Protokoll der Sitzung vom 30.11.2004

müssen künftig für ihre Kinder keine Beiträge mehr an die PKV bezahlen. Finanziert werden diese Beiträge aus dem Bundeshaushalt, also über die Steuern. Das heißt, die Beiträge für die privat versicherten Kinder von Herrn Söder und von Frau Hohlmeier zahlen über die Steuern die Verkäuferin bei Aldi oder der Hausmeister hier in diesem Hohen Hause. Das kann es doch nicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nicht nur die Beiträge, sondern auch die anderen Sonderleistungen der PKV werden damit finanziert. Oder sind dann alle Kinder in der GKV? Darüber sagt nämlich ihr Kompromiss auch nichts aus. Außerdem strotzt er von Unsolidarität. Das kann doch wohl nicht sein, wenn das „S“ in Ihrem Parteinamen noch etwas gelten soll.

Herr Stoiber äußerte sich dazu im Spiegel: „Wir beschließen jetzt nur Eckpunkte; nach der gewonnenen Wahl können wir dann mit der Detailarbeit beginnen“. Ich sage

Ihnen gleich, Sie können es nicht. Denn die Wähler wollen vorher wissen, wen sie wählen und warum sie ihn wählen. Der Gesundheitskompromiss zeigt, dass Sie als CSU unsozial geworden sind.

(Widerspruch bei der CSU)

Regen Sie sich nicht so auf, Sie können sich dann zu Wort melden. Sie sind als CSU unsozial geworden.

Abschließend möchte ich noch Herrn Staatsminister Huber zitieren, der sich in die Küche begeben und gesagt hat: „Wir sollten der Öffentlichkeit ein leckeres Mahl kredenzen und nicht die Küchenabfälle“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, Sie haben sich auf ihrem Parteitag über den Küchentisch ziehen lassen. Ihnen wurden Küchenabfälle serviert. Sie hätten auf Herrn Kobler hören sollen. Jetzt ist er ganz verschwunden, reden darf er auch nicht mehr. Herr Kobler hat gesagt, dass das Unionsmodell ein überflüssiger und ohnehin nicht umsetzbarer Gesundheitskompromiss sei, der den Ausstieg aus dem bewährten System bedeute und die Zertrümmerung der Solidarität darstelle;

(Margarete Bause (GRÜNE): Da schau den Kobler an! Respekt!)

das neue Modell sei nicht einmal ein fauler Kompromiss und lasse sich als bürokratisches Monster nicht umsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜ- NEN)

Solange Herr Kobler noch im sozialpolitischen Ausschuss war --

(Abgeordneter Konrad Kobler (CSU) betritt den Saal)

Da kommt er gerade, jetzt habe ich ihn gerade zitiert.

Solange er noch im sozialpolitischen Ausschuss war, haben wir viele Sträuße miteinander ausgefochten und unterschiedliche Positionen gehabt. Mit dem, was er hier gesagt hat und was ich gerade zitiert habe, hat er aber Recht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Der Mann hat Recht und meinen Respekt davor, dass er sich das in dieser Partei noch zu sagen traut.

Ich komme zum Ende. Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesundheitskompromiss ist unsolidarisch und unsozial. Ihr Kompromiss ist kompromisslos untragbar. Ziehen Sie dieses Papier zurück. Es hat es nicht verdient, dass es gedruckt wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Matschl.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich bekomme jedes Mal einen unheimlichen Zorn, wenn Sie das Thema Gesundheitspolitik mit Unwörtern belegen und ein Vokabular benutzen, das der Sache einfach nicht gerecht wird.

(Margarete Bause (GRÜNE): Sagen Sie es doch dem Herrn Seehofer!)

Ich führe keine Auseinandersetzung mit Personen, sondern mir geht es um ein wirklich ernstes Thema.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN: Ja! Genau!)

Wenn Sie das Thema ernst nehmen, dann setzen Sie sich mit Ihrer Bürgerversicherung auseinander, denn die Bürgerversicherung ist ein System der Staatsmedizin für alle. Denken Sie an den Health Service in Großbritannien. Es ist sehr ähnlich.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Frau Matschl, Sie sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit!)

Wer die Insel besucht hat, hat das Ergebnis dieser Reform gesehen. Er hat hautnah erlebt, was eine Zweiklassenmedizin für die Bürger bedeutet.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist doch nicht wahr!)

Gestatten Sie mir aber eine grundsätzliche Anmerkung zur Gesundheitspolitik. Es ist jetzt schon sehr viel über Kosten und so weiter diskutiert worden. Ich meine, ein wesentlicher Bestandteil der Zukunftssicherung ist die Gesundheitspolitik. Wie ist es denn um die Gesundheitspolitik bestellt? Wer heute über Gesundheitspolitik spricht, meint Kosten, Budgets und Einsparungen. Die aktuelle Diskussion über die Gesundheitsreform ist hierfür bezeichnend. Wir brauchen auch eine inhaltliche Diskussion über unser Gesundheitssystem und nicht nur die Veränderung von Strukturen. Eine ehrliche Auseinandersetzung über die inhaltliche Neuorientierung unserer Gesundheitspolitik findet nach meiner Ansicht nicht statt. Sprechen Sie doch einmal mit den Menschen auf der Straße. Sie verstehen uns und unsere vermeintlichen Konzepte nicht mehr. Die Probleme des Gesundheitswesens sind so immens, dass eine umfassende und vor allem nachhaltige Reform des gesamten Systems notwendig ist. Die Bürger sind in die aktuelle Diskussion über die Reform des Gesundheitswesens nicht einbezogen. Es gibt eine aktuelle Umfrage vom 12. November 2004, wonach 53 % der Befragten gar nicht wissen, was die Bürgerversicherung ist.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Eine Abstimmung über Ihr Konzept würde eine noch viel geringere Quote ergeben!)

Auf jeden Fall ist unser Konzept wesentlich besser als Ihres.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Darum lehnen wir es auch ab!)

Wir müssen eine öffentliche Auseinandersetzung über die inhaltliche Ausgestaltung unseres Gesundheitswesens führen, und wir müssen diese Auseinandersetzung auch glaubhaft führen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Richtig!)

Glaubwürdig werden wir nur dann sein, wenn wir den Mut haben, den Menschen im Land ungeschminkt die Wahrheit über das Unvermeidliche zu sagen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Völlig richtig! Nur, was ist unvermeidlich?)

Die derzeit angewandte Finanzierung der GKV durch einkommensabhängige Beiträge ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht zukunftsfähig. Wir haben ökonomische Defizite. Die Einnahmenseite leidet darunter. Aufgrund unserer hohen Arbeitslosigkeit gibt es weniger Beiträge. Die Lohnbezogenheit bei der Beitragsbemessung ist nicht mehr zeitgemäß. Die Lohnbezogenheit führt zu einer Verteuerung der Arbeit, zu Arbeitsplatzverlusten und zu Arbeitslosigkeit. Der Wachstumsmarkt Gesundheit stagniert. Der medizinische Bedarf ist nicht gedeckt. Das Beschäftigungspotential wird nicht ausgeschöpft. Für uns ist es ganz wichtig, zu wissen, dass der Gesundheitsmarkt ein Wachstumsmarkt ist. Es gibt auch Gerechtigkeitsdefizite, und daran haben beide Volksparteien zu arbeiten. Wir wissen auch, dass leistungsfähige Mitglieder des Gemeinwesens nicht zur Mitgliedschaft in der GKV verpflichtet sind. Somit leidet darunter auch das Solidarprinzip.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Aber daran ändern Sie nichts!)

Wir haben eine hohe Lohnbezogenheit, die nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit widerspiegelt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Die PKV bleibt unangetastet!)

Außerdem fehlt mir die zukunftsweisende Ausrichtung unseres Gesundheitssystems. Die Betonung liegt immer noch zu sehr auf Reparatur. Der Schwerpunkt muss auf Gesundheitsförderung und Prävention gesetzt werden.

(Christa Steiger (SPD): Richtig! Warum haben Sie dann aber im Haushalt 2004 die Mittel dafür gekürzt?)

Die demografische Entwicklung wird in der jetzigen gesetzlichen Krankenkasse nicht berücksichtigt.

Die Abkoppelung der Kassenbeiträge vom Lohn ist ordnungspolitisch durch die Bevölkerungsentwicklung zukünftig zwingend geboten. Wir haben erstens eine Abnah

me der Erwerbsfähigkeit. Der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter wird deutlich abnehmen, insbesondere der Anteil der beruflich Aktiven in den Altersgruppen der 20 bis 60-Jährigen und zum Jahr 2050 um 60 Millionen bzw. um 27 % abnehmen. Wir haben eine Zunahme der Rentenbezieher. Die Anzahl der Rentner im Vergleich zur Zahl der Erwerbstätigen wird sich massiv erhöhen. Heute liegt der Rentenquotient bei rund 55 %. Im Jahr 2030 wird er zwischen 80 und 90 % liegen und sich damit fast verdoppeln.

Gestatten Sie einige gesundheitspolitische Leitsätze der CSU und der CDU: Die Spitzenmedizin ist für alle, unabhängig vom Einkommen und vom Alter, möglich; solidarische Gerechtigkeit für Geringverdiener und sozial Schwache; die Berücksichtigung der überragenden Bedeutung von Kindern für die Zukunft der Gesellschaft, das heißt beitragsfreie Mitversicherung von Kindern; größere Transparenz im Gesundheitswesen; Wettbewerb von Kassen und Versicherungen und möglichst weitgehende Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnkosten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Finanzierung eines Gesundheitswesens steht Deutschland am Scheideweg. Alternativ ist ein Wettbewerb, ein Prämiensystem, das den sozialen Ausgleich in bester Tradition zu Ludwig Erhards Zeiten über Steuern und Transfer leistet. Das Ziel der CSU ist es: Die Gesundheitspolitik muss sozial und gerecht sein. Wir brauchen eine Balance zwischen Solidarität einerseits und Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Versicherten andererseits.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wörner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Als man den Begriff „Kopfpauschale“ einführte, wusste man noch nicht, wofür er nützen wird; er hat einige den politischen Kopf gekostet. Sollte das System weiter so funktionieren, wie Sie es begonnen haben, kann man Ihnen nur davon abraten. Man stelle sich vor, ausgerechnet Ihr Experte hat seinen politischen Kopf verloren und das sozial- und arbeitspolitische „Feigenblatt“ der CSU, Herr Kobler, muss an dieser Konstruktion verdorren, die Sie uns als Gesetz empfehlen. Sie müssen sich nicht wundern, dass die Menschen das nicht verstehen. Wir verstehen auch nicht, was Sie da treiben.

(Zuruf von der CSU: Das merkt man!)