Protokoll der Sitzung vom 30.11.2004

(Zuruf von der CSU: Das merkt man!)

Ihr Generalsekretär stellte kürzlich fest, dass Politiker zum „Sozial-TÜV“ sollten. Ich empfehle Ihnen auch, dies zu tun, und Sie werden am Abschlepphaken mit diesem Modell auf den Schrottplatz gefahren.

Meine Damen und Herren, Sie gebären ein bürokratisches Monster. Frau Stamm, Sie sagten soeben, Sie wollten entbürokratisieren. Das hat mich etwas überrascht, und ich muss Sie fragen, ob Sie Ihr Modell nicht kennen oder ob Sie es nicht wahrhaben wollen.

(Barbara Stamm (CSU): Ich kenne das Modell!)

Sie sagten, Sie bräuchten ein Rechenmodell, um herauszufinden, wer zu niedrige Einkommen habe und deshalb entlastet werden solle. Sie bauen ein gigantisches Monster auf. Wir würden das nicht tun. Sie haben sich mit unserer Bürgerversicherung nicht befasst. Wir diskutieren jeden Abend mit den Menschen darüber. Die Ergebnisse, die wir dabei erzielen, sind nicht schlecht, weil wir mit den Menschen über das System diskutieren. Sie bemängeln, dass wir mit den Menschen manche Details bereden, wie das künftig gemacht werden soll. Wir fassen das als gelebte Demokratie auf – Kopfgeburten wollen wir nicht. Das ist etwas für Sie.

(Beifall bei der SPD)

Wir pflegen bei entscheidenden Fragen für die Gesellschaft den Kontakt mit den Menschen. Wir wollen, dass sie die Entscheidung akzeptieren. Dazu müssen sie sie verstehen. Ich habe den Eindruck, unsere Vorschläge verstehen sie, Ihre nicht. Ihre eigene Partei versteht es nicht, warum sollen es dann die Menschen verstehen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Man sieht was herauskommt, wenn Stoiber mit Frau Merkel packelt)

Meine Damen und Herren, die unterschiedlichen Argumentationen sind interessant. Wir sind uns darüber einig, dass das Gesundheitssystem reformiert werden müsste. Sie haben uns vor einem Jahr den größten Klotz ans Bein gehängt. Wir wollten das Gesundheitssystem damals wesentlich besser stabilisieren, als Sie das mit Ihrer Verhinderungsstrategie zugelassen haben.

(Barbara Stamm (CSU): Hätten Sie es doch gemacht!)

Sie wissen doch, was los war. Wir hätten es anders gemacht.

(Zuruf von der CSU)

Zum Beispiel haben Sie die Positivliste verhindert.

(Zuruf der Abgeordneten Barbara Stamm (CSU))

Im Gegenteil, Sie und Ihr Parteikollege – manchmal verwundert es schon, wie schnell manche Leute zu Märtyrern werden – Horst Seehofer haben die 10 Euro Gebühr eingeführt.

(Dr. Thomas Zimmermann (CSU): Sie haben doch mitgestimmt!)

Moment, da ging es um den Kompromiss und darum, überhaupt etwas zu erreichen. Sie haben unsere Grundlage verschlechtert. Jetzt beklagen Sie die Auswirkungen.

Frau Stamm, Sie sprachen von „Zwangsversicherung“. Liebe Frau Stamm, in diesem Haus gibt es viele Menschen, die für uns arbeiten und die alle zwangsversichert sind, weil das nicht anders geht. Als Busfahrer war ich auch zwangsversichert.

Wir sollten die Diskussion um Gerechtigkeit und Solidarität beginnen. Solidarität und Gerechtigkeit sind für Sie keine Themen. Sie haben beides über Bord geschmissen zugunsten der Senkung der Lohnnebenkosten.

(Sebastian Freiherr von Rotenhan (CSU): Das muss man sich doch von Ihnen nicht sagen lassen!)

Sie haben mit der Lohnnebenkostensenkung Ihr „S“ verkauft, obwohl Bayern das nichts nützen wird, weil die paar Prozente im Ergebnis nichts bringen. Dies sagen alle, die Ahnung davon haben. Wir meinen, dass wir mit der Bürgerversicherung auf dem richtigen Weg sind. Versuchen Sie nicht, in das Lager der Besserverdienenden einen Keil zu treiben, denn die sind solidarischer als Sie glauben.

(Zuruf der Abgeordneten Barbara Stamm (CSU))

Selbstverständlich.

Wir stellen fest, dass die Facharbeiter sehr wohl das solidarische Prinzip erhalten wollen, was heißt, dass Sie etwas mehr zahlen müssen als andere. Sie haben eine völlig andere Wahrnehmung.

(Beifall bei der SPD)

Sie werden es nicht schaffen, den Keil hineinzutreiben. Vergessen Sie das „S“ im Namen Ihrer Partei. Kämpfen Sie weiterhin für sinkende Lohnnebenkosten. Das wird nur nichts nützen, weil dieses Prozent das vermeintlich verarmende Deutschland nicht retten wird. Ich frage Sie: Wie sieht es denn wirklich aus? –

Herr Kollege, Sie sind deutlich über der Zeit.

Zur Senkung der Lohnnebenkosten stellt sich die Frage, ob Sie überhaupt Realitätssinn haben.

Herr Kollege, jetzt ist keine Zeit für ein neues Thema.

Vergessen Sie die Kopfpauschale. Stimmen Sie der Bürgerversicherung zu. Lassen Sie uns gemeinsam ein gutes Modell entwickeln. Das brächte uns weiter.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Beck.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin etwas enttäuscht. Ich dachte, ich könnte etwas über die Bürgerversicherung lernen. Das ist leider nicht so.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Der Herr Wörner nimmt Sie sicher gerne in die Schule! – Zurufe von der CSU)

Nun zum Thema: Mit dem solidarischen Gesundheitsprämienmodell hat die CDU/CSU ein Reformmodell vorgelegt, das eine aktive und langfristige Verbesserung der Qualitätssicherung und der Marktorientierung des Gesundheitswesens ermöglicht. Ohne mich an dieser Stelle in die detaillierte Definition des Begriffes „Qualität“ versteigen zu wollen, möchte ich in aller Kürze einige Kriterien anführen, die ich mit dem Begriff „Qualität“ verbinde. Qualität beinhaltet Verlässlichkeit, Güte, Wert und Nachhaltigkeit.

(Beifall bei der CSU)

Wie setzen wir diese hohen Ansprüche in der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung um?

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Ziel des Unionsvorschlages ist es, Spitzenmedizin für alle zu erreichen und dauerhaft zu sichern. Eine hervorragende medizinische Versorgung muss gewährleistet sein, unabhängig vom Alter oder dem Einkommen der Patienten. Mit dem heutigen Finanzierungssystem ist das nicht mehr möglich. Steigende Beiträge für geringe Leistungen belasten den Versicherten wie den Arbeitgeber. Der Weg in die Zwei-Klassen-Medizin ist damit nicht nur teuer, er wird auch unserem Verständnis von Qualität in der medizinischen Versorgung widersprechen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Deswegen lassen Sie auch die privaten Krankenversicherer außen vor, oder?)

Der erste Schritt ist daher die Abkopplung der Beiträge vom Lohn. Dies geschieht durch Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge, Umstellung von prozentualem Beitrag auf Gesundheitsprämien, Abstellung auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei Bestimmung der Belastungsgrenze. Damit schafft das Gesundheitsprämienmodell Arbeitsplätze und Wachstum. Denn die Arbeitskosten steigen nicht automatisch mit den Gesundheitskosten. Der Verteuerung von Arbeitsplätzen wird entgegengewirkt. Die Konkurrenzfähigkeit bleibt erhalten. Bei einem Höchstsatz von 109 Euro bleibt mehr Geld in den Händen der Arbeitnehmer; das erhöht die Kaufkraft und hilft, die Konjunktur zu beleben. Wir wollen Leistungsanreize für die Arbeitnehmer schaffen. Bisher werden für jeden neu oder mehr verdienten Euro Krankenversicherungsbeiträge bis zur Bemessungsgrenze fällig. Dem Arbeitnehmer bleibt mehr Geld übrig, Schwarzarbeit wird dadurch weniger lukrativ, ehrliche Arbeit wird honoriert. Das Gesundheitsprämienmodell sieht langfristig vor, Gesundheitskosten für Kinder aus Steuermitteln zu finanzieren. Das entlastet die Familien und ist somit ein direkter Beitrag für eine kinderfreundliche Politik.

(Beifall bei der CSU)

Auch aus Sicht der Generationengerechtigkeit ist das Gesundheitsprämienmodell fair. Für die Jungen entstehen ein höheres Nettoeinkommen und neue Arbeitsplätze, älteren Versicherten stehen auch weiterhin die vollen Leistungen der modernen Medizin zur Verfügung. Qualität in der Versorgung erreichen wir aber vor allem auch durch mehr Wettbewerb. Durch das Gesundheitsprämienmodell wird ein Versicherter mit dem Monatseinkommen von 1000 Euro für die Krankenversicherung ein genauso attraktiver Kunde sein wie ein Versicherter mit einem Einkommen von 3500 Euro. Dadurch entsteht ein aktiver Wettbewerb um den Kunden. So werden kundenfreundliche Angebote unterstützt. Erheblicher bürokratischer Aufwand wird zudem durch den weitgehenden Wegfall des aufwändigen Risikostrukturausgleiches zwischen den Krankenkassen vermieden.

(Zuruf der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Transparenz ist ein weiteres wichtiges Merkmal des Gesundheitsprämienmodells. Weniger Bürokratie und klare Kostenstrukturen für die Versicherten wie für die Krankenkassen schaffen mehr Wettbewerb. Dazu gehört auch die Beseitigung vorhandener Über-, Unter- und Fehlversorgungen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Der Wettbewerb in allen Versorgungsbereichen wird durch eine weitgehende Liberalisierung des Vertragssystems ausgeweitet. Dieses gilt sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich. Im ambulanten Bereich sind die künftige Rolle der Kassenärztlichen Vereinigung, die Ausgestaltung der fachärztlichen Versorgung und die Verantwortung des Sicherstellungsauftrages sind nach zeitgemäßen Erfordernissen präzise zu definieren und festzulegen. Im stationären Bereich sollen in Zukunft individuelle Vertragsabschlüsse zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern möglich sein. Die integrierte Versorgung sieht die Union als ein wichtiges Instrument an, um die Schnittstellenprobleme zwischen der ambulanten und der stationären und auch der rehabilitativen Versorgung effektiv zu kontrollieren und Fehlkalkulationen zu verhindern.

Reformbedürftig ist auch der Arzneimittelmarkt.

Das Gesundheitswesen ist einer der dynamischsten und zukunftsträchtigsten Dienstleistungssektoren in Deutschland. Kosteneffizienz und Kundenorientierung müssen allerdings noch erheblich verbessert werden, sowohl im Hinblick auf die wirtschaftliche Erbringung als auch auf die kosteneffiziente Inanspruchnahme. Bisher ist der Wettbewerb stark eingeschränkt. Wir wollen also Spitzenmedizin für alle, unabhängig von Einkommen und Alter, größere Transparenz der Gesundheitskosten, mehr Wettbewerb zwischen Kassen und Versicherungen. Wir schaffen Verlässlichkeit, garantieren Güte und Wert und sorgen mit unserem Konzept für Nachhaltigkeit.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Werner.