Zum Abschluss danke ich dem Berichterstatter, Herbert Fischer, ganz herzlich, sowie den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, ganz besonders aber dem Vorsitzenden, Manfred Ach, für die konstruktive Beratung des Einzelplans 10. Ich danke der CSU-Fraktion, insbesondere Herrn Kollegen Joachim Unterländer, für die kontinuierliche Unterstützung und die intensive und gute Zusammenarbeit. Ich bitte den Landtag, dem Sozialhaushalt für die nächsten beiden Jahre die Zustimmung zu geben.
Bevor wir in die Aussprache gehen, gebe ich bekannt, dass sich die drei Fraktionen darauf geeinigt haben, die Mittagspause ausfallen zu lassen, damit wir im Zeitplan bleiben. Bitte richten Sie sich darauf ein. Anschließend kommt jetzt die Fragestunde. Damit müsste für jeden die Zeit ausreichen, um gesund zu überleben.
Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierfür eine Redezeit von einer Stunde und 30 Minuten festgesetzt. Davon entfallen auf die CSU-Fraktion 46 Minuten, auf die SPD-Fraktion 25 Minuten und auf die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN 19 Minuten. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat unser Kollege Wahnschaffe das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatsministerin, wenn man Ihrer Rede aufmerksam zugehört hat, und das habe ich getan, dann kann man sich nur verwundert die Augen reiben. Sie zeichnen ein Bild des sozialen Bayerns, das mit der Wirklichkeit nichts gemein hat.
Sie sprechen von Nachhaltigkeit. Einen nachhaltigen Eindruck haben Sie allenfalls bei der Kürzung des Blindengeldes bei den Blinden gemacht, bei den Obdachlosen und bei den vielen anderen Opfern Ihrer Kürzungspolitik. Sie sprechen von Verlässlichkeit. Die Wohlfahrtsverbände werden sich für die Verlässlichkeit bedanken, die Sie bei der Einhaltung von Zusagen gezeigt haben, beispielsweise beim Moratorium über die Investitionen der Pflege, bei der Insolvenzberatung und bei anderen Dingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Menschen in Bayern haben sich nach den brutalen Kürzungen im Nachtragshaushalt 2004 gefragt, wie die Staatsregierung künftig dem Verfassungsauftrag eines sozialen Bayerns noch gerecht werden will. Die Bilanz ist ernüchternd bis erschreckend. Das soziale Antlitz, Frau Staatsministerin, wie Sie das bei Ihrer Presseerklärung in der vergangenen Woche bezeichnet haben, dieses soziale Antlitz Bayers hat tiefe Furchen bekommen. Nicht Sie, sondern Finanzminister Faltlhauser bestimmt, was Sozialpolitik in Bayern noch leisten darf. Eine Politik, deren oberstes Ziel es ist, bis 2006 insgesamt 225 Millionen Euro einzusparen – das sind nach alter Rechnung fast 500 Millionen DM, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – oder 13,7 % der Einsparquote am Gesamthaushalt zu erfüllen, indem man dieses Geld aus dem Sozialhaushalt herausschneidet, das kann man nur als planlos, ziellos und verantwortungslos bezeichnen.
Frau Staatsministerin, den Vorwurf, diese bisher nie da gewesene Amputation wichtiger sozialer Aufgabenfelder kampflos hingenommen zu haben und sich damit zur willigen Erfüllungsgehilfin eines, von einer fixen Idee besessenen, Finanzministers gemacht zu haben, den können wir Ihnen nicht ersparen.
Sie hätten es doch viel leichter gehabt als Ihre Kollegin Frau Hohlmeier, die im Augenblick nichts anderes versucht, als ihren Sessel zu retten. Sie hätten um Ihren Haushalt kämpfen können. Kinder, Alleinerziehende, Pflegebedürftige, Behinderte, Arme und Obdachlose in Bayern hätten es verdient gehabt, dass Sie sich zu ihrer Anwältin und nicht als Vollstreckerin gegen sie durchsetzten.
Auch die CSU-Fraktion hat sich nicht etwa als Gestalterin des Haushalts präsentiert, sondern die notwendigen Korrekturen, die wir nachträglich mit unseren Haushaltsanträgen angeboten haben, ohne nähere Befassung abgelehnt. Die „neuen Wege in der sozialen Landschaft“, wie Frau Staatsministerin ihre Politik semantisch umschreibt, sind eher sozialpolitische Irrwege. In Bayern macht sich erzwungenermaßen eine neue Bescheidenheit unter den Schwächsten dieser Gesellschaft breit.
In den Wohlfahrtsverbänden hatte mancher gehofft, es werde gegenüber 2004 keine neuen Kürzungen geben. Diese Hoffnungen sind geplatzt wie ein bunter Luftballon. Akribisch listet der Finanzminister auf: 2005 liegen die Einsparungen im Sozialhaushalt bereits bei 192,5 Millionen Euro und damit noch einmal um 31,5 Millionen Euro höher als im Jahre 2004, also mit dem Nachtragshaushalt, und 2006 wird die Kürzungsorgie mit 224 Millionen Euro im Sozialhaushalt ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen. Das sind dann 63 Millionen Euro zusätzliche Kürzungen. Von einem Ende der Kahlschlagspolitik kann also keine Rede sein. Die sozial- und gesundheitspolitischen Debatten innerhalb der Union – Sie haben ja heute auch einen bundespolitischen Ausflug unternommen – haben deutlich gemacht, dass es weder in der CDU noch in der CSU ein sozialpolitisches Profil noch Visionen über die Zukunft des Sozialstaates gibt. Es gibt allenfalls ein großes Durcheinander.
Mit Ihren Beschlüssen zur Gesundheitsreform – wir erinnern uns alle noch ganz gut daran – haben Sie selbst deutlich gemacht, dass Sie nicht in der Lage sind, dieses Land zu regieren.
Wie sehen nun Ihre Rezepte für Bayern aus? Bisher ist wenig erkennbar. Darum haben Sie ja auch das „Forum soziales Bayern“ – das Sie heute auch wieder angesprochen haben – aus der Taufe gehoben, frei nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ´ ich einen Arbeitskreis. Soweit überhaupt auszumachen, suchen Sie, Frau Staatsministerin, weiteres Unheil durch Privatisierung in den verschiedensten Bereichen von Ihrem Haus abzuwenden.
Sie haben vorhin gesagt, durch mehr Staat sei nicht mehr soziale Gerechtigkeit zu gewinnen. Das gilt aber auch umgekehrt. Sie haben solche Privatisierungsabsichten im Bereich der stationären Pflege, der Krankenhausfinanzierung und neuerdings auch der Forensik geäußert. Wenn Sie könnten, wie Sie wollten, müsste man nach den Entwürfen zum Kindertagesstättengesetz – darüber werden wir heute noch reden – und zum kommunalen Entlastungsgesetz, das Sie im Bundesrat eingebracht haben, schlussfolgern, dass Sie eine Sozialpolitik nach Kassenlage bevorzugen.
Staatliche Aufgaben wie die im Rahmen der Daseinsvorsorge, des Sicherstellungsauftrages und nicht zu vergessen die staatliche Schutzfunktion zugunsten der Schwachen, Kranken, Pflegebedürftigen und Behinderten opfern Sie mehr und mehr haushalts- und finanzwirtschaftlichen Überlegungen.
Eine Sozialpolitik, die in der Privatisierung ihr Heil sucht, verdient diesen Namen nicht. Im Übrigen verschieben Sie dadurch nur Kosten, die Sie jetzt vermeintlich einsparen, lediglich in die Zukunft. Das kann man beim Beispiel Pflege sehr deutlich durchdeklinieren. Wer angesichts der demografischen Entwicklung meint, er könne staatliche Leistungen im Pflegebereich einsparen, braucht sich über wachsende Sozialhilfelasten in der Zukunft nicht zu wundern. Eine solche Sozialpolitik kann man nur als planlos, ziellos und verantwortungslos bezeichnen.
Eine verantwortliche Sozialpolitik, die die knappen Ressourcen zielgerichtet einsetzen will, müsste sich am Sozialbericht Bayern orientieren, in dem die sozialen Defizite schonungslos beschrieben sind. Stattdessen setzen Sie Ihren sozialpolitischen Blindflug fort. Kinder und Bildungsarmut, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit und Ausbildung sind Themen, die es wert wären, im Bayerischen Landtag auf der Grundlage einer aktuellen Sozialberichterstattung behandelt zu werden. Ein verantwortlicher Umgang mit Haushaltsmitteln hätte es zwingend geboten, darüber zu berichten, was die Staatsregierung denn bisher zur Beseitigung der im letzten Sozialbericht aufgezeigten Defizite getan hat. Ferner hätte es nahe gelegen, diesen Bericht fortzuschreiben, um daraus Handlungsimpulse zu gewinnen. Stattdessen Fehlanzeige auf der ganzen Linie! Das Thema ist der Staatsregierung offenbar lästig.
Ihrer Politik der sozialen Kälte setzen wir entgegen: Wir wollen Solidarität fördern und fordern. Es müssen neue Wege für eine nachhaltige Strukturreform mit dem Ziel beschritten werden, das soziale Netz gerade in Schwierigkeiten zu stärken. Sie gehen genau den gegenteiligen Weg. Sie meinen, dass sich der Sozialstaat in sozial schwierigen Zeiten zurückziehen muss. Wir meinen, gerade dann muss er sich bewähren und er muss dann ein starker Staat sein.
Dazu gehört der Abbau von Bürokratie, die Sie über Jahrzehnte hier in Bayern aufgebaut haben und die Sie jetzt lauthals beklagen. Wir wollen, dass die in der Sozialpolitik tätigen Organisationen, Verbände und Betroffenengruppen nicht nur in einem Forum soziales Bayern, sondern auch als gleichberechtigt Handelnde in die Planung der Sozialpolitik mit einbezogen werden. Wir wollen die Finanzierung der Sozialpolitik in Bayern so ändern, dass freiwerdende Gelder nicht eingezogen, sondern gezielt für sozialpolitische Ziele eingesetzt werden. Ein typisches Beispiel ist das Landeserziehungsgeld. Ich werde darauf noch zurückkommen.
Lassen Sie mich nun ein paar Beispiele Ihrer verfehlten Sozialpolitik aufzeigen. Erstes Beispiel: die Familien. Ministerpräsident Edmund Stoiber hat in seiner Regierungserklärung am 6. November 2003 erklärt: „Wir investieren in die Familie; Bayern soll Familienland Nummer 1 werden.“ – Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus. Ihr stellvertretender Parteivorsitzender Horst Seehofer hat Ihnen bescheinigt: „Die CSU ist nicht mehr der Leuchtturm der Familienpolitik.“ Wie wahr! Im Gegenteil, Bayern ist dank Ihrer Politik nur ein kleines Blinkfeuer. Nur für 1,7 % der Kinder steht ein Krippenplatz zur Verfügung,
nur knapp 5 % haben einen Hortplatz. Die Streichorgien machen auch vor den Jüngsten dieses Landes nicht halt. Noch im Jahre 2002 wurden 180 Millionen Euro für das Landeserziehungsgeld im Haushalt eingestellt. Der Ansatz ist im Jahre 2004 auf 151 Millionen Euro geschrumpft und wird im Jahre 2006 gerade noch 97 Millionen Euro erreichen. Das bedeutet innerhalb von fünf Jahren fast eine Halbierung, und da reden Sie von einer zukunftsgewandten Familienpolitik.
Was Ihnen der Finanzminister beim Landeserziehungsgeld auf der einen Seite wegnimmt, wird durch die Förderung für Kindertagesstätten auf der anderen Seite bei weitem nicht kompensiert.
Deshalb haben wir auch vorgeschlagen, das Landeserziehungsgeld Herrn Finanzminister Faltlhauser nicht länger als Steinbruch zum Stopfen von Haushaltslöchern zu überlassen, sondern gezielt für Bildung und Erziehung im vorschulischen Bereich, also im Kindergarten, einzusetzen.
Auch bei den anderen familien- und jugendpolitischen Maßnahmen setzen Sie die massiven Kürzungen des Nachtragshaushalts 2004 tendenziell fort. Es grenzt schon an eine freudsche Fehlleistung, wenn in den Erläuterungen zum Landeserziehungsgeld im Haushaltsplan Folgendes steht:
Für Geburten ab 01.10.2004 wurde das Bayerische Landeserziehungsgeldgesetz insoweit geändert, als für erste Kinder kein Landeserziehungsgeld mehr bezahlt wird.
Im Haushaltsausschuss erklären Sie, das alles stimme nicht, sondern sei falsch, und das erklären Sie erst, nachdem Sie Herr Kollege Dupper darauf aufmerksam gemacht hat. Hier haben Sie hineingeschrieben, was Sie in Wirklichkeit vorhaben, nämlich das Landeserziehungsgeld still und leise verschwinden zu lassen, aber nicht, indem Sie es für bildungspolitische Aufgaben der Kindergärten oder für andere familienpolitische Bereiche verwenden. Sie lassen das Landeserziehungsgeld verschwinden oder der Finanzminister kassiert es.
Angesichts dieser Kürzungen bei den Jüngsten in Bayern behält das Wort des Präsidenten des Diakonischen Wer
kes, Dr. Markert, seine Gültigkeit: Sie sparen nicht für die Zukunft, sondern Sie sparen an der Zukunft.
Nach langen Geburtswehen bringen Sie heute den Gesetzentwurf zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern ein. Wir haben seit Jahren ein solches Gesetz gefordert.
Wir vergeudeten viel Zeit, bis Sie einsahen, dass Bildung und Erziehung nicht erst in der Schule beginnen. Bayern ist übrigens das einzige alte Bundesland, in dem es keinen gesetzlich verbürgten Anspruch auf einen Kindergartenplatz gibt.
Heute reden Sie wieder von ideologischer Verbrämung, von der sozialistischen Familie usw. Sie haben offenbar die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt, und das kommt im Haushalt deutlich zum Ausdruck.
Ich will zum Gesetzentwurf ein paar Sätze sagen: Die Staatsregierung legt einen Gesetzentwurf vor, in dem sie die Quadratur des Kreises schreibt. Obwohl die staatliche Förderung auf Kinderkrippen, Horte und Tagespflege ausgeweitet wird, erhöhen sich die Fördermittel im Haushalt nur unwesentlich. Verräterisch ist allein die Aussage im Gesetzentwurf: „Die Konkretisierung und Aktualisierung der Bildungs- und Erziehungsziele wird zu keiner Mehrbelastung der kommunalen Haushalte führen.“ Bildung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Hier offenbaren Sie in verräterischer Weise, dass Sie letzten Endes nicht bereit sind, für den neuen Bildungs- und Erziehungsplan Geld in den Haushalt einzustellen.
Erstens: Für Fortbildungsangebote, die gerade einmal die Leiterinnen von Kindertagesstätten betreffen sollen, sind ganze 262 000 Euro bzw. 268 000 Euro ausgewiesen. Da kann man nur Prof. Fthenakis vom Staatlichen Institut für Frühpädagogik Recht geben – den Sie hinterher wieder zurückgepfiffen haben –, der sagt, dies sei ein Spargesetz und kein Bildungsgesetz.
Zweites Beispiel: die Pflege. In Bayern gibt es rund 300 000 Pflegebedürftige. Ihre Zahl wird aufgrund der demografischen Entwicklung deutlich steigen. Einrichtungen der stationären Altenpflege sind Bestandteil der Daseinsvorsorge. Mit dem Beschluss der CSU-Fraktion – übrigens am Landtag vorbei –, die staatliche Förderung für die Sanierung und den Neubau von Altenheimen auszusetzen, haben Sie den Einstieg zum Ausstieg aus der staatlichen Förderung vollzogen. Dieses ist nicht nur ein
Wortbruch gegenüber den Wohlfahrtsverbänden, sondern bedeutet auch, dass sich die CSU langfristig aus der Förderung der stationären Altenpflege verabschieden will. Frau Staatsministerin, deutlich war hierfür das Interview, das Sie im Juli der „Süddeutschen Zeitung“ gaben.
Mit Ihrem Beschluss, die staatliche Förderung für den Neubau und die Sanierung auch für die Jahre 2005 und 2006 auszusetzen, sparen Sie nicht nur bei den Schwächsten, sondern Sie fördern indirekt auch Tendenzen, bei den Bezirken die Pflegestandards abzusenken.