Protokoll der Sitzung vom 21.04.2005

Ich nenne Ihnen nur ein paar Ergebnisse, Herr Kollege Waschler: Ein Viertel aller Männer, deren Vater keinen Schulabschluss hat, bleibt ebenfalls ohne Schulabschluss. Bei den Frauen ist es mehr als ein Drittel. 8 bis 10 % haben gar keinen Schulabschluss und 15 bis 20 % der Jugendlichen erreichen keinen berufl ichen Abschluss. In Bayern gibt es ein massives regionales Gefälle bei der Bildung. Ich nenne nur ein Beispiel: Übertrittsquote auf das Gymnasium in Oberbayern: 38 %, in Niederbayern: 28 %. Im statistischen Vergleich zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg liegt Bayern im bundesdeutschen Vergleich unter dem Durchschnitt.

Weiterhin: Das bayerische Bildungssystem ist nur in einer Richtung durchlässig, und zwar nach unten. Nach oben hat sich nichts verbessert. Die Übertrittsquote auf das Gymnasium beträgt konstant 34 %. Auf dem Weg von der fünften bis zur zehnten Klasse bleiben im Gymnasium 30 % der Kinder auf der Strecke und das, obwohl Sie dafür vielmehr Geld als für die anderen Schulen ausgeben.

Letzter Punkt: Die größten Verlierer in Bayern sind Kinder aus Migrantenfamilien. Die Quote von Migrantenkindern ohne Abschluss ist konstant hoch. Die bitterste Erkenntnis lautet: Die relativen Chancen von Menschen mit geringem Bildungsgrad auf berufl iche und gesellschaftliche Teilhabe haben sich weiter verschlechtert. Die Staatsregierung hat durch ihr Versagen, Bildungsarmut als ernsthaftes Problem der bayerischen Sozialpolitik anzugehen und entsprechend umzusteuern, dauerhaft ein staatlich produziertes Bildungsproletariat geschaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All die Ergebnisse zusammengefasst sind aus meiner Sicht eine Ohrfeige für die Verantwortlichen der Bildungspolitik in Bayern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich denke, es ist nun gut mit Schönreden, es ist allerhöchste Zeit, endlich zu handeln. Eines will ich Ihnen, Herr Kollege Waschler, sagen: Ich glaube, dass die jungen Menschen, die Sie durch Ihre Bildungspolitik um Chancen bringen, das mittlerweile auch merken, und sie werden es sich nicht mehr solange gefallen lassen.

Nächster Punkt: Menschen, die Sie um ihre Bildungschancen gebracht haben, sind anfällig für platte Sprüche, wie man sie in Sachsen im Wahlkampf auf der rechten Seite hören konnte. Das Ergebnis können Sie sich im Sächsi

schen Landtag ansehen. Gegen Bildungsarmut anzukämpfen, ist schließlich auch dem Wirtschaftsstandort Bayern geschuldet, denn eine auf Technologie und Innovation gegründete Volkswirtschaft braucht einen hohen Anteil qualifi zierter Menschen. Um dauerhaft hohe Wachstumsraten zu erzielen, muss ein Bildungssystem möglichst viele junge Menschen zu möglichst hohen Bildungsabschlüssen führen, ohne dabei die Ausbildungsqualität und die Verlässlichkeit der Abschlüsse zu gefährden.

Jetzt kommen wir – Herr Kollege Waschler, das wäre jetzt wichtig – zur Studie bezüglich der Initiative zur sozialen Marktwirtschaft. Sie haben richtig gesagt, Bayern hat 60 % der maximalen Punktzahl erreicht. Es gibt aber noch ein anderes Ergebnis, das Sie nicht erwähnt haben. Ich beziehe mich auf die Studie: Nirgendwo sonst müssen mehr Schüler eine Ehrenrunde drehen oder das Gymnasium verlassen. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt machen zu wenige Abitur. Außerdem bleiben in Bayern Begabungsreserven unerschlossen.

Ich meine, man muss die Studie ganz lesen und im Zusammenhang betrachten, um ein rundes Bild zu erreichen. Für den neuen Bildungsminister sollte und muss es eine Herausforderung sein, jungen Menschen die Chance auf Bildung und damit auf soziale Teilhabe zu ermöglichen.

Ich möchte noch kurz Ursachenforschung betreiben: Eine der Ursachen für die soziale Ungleichheit in Bayern ist für mich das dreigliedrige Schulsystem. Ich möchte ein Bildungssystem, das mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt, und zwar erstens Leistungsfähigkeit und zweitens soziale Gerechtigkeit. Wenn wir die internationalen Studien betrachten, dann sehen wir, dass die neunjährige Schule für alle diejenige ist, die diese beiden Voraussetzungen am besten erfüllt. Unser Schulsystem manifestiert eigentlich nur die Ständegesellschaft, wie wir sie vor über 100 Jahren kannten. Unser Bildungssystem verteilt Lebenschancen auf diejenigen, die ohnehin schon genug haben und enthält sie denen vor, die nichts dafür können, von armen Eltern abzustammen.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich will kein System der Gleichmacherei einführen, sondern ich lege sehr großen Wert auf Vielfalt. Jedes Kind kommt mit unterschiedlichen Talenten zur Welt. Die Aufgabe eines Bildungssystems ist es, diese Talente zu fi nden und zu fördern. Bayern leistet sich den Luxus, viele Talente unentdeckt zu lassen. Wir sind es aber unseren Kindern schuldig, sie ihren Fähigkeiten entsprechend zu fördern und ihnen eine Perspektive zu geben. Wie bewiesen wurde, ist Bayern Schlusslicht in Deutschland. Diesen Umstand gilt es zu ändern. Dazu müssen Sie die Scheuklappen von Ihren Augen entfernen, eine ehrliche Analyse vornehmen und handeln. Bildung ist kein Luxus für Reiche, sondern ein Recht für alle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächste hat Frau Kollegin Weikert das Wort.

Kolleginnen und Kollegen! Eine erfolgreiche Politik hängt vor allem damit zusammen, dass man Probleme erkennt und die erkannten Probleme sukzessive einer Lösung zuführt. Bei Ihrer Rede, Herr Kollege Waschler, mit Replik auf die Rede der Kollegin Schieder, haben Sie wieder einmal – wie bei allen Diskussionen, in denen es um Bildungspolitik geht – sowohl im Plenum als auch im Bildungsausschuss nichts anderes gemacht, als in ignoranter Form Ihre Bildungspolitik und das, was Sie uns immer wieder sagen, obgleich es nicht stimmt, zu verteidigen. Sie ignorieren ein wesentliches Problem der Bildungspolitik in Bayern – Frau Kollegin Schieder hat darauf hingewiesen; und gerade eben auch noch Frau Kollegin Tolle –, nämlich die Tatsache, um nur einen Punkt herauszugreifen, dass ein Kind einer Akademikerfamilie eine 10,5-mal höhere Chance hat, Abitur zu machen als ein Kind einer Familie, die einen niedrigeren Bildungsstandard hat.

Wenn Sie dann sagen: Bildung hat nichts mit dem Geldbeutel der Eltern zu tun, dann ist das nur noch als ignorant zu bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und bei der SPD)

Sie ignorieren auch – Sie kennen das alle – den eklatanten Unterschied in den Übertrittsquoten der Grundschulen in Städten, Landkreisen und Gemeinden. Sie wissen, dass es Gebiete in den Städten mit Übertrittsquoten von 80 % gibt und andere Gebiete mit 20 %. Über all das reden Sie hier in diesem Haus nicht, Sie tun es aber Gott sei Dank manchmal außerhalb dieses Hauses. Am letzten Sonntag war zum Beispiel Ihr Fraktionsvorsitzender, Kollege Herrmann, bei uns in Nürnberg bei einem Schulforum. Da hat er im Übrigen sehr viel Kritik einstecken müssen.

(Susann Biedefeld (SPD): Zu Recht!)

Da hat er unter anderem darauf hingewiesen, was auch Wissenschaftsminister Goppel in Fürstenfeldbruck getan hat, den Kindergarten als Fundament zu sehen für die spätere Ausbildung der Kinder, Frühförderung individuell.

Wenn Sie das wirklich als Problem erkennen und handeln würden, dann würden Sie das, was Sie im Moment mit Ihrem neuen Gesetz planen, letztlich umstellen und andere Elemente mit einbringen. Der Zugang zum Kindergarten muss für alle Kinder in Bayern geregelt sein. Jedes Kind muss diesen Zugang haben. In den Kindergarten, der zu einer Bildungseinrichtung ausgebaut werden muss, müssen wesentliche Elemente für die spätere Grundschulzeit gelegt werden. Dort muss die Kreativität der Kinder genutzt werden, da muss vorschulische Erziehung und Bildung erfolgen. Das ist ein ganz wichtiges Fundament für die spätere Grundschulzeit.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Dazu gehört es, Kolleginnen und Kollegen von der CSU – vor allem spreche ich Kollegen Imhof an, der das im Grunde auch weiß, wir in Nürnberg die Situation auch kennen, gerade in den unterschiedlichen Gebieten der Stadt –,

dass das letzte Kindergartenjahr verpfl ichtend sein muss für alle und kostenfrei. Da fängt es an. Das ist jetzt der Punkt; und dieser Zugang zu Kindertagesstätten darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.

Jetzt können Sie natürlich sofort argumentieren: Für die Kinder, deren Eltern die Gebühr nicht zahlen können, gibt es die Jugendhilfe. Auch das wissen wir. Aber Sie wissen auch, dass durch diese Kindergartengebühr, die durch Ihren neuen Gesetzentwurf eher nach oben abhaut, die Belastungen der Eltern mit Sicherheit größer werden, als es in der Vergangenheit war. Das wird gerade Eltern treffen, die mit einem niedrigen Einkommen ihre Familien unterhalten, und da ist es dann eine Frage der Addition. Da gibt es die 1,60 Euro pro Monat für Büchergeld, dann gibt es die Erhöhung der Kindergartengebühr bis hin später zu den Studiengebühren, die Tatsache, dass Kinder an Ausfl ügen teilnehmen wollen, die Zusatzangebote, die dieses Schulwesen letztlich nicht bereitstellt, und so weiter.

Wenn es Ihnen ernst ist mit einer besseren Schulpolitik in Bayern, dann müssen Sie gerade diesen sozialen Aspekt, dass Kinder aus Akademikerfamilien viel größere Chancen haben als Kinder von Eltern, die einen niedrigeren Bildungsabschluss haben und damit ein niedrigeres Einkommen, ernst nehmen und dafür sorgen, dass dieser Umstand abgestellt wird. Alle Kinder in Bayern müssen gleiche Bildungschancen haben. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Als Nächste hat die Frau Kollegin Stierstorfer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass es uns von der CSU-Fraktion gelungen ist, trotz der notwendigen Sparmaßnahmen im Staatshaushalt ein zukunftsweisendes neues Betreuungskonzept für unsere Kinder zu erarbeiten, liebe Kollegin Weikert.

(Widerspruch bei der SPD)

Bereits bisher hat Bayern rund eine halbe Milliarde Euro jährlich für Kinderbetreuungsangebote aufgewendet. Trotz bereits zurückgehender Kinderzahl

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Da müssen wir dankbar sein, oder was?)

werden wir in den nächsten Jahren mehr Geld für die Kinderbetreuung ausgeben.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das stimmt doch nicht!)

Im Haushalt 2005 stehen hierfür rund 564 Millionen Euro, 2006 sogar rund 575 Millionen Euro zur Verfügung.

Diese, wie ich meine, beeindruckenden Zahlen zeigen, dass wir uns die Kinderbetreuung etwas kosten lassen.

Nachdem wir im Kindergartenbereich nahezu Bedarfsdeckung erreicht haben, fördern wir mit einem speziellen 313-Millionen-Programm den Ausbau von insgesamt 30 000 Plätzen für unter Dreijährige und Schulkinder.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wer angesichts dieser Summen von einem Sparmodell spricht, verdreht die Tatsachen,

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

weil er offensichtlich nicht von seiner vorgefassten Meinung lassen kann. Obwohl wir Ihnen wiederholt die Zahlen auf den Tisch gelegt haben, habe ich leider wenig Hoffnungen, Ihre Vorurteile zerstreuen zu können. Ich will es dennoch versuchen.

(Zuruf der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Die künftige Finanzierung von Kindertagesstätten nach der kindbezogenen Förderung ist für alle Eltern unabhängig von ihrer fi nanziellen Leistungsfähigkeit mit folgenden Vorteilen verbunden: Sie nimmt altersgemischte Häuser für Kinder und andere innovative Betreuungsformen in die Förderung auf.

(Zuruf der Abgeordneten Susann Biedefeld (SPD))

Sie erhöht die Fördergerechtigkeit.

(Marianne Schieder (SPD): Oje, oje! – Heidi Lück (SPD): Wer‘s glaubt!)

Durch den Gewichtungsfaktor 4,5 werden erstmals Maßnahmen zur Einzelintegration gefördert, und mit dem Gewichtungsfaktor 1,3 für Kinder mit Migrationshintergrund erhalten die Einrichtungen mit einem hohen Anteil ausländischer Kinder mehr Fördermittel. Die Eltern erhalten Einfl uss auf die Angebotsstruktur und die Bildungsinhalte.

Jetzt zu Ihrer Frage: Die sozial schwachen Familien werden durch das neue Fördermodell keineswegs benachteiligt. Die Träger können wie bisher soziale Staffl ungen bei den Elternbeiträgen vornehmen. Außerdem können die Eltern einen Antrag auf Übernahme der Beiträge beim Jugendamt stellen.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Die künftige kindbezogene Förderung führt bei den Eltern zu keinen Beitragserhöhungen.

(Zuruf von der SPD: Was?)