diskussion eingreifen, weil es mir auf den Nägeln brennt. Es ist natürlich ein Armutszeugnis, dass man dieser strukturschwachen Region Hof

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Herrmann (CSU))

Herr Fraktionsvorsitzender, ich habe richtig abgestimmt – diese Behördenverlagerung verweigert. Ich finde das ungeheuerlich. Ich muss natürlich auch feststellen, dass nur 300 von eigentlich 700 Arbeitsplätzen nach Hof kommen. Aber ich meine, der Spatz in der Hand ist – –

Herr Kollege, können Sie uns bitte erklären, warum Sie wie abgestimmt haben? Dann sind wir doch bei der Sache.

Ich wollte mit meiner Absicht das Anliegen des Umweltministers unterstützen. Ich fordere dieses Haus auf, dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Behörden nach Hof verlagert werden. Ich hoffe, dass sich niemand zum Totengräber dieser Entscheidung macht, und bitte für eine gute Entscheidung für Hof.

(Unruhe)

Herr Kollege Wolfrum, jetzt lassen wir es einmal so stehen. Ich bitte Sie, § 133 der Geschäftsordnung noch einmal nachzulesen, dann klappt es das nächste Mal besser.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Thomas Kreuzer, Jakob Kreidl und anderer und Fraktion (CSU) Schleierfahndung als Instrument der Inneren Sicherheit erhalten – Verordnung der EU-Kommission stoppen (Drucksache 15/1952)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Stefan Schuster, Helga Schmitt-Bussinger und anderer und Fraktion (SPD) Verordnungsentwurf der EU-Kommission (Drucksa- che 15/1960)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Zu Wort hat sich für die CSU-Fraktion Herr Kollege Peterke gemeldet.

(Unruhe)

Ich bitte, jetzt wieder Ruhe einkehren zu lassen. Wer Gespräche führen will, möchte bitte außerhalb des Plenarsaals gehen. – Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt manchmal politische Absichten, die so absurd sind, dass man es gar nicht glauben möchte; denn anders kann ich die Absicht der EUKommission die Schleierfahndung nach acht Jahren ihres Bestehens im grenznahen Raum zu Fall zu bringen, nicht kommentieren. Sehr treffend hat dies der Kommentator in der „Augsburger Allgemeinen“ vom 10.11. dieses Jahres dargestellt. Ich zitiere:

Die Idee, die Schleierfahndung zu verbieten, kann nur von jemand kommen, der von praktischer Polizeiarbeit am Beginn des 21. Jahrhunderts keinen Schimmer hat. Das ist eine Brüsseler Schnapsidee.

Doch leider Gottes ist es längst nicht so schnapslustig, wie es hinter den Absichten zu erkennen ist. In der Tat habe ich festzustellen, dass nach über acht Jahren erfolgreicher Schleierfahndung diese Absichten alles andere als begrüßenswert sind.

Drehen wir die Zeit bis Mitte der Neunzigerjahre zurück – viele haben das schon vergessen –, als Österreich dem Schengener Abkommen beitrat und bei uns große Unruhe darüber herrschte, ob es nach dem Wegfall und der Überführung der bayerischen Grenzpolizei, einer der besten Polizeiverbände, die es europa- und weltweit gab, die Grenzsicherheit und insbesondere die Sicherheit über die Infiltration von außen in der Form noch geben werde.

Es herrschte in der Bevölkerung eine große Sorge und Unruhe. Menschenhändler wurden befürchtet. Befürchtet wurde aber auch, dass Rauschgifttransporte erleichtert werden und das organisierte Verbrechen leichter um sich greifen könne. Unsere Antwort darauf waren die Schleierfahndung, die verdachtsunabhängige Kontrolle und insbesondere der Aufbau der Polizeiinspektionsfahndung in den grenznahen Gebieten. Ich kann mit ein klein wenig Stolz feststellen, dass die Arbeit dieser Polizeiinspektionsfahndung von Anfang an erfolgreich lief. Wir registrieren – das zeigt die Dimension und die große Resonanz dieser Fahndung auf – jährlich über 10 000 Festnahmen, zahlreiche Ermittlungsverfahren

und insgesamt einen hohen Informationsgewinn für die polizeiliche Vorfeldarbeit und die Prävention. Die Schleierfahndung hat sich nach kurzer Zeit als ein unverzichtbarer Sicherheitsfilter erwiesen, auf den wir unter keinen Umständen mehr verzichten wollen. Des Weiteren ist dieses Sicherheitsmodell bereits Vorlage für viele Absichten, die Schleierfahndung auch an anderer Stelle – auch europaweit – aufzubauen.

Die Begründung der EU-Kommission ist für mich und für meine Fraktion nicht nachvollziehbar. Sie trifft wohl eine Abwägung zwischen einem garantiert unabhängigen Reiseverkehr einerseits und massiven Sicherheitsnotwendigkeiten andererseits. Außerdem – das halte ich für besonders bedeutsam und muss daher hervorgehoben werden – greift die EU unzulässig in die Polizeihoheit der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, und hier maßgeblich in die Bayerns, ein. Ich begrüße deshalb die sofortige gemeinsame Reaktion der Bayerischen Staatsregierung mit Staatsminister Dr. Beckstein an der Spitze und der Bundesregierung mit Bundesminister Schily, die sich hier gemeinsam Hand in Hand gegen diese Absichten stellen. Außerdem hat der Bundesrat in einem einstimmigen Beschluss den Vorstoß Bayerns für eine Rücknahme dieser Absichten bekräftigt.

Heute, nach Jahren erfolgreichen Wirkens in der Schleierfahndung – und zwar in der gesamten Schleierfahndung, nicht nur im grenznahen Raum – haben wir noch größere und wesentlich bedeutungsvollere Bedrohungspotenziale festzustellen.

Der internationale Terrorismus steht vor unserer Haustüre und hat bereits erste Wurzeln geschlagen. Ich nenne den islamischen Extremismus, ich nenne die ständige

Zunahme der organisierten Kriminalität, Drogenmissbrauch, Rauschgiftkriminalität sowie Rauschgifttransporte. Dies alles ist ein Phänomen und eine Sicherheitsbedrohung, die mit herkömmlichen polizeilichen Mitteln nicht zu stoppen ist. Wir brauchen deshalb zu unserem Schutz wirksame Möglichkeiten, um dagegenhalten zu können. Die Schleierfahndung gehört neben anderen Instrumentarien vorrangig dazu.

Der vorliegende Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion ist deshalb zu begrüßen und er ist bei den gemeinsamen Bemühungen, die Schleierfahndung nach dem Vorbild Bayerns in Gänze nicht nur außerhalb des grenznahen Raumes, sondern vorrangig im grenznahen Raum zu sichern hilfreich.

Ich nehme noch Stellung zum Antrag der SPD: Wenn man den Dringlichkeitsantrag der SPD aus Sicht der Entwicklungen heraus betrachtet, könnte man zu der Auffassung kommen, die gleiche Zielrichtung zu haben. Ich vermisse aber ausdrücklich ein klares und eindeutiges Bekenntnis, Herr Kollege Schuster, zum gesamten Umfang der Schleierfahndung. Aus diesem Grunde müssen wir den Antrag ablehnen, obwohl ich bemüht bin, eine hohe Konsensfähigkeit für unsere gemeinsamen Bemühungen herzustellen. Ich bitte um Zustimmung zum Dringlichkeitsantrag der CSU.

(Beifall bei der CSU)

Ich erteile Herrn Kollegen Schuster das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Kommission hat im Mai dieses Jahres einen Vorschlag für einen Gemeinschaftscodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen vorgelegt. Dieser wird derzeit in der EU-Ratsarbeitsgruppe Grenzen in Brüssel behandelt, in der neben dem Bund die Länder durch den Freistaat Bayern vertreten sind. Der Vorschlag der Kommission zielt darauf ab, die Vielzahl von Vorschriften und Regelungen unterschiedlicher Rechtsnatur, die für Personen beim Überschreiten der Außen- und Binnengrenzen der Europäischen Union gelten, unter Aufhebung redundanter Rechtsvorschriften in einem Regelwerk zusammenzufassen und fortzuentwickeln. Dies ist erst einmal positiv zu bewerten.

Aus unserer Sicht und aus Sicht der SPD-geführten Bundesregierung ist jedoch die im Verordnungsentwurf vorgesehene Einschränkung der Ausübung nationaler Polizeibefugnisse an den Binnengrenzen nicht akzeptabel. Danach wäre die Durchführung lageabhängiger Kontrollen und Identitätsfeststellungen durch den Bundesgrenzschutz sowie eigene unabhängige Kontrollen, also Schleierfahndung, durch unsere Landespolizei künftig unzulässig bzw. würde zumindest einer restriktiven Auslegung unterworfen. Die praktische Bedeutung der nationalen Polizeibefugnisse an den Binnengrenzen für die Sicherheit der deutschen Grenzen ist sehr hoch. Nehmen wir als Beispiel nur einmal die unerlaubte Einreise. Absoluter Brennpunkt – Herr Kollege Peterke, Sie haben es auch angesprochen – der unerlaubten Einreise nach

Deutschland ist die Grenze nach Österreich. Auch die Grenzen zu Frankreich und Benelux weisen trotz spürbar rückläufiger Feststellungen nach wie vor hohe Aufgriffszahlen auf. Die nationalen Befugnisse zur Durchführung lageabhängiger bzw. ereignisunabhängiger Kontrollen – also Schleierfahndung an den Binnengrenzen – sind deshalb für die Sicherheit in den Grenzregionen und damit für die Sicherheit in der gesamten Bundesrepublik unverzichtbar. Dies belegen unter anderem die hohen Aufgriffszahlen an den Binnengrenzen – Österreich 5479 Personen, Frankreich 2485 Personen, Niederlande 3097 Personen. Ich könnte die Aufzählung fortsetzen. Auch die seit 1998 zunächst bis Ende 2003 und jetzt bis 30. Juni 2007 verlängerte lageabhängige Kontrollbefugnis des BGS hat die polizeiliche Arbeit weiter verbessert.

Bei der Anwendung dieser Befugnis haben sich Zufallsfunde außerhalb des unmittelbaren Bereichs der Bekämpfung unerlaubter Einreise eingestellt. Allein aufgrund der gesetzlich erweiterten Befugnisnorm wurden im vergangenen Jahr folgende Erfolge erzielt: 6182 Personenfahndungserfolge, 477 Sachfahndungserfolge,

21 297 Strafanzeigen. Wenn man die Landespolizei und dabei nur den kleinen Bereich südliches Oberbayern mit den Dienststellen Murnau, Rosenheim und Traunstein herausgreift, so kann man 3841 Fahndungserfolge feststellen. Man hat unter anderem 160 Kilo Drogen und 60 000 Ecstasy-Tabletten entdeckt.

Die nationalen Polizeibefugnisse an den Binnengrenzen haben sich somit als wirksames Instrument zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität erwiesen. Sie tragen der zunehmend international verflochtenen Kriminalität, der steigenden Mobilität der Rechtsbrecher, vor allem auf dem Gebiet der unerlaubten Einreise, der Schleußerkriminalität, der Kfz-Verschiebung, dem

Rauschgifthandel, dem Waffen- und Sprengstoffhandel, dem Nuklearschmuggel und der immer größer werdenden Gefahr durch den internationalen Terrorismus Rechnung.

Der durch das Schengenabkommen bedingte Wegfall der Grenzkontrollen kann nur durch zweckmäßige Ausgleichsmaßnahmen wie etwa der Ausübung lageabhängiger Kontrollbefugnisse und ereignisunabhängiger Kontrollen erfolgreich kompensiert werden. Die Gefahr der Durchführung schengenwidriger Ersatzgrenzkontrollen ist hierdurch aus unserer Sicht nicht gegeben.

Herr Minister, wir stimmen nicht in allen Punkten überein, aber ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie sagen, wenn die EU fordere, mit dem Grenzübertritt dürften keine Kontrollen mehr stattfinden, würde damit der Schleierfahndung der Boden entzogen und es würde zu einer drastischen Verschlechterung der inneren Sicherheit führen. Herr Minister, Sie wissen aber auch – Herr Kollege Peterke hat es schon angesprochen –, dass Sie sich mit dem Bundesinnenminister einig sind. Ich möchte kurz den Bundesinnenminister zitieren: Wir haben ganz klar erklärt, dass wir einer Einschränkung nationaler Polizeibefugnisse nicht zustimmen werden. Diese Auffassung wird von der Bundesregierung dort – gemeint ist die EU – eindeutig vertreten. Wir werden dankenswerterweise vom Bundesrat, also den Ländern, dabei unterstützt. Nach meiner Ein

schätzung werden wir auch Zustimmung von anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für diese Position erhalten, sodass ich davon ausgehe, dass sich die Vorstellungen der Kommission nicht realisieren lassen werden. – So der der Bundesinnenminister Otto Schily.