Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Mir sei die Anmerkung erlaubt: Kann man solche Überschriften nicht prägnanter und damit besser fassen?

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung begründet. Ich erteile Frau Ministerin Stewens das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorgestellten Entwurf für ein Kinderbildungs- und betreuungsgesetz will die Staatsregierung die Qualität der Bildungsarbeit in unseren Kindertageseinrichtungen durch die gesetzliche Vorgabe von wissenschaftlich erarbeiteten Bildungs- und Erziehungszielen weiter verbessern und die Basis für einen zügigen weiteren Ausbau der Kinderbetreuung legen.

Mit unserem Gesamtkonzept aus dem Jahre 2001 haben wir seit 2002 bei den unter Dreijährigen mittlerweile eine Versorgungsquote von fast 5 % erreicht, und wir werden für diese Altersgruppe das Angebot weiter ausbauen.

Bei den Schulkindern haben wir mittlerweile eine Versorgungsquote von 16 %. Damit ist die Nachfrage fast gedeckt. Wir wollen aber gerade im Hinblick auf die hervorragende Arbeit der Horte dieses qualifizierte Angebot weiter ausbauen. Kinderbetreuung zu Hause oder außer Haus ist heute und auf absehbare Zeit die Zukunftsaufgabe schlechthin. Deshalb ist neben dem Landeserziehungsgeld ein bedarfsgerechtes Angebot an qualitativer Kinderbetreuung ein elementarer Bestandteil unserer Familienpolitik, um wirklich Wahlfreiheit für die Familien zu schaffen.

Allerdings sehe ich – anders als die Bundesregierung – im Ausbau der Kinderbetreuung nicht das Allheilmittel, wie man der demographischen Entwicklung wirkungsvoll begegnen kann.

(Zuruf der Abgeordneten Karin Radermacher (SPD))

Es gibt viele Komponenten, Frau Kollegin. Ich bin froh, wenn Sie mit mir einer Meinung sind.

Wir stellen darüber hinaus – ebenfalls anders als die Bundesregierung mit ihrem Tagesbetreuungsausbauge

setz – konkrete und nicht nur virtuelle Haushaltsmittel zur Verfügung. Für die Kinderbetreuung, Kindergärten, Horte, Netz für Kinder und Gesamtkonzept Kinderbetreuung stehen in den Einzelplänen 10 und 13 im Jahr 2005 564 Millionen Euro zur Verfügung, im Jahr 2006 sogar 575 Millionen Euro. Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden, die voll und ganz hinter diesem Gesetzentwurf stehen, und den freien Trägern, die sich dankenswerterweise intensiv in die Erarbeitung des Gesetzentwurfs eingebracht haben – in den beiden Modellkommissionen und dann in der Landesmodellkommission sowie in der Fachkommission zum Bildungs- und Erziehungs

plan – können wir so das leistungsfähige, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige System der Kinderbetreuung in Bayern noch weiter ausbauen und verbessern.

Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs werde ich in folgenden vier Punkten zusammenfassen:

Erstens. Das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz bildet erstmals einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für Krippen, Kindergärten, Kinderhorte, Netze für Kinder und die Tagespflege; diese werden insgesamt positiv angenommen. Es gibt also erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf die staatliche Förderung für Krippen, Horte und altersgemischte Einrichtungen.

Es gibt erstmals die staatliche Förderung für die Tagespflege, die besonders geeignet ist, als alternatives familiennahes Angebot zu den Kinderkrippen zu dienen. Es wird eine flexible, unbürokratische Änderung des Angebots entsprechend dem Bedarf möglich gemacht. Das heißt, frei werdende Kindergartenplätze können für Kinder anderer Altersgruppen genutzt werden. Darin stecken sehr viele Chancen. Einrichtungen mit breiter Altersmischung, Häuser für Kinder, können geschaffen und ausgebaut werden. Die Altersmischung ist nach meiner festen Überzeugung sinnvoll und pädagogisch wichtig. Das bedeutet, wir werden einen Umbau statt eines Abbaus von Betreuungskapazitäten als Reaktion auf rückläufige Kinderzahlen bekommen.

Zweitens. Kritischer gesehen wird die Einführung der kindbezogenen Förderung, die aber in den Modellversuchen in Bayreuth und Landsberg am Lech drei Jahre lang überaus erfolgreich erprobt wurde. Hierzu wird das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz nach einer angemessenen Übergangsphase zum 01.09.2006 bayernweit eingeführt. Ich habe heute Morgen schon gesagt, dass wir jetzt ein Jahr in der Planungsphase sind, in der wir mit der alten Förderung fördern. Ab 01.09.2006 beginnen wir dann mit der neuen Förderung.

Wir erzielen dadurch eine höhere Fördergerechtigkeit und einen effizienteren Mitteleinsatz. Die Zuschusshöhe bemisst sich künftig danach, wie lang die Kinder die Einrichtung besuchen und welchen Betreuungsbedarf jedes einzelne Kind hat. Ein höherer Förderbedarf wird anerkannt für Kinder unter drei Jahren, für Kinder mit Behinderung – Integrationskinder –, für Migrantenkinder und Schulkinder. Die Zuschusshöhe ist einfach berechenbar. Es gibt drei Kriterien: Alter des Kindes, Betreuungsbedarf und Buchungszeiten. Diese drei Kriterien sind ausschlaggebend.

Drittens. Weiterhin stärken wir die Planungsverantwortung der Kommunen und nehmen diese damit in die Verantwortung für den Ausbau der Kinderbetreuung. Bisher gab es kein gesetzlich gesichertes Recht der Kommunen, den örtlichen Bedarf an Kindertageseinrichtungen festzulegen. Auch nicht bedarfsnotwendige, aber anerkannte Kindergärten mussten von der Kommune gefördert werden. Künftig werden sich die Kommunen bei der Finanzierung auf die bedarfsnotwendigen Einrichtungen beschränken können. Die Planungs- und Finanzierungsverantwortung wird in einer Hand liegen und gehört auch in eine Hand, da nur so das Betreuungsangebot konkret auf die Bedürfnisse vor Ort ausgerichtet werden kann. Das heißt, die Kommunen stehen dann auch für den Ausbau der Kinderbetreuung in der Verantwortung. Der Gemeinderat, der Stadtrat, der Bürgermeister und der Oberbürgermeister stehen wesentlich stärker in der Verantwortung. Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Wir gehen nicht den einfachen Weg über FAG-Mittel, wie das in Baden-Württemberg geschieht. Das halte ich für den falschen Weg. Ich möchte schon die Kommunalpolitiker und Bürgermeister vor Ort stärker in die Verantwortung einbeziehen.

Das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern – und erzählen Sie bitte nicht immer etwas anderes – bleibt selbstverständlich erhalten.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das bleibt nicht erhalten!)

Es gibt kein Wohnortprinzip, wonach Eltern ihr Kind nur am Wohnort in eine Kindertageseinrichtung geben dürfen, aber die Kommunen werden durch das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz in die Lage versetzt, in enger Abstimmung mit den Trägern und Eltern ein maßgeschneidertes Betreuungsangebot bereitzustellen. An der Bedarfsplanung werden selbstverständlich Träger und Eltern beteiligt.

Darüber hinaus wird es eine Gastkinderregelung geben. Diese wird Rechtsunsicherheiten bei zahlreichen Krippen und Horten mit überörtlichem Einzugsgebiet beseitigen; denn hat eine Gemeinde nicht ausreichend Plätze als bedarfsnotwendig anerkannt und müssen Familien daher auf die Angebote in anderen Kommunen ausweichen, dann ist die Wohnortgemeinde künftig zur Finanzierung auch dieser Plätze gesetzlich verpflichtet.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Nein, es gibt noch die Härtefallklausel. Sie sollten sich das Gesetz vielleicht genauer ansehen. Diese gesetzliche Verpflichtung in Verbindung mit der so genannten Härtefallklausel stellt einen angemessenen Ausgleich zwischen den Wünschen der Eltern einerseits und der finanziellen Belastung der Kommunen andererseits sicher. Die Härtefallklausel ermöglicht es den Gemeinden, bei zwingenden persönlichen und insbesondere berufsbedingten Gründen trotz bedarfsdeckendem Betreuungsangebot gemeindefremde Betreuungsplätze mitzufinanzieren. Dabei können die Kommunen eine angemessene Mitfinanzierung der Eltern in Höhe von bis zu 50 % der kommunalen Förderung verlangen, wobei die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern zu berücksichtigen ist.

Viertens. Ich komme zur Optimierung und Sicherung der Qualität. Die Basis der Bildungsarbeit in den bayerischen Kindertageseinrichtungen ist ab September 2005 der Bildungs- und Erziehungsplan. Der Bildungs- und Erziehungsplan greift neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Und setzt sie nicht um!)

Er setzt sie natürlich um. Wir haben damit ausgesprochen positive Erfahrungen. Sie sollten sich einmal die 104 Einrichtungen ansehen. Der Bildungs- und Erziehungsplan greift neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf, um die frühe Kindheit als lernintensivste und prägendste Phase im Leben eines Menschen optimal nutzen zu können. Flankierend finanzieren wir hier die Fortbildungsoffensive für die Erzieherinnen, Stichwort: Kampagne Startchance Bildung. Im Jahr 2004 sind hierfür über 700 000 Euro zur Verfügung gestellt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz schafft passgenaue, optimierte gesetzliche Rahmenbedingungen für die aktuelle Situation der Kinderbetreuung in Bayern und verbessert diese Situation gewaltig. Das Gesetz wird bei der Kinderbetreuung sehr viel flexibilisieren. Wenn wir nicht umstellen würden, würden viele Gruppen in den Kindergärten schlicht und ergreifend wegbrechen. Deshalb ist diese Flexibilisierung absolut notwendig. Die Eltern in Bayern können auf ein modernes Betreuungsangebot bauen, bei dem die Qualität der Erziehung im Mittelpunkt stehen wird. Das heißt, insgesamt steht natürlich das Wohl des Kindes im Mittelpunkt, was für mich besonders wichtig ist.

Die Ausführungsverordnung ist in Vorbereitung. Das Parlament wird frühzeitig über die geplanten Inhalte informiert werden. Ich denke, das wird ungefähr im März der Fall sein. Ich bitte um eine wohlwollende Beratung des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Ministerin, ich stelle fest, dass Sie zwölf Minuten gesprochen haben. Damit steht jeder Fraktion ein Plus von zwei Minuten zu.

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als Erste hat sich Frau Dr. Strohmayr zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein neues Kindertagesstättengesetz eröffnet viele Chancen. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf hat aber außer dem wohlklingenden Namen „Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten, anderen Kindertageseinrichtungen und in Tagespflege“, kurz „BayKiBiG“, kaum etwas zu bieten. Wo nämlich „Bildung“ drauf steht, ist leider keine drin.

(Beifall bei der SPD)

Bei dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf geht es nicht um Verbesserungen bei der Kinderbetreuung, es geht nicht um frühkindliche Bildung, es geht nicht um Pädagogik, es geht nicht um unsere Kinder, sondern es geht um Kostenneutralität und ums Sparen zulasten von Kindern.

(Beifall bei der SPD)

Denn wie anders ist es zu werten, wenn mit dem gleichen Haushaltsansatz, mit dem bisher im Wesentlichen Kinder von drei bis sechs Jahren gefördert wurden, künftig Kinderbetreuungsplätze für Kinder von null bis vierzehn Jahren gefördert werden sollen? Mit dem gleichen Geld mehr Kinder zu betreuen, das bedeutet, dass die Qualität abnimmt, Gruppen größer werden oder Elternbeiträge angehoben werden.

Wie soll es unter diesen Bedingungen zu einem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen kommen? Wie soll dabei Bildung in Kindertagesstätten stattfinden? Bildung zum Nulltarif kann es nicht geben, Frau Stewens.

(Beifall bei der SPD)

Bei dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sind Bildungs- und Erziehungsziele so zu gestalten, dass sie kostenneutral umgesetzt werden können – so steht es im Vorwort Ihres Gesetzentwurfs. Wie das funktionieren soll, bleibt Ihr Geheimnis.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das gilt nicht nur für die Kommunen!)

Es ist nur konsequent, dass Bildungs- und Erziehungsziele im Gesetz selbst nicht genannt sind, sondern von der Verwaltung später im Verordnungswege nachgeliefert werden sollen. Wir sollen also über etwas befinden, dessen wichtigster Teil – die Mindestanforderungen an Qualität sowie die Bildungs- und Erziehungsziele – nicht vorliegt. Das allein ist eine Farce.

(Beifall bei der SPD)

Wer es mit frühkindlicher Bildung und Erziehung ernst meint, muss die Bildungs- und Erziehungsziele und die Qualitätsstandards im Gesetz festlegen und die Finanzierung danach ausrichten. Er darf nicht mit komplizierten Finanzierungsmodellen Betroffene täuschen.

(Beifall bei der SPD)

Bildung ist Landesaufgabe. Sorgen Sie also für eine ausreichende staatliche Finanzierung und ändern Sie den vorgelegten Gesetzentwurf. Kindbezogene staatliche Förderung bedeutet qualitative Verschlechterung, Stigmatisierung von Kindern, hohen Verwaltungsaufwand, Mehrbelastung von Kommunen; noch dazu ist Ihre Finanzierung unausgegoren. Der Faktor von 4,5 für Kinder mit Behinderung reicht nicht aus. Der Sprachfaktor – das ist der absolute Witz – hängt nicht von der Sprachfähigkeit des Kindes, sondern von der Herkunft der Eltern ab. Ich kann Sie nur auffordern, diesen Gesetzentwurf zu ändern.

Künftig sollen die Kommunen den Bedarf feststellen. Dabei können sie ihre eigene Finanzkraft berücksichtigen. In der Gesetzesbegründung heißt es so schön: „Der Bedarf stellt nicht notwendig ein genaues Spiegelbild der Bedürfnisse dar“.

Das heißt konkret, wer künftig einen Betreuungsplatz für seine Kinder braucht, bekommt deshalb noch lange keinen. Sie haben behauptet, für Kinder unter drei Jahren wäre ein Versorgungsgrad von über 5 % erreicht. Darüber kann ich nur lachen. Wir haben es mehrmals nachgerechnet. Für 352 000 Kinder unter drei Jahren stehen 7538 Plätze zur Verfügung. Das ist ein Versorgungsgrad von 2,13 %.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Stewens, ändern Sie Ihren Gesetzentwurf. Machen Sie eine ehrliche Familienpolitik, die sich an den Bedürfnissen und nicht am Bedarf der Familien ausrichtet.

Auch die Gastkinderregelung, die Sie angesprochen haben, ist geradezu kontraproduktiv, um Familie und Beruf künftig zu vereinbaren. Wie soll denn eine Frau, die nachmittags einen Platz angeboten bekommt und am Vormittag arbeiten muss, Familie und Beruf miteinander verbinden?

Wenn Ihr Gesetzentwurf umgesetzt wird, wird er dazu führen, dass Betriebskindergärten und viele Kindergärten mit besonderen pädagogischen Ausrichtungen vor dem Aus stehen. Ich kann Ihnen nur ein Beispiel nennen. In meiner Heimatgemeinde haben wir aufgrund des Engagements vieler Eltern einen eingruppigen Waldkindergarten, für den Sie sich auch so einsetzen, eröffnet. In diesem Kindergarten sind natürlich auch Kinder aus benachbarten Kommunen. Künftig wird es für diesen Kindergarten Finanzprobleme geben. Der Kindergarten hat, weil er nur eingruppig ist, auch nicht die Möglichkeit, Geld einzusparen für Krankheitsausfälle. Auch dazu ist im Gesetz nichts geregelt. Insgesamt rechnet dieser Waldkindergarten damit, dass bei Umsetzung des Gesetzentwurfs pro Kind eine Erhöhung des Elternbeitrags um 150 Euro pro Monat erforderlich wäre, um das Defizit auszugleichen. Das wäre mehr als eine Verdoppelung des Elternbeitrags.