Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Ich kann mir schon vorstellen, wie Sie es machen werden. Sie werden die Klassen an den Grundschulen noch größer machen.

(Susann Biedefeld (SPD): Das geht doch gar nicht mehr und ist unverantwortlich!)

Wie sagten Sie so schön, Herr Kollege Schneider? – Wir hätten einen so wunderbaren Durchschnittswert in Bayern, weil wir gerade mal 24 Schülerinnen und Schüler in den Grundschulklassen haben, was gut passen würde. Sie wissen genau, dass dieser Durchschnitt zu hoch ist und dass es eine ganze Reihe von Grundschulklassen gibt, die 30 oder mindestens 29 Kinder haben. Sie wissen auch – heute ging es wieder durch die Medien durch eine Meldung der „dpa“ –, dass wir in Deutschland das Schlusslicht sind, keineswegs das große Vorbild. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Erhöhung der Klassenstärken unseren Kindern gegenüber unverantwortlich ist.

Herr Staatssekretär – die Frau Staatsministerin kann ich leider nicht ansprechen –, Herr Kollege Schneider, hören Sie mit der Schönrechnerei und mit der Verschleierung der Realität an den bayerischen Schulen auf, was die Lehrerversorgung betrifft.

(Beifall bei der SPD)

Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung und stellen Sie ausreichend Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung, und das auf echten Planstellen und nicht von September bis Juli, um anschließend mit dem nächsten Verschiebebahn

hof und dem nächsten Zahlentrick aufzuwarten. Hören Sie auf, den Menschen glaubhaft machen zu wollen, dass Sie, nachdem Sie reumütig den Mangel bekannt haben, die fehlenden Lehrkräfte beschaffen wollen, wenn sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit den nächsten Mangel bereits wieder anlegen.

(Beifall bei der SPD)

Sie können doch niemandem mehr erklären, was das werden soll.

Das Schlimmste aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist – und das ist für niemanden mehr nachvollziehbar –, dass bei der Staatsregierung und der CSU-Fraktion die Meinung vorherrscht, sie könnten die frühere Einschulung durchsetzen, indem lediglich Jahr für Jahr der Stichtag um einen Monat in Richtung 31.12. verlegt und ansonsten nichts getan wird.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Es gibt wunderbare Modellversuche, die nicht umgesetzt werden!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einer solchen Reform müssten an den Grundschulen die nötigen pädagogischen Voraussetzungen geschaffen werden. Ich werde Ihnen doch nicht erklären müssen, dass es einen Unterschied macht, ob ein Kind mit fünfeinhalb Jahren, mit sechseinhalb Jahren oder mit sieben Jahren zur Schule kommt. Ich werde Ihnen doch hier nicht erklären müssen, dass die Kinder, je jünger sie sind, umso mehr individuelle Betreuung brauchen, umso mehr individuelle Zuwendung und natürlich umso mehr individuelle Förderung brauchen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Alter der Kinder im Zusammenhang mit der Klassengröße stehen muss. Je jünger die Kinder sind, umso kleiner müssen die Klassen sein, damit die Lehrerinnen und Lehrer ausreichend Zeit haben, sich jedem einzelnen Buben und jedem einzelnen Mädchen widmen zu können. Sie wissen genauso gut wie ich, dass, je jünger die Kinder sind, es umso differenziertere und umfangreichere Fördermöglichkeiten an unseren Schulen geben muss. Sowohl Fördermöglichkeiten als auch Möglichkeiten zur Differenzierung sind in unseren Grundschulen so gut wie nicht vorhanden. Der Druck an unseren Grundschulen hat in den letzten Jahren vor allem durch die fl ächendeckende Einführung der R 6 zugenommen. Sie können also auch nicht sagen, es gäbe genügend Kapazitäten, um die frühere Einschulung draufsatteln zu können.

Die Schülerinnen und Schüler werden, wenn sie Förderung brauchen – auch das wissen Sie so gut wie ich –, ihrem eigenen Schicksal überlassen. Sie müssen darauf vertrauen, dass das die Eltern zu Hause auf die Reihe bringen und das nachholen werden, was an der Schule nicht geleistet werden konnte, oder dass sie für ausreichend Nachhilfe sorgen werden, damit die notwendige Förderung gewährleistet werden kann.

Sie tragen mit diesem Gesetzentwurf in keiner Weise dazu bei, dass auch nur im Geringsten die pädagogischen Voraussetzungen an unseren Grundschulen geschaffen werden. Ich befürchte, dass, weil die Hälfte der nötigen Lehr

kräfte fehlt, sich die Situation verschlechtern anstatt verbessern wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der CSUFraktion, Herr Staatssekretär, so kann man nicht verantwortungsvolle Politik machen.

(Beifall bei der SPD)

Nehmen Sie Vernunft an und lassen Sie die unvorbereitete Reform. Beenden Sie erst einmal die Baustellen, die Sie bereits eröffnet haben und wo Sie die gleichen Probleme erzeugt und keine Lösung herbeigeführt haben.

Ich nenne die R 6, für die es auch keine Lehrerinnen und Lehrer gibt, dafür aber 300 Klassen mit 35 bis 39 Schülerinnen und Schülern. Ich nenne das G 8, mit dem Sie einer Situation entgegengehen, bei der sich die Intensivierungsstunden wieder erledigen werden, weil Sie die Lehrerinnen und Lehrer, die dafür benötigt werden, nicht zur Verfügung stellen.

(Zuruf des Abgeordneten Georg Stahl (CSU))

In den Mittelstufen der Gymnasien haben Sie riesengroße Klassenstärken. Erst vor kurzem war ich in Ingolstadt, beim Philologenverband, Herr Schneider, und habe dort von Leuten, die etwas davon verstehen, eindeutig vorgerechnet bekommen, welches Chaos an Bayerns Gymnasien in den nächsten Jahren herrschen wird. Stellen Sie doch erst einmal dort die notwendigen Rahmenbedingungen zur Verfügung.

(Zurufe von der CSU)

Sie wollen doch nicht behaupten, dass Herr Rupp ein Anhänger der Sozialdemokratie ist. Ich habe ihn jedenfalls bis jetzt nicht so erlebt.

(Zurufe von der CSU)

Im Gegenteil, er ist nicht müde geworden, Sie zu loben. Nun wird er nicht müde, Sie zu kritisieren, und damit hat er Recht

(Beifall bei der SPD)

Hören Sie auf, Lehrerstellen zu streichen, vor allem an den Volksschulen. Stellen Sie zunächst einmal die Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung, die an den Grund- und Hauptschulen benötigt werden, um die individuelle Förderung zu verbessern, und zwar gravierend zu verbessern. Das gilt vor allem für die Grundschulen. Begreifen Sie doch endlich, dass die Grundschule das Fundament jeglicher Schullaufbahn ist. Oberstes Prinzip an den Grundschulen muss die individuelle Förderung sein. Sie muss dort in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden. Statten Sie die Mobile Reserve endlich so mit Lehrerinnen und Lehrern aus, dass sichergestellt ist, dass kranke Lehrerinnen und Lehrer ersetzt werden können, dass kein Unterrichtsausfall entsteht und dass die schon mehrfach von mir eingeforderte dringend notwendige individuelle Förderung auch geleistet wird.

(Beifall bei der SPD)

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, werden wir mit Ihnen Ihre Reformen diskutieren können. Herr Gabsteiger, dass Sie sich hierüber so lustig machen, bestürzt mich. Ich entnehme daraus nämlich, dass es Ihnen egal ist, wie es unseren Kindern an den Schulen geht. Das ist wirklich schlimm.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Alexander König (CSU): Das ist doch Unsinn!)

Für die CSUFraktion darf ich das Wort jetzt Frau Kollegin Reserl Sem erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Marianne Schieder, Baustellen haben die Eigenschaft, dass sie länger dauern. Sie brauchen eine gewisse Zeit. Auch wir in der Politik können nicht erwarten, dass wir „A“ sagen und gleichzeitig „B“ schon erledigt ist. Das wissen Sie genauso gut wie ich.

(Zuruf von der SPD)

Eines aber ist klar: Mit Schimpfen und Jammern, mit gegenseitigem Hetzen kommen wir nicht weiter. Das hilft uns nicht.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der CSU: Sehr richtig!)

Eines aber darf ich noch humorvoll anfügen, nachdem ich ein sehr humorvoller Mensch bin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Schieder, anscheinend sorgen Kabinettsbeschlüsse dafür, dass in den Ministerien Fitness herrscht. Es freut mich, dass Sie einen so guten Kommunikationsaustausch mit den Ministerien haben, obgleich Sie von dort keine guten Antworten bekommen haben.

(Marianne Schieder (SPD): Humor ist eine Geschmackssache!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun aber zu den inhaltlichen Fragen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren ein besonderes Lern- und Aufnahmevermögen besitzen. Mit der Schaffung des Bildungs- und Erziehungsplanes haben wir in Bayern auf diese wissenschaftlichen Ergebnisse gut reagiert. Ich denke, wir haben auch ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass wir heute nicht mehr Kinder als im Jahr 1960 haben. Die Erfahrungen zeigen, dass die Lernentwicklung eines Kindes ab einem bestimmten Punkt im Kindergarten nicht besser gefördert werden kann. Um die maximalen Lernfortschritte in diesem Zeitfenster zu erreichen, ist sehr wichtig, dass wir frühzeitig einschulen und die Kinder dort abnehmen. Ich denke hier vor allem an die Sprache und an Zahlen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Stichtag für das Einschulungsalter soll im Laufe von sechs Jahren, beginnend mit dem kommenden Schuljahr, vom 30. Juni schrittweise um jeweils einen Monat bis zum 31. Dezember verlegt werden. Bei dieser moderaten Vor

verlegung der Schulpfl icht muss aber niemand befürchten, dass ein Kind zu früh eingeschult wird. Trotz dieser Änderung werden die Kinder künftig bei Schulbeginn mindestens 5 ¾ Jahre alt sein. Nun kann man ganz einfach sagen, hätten wir den Gesetzentwurf nicht angedacht, dann blieben wir in der Situation, wie sie früher gegeben war: Eltern versuchten ihre Kinder frühzeitig einzuschulen.

(Marianne Schieder (SPD): Das können sie doch jetzt schon!)

Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Wir können aber auch ein Signal setzen, das der Tatsache Rechnung trägt, dass unsere Kinder in der Entwicklung weiter sind. Die Eltern, deren Kinder nach dem 30. September das sechste Lebensjahr vollendet haben, erhalten ab dem Schuljahr 2007/2008 die Möglichkeit, ihre Kinder ohne weitere Formalitäten, auf eigenen Antrag, später einschulen zu lassen. Das ist der Ausgleich. Diese neue Regelung ist eine deutliche Stärkung des Elternwillens, was wir doch alle in diesem Hause wollen. Es ist eine Erleichterung für jene Eltern, die ihr Kind mit fünf Jahren einschulen wollen. Diejenigen, die das nicht wünschen, können durch eine einfache schriftliche Erklärung eine spätere Einschulung ihres Kindes herbeiführen. Das bisher erforderliche schulpsychologische Gutachten ist künftig nicht mehr notwendig. Eine Rückstellung wird nicht als Wiederholungsjahr gewertet.

Die frühere Schulpfl icht ist nicht nur aufgrund der positiven Lernentwicklung zu befürworten. Durch die Vorverlegung des Einschulungsalters wird zudem die Voraussetzung für einen früheren Eintritt in die Berufswelt gegeben. Wir müssen uns auch den europäischen Anforderungen stellen. Zur Erinnerung: Das Eintrittsalter liegt in Bayern im Vergleich zu den anderen Bundesländern immer noch sehr hoch.

(Karin Radermacher (SPD): Da sind wir also auch die Besten!)

Das Kultusministerium hat aus den genannten Gründen die Eltern bereits in den vergangenen Jahren ermutigt, ihre Kinder auch nach dem gesetzlichen Stichtag 30. Juni einzuschulen, wenn diese im Kalenderjahr sechs Jahre alt waren. Die Tatsache, dass bereits jetzt 50 % der Eltern von Juli-Kindern von diesem Recht Gebrauch machen, zeigt, dass die frühe Einschulung gewünscht ist. Durch die stärkere Gewichtung der vorschulischen Bildung an den Kindertageseinrichtungen und durch die in den vergangenen Jahren intensivierte Zusammenarbeit zwischen den Kindergärten und den Grundschulen sind die Eltern auf die frühere Einschulung bestens vorbereitet.

Ich denke mir, mit diesem Gesetz werden wir in der Zukunft eine Veränderung vorfi nden und sagen können, dass die Zusammenarbeit der Erzieher und der Grundschullehrer verbessert wurde. Das ist uns allen ein Anliegen. Das ist ein Zugehen aufeinander. Nützen wir es als Chance. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung kann deshalb optimistisch umgesetzt werden. Den Kindern mit einer besonderen Begabung werden wir dadurch gerecht.

Es bleibt festzuhalten, dass durch das Vorziehen des Einschulungsalters vorübergehend mehr Schüler in den Schulen unterrichtet werden. Das stimmt. Nach Abschluss der Einführungsphase wird das frühere Niveau der Schülerzahlen aber wieder erreicht werden. Es wird also kurzfristig – liebe Marianne Schieder, hier haben Sie Recht – ein zusätzlicher Lehrerbedarf im bayerischen Schulsystem bestehen. Die Bayerische Staatsregierung steht in der Pfl icht, die dafür notwendigen Lehrerstellen zu schaffen. Die zusätzlichen Personalkosten sollen durch die gestaffelte Vorgehensweise über mehrere Jahre gestreckt werden.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, beschleicht mich aber der Eindruck, dass vor allem von der Opposition manches falsch verstanden wird. Wir müssen die Kinder nicht vor allen Anforderungen schützen. Wir müssen verstehen lernen, dass wir ihnen etwas Gutes tun, wenn wir ihren Geist gezielt fördern und etwas von ihnen verlangen.

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Schule kann durchaus Spaß machen. Reden wir sie nicht schlecht. Lernen heißt nicht nur büffeln, sondern es heißt auch, die Neugier nutzen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)