Protokoll der Sitzung vom 09.06.2005

(Zuruf der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Nichts liegt vor. Die eigentliche Herausforderung, das Steuerrecht nicht noch mehr an die Wand zu fahren als bisher, wird von der Bundesregierung nicht beantwortet. Sie wird lediglich – das ist allerdings zu sagen –, durch entsprechende Ankündigungen beantwortet. Der Kollege Bundesminister Eichel wiederholt auch in letzter Zeit immer wieder: „Auch ich bin für Vereinfachung“. Das lässt sich so schnell und einfach sagen. Aber lassen Sie uns doch nachfragen: Was heißt denn im Steuerrecht in der Substanz „Vereinfachung“? „Vereinfachung“ im zentralen Bereich des Steuerrechts, nämlich bei der Einkommensteuer, heißt: weg mit den Steuerbefreiungen und weg mit den Ausnahmen! Dies ist so. Herr Eichel sagt bei der einen oder anderen Ausnahme vielleicht: Ja, ich mache mit. Ich stelle fest: Sie hier wollen überhaupt nicht mitmachen. Aber Herr Eichel sagt gleichzeitig – ich zitiere den Herrn Bundesfi nanzminister –: Für mich kommen keine Steuersatzsenkungen mehr infrage. Wenn der Steuersatz aber nicht mehr gesenkt wird, bedeutet es, wenn ich die Ausnahmen wegnehme, beispielsweise die Steuerbefreiung in § 3 des Einkommensteuergesetzes, oder Abzugsmöglichkeiten, für die Betroffenen – das sind nicht nur Einzelne, sondern das sind wesentliche Prozentsätze aller Steuerzahler – eine Steuererhöhung. Wenn ich nichts mehr abziehen kann, ist das für den einzelnen Steuerzahler eine Erhöhung der Steuer. Wenn ich keine Steuerbefreiung mehr habe, erhöht sich die Steuer.

Herr Wörner, es würde sich rentieren, wenn Sie zuhören würden, nachdem Sie vorhin als erster Redner aufgetreten sind und polemisiert haben.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das macht er schon, keine Sorge! Es wäre aber schön, wenn Sie das auch immer so machen würden!)

Ja, aber ich habe den Eindruck, dass gerade dieser Kollege ungeheuer lernbedürftig ist.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wenn nur nicht Sie sehr viel dazulernen müssen! – Weitere Zurufe – Glocke des Präsidenten)

Wenn das so ist, muss ich in einem Gesamtkonzept einerseits die Vereinfachung durch eine Beseitigung von Steuerbefreiungen und Absetzungsmöglichkeiten durchführen, und gleichzeitig uno acto die Steuersätze senken. Sonst wird jede Vereinfachung zum Konzept einer Steuererhöhung. Das ist die Grundlogik.

(Beifall bei der CSU)

Entsprechend dieser Grundlogik geht das „Konzept 21“ der CDU/CSU vor, das ich gemeinsam mit dem Kollegen Merz ausgearbeitet habe.

(Zuruf des Abgeordneten Ludwig Wörner (SPD))

Man sollte sich nicht immer auf mehr oder weniger witzige Einwürfe konzentrieren, sondern auf die Sache, Herr Kollege.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Hier liegt also ein Gesamtkonzept vor, das Ausnahmetatbestände abschafft oder reduziert und dadurch eine drastische Vereinfachung herstellt, also genau das, was wir gemeinsam wollen müssen. Um dies verträglich zu machen, senkt man die Steuersätze: den Eingangssteuersatz auf 12 %, den Spitzensteuersatz in diesem Papier auf 36 %. Dies führt endlich zu dem, was wir dringend brauchen, nämlich zu einem einfachen Steuerrecht.

Dass dabei Entlastungen eintreten, ist auch klar. Ich lese in einem Artikel der „Financial Times“ Tabellen in einem Artikel mit der Überschrift: „CDU-Steuerpläne belasten pendelnde Schichtarbeiter“. Ich habe mir diese Tabellen genau angeschaut. Einem derartigen Blatt würde es gut anstehen – hoffentlich sagt ein Journalist das dem Kollegen von der „Financial Times“ –, wenn es die Tabellen gut prüfen würde, bevor es sie veröffentlicht. In dem Artikel, den ich gelesen habe, steht nämlich nur Unsinn drin. Die erste Spalte ist ein erfundener Tarif, der nicht einmal dem bestehenden Tarif entspricht. Dann wird unterstellt, dass wir die Besteuerung der Schichtarbeiter mit unserem Konzept von einem Tag auf den anderen abschaffen wollen. Aber genau das ist nicht der Fall.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich lese Ihnen einmal vor, was wir in unseren präzisen Berechnungen für alle möglichen Familienverhältnisse errechnet haben. Ich nehme nur ein einziges Beispiel heraus: Ein Steuerpfl ichtiger mit einem durchschnittlichen Einkommen von 30 000 Euro, der in einer Entfernung von 30 Kilometern zur Arbeitsstätte wohnt, ledig, hat steuerfreie Zuschläge von 2000 Euro. Das entspricht der Realität ziemlich genau. Es gibt sehr unterschiedliche Fälle; an Flughäfen usw. liegt der Anteil steuerfreier Nacht- und Feiertagszuschläge am Bruttoeinkommen etwa bei 20 %, bei der Krankenschwester muss man etwa von 5 % ausgehen. In diesen Schwankungsbreiten spielt sich das ab. Wir haben also ein Einkommen von 30 000 Euro. Der Steuerpfl ichtige zahlt nach dem derzeit geltenden Recht inklusive Solidarzuschlag 4788 Euro Steuern. Durch unser Konzept, das wir vorgelegt haben, würde er 4487 Euro Steuern zu zahlen haben. Er würde damit um 300 Euro entlastet.

(Wortmeldung des Abgeordneten Ludwig Wörner (SPD))

Sie haben genug geredet; Sie können ja auch wieder heraufkommen, Herr Wörner.

Das ist also eine Entlastung um 300 Euro. Wenn Sie ein Einkommen von 50 000 Euro annehmen, beträgt die Entlastung 407 Euro. Durch die Gleichzeitigkeit der Vereinfachung und durch Beseitigung der Ausnahmetatbestände – –

(Anhaltende Unruhe)

Herr Staatsminister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? – Ich tue dies insbesondere mit Blick auf die Fraktion rechts von mir. Wenn es ruhiger geht, wäre es für alle leichter verständlich; für den Redner wäre es auch weniger strapaziös. Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. Obwohl ich schon einmal gesagt habe: I derschrei’s scho no, wäre es sicher angenehmer und der Ernsthaftigkeit des Themas angemessener, wenn es nicht so laut wäre.

Durch die Gleichzeitigkeit von Vereinfachung und Wegnahme von Ausnahmetatbeständen und die Absenkung der Steuersätze gibt es durchgehende Entlastungen. Das ist im Grunde etwas, was wirklich nicht polemisch angegangen werden kann. Ich stelle noch einmal für die Sonntags-, Nacht- und Feiertagszuschläge fest: Es geht nicht, wie hier in Ihren Anträgen suggeriert wird, um die Abschaffung derartiger Zuschläge – das ist Unsinn! –, sondern es geht um deren Steuerfreiheit. In diesem Fall geht es auch nicht um die sofortige Abschaffung der Steuerfreiheit.

Das will ich kurz erklären. In der Vergangenheit haben sich die Tarifpartner – Gewerkschaften genauso wie Arbeitnehmer – zum Beispiel auf steuerfreie Zuschläge geeinigt. In der Druckindustrie gibt es die Rotationsdrucker. Die haben steuerfreie Anteile am Gesamteinkommen von 30 bis 40 %, weil man die Tarifpolitik strategisch auf die Steuerfreiheit der Sonntags- und Nachtzuschläge ausgerichtet hat. Das führt zu dem Ergebnis, dass der Steuer

zahler bezahlt hat, was die Unternehmen hätten bezahlen sollen. Das war über Jahrzehnte Strategie in der Tarifpolitik, meine Damen und Herren. Ist es denn angemessen, dass einzelne Berufsgruppen auf Kosten der übrigen Berufsgruppen Spezialvorteile haben? Deshalb haben wir gesagt: Wir können die Krankenschwestern nicht von einem Tag auf den anderen vor die Tatsache stellen, dass 5 % ihres Einkommens nicht mehr steuerfrei sind. Wir geben den Tarifpartnern vielmehr die Möglichkeit, dies in ihren Tarifrunden tarifpolitisch aufzuholen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist doch unrealistisch!)

Man hat angenommen, das könnte in etwa drei Tarifrunden aufgeholt werden. Das sind sechs Jahre. Darüber, wie schnell man das durchsetzt, kann man jetzt diskutieren, Herr Kollege. Aber im Hinblick auf die Sauberkeit der Trennung von Steuerpolitik und Tarifpolitik muss dies sein. Ich halte es für unerträglich, dass Tarifpolitik zur Belastung der Steuerpolitik und der öffentlichen Haushalte führt.

Herr Wörner, Sie haben gesagt, dadurch werde die Kaufkraft geschwächt. Ich habe Ihnen gerade vorgerechnet, dass die Kaufkraft durch ein Konzept wie das Konzept 21 gestärkt wird, weil es Nettoentlastungen gibt. In der Gesamtgrößenordnung geht es um eine Entlastung bis zu 10 Milliarden Euro. Dieses Konzept hat die Bundesregierung nicht vorzuweisen.

Noch einmal zum Fazit des Ganzen: Es hat überhaupt keinen Wert, Steuerpolitik in Einzelpunkten zu debattieren. Darauf würden die Medien sofort anspringen: Entfernungspauschale oder die Frage, wie es mit der Eigenheimzulage aussieht.

Eine derartige Millimeterbetrachtung ist unsinnig. Wir müssen einen Steuerteilbereich – in dem Fall die Einkommensteuer – mit ihren Sätzen und mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten immer im Gesamten betrachten. Gegenwärtig kenne ich in der Bundesrepublik Deutschland kein Konzept wie das „Konzept 21“, welches die gesamten Umstände umfasst und welches ein Konzept darstellt, das zu Entlastungen für die Bürger führt und welches – ich komme zu meinem Eingangssatz zurück – das Steuerrecht vereinfacht.

Herr Mütze, Kompliment zu Ihren Aussagen im ersten Teil Ihres Vortrages. Das war völlig richtig. Da waren Sie konsequent. Sie sagten etwas, was die GRÜNEN in Berlin in den letzten sechs Jahren eigentlich hätten durchsetzen sollen. Sie haben es aber nicht durchgesetzt, und deswegen stehen wir vor der totalen steuerpolitischen Katastrophe. Herr Eichel hat zur Vereinfachung nichts anzubieten. Wir haben etwas anzubieten. Das Regierungskonzept werden Sie im Juli dieses Jahres sehen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Noch vor der Wahl?)

Sie wissen, wir sind aufgrund fundamentaler Vorarbeiten gut vorbereitet. Dass Sie bereits darauf abstellen, dass Sie dann in der Opposition sein werden und dass die Union

dann regiert, zeigt Ihr Antrag, wie Kollege Bernhard richtigerweise schon festgestellt hat.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Es gibt noch eine weitere Wortmeldung. Das Wort hat Herr Kollege Dr. Kaiser.

(Zurufe von der CSU: Oh! Oh! – Karin Raderma- cher (SPD): Freudige Erregung bei der CSU!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich außerordentlich über die erwartungsvolle Haltung der CSU-Fraktion gegenüber meinen Ausführungen.

Herr Staatsminister Faltlhauser, Sie haben die Vereinfachung des Steuerrechts in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt. Bei der Vereinfachung des Steuerrechts fällt Ihnen nichts anderes ein, als dass die Arbeitnehmer, die bisher eine Entfernungspauschale hatten, in den nächsten Jahren nicht mehr die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz aufschreiben müssen. Das ist die ganze Vereinfachung, die Ihnen einfällt. Bei den Nacht, Sonntags- und Feiertagszuschlägen wird gar nichts einfacher. Der Betrag ist nur um meinetwegen 2000 Euro im Jahr höher, und die Steuer wir dann anders errechnet. Eine Vereinfachung sehe ich hier nicht.

Bei der Eigenheimzulage sehe ich auch keine Vereinfachung. Die Eigenheimzulage haben Sie in diesem Hause immer wieder abgelehnt, deswegen haben wir sie diesmal nicht in unseren Antrag hineingeschrieben.

Noch ein Wort zur Pendlerpauschale, Herr Staatsminister. Auch Herr Kollege Bernhard hat ständig vom Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen gesprochen. Herr Staatsminister, Erwin Huber aus der Staatskanzlei hat im „Münchner Merkur“ vom 8. Februar 2002 erklärt, im Gegensatz zur Eigenheimzulage sei die Pendlerpauschale keine Steuersubvention, sondern eine Mobilitätshilfe für Arbeitnehmer. Was ist sie denn jetzt? Eine Mobilitätshilfe oder eine Steuersubvention? Sie sollten sich in ihrer steuerpolitischen Diskussion einmal auf einheitliche Aussagen einigen. Herr Huber sagt so, Herr Faltlhauser sagt so; Herr Bernhard, Sie sagen es wieder anders. Das ist keine Steuerpolitik aus einem Guss, wie Sie sie uns hier deutlich machen wollen.

Herr Staatsminister Faltlhauser, Sie haben auch das Interview mit dem Ministerpräsidenten in der „Zeit“ vom 2. Juni angesprochen. Die Eingangsfrage zum steuerpolitischen Teil lautete:

Bislang haben Regierungen ihre Versprechen immer erst nach einer Wahl gebrochen. CDU und CSU kassieren ihre Versprechungen nun schon vorher, etwa die Aussicht auf umfassende Steuersenkungen.

Sie führen die Leute heute schon in die Irre und nehmen Ihre Zusagen, die Sie bisher gemacht haben, zurück. Kommt Ihr Tarif überhaupt, Herr Staatsminister?

(Thomas Kreuzer (CSU): Das ist doch hanebüchen!)

Kommt Ihr Steuersystem „Konzept 21“?

(Joachim Herrmann (CSU): Wir sagen es schon vor der Wahl!)

Herr Herrmann, nachdem die Zustimmung zu Ihnen in den Meinungsumfragen wächst, glauben Sie, es sich leisten zu können, jetzt schon einzelne Punkte zu verkünden.

(Joachim Herrmann (CSU): Wir sagen die Wahrheit schon vor der Wahl!)

Was versprechen Sie denn alles? – Sie versprechen die Abschaffung der Gewerbesteuer. Das kostet 28 Milliarden Euro. Sie versprechen mit dem „Konzept 21“ die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 42 % auf 39 %. Sie versprechen eine Absenkung des Eingangssteuersatzes von 15 % auf 12 %. Sie versprechen die Gesundheitsprämie, die massive Steuerzahlungen in die Sozialversicherungskassen mit sich bringen wird. Sie versprechen die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 % auf 5 %. Sie versprechen eine Korrektur von Hartz IV.

(Manfred Ach (CSU): Zeigen Sie doch einmal, wo das steht!)