Protokoll der Sitzung vom 21.04.2005

Aus der Sicht des Finanzministers geht diese Rechnung auf. Der Freistaat Bayern erspart sich im Haushalt 17 oder 18 Millionen Euro, und er spart sich jede Menge Verwaltungskosten und Verwaltungspersonal. Aus der Sicht der Betroffenen sieht die Sache etwas anders aus. Den Eltern werden nämlich im selben Atemzug 50 bis 60 Millionen Euro aus der Tasche gezogen. Bei den Schulen, bei den Kommunen werden die Arbeit und der Ärger abgeladen. Anders kann man die Sache nicht beschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Obwohl schon geraume Zeit – eigentlich schon sehr lange – über dieses Büchergeld diskutiert wird, ist noch immer völlig unklar, wie es konkret umgesetzt werden soll. Ich kann nur sagen, es läuft wie immer: Es wird beschlossen und durchgesetzt, ganz egal, was die Betroffenen vor Ort davon halten, wie sie die Sache einschätzen. Hauptsache, es wurde eine neue Baustelle eröffnet und es wird Tatkraft vorgetäuscht. Wieder einmal hat die Staatsregierung aber keinen Plan, wie diese Baustelle sinnvoll abgewickelt werden soll oder gar, wie sie sinnvoll zu Ende gebracht werden kann. Das gehört aber scheinbar dazu.

Über die Auswirkungen dieses Büchergeldes aus bildungspolitischer Sicht haben wir heute schon ausführlich diskutiert. Ich kann nur noch einmal sagen, mir geht nicht in den Kopf, welchen pädagogischen Sinn dieses Büchergeld haben soll. Ich befürchte, dass das Büchergeld ein weiterer Beitrag ist, um die eben diskutierten sozialen Disparitäten weiter zu verfestigen.

In der Diskussion in den nächsten Wochen werden wir sicherlich zu klären haben, wie die Schulen mit dem durch das Büchergeld entstehenden Verwaltungsaufwand fertig werden sollen.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Schulen sind schon heute nicht in der Lage, ihrem Verwaltungsaufwand gerecht zu werden, weil die Ausstattung, die ihnen dafür zur Verfügung gestellt wird, seit vielen Jahren viel zu gering ist. Das wissen Sie auch ganz genau. Es stellt sich die Frage, wie die Kommunen mit diesem ganzen Verwaltungswust fertig werden sollen. Momentan wissen die Kommunen das nicht, und sie wollen es auch nicht machen. Das ist auch der Grund, weshalb die von Ihnen erwähnten Gespräche im Dissens geendet haben.

Wir werden über Fragen zu sprechen haben wie beispielsweise, ob die Erhebung des Büchergeldes an den berufl ichen Schulen überhaupt sinnvoll und durchsetzbar ist. Wird es dort nicht ganz große Probleme geben? Wird sich die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler nicht schlicht weigern, das Büchergeld abzuliefern? Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, was passieren soll, wenn das Büchergeld nicht bezahlt wird. Ernsthaft ist die Frage zu diskutieren, ob der Verwaltungsaufwand, der zur Eintreibung des Büchergeldes notwendig ist, nicht höher ist als der Ertrag, der aus der ganzen Veranstaltung gezogen wird. Die kommunalen Spitzenverbände haben in Gesprächen mit uns deutlich gesagt, dass sie es seit Jahren unterlassen, bei Berufsschülern Gelder einzutreiben, denn diese Schülerinnen und Schüler haben einfach nichts, was gepfändet werden könnte. In den allermeisten Fällen sind die Pfändungen bzw. Eintreibungen deshalb nicht ertragreich.

Für mich stellt sich auch die Frage, ob es, wenn es Büchergeld gibt, nach wie vor die Möglichkeit gibt, Kindern, die ein Buch kaputt gemacht haben, die Kosten für dieses Buch in Rechnung zu stellen. Wird dieses pädagogisch wirksamste Mittel dadurch nicht vielmehr ad acta gelegt? Werden die Eltern nicht sagen, wir haben sowieso schon Büchergeld bezahlt, damit ist auch der Bücherschaden

abgegolten? Ist es überhaupt sinnvoll, an den Förderschulen im Hinblick auf die geistige Entwicklung Büchergeld zu erheben? Muss dort nicht erst einmal umständlich geprüft werden, ob die Schülerinnen und Schüler hierfür die Voraussetzungen erfüllen? – All diese Fragen werden geklärt werden müssen. Eine andere Frage ist, ob es sinnvoll ist, an den Grundschulen alle zwei oder drei Jahre neue Bücher zu kaufen. Wenn nein, wofür soll das Geld verwendet werden? Die Eltern von Gymnasiasten fragen sich, ob es sinnvoll ist, für das heutige neunjährige Gymnasium Bücher zu besorgen. Die Eltern werden aber von der siebten bis zur zwölften Klasse zahlen müssen. Sie fragen sich zu Recht, wofür sie eigentlich bezahlen.

Vertreterinnen und Vertreter der Elternverbände haben mir gesagt, dass die Kultusministerin ihnen zugesagt hat, mit dem Büchergeld würden Kopierkosten abgegolten. Ich weiß, dass das Kultusministerium das nach wie vor leugnet.

Frau Kollegin, Sie sind deutlich über den fünf Minuten.

Herr Präsident, ich komme sofort zum Ende.

Bis heute scheint die Frage aber ungeklärt, denn die Elternvertreterinnen und -vertreter können diese Zusage schließlich nicht irgendwie erfunden haben.

Ich hätte mir gewünscht, dass viele dieser Fragen bereits im Vorfeld geklärt worden wären, damit wir in den Ausschüssen keine ausufernden Diskussionen führen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Eisenreich.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schulbücher sind auch in Zeiten moderner Technologien ein wichtiger Bestandteil des schulischen Unterrichts und der Vermittlung von Lerninhalten. Es ist daher unser erklärtes Ziel, für eine verbesserte Ausstattung der Schulen mit Schulbüchern zu sorgen, um den Kindern in unserem Land die besten Bildungschancen zu bieten.

(Zuruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Dazu hatten wir vorhin eine lange Debatte. Bildung hat in Bayern Vorrang, und dafür steht die CSU in verlässlicher Weise.

(Beifall des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Das bisherige System der Ausstattung mit lernmittelfreien Schulbüchern hat aber dazu geführt, dass der Schulbuchbestand teilweise veraltet ist, dass Schulbücher über viele

Jahre abgenutzt werden und nicht mehr aktuell sind. Diese Beschwerden kennen Sie.

Das bisherige Finanzsystem schafft es nicht, einen Spielraum dafür zu eröffnen. Deswegen sind wir – wenn auch nicht mit Freude – für dieses Gesetz und eine maßvolle Elternbeteiligung.

Die Einschränkung der Lernmittelfreiheit und die Einführung der Elternbeteiligung sind heute in vielen Bundesländern Realität; zum Beispiel zahlt man in Berlin 100 Euro. Deswegen sind diese Länder nicht unsozial, und wir sind es deswegen auch nicht. 20 Euro bzw. 40 Euro sind ein maßvoller und für die Eltern zumutbarer Betrag. Staat und Kommunen ziehen sich auch nicht vollständig zurück. In Zeiten knapper Kassen ist unser Vorhaben unerlässlich, und der Betrag ist – wie ich gesagt habe – maßvoll und zumutbar.

Weil wir vorhin eine lange Debatte geführt haben, ist es mir wichtig, klarzustellen, dass Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf. Jedes Kind hat ein Recht auf Chancengleichheit. Diese gewährleistet der vorliegende Gesetzentwurf; denn er enthält eine starke soziale Komponente. Für Familien mit geringem Einkommen und für Familien mit mehr als zwei Kindern sind Lernmittel weiterhin kostenlos; sie werden weiterhin durch die öffentliche Hand fi nanziert.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Aussage, dass unser Vorhaben ein Beweis für soziale Ungerechtigkeit und ein Anschlag auf soziale Grundrechte sei, ist nicht richtig. Das, was Sie da sagen, ist auf bayerisch gesagt ein Schmarrn.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Die Einführung des Büchergeldes hat für die Eltern nicht nur den Vorteil, dass die Lernbedingungen der Schüler besser werden, sondern es werden auch die Mitwirkungsrechte der Elternbeiräte bzw. des Schulforums bei der Auswahl der Lernmittel und der Bestimmung der Höhe der Kosten sonstiger Lernmittel gestärkt.

Ich möchte betonen, dass das Geld zu 100 % bei den Schulen verbleibt. Nichts landet in der Staatskasse. Wer etwas anderes behauptet, hat sich mit dem Thema nicht befasst. Es passt einfach nicht zusammen, wenn man über Bücher redet, aber einen Gesetzestext nicht lesen kann.

(Marianne Schieder (SPD): Das ist billige Polemik!)

Ich komme zum Schluss. Wenn ich mir die Forderungen, die Sie in der Aktuellen Stunde gestellt haben, ansehe und die Beträge zusammenzähle, dann sehe ich eine phantasievolle Wunschliste, aber nicht besonders viel Realitätssinn; aber den brauchen Sie als Opposition auch nicht. Zum Schluss hätte ich einen Vorschlag zur Arbeitsteilung: Wir, die CSU in Bayern, kümmern uns darum, dass Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, und Sie kümmern sich in Berlin darum, dass im Geldbeutel etwas drin ist.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Eisenreich, ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass in einem der ersten Entwürfe zum Büchergeld als Ziel sehr wohl das Erreichen eines ausgeglichenen Haushalts stand. Das hat man dann umgeschrieben, weil es anscheinend nicht so gut ankam.

Die Erste Lesung des Gesetzentwurfs, mit dem ein so genanntes Büchergeld eingeführt werden soll, ist für mich die Beerdigung der Lernmittelfreiheit in Bayern. Jeder, der katholisch ist, kann es nachvollziehen, wenn ich sage, wir beten heute den ersten Rosenkranz. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das macht mich persönlich traurig; denn ich halte die Lernmittelfreiheit für ein hohes Gut. Ich selbst komme aus einer Familie mit drei Kindern, und wir hatten nicht viel Geld. Für meine Mutter war es immer wichtig, dass sie für Bildung nichts bezahlen musste. Dieses hohe Gut geben wir heute auf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eigentlich wäre es Ihre Aufgabe, Bildungsarmut zu bekämpfen. Herr Eisenreich, es ist nicht so, dass in Bayern nicht der Geldbeutel entscheidend ist für den Bildungserfolg. Sie machen aber munter weiter und bürden den Eltern immer neue Lasten auf. Erst am Montag habe ich von Eltern in Würzburg ein Schreiben mit 5000 Unterschriften entgegengenommen. Ein Vater von sechs Kindern hat gesagt – ich zitiere –: „Die Maßnahmen tun sehr weh.“

(Zuruf des Abgeordneten Herbert Fischer (CSU))

Darüber können Sie nicht hinwegsehen, Herr Kollege Fischer.

Der Ursprung der Lernmittelfreiheit lag einmal in dem Bestreben, Bildung für alle – für arme und reiche Kinder gleichermaßen – sicherstellen zu können. Ich darf Ihnen vorrechnen, dass der fi nanzielle Aufwand einer Familie für ein Kind bis zum 18. Lebensjahr circa 342 000 Euro beträgt. Herr Kollege Pfaffmann hat vorhin gesagt, dass der Bayerische Elternverband ausgerechnet hat, ein Gymnasiast in der siebten Klasse muss bereits jetzt 960 Euro mit in die Schule bringen. Die Eltern von Hauptschülern in MZügen bringen es auf 530 Euro.

Ein wichtiges Argument für die Abschaffung der Lernmittelfreiheit ist für Sie die Ausrede der sozialen Abfederung. Ich will mich über die Details des Gesetzentwurfs erst im Ausschuss streiten, weil ich schätze, dafür brauchen wir ein paar Stündchen, aber ich sage Ihnen schon jetzt: Wenn Sie den Kindern einmal im Jahr bescheinigen, dass sie soziale Härtefälle sind, dann fi nde ich das beschämend. Nach wie vor gilt für Kinder an Bayerns Schulen und überall in der Welt: Armut macht nicht selbstbewusst.

Ich halte es auch für bemerkenswert, dass die kommunalen Spitzenverbände Ihrem Entwurf nicht zugestimmt haben. Ich denke, gerade das beweist sehr eindrucksvoll, dass der Entwurf nicht professionell erarbeitet wurde. Ich nenne nur zwei Daten. Im Rahmen der Bearbeitung des Büchergeldes sind für die Abwicklung der sozialen Härtefälle fünf Minuten angesetzt, für alle anderen Fälle eine Minute. Ich denke, diese beiden Zahlen machen deutlich, dass Sie von unrealistischen Annahmen ausgehen, auch wenn Sie computergestützt arbeiten wollen. So lange brauchen Sie doch schon, bis Sie ein Dokument aufgerufen haben.

Es bleiben viele Fragen offen, zum Beispiel die Frage, wer die Mahnkosten übernimmt. Wer ist der Gläubiger der Schüler, die das Geld nicht bezahlen? Ist es die Kommune, ist es der Freistaat? Wie gesagt, es gibt viele Fragen.

Resümee: Es wird auch hier wieder sein wie beim G 8. Man – in diesem Fall: Frau – hat Ihnen alles vorher gesagt. Ihnen ist das egal; denn Sie sitzen sehr komfortabel auf Ihren Stühlen, und es kümmert Sie anscheinend nicht die Bohne, dass es wieder unsere Kinder und Eltern sind, die die Suppe auslöffeln, die ihnen die Damen und Herren der CSU in München eingebrockt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aussprache ist geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport als federführendem Ausschuss zuzuweisen. Besteht damit Einverständnis? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 5 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Waldgesetzes für Bayern (Drs. 15/1772) – Zweite Lesung –

hierzu:

Änderungsanträge der Abg. Heidi Lück u. a. (SPD) auf den Drucksachennummern 15/2658, 2660 bis 2669, 2671 und 2672