Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

schlüsse auf europäischer Ebene geregelt, aber Ihre einzige Überlegung ist: Was können wir alles an uns reißen? Mit dem, was Sie planen, sorgen Sie für eine Uneinheitlichkeit der Lebensverhältnisse; das hat dem Bundesverfassungsgericht als Argument gefehlt. Sie werden mit dieser Planung das Sozialgefüge in der Bundesrepublik durcheinander bringen. Sie privatisieren die Bildung; ich nenne als Stichworte Büchergeld, Studiengebühren, Schulwegkostenfreiheit, Verwaltungsgebühren usw.

(Zuruf des Staatsministers Prof. Dr. Kurt Faltlhau- ser)

Herr Faltlhauser, ich finde es besonders schön, dass heute ein so netter CSU-Antrag vorliegt, in dem drinsteht, die Studiengebühren sollten den Hochschulen zugute kommen. Wer’s glaubt, wird selig!

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU))

Eines ist für die SPD völlig klar: Wir haben auf unserer Seite das Deutsche Studentenwerk, die Gewerkschaften und die Studentenschaften. Wir haben eine Vielzahl von Universitätsrektoren, an der Spitze Prof. Huber von der LMU, an unserer Seite. Wir werden schon sehen, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird. Eines ist völlig klar: Diesen Protest werden wir mit allem, was uns zur Verfügung steht, unterstützen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Gote.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden anschließend gewiss noch Lobreden auf den Bildungsföderalismus, auf den Föderalismus allgemein und auf Ihren großen Sieg gestern in dieser Hinsicht in Karlsruhe hören. Das ist aber eigentlich nicht das, worum es jetzt in diesen Anträgen geht. Das ist auch nicht das, worum sich unsere politische Debatte drehen sollte. Ich bin auch ein großer Fan von Bildungsföderalismus. Was gestern in Karlsruhe festgeschrieben wurde, ist sicherlich auch alles richtig. Es wurde aber auch ganz deutlich gemacht, dass jetzt die politische Diskussion um das Für und Wider von Studiengebühren beginnen muss. Diese Diskussion wurde noch nicht geführt, und über diese Frage wurde noch nicht entschieden. Ich bitte Sie, sich endlich dieser Debatte in einer sachlichen Form zu stellen.

Der Zugang zu Bildung ist in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland zu einer entscheidenden Zukunftsfrage geworden – für jede und jeden Einzelnen und auch für die Gesellschaft insgesamt. Ein Land, dessen Wirtschaftskraft und Fähigkeit, mit neuen Herausforderungen fertig zu werden, so stark von den Ideen und der Kompetenz seiner Bürgerinnen und Bürger abhängt, muss Bildung, Wissenschaft und Forschung besondere Aufmerksamkeit widmen, und es muss darauf reagieren, dass in anderen Ländern ein deutlich größerer Anteil der Bevölkerung eine akademische Ausbildung absolviert. Es darf ebenso wenig ignorieren, dass seine Bildungsinstitutionen

im internationalen Vergleich immer wieder schlecht abschneiden und der Zugang zu Bildung in extremer Weise von der sozialen Herkunft abhängig ist. Wir müssen mehr junge Leute in unseren Schulen bis zum Abitur führen und mehr junge Leute dazu motivieren, einen akademischen Abschluss zu machen. Wir brauchen eine höhere Studienanfängerquote. Sie ist zwar seit 1998 gestiegen, aber das reicht noch nicht; vor allem reicht die Zahl der Abschlüsse noch nicht.

Das Bildungssystem in Bayern ist zutiefst ungerecht. Das beginnt schon vor dem Kindergarten: Es beginnt damit, dass es für die Frühförderung nicht genügend Kinderkrippen gibt. Das ist zutiefst ungerecht; da sind wir in diesem einen Punkt international Spitze. Das haben alle Tests bestätigt. Darauf können Sie wirklich nicht stolz sein. Unser Bildungssystem ist von Anfang an selektiv, es ist sozial ungerecht von Anfang an. Kollegin Rupp hat schon einige Stichworte genannt. Ich erwähne ausdrücklich noch einmal das Büchergeld. Wir wissen, dass Kinder aus sozial schwächeren und bildungsferneren Haushalten viel geringere Chancen haben, überhaupt bis zum Abitur zu kommen, als Kinder aus anderen Familien. Das setzt sich über alle Bildungsstufen hinweg fort.

Jetzt reden wir über die Hochschulen. Wenn Sie nun Studiengebühren einführen, wird sich die Selektion noch weiter verschärfen. Studiengebühren würden die bereits bestehende Bildungsungerechtigkeit in Bayern weiter verschärfen, und zwar massiv.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Unser Bildungssystem macht Bildung vom familiären Hintergrund abhängig.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Während 73 % aller Beamtenkinder ein Studium beginnen, sind es von den Arbeiterkindern nur 12 %. Herr Minister Goppel, Sie selbst haben in einem Interview gesagt, dass Sie 20 % der Studierenden für bedürftig halten, was immer Sie damit meinten. Ich nehme an, dass Sie damit Studierende aus sozial schwächeren Familien meinten.

Besonders schwierig ist es für junge Menschen mit Migrationshintergrund. Während 17 % der Deutschen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren studieren, sind es nur knapp 4 % der in Deutschland lebenden Ausländer und Ausländerinnen. Das heißt, wir müssen die Integrationsfähigkeit unseres Bildungssystems verbessern und Brücken für Menschen aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund bauen. Das ist vorrangig ein Problem unseres selektiven Schulsystems, aber es setzt sich in der Hochschule fort. Sie sind gerade dabei, das Problem durch Studiengebühren zu verschärfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Goppel, das, was Sie uns in den letzten Tagen – ich muss sagen: eigentlich, seitdem Sie Minister in diesem Fachbereich geworden sind – an Haltung gegenü

ber dem gesamten Ressort bieten, empfinde ich als wirklich erschreckend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist Ihre Grundhaltung gegenüber diesem ganzen Politikbereich und vor allen Dingen gegenüber den jungen Menschen, für die Sie sich eigentlich in die Bresche werfen sollten, die die Wissenschaftspolitik in Bayern so furchtbar macht, wie sie zur Zeit ist.

(Beifall bei den GRÜNEN – Margarete Bause (GRÜNE): Zynisch ist das!)

Das, was Sie äußern, zeugt von einer Realitätsferne, die vielleicht nur noch von Ihrer Kollegin Hohlmeier übertroffen werden kann. Das, was Sie gestern dazu geäußert haben, wie Studierende leben, ist von einem Zynismus geprägt, der nicht zu überbieten ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So kann nur jemand reden, der überhaupt keine Ahnung hat, wie es ist, wenn man aus einer Familie kommt, die nicht so reich gesegnet ist. Das betrifft zum einen die Seilschaften, die wohl bei Ihnen und in Ihren Kreisen schon immer gang und gäbe waren, und das betrifft auch das Geld, das dahinter steht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich muss ehrlich sagen: Ich habe mich für das geschämt, was Sie gestern Abend in den „Tagesthemen“ dem bundesdeutschen Publikum geboten haben. Sie konnten noch nicht einmal den Namen der Universität „Witten/ Herdecke“ richtig aussprechen; wahrscheinlich, weil Sie sie nicht kannten. Das ist wirklich ein Armutszeugnis ohnegleichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es zeugt von einer völligen Realitätsferne, wenn Sie davon reden, dass die Studierenden ja mal eben auf 100 Euro im Monat verzichten könnten, dass sie nur zwei Nachhilfestunden halten müssten, um 100 Euro zu verdienen. Wo leben Sie denn eigentlich? Haben Sie überhaupt einen Begriff davon, was es für eine Familie bedeutet, die nicht einen solchen Hintergrund hat, wenn sie mehrere Kinder studieren lassen will? Ich glaube, Sie wissen überhaupt nicht, wie die Realitäten in diesem Lande sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich empfinde das als ignorant und respektlos gegenüber allen jungen Menschen, die allein wegen ihrer Begabung an unsere Hochschulen gehören.

Jetzt zu einigen Märchen und Unwahrheiten, die uns wahrscheinlich in der nächsten Zeit massiv beschäftigen werden; es betrifft die Märchen und Verschleierungen der Wirklichkeit, mit denen im Zusammenhang mit Studiengebühren immer wieder hantiert wird:

Erstens. Studieren ist bereits heute nicht kostenlos.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Fällt Ihnen nichts Besseres ein, Herr Spaenle?

Dieser Anschein wird immer erweckt, gerade wenn man so tut, als müssten alle anderen zahlen; für den Kindergarten muss man bezahlen, und auch für die meisten Ausbildungen muss man bezahlen. Auch für das Studium muss man schon heute viel bezahlen. Ein Studium kostet einen Studierenden heute an die 700 Euro. Das ist niemand, der dann im Luxus leben kann. Das betrifft die Lebenshaltungskosten und alle Nebenkosten, die mit dem Studium verbunden sind. Das sind reale Kosten, die heute bereits zur Hälfte von den Familien und von den Studierenden selber aufgebracht werden. Es ist keineswegs so, dass wir alle das Studium komplett subventionieren würden. Schon heute bestreiten die Studierenden die Hälfte der Kosten, die ihr Studium verursacht.

Sie haben das BAföG erwähnt. Wir müssen das BAföG weiterentwickeln, damit wir zu einer elternunabhängigen Förderung kommen. Diejenigen, die heute BAföG beziehen, nehmen schon derzeit einen Kredit auf. Wissen Sie, Herr Minister, dass man bereits heute aus dem Studium mit einer Schuldenlast herausgeht, wenn man nicht so reich gesegnet ist wie manch andere? Wissen Sie das?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie satteln noch zusätzlich einen Kredit drauf. Das betrifft Menschen, bei denen die Kreditaufnahme nicht so locker vor sich geht, wie das vielleicht bei Ihresgleichen ist.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Oder bei Kirch!)

Oder bei Kirch, ja genau.

(Zuruf von der CSU: Was soll diese Pöbelei?)

Das zweite Märchen: Das Aufkommen der Gebühren verbleibt bei den Hochschulen. Das ist der größte Blödsinn, den man erzählen kann. Das glaubt Ihnen vielleicht jemand, der sich noch nie mit Haushaltspolitik beschäftigt hat. Jemand, der das Thema nur im Ansatz verfolgt, wird wissen, dass das das größte Märchen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben im Wissenschaftshaushalt bereits massiv gespart. Seitdem Edmund Stoiber Ministerpräsident ist, haben Sie massiv gespart. Sie haben real weniger bei den Hochschulen investiert.

(Zuruf von der CSU)

Die Zahlen habe ich genannt. Schauen Sie sich das Protokoll der vorletzten Plenarsitzung an. Darin können Sie es nachlesen und haben es dann schwarz auf weiß.

Wenn Sie Gebühren einführen, so ist das der einfache Versuch, Haushaltslöcher zu stopfen. Natürlich können Sie sagen, die Hochschulen nähmen die Mittel ein und diese tauchten dann im Etat bei ihnen auf. Aber dafür kürzen Sie an anderer Stelle weiter.

(Zuruf von der CSU: Wer sagt denn das?)

Danke, dass Sie fragen, Herr Kollege. Das haben Sie in Kreuth beschlossen. Das ist so. Das ist das, was Sie als Planungssicherheit verkaufen, nämlich ein Einfrieren der Hochschuletats auf das Niveau von 2004. Nicht mehr und nicht weniger ist die Planungssicherheit, die Sie den Hochschulen verkauft haben. Sie haben gesagt, vielleicht sei es möglich, noch mehr zu investieren. Die Sicherheit, die in Ihrem Beschluss von Kreuth enthalten ist, beschränkt sich auf das Niveau von 2004; es ist noch nicht einmal ein Inflationsausgleich eingerechnet.