Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Tolle. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Sem, ich will Sie gleich zu Beginn ansprechen. Sie meinen, wir hätten etwas falsch verstanden. Eine solche Äußerung legt häufi g die Vermutung nahe, dass vielleicht falsch kommuniziert worden ist. Insofern müssen auch Sie daran arbeiten, dass alle verstehen, was Sie meinen. Ich jedenfalls verstehe Sie nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Siegfried Schneider (CSU))

Herr Kollege Schneider, Sie verstehe ich auch nicht so oft.

(Heiterkeit bei der CSU)

Ich beginne zu begründen, warum ich nicht verstehe, dass Sie unsere Kinder immer früher in ein System jagen, in dem schlichtweg der Notstand herrscht.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Fangen wir mit heute Morgen an. Die Grundschulen des Freistaates – so steht es in einer Pressemitteilung; die Erkenntnis ist auch nicht neu – liegen mit ihrer Schülerzahl im bundesweiten Vergleich auf dem drittletzten Platz. Gehen wir zurück zum November. Im November hat eine Schule Schlagzeilen gemacht – das war die Grundschule

an der Pfarrer-Grimm-Straße in Allach/Untermenzing. Die Eltern der Kinder dieser Schule haben geschrieben: Im vergangenen Jahr haben unsere Kinder im Durchschnitt 3,4 Wochen lang keinen adäquaten Unterricht erhalten. Fast jede zehnte Unterrichtsstunde fand nicht adäquat statt. Herr Schneider, wir beide sind gemeinsam auf der BLLV-Schulleitertagung gewesen. Ich zitiere stellvertretend für sehr viele einen Schulleiter. Er hat gesagt: Ich kann es nicht mehr verantworten, was mit unseren Kindern passiert.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Kolleginnen und Kollegen, solange sich Schulleiter in dieser Art und Weise äußern, solange es Briefe von Eltern gibt wie jenem von der Grundschule an der PfarrerGrimm-Straße, solange klar ist, dass die Lehrer nicht ausreichen, solange halte ich es für einen Frevel, unsere Kinder immer früher diesem System auszusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Auf den quantitativen Lehrermangel mag ich nicht mehr eingehen, weil das schon Kollegin Schieder sehr gut gemacht hat.

Frau Kollegin Sem, ich möchte aber noch auf die Kindergärten, auf die Vorläufereinrichtung eingehen. Sicherlich jeder von Ihnen hat heute früh einen Brief bekommen, in dem die Katholische Landvolkbewegung enorme Sorgen darüber äußert, wie sich die Reform des Kindertagesstättengesetzes auswirken wird. Frau Kollegin Sem, Sie können mir gerne den Bildungs- und Erziehungsplan zitieren, der wirklich sehr gut ist – im Gesetz ist er nicht verbindlich festgeschrieben, auch wenn das eine oder andere Mitglied des Bildungsausschusses fest daran glaubt. Vielleicht sollten Sie noch einmal in das Gesetz blicken.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich komme zum Lehrermangel zurück und meine, dass Ihnen doch gerade das G 8 klargemacht haben müsste, dass man, Frau Kollegin Sem, einen Plan A und einen Plan B braucht, die aber auch zusammenpassen müssen. Man muss sich dann auch die Zeit dafür nehmen, die beiden Pläne miteinander zu verbinden und die Voraussetzungen zu schaffen, um sie verwirklichen zu können.

(Beifall der Abgeordneten Christine Stahl (GRÜ- NE) und der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Ich möchte noch ein Problem ansprechen, das sich aus dem Gesetzentwurf ergibt. Im Gesetzentwurf steht wortwörtlich:

Entsprechend der vorübergehenden Natur der Schülermehrung werden jedoch auch lediglich vorübergehende Investitionen und Maßnahmen vorzunehmen sein: so z. B. das Aufstellen von Containern oder – in Großstädten – ein Ausgleich über die Sprengelgrenzen hinweg.

Herr Kollege Schneider, Sie wollen doch mit unseren Kleinsten so umsichtig vorgehen. Ich frage mich daher schon, ob dann in einigen – ich gebe zu, nicht in allen – Kommunen diese Kinder in Containern sitzen müssen? Bei mir zu Hause befürchten die Leute schon, dass selbst diese Kinder nicht mehr wissen, wohin sie sollen; denn Sie säbeln ja in Bayern die Teilhauptschulen ab. Da Sie im Gesetzentwurf darauf aufmerksam gemacht haben, meine ich schon, dass Plan B zu Plan A noch etwas infrage steht. Auch die Kommunen haben dem Gesetzentwurf im Konsultationsverfahren nicht zugestimmt, weil über die Kosten hundertprozentige Unklarheit besteht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Christlich Sozialen Union, ich möchte ein wenig zielgruppenorientiert kommunizieren und habe mir die Mühe gemacht, in Matthäus 25, 14 bis 30 das Gleichnis von den Talenten nachzulesen. Ich bin mir sicher, Herr Kollege Stahl, Sie kennen es gut. Deshalb sage ich nur in einem Satz, was darin vorkommt: Ein Herr geht auf Reisen und vertraut seinen Knechten viele verschiedene Talente an. Die Knechte sollten die ihnen anvertrauten Talente vermehren. Spiegeln wir das auf die Bildungssituation unserer Kinder, so sind unsere Kinder die Talente eines Staates. Sie sind unser Reichtum. Diese Kinder haben selbst Talente und Begabungen. Oberste Aufgabe eines Staates ist es, den ihm anvertrauten Reichtum zu mehren, Herr Kollege Schneider.

(Zuruf des Abgeordneten Siegfried Schneider (CSU))

Ich kann im Moment nicht weiterlesen, weil ich ja sprechen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN – Siegfried Schneider (CSU): Selektive Wahrnehmung!)

Deshalb, Herr Kollege Schneider, sind wir gerade unseren Kleinsten, die ihre Talente noch zu entdecken beginnen, besonders verpfl ichtet. Solange wir nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer haben, kommen wir dieser Verpfl ichtung nicht nach.

Wenn ich über Talente und Begabungen rede, dann bin ich auch gleich beim Nächsten – das ist für mich der wichtigste Punkt; darüber haben heute noch nicht viele gesprochen –: das ist die Pädagogik. Ich meine nämlich, dass man nicht grundsätzlich gegen eine frühere Einschulung sein muss. Dann muss man aber auch das Konzept verfolgen, das in Reinhard Kahls Filmen heißt: Bildung von Anfang an. Wir brauchen ein durchgängiges Bildungskonzept, das im Kindergarten – wohlgemerkt – verbindlich beginnt, zur Schule überleitet und nach der Ausbildung oder nach dem Studium nicht aufhört.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Dieses Konzept fehlt Ihnen, weil Ihr neuer Gesetzentwurf zum Kindertagesstättengesetz den Kindergärten nicht die Möglichkeit gibt, die Kinder mittels kleinerer Gruppen ordentlich vorzubereiten. Die Vorverlegung der Schulpfl icht macht es erforderlich, dass Grundschule und Kindergarten zusammenarbeiten. Das hat Frau Kollegin Sem im

merhin erkannt. Zwar gibt es Kooperationsbeauftragte, die Zeit, die diese zur Kooperation brauchen, ist aber überhaupt nicht festgeschrieben. Das heißt, Sie überlassen es dem privaten Engagement dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Vernetzung vorzunehmen. Dieses private Engagement möchte ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich loben.

Darüber hinaus glaube ich auch, dass Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen und -lehrer viel mehr zusammenarbeiten müssen, zum Beispiel in Form gemeinsamer Fortbildung und gemeinsamen Praktika oder auch hinsichtlich der Lehrinhalte der Arbeit. Ich meine, solange all dies konzeptionell und mit Geld hinterlegt nicht sichergestellt ist, solange ist es schwierig, Ihnen zuzustimmen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, jedes Kind ist einzigartig. Deswegen glaube ich auch nicht daran, dass ein Kind ab einem bestimmten Alter bereit ist, in die Schule zu gehen. Vielmehr kommt es darauf an, wann es einen bestimmten Entwicklungsabschnitt erreicht hat. In diesem Zusammenhang ist, wie ich meine, auch der Begriff Schulfähigkeit wichtig, der mittlerweile auch defi niert wird als die Fähigkeit der Systeme, sich an das Kind anzupassen. Ich glaube nicht, dass Sie den Grundschulen schon heute etwas an die Hand gegeben haben, was ihre Möglichkeiten verbessert, damit sie auf diese kleinen Kinder besser eingehen können.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Wir brauchen veränderte pädagogische Konzepte und eine Grundschule, die die immer jünger werdenden Kinder mit für sie extra angepassten Möglichkeiten empfangen kann. Die Lehrerinnen und Lehrer wollen das auch. Wenn man aber die Haushaltsdebatte zum Einzelplan 05 verfolg hat, weiß man, was gespielt wird.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, kurz vor dem Ende noch einmal zu Matthäus 25; denn dazu gibt es ein paar Deutungen.

Ich habe mir die Mühe gemacht, diese Stelle gestern nachzulesen. In einer heißt es: „Kein Mensch kann so viel falsch machen, dass er es nicht wieder gutmachen könnte.“ Die Fraktion der GRÜNEN hat deshalb einen Dringlichkeitsantrag auf den Weg gebracht, der Ihnen empfi ehlt, die Höchstzahl der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule auf 20 zu senken. Dieser quantitative Schritt gibt Ihnen die Möglichkeit, die Qualität zu verbessern.

Ich freue mich auf Ihre Zustimmung dazu, weil diese beweisen wird, wie ernst Sie es mit der Förderung der bayerischen Talente meinen. Solange Ihre Zustimmung dazu aber nicht vorliegt, solange Sie kein durchgängiges Konzept sowie Lehrerinnen und Lehrer vorweisen können, lehnen wir diesen Gesetzentwurf – was Sie sicherlich nicht überraschen wird – ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2478 und die Beschlussempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport auf Drucksache 15/2893 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport empfi ehlt die unveränderte Annahme. Der Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen stimmt bei seiner Endberatung ebenfalls zu. Ergänzend schlägt er vor, in § 2 Absatz 1 als Datum des In-Kraft-Tretens den „15. März 2005“ einzufügen. Wer dem Gesetzentwurf mit dieser Ergänzung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Es ist so beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Das ist die Fraktion der CSU. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich der Stimme? – Niemand. Das Gesetz ist damit so angenommen. Es hat den Titel: „Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8a auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Ingrid Fickler, Prof. Ursula Männle, Joachim Unterländer und anderer (CSU) zur Änderung des Bestattungsgesetzes (Druck- sache 15/2847) – Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Antragsteller begründet. Dazu erteile ich Frau Kollegin Dr. Fickler das Wort. Sie haben eine Redezeit von zehn Minuten.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute ein sehr sensibles Thema; denn das Thema „Tod“ wird in unserer Gesellschaft häufi g verdrängt und tabuisiert. Mit diesem Thema wird ein Grundwert des menschlichen Lebens berührt, nämlich die Würde des Menschen über den Tod hinaus. In Politik und Öffentlichkeit werden heute vor allem Fragen der menschlichen Würde am Beginn des Lebens diskutiert. Als Beispiele nenne ich die embryonale und die adulte Stammzellenforschung, die Präimplantationsdiagnostik oder das therapeutische Klonen. Fragen, die das Ende des Lebens und die Würde des Menschen über den Tod hinaus betreffen, stehen nicht im Mittelpunkt des Interesses.

Wir haben uns bereits in der letzten Legislaturperiode mit der Änderung des Bayerischen Bestattungsgesetzes befasst. Die Arbeitsgruppe „Frauen“ der CSU-Landtagsfraktion hat eine Reihe von Gesprächen mit Ärzten, den bei

den großen Kirchen, einer Klinikseelsorgerin, den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, dem Leiter einer Münchner Friedhofsverwaltung und einer Vertreterin eines Hospizvereins geführt. Dabei haben wir uns auch mit der Situation in den Krankenhäusern auseinander gesetzt.

Nach bisheriger Rechtslage besteht in Bayern für die tot geborene oder während der Geburt verstorbene Leibesfrucht mit einem Gewicht unter 500 Gramm – eine Fehlgeburt – und für Embryonen und Feten aus Schwangerschaftsabbrüchen keine Bestattungspfl icht. Fehlgeburten können nach heutiger Rechtslage bestattet werden, Embryonen und Feten aus Schwangerschaftsabbrüchen sowie Fehlgeburten, für die keine Bestattung gewünscht wird, unterliegen einer Beseitigungspfl icht. Die Beseitigung ist entsprechend der Regelung für die Beseitigung von Körper- und Leichenteilen unverzüglich in schicklicher und gesundheitlich unbedenklicher Weise durchzuführen. In der Praxis bedeutet dies im Regelfall die Entsorgung mit dem Klinikmüll bzw. in der Kanalisation. Mir liegt ein Schreiben eines großen Münchner Krankenhauses vor, in dem es heißt, ich zitiere:

Als gesundheitlich unbedenkliche Beseitigung gilt derzeit die Verbrennung mit dem Klinikmüll. Die Verbrennungsrückstände landen unter Umständen im Straßenbau oder in Lärmschutzwällen. Der Gedanke daran ist unangenehm.

Diese gesetzliche Regelung wird der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Beginn des menschlichen Lebens und der Reichweite der Menschenwürde und der daraus resultierenden Verpfl ichtung zum Lebensschutz nicht gerecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darum wollen wir dieses Gesetz ändern.

Die Kirchen kritisieren die geltende Rechtslage seit langem. Auch von betroffenen Eltern wird die geltende Regelung und die geübte Praxis zunehmend als unbefriedigend empfunden. Mittlerweile gibt es zahlreiche Initiativen, die in Eigenregie Sammelbestattungen durchführen. In Augsburg werden pro Sammelbestattung etwa 30 Fehlgeburten beigesetzt. Immer häufi ger bedauern Eltern, die sich zunächst gegen die Bestattung einer Fehlgeburt entschieden haben, keinen Ort zu haben, an dem sie Abschied nehmen und trauern können. Darüber hinaus häufen sich die Beschwerden betroffener Eltern, nicht ausreichend über die Möglichkeit einer Bestattung informiert worden zu sein. Mit unserem Änderungsgesetz setzen wir klare Richtlinien, wie zu handeln ist, und konkretisieren die bereits jetzt bestehende Pfl icht zur schicklichen Beseitigung.