Protokoll der Sitzung vom 29.06.2005

Berichterstatterin oder der Berichterstatter hat sie gelesen. Mit Ihren Beiträgen heute haben Sie allerdings demonstriert, dass es Sie nicht interessiert und Sie nicht daran interessiert sind, dass frühkindliche Bildung in den Tageseinrichtungen stattfi ndet. Sie haben die Chance verpasst, mit diesem Gesetz eine frühe Bildung in Bayern zu installieren.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Hallitzky.

(Eike Hallitzky (GRÜNE): Wie steht das Spiel?)

Man interessiert sich hier für den Ausgang des Spieles. Moment, Herr Kollege, ich teile es Ihnen noch mit.

(Zuruf von der Regierungsbank)

4 : 3 für Deutschland in der Verlängerung. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen nun auch langsam in die Verlängerung. Sozial ist, was Arbeit schafft. – Mit diesem in seiner radikalen Diktion an böse Narretei grenzenden Schlachtruf ziehen die CSU-Oberen derzeit durch die Lande. Sie ignorieren, dass Sozial- und Arbeitsmarktstandards nicht nur Tradition sind und alte Zöpfe, die man abschneiden sollte, sondern wichtige Faktoren für einen modernen Standort Deutschland und die Lebensbedingungen von uns allen. Ideologieverblendet, wie Sie sind, wollen Sie die Tarifbindung aufgeben, wollen Sie Betriebsräte gegen Gewerkschaften in Stellung bringen, wollen Sie den Kündigungsschutz schleifen, kurz: die deutsche Arbeitsmarktordnung vor die Wand fahren.

In dieser Tradition, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Ihrer neoliberal vereinfachten und damit falschen Weltsicht steht auch, dass Sie die Auswirkungen Ihres grottenschlechten Gesetzentwurfes auf die Beschäftigten in den Kindergärten und den Kindertagesstätten offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, verdrängen oder dass Ihnen die Folgen für die Beschäftigten schlicht Wurst sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Uns nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns nicht. Deshalb haben wir sehr genau die große, ja übergroße Zahl der Petitionen studiert, die besorgt darauf hinweisen, dass sich die Arbeitsplatzsituation des Erziehungspersonals durch das neue BayKiBiG drastisch verschlechtern wird. Erlauben Sie mir, beispielhaft eine Petition aus Günz an der Günz darzustellen, eine Petition, die die gravierenden negativen Folgen für die Beschäftigten deutlich beim Namen nennt.

Erstens. Gerade in kleineren Kindergärten und gerade auf dem Land werden knapp bemessene Buchungszeiten zu einer Reduzierung des Personals führen. So viel zu Ihrem

Reden und Handeln in Sachen „Sozial ist, was Arbeit schafft“.

Zweitens. Aus dem gleichen Grund wird es zur Reduzierung der Arbeitszeiten des Erziehungspersonals kommen. Das bedeutet im Weiteren massive Einkommenseinbußen für das betroffene Personal.

Drittens. Diese Stundenreduzierung bedeutet auch weniger Zeit für Vor- und Nachbereitung, für Zusammenarbeit mit Schulen, Trägern und Eltern und steigenden Zeitdruck bei der täglichen pädagogischen Arbeit. Dass all dies die Umsetzung des neuen Bildungs- und Erziehungsplans unmöglich macht – Ihre bildungspolitische Bankrotterklärung trotz der schönen, schalmeienhaften Prosa im Bildungs- und Erziehungsplan –, das haben wir heute an verschiedenen Stellen bereits gesagt und nachgewiesen. Darauf brauche ich nicht einzugehen.

Viertens. Wegen der Unvorhersehbarkeit der sich ständig ändernden Buchungszeiten wird das Erziehungspersonal regelmäßig Änderungskündigungen ausgesetzt sein, und das ist für die Beschäftigten völlig unzumutbar, weil sie dauerhaft mit einer völlig unsicheren Lebensplanung leben müssen. Es ist auch völlig unverantwortlich von einer Staatsregierung, dies sehenden Auges zuzulassen, ja sogar anzustreben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fünftens. Die Alternative zur Lawine von Änderungskündigungen wären künftig immer mehr befristete Arbeitsverträge. Das wird die Regel und beileibe kein Einzelfall sein. Wir hören das auch nicht nur von einem, sondern von vielen Trägern der Kindertagesstätten, die sich in ihrer Not nicht mehr weiterhelfen können. Sie kündigen auch schon konkret an, dass sie künftig nur noch befristete Arbeitsverträge schaffen werden. Wir wissen das, und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsfraktion, wissen es auch, wenn Sie die Petitionen gelesen und sich damit befasst haben.

Im so genannten Newsletter 09 sehe ich dann, welche Konsequenzen das Sozialministerium aus diesem Wissen zieht. Es schlägt den Trägern explizit vor, ausgebildetes Erziehungspersonal nur für die Kernzeiten einzustellen und den Rest über Tagespfl ege abzudecken. Als Gipfel können sich dafür dann noch diejenigen bewerben, denen die Träger zuvor gekündigt haben. Dieses Schaffen von Verschiebebahnhöfen zwischen Kindertagesstätten und den sich darum rankenden Kindertagespfl egekonstruktionen ist keine auch nur ansatzweise sinnvolle Politik für unsere Kinder. Das ist blanker Zynismus gegenüber den Beschäftigten in Kindergärten und Kindertagesstätten. In der Folge wird sich damit auch die Betreuung für unsere Kinder vorsätzlich drastisch verschlechtern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir – und jeder, der die Bedenken von Trägern und Erziehungspersonal ernst nimmt, wird es genauso sehen – wollen die Petition des Kindergartens in Günz an der Günz stellvertretend für viele andere Petitionen mit der gleichen Intention berücksichtigt wissen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, für unsere Kinder und für die Erzieherinnen und Erzieher in diesem Lande, für die Pfl egerinnen und Pfl eger bitte ich Sie: Stimmen Sie heute gegen diesen Gesetzentwurf. Es ist nicht Ihr Gesetzentwurf. Es ist der Gesetzentwurf der Staatsregierung. Lassen Sie uns lieber gemeinsam etwas Vernünftiges produzieren. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Sailer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt in der zehnten Stunde der Beratung zu diesem Gesetzentwurf.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Sie sehen, wie lange wir darüber reden können und Sie auch noch!)

Wir haben den Gesetzentwurf in den letzten Wochen und Monaten beraten. Wir haben dieses Modell über die Jahre hinweg nicht nur in den beiden Modellregionen Bayreuth und Landsberg am Lech erprobt, sondern wir haben auch in zahlreichen Sitzungen im zuständigen Ausschuss diesen Entwurf behandelt. Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, gestatten Sie mir eine grundsätzliche Anmerkung zum Verfahren und auch zur Diskussion am heutigen Tage.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Gestatten wir nicht! – Christine Stahl (GRÜNE): Damit verlängern Sie die Diskussion nur!)

Es sind Behauptungen in den Raum gestellt worden wie Durchpeitschen des Gesetzes, völlige Ignoranz gegenüber den Gegebenheiten und gegenüber dem, was wir im Ausschuss diskutiert haben. Permanent wird vom Machtmissbrauch der ZweidrittelMehrheit in diesem Hause gesprochen. Von einem Gesetzesvorhaben der rücksichtslosen Art und von einem skandalösen Gesetzentwurf

(Beifall des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜ- NE))

wird hier gesprochen. Wer so in diesem Hause diskutiert, braucht sich nicht darüber wundern, dass er entsprechende Wahlergebnisse einfährt. Wenn Sie so weiterdiskutieren, wie Sie heute diskutiert haben, verspreche ich Ihnen, dass wir das nächste Mal in diesem Hause eine Dreiviertel-Mehrheit haben werden.

(Beifall bei der CSU)

Lassen Sie mich ein paar Vorwürfe im Detail kurz aufgreifen. Zum Durchpeitschen des Gesetzentwurfes: Die Ministerin und einige meiner Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Ich wiederhole es trotzdem. Seit Januar dieses Jahres war das Bayerische Kinderbildungs- und betreuungsgesetz allein im Sozialpolitischen Ausschuss

an zwölf Sitzungstagen Gegenstand der Diskussionen. In fünf Sitzungen im April und im Mai war das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz alleiniger Diskussionsgegenstand. Von einem Durchpeitschen des Gesetzes und von einer Nichtbeachtung der Änderungsanträge und der Eingaben kann also keine Rede sein.

Zu den Petitionen: Es wird uns immer wieder vorgeworfen, wir hätten aufgrund der Beendigung der Gesetzesberatungen im Ausschuss und aufgrund eines entsprechenden Votums zu den Eingaben diese nicht beachtet. Ich habe heute sehr aufmerksam und fast ausschließlich diesen Beratungen zugehört, wie Sie vielleicht feststellen konnten. Ich war fast permanent in diesem Saal. Zu den Eingaben, die Sie erwähnt haben, haben Sie nicht einen Aspekt vorgebracht, den Sie nicht schon bei den Vorberatungen in den letzten Wochen und Monaten ausführlich diskutiert haben. Wo hier eine Missachtung der Petitionen gewesen sein soll, müssen Sie uns noch darstellen.

(Susann Biedefeld (SPD): Dann fragen Sie doch einmal die Petenten, deren Petitionen nicht behandelt worden sind, was die dazu sagen!)

Zum Vorwurf der Arroganz der Macht und zum Vorwurf, es handle sich hier um ein Spargesetz. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, die Zahlen wieder vorzulesen. Ich glaube zwar nicht, dass Sie es irgendwann einmal verstehen und akzeptieren werden. Es muss aber trotzdem an dieser Stelle gesagt werden. Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz ist kein Spargesetz. Aus der Luft gegriffen ist Ihre Behauptung, es würden zusätzliche Betreuungsformen wie Krippen und Horte, die bislang im Rahmen von Richtlinien freiwillig staatlich gefördert werden, in die Förderung aufgenommen bzw. es würden mehr Plätze geschaffen, ohne dass hierfür mehr Geld zur Verfügung stehe. Diese Behauptung wird auch heute durch ständiges Wiederholen nicht wahrer.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Gibt es keinen Deckel?)

Verkannt wird dabei von Ihnen, dass die bisher für Krippen, Kindergärten und Horte bereitgestellten Mittel selbstverständlich auch künftig zur Verfügung stehen.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Aber für dreimal so viele Kinder!)

Die staatlichen Fördergelder für die Kinderbetreuung im Einzelplan 10 wurden dabei von 493 Millionen Euro im Jahr 2003 auf nunmehr 575,3 Millionen Euro im Jahr 2006 gesteigert. Für den bedarfsgerechten Ausbau um 30 000 weitere Plätze für Krippen und Schulkinder in den Jahren 2002 bis 2006 stehen weitere 313 Millionen Euro zur Verfügung. Übersehen wird von Ihnen außerdem, dass der bis 2006 im Rahmen von jährlichen Kontingenten erfolgte Ausbau pro Jahr 1000 zusätzliche Plätze in Krippen und 1815 zusätzliche Hortplätze ab dem Inkrafttreten des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes ohne Kontingentierung schafft und die jeweils bestehenden Kinderbetreuungsangebote nach den gesetzlichen Vorschriften im Bayerischen Kinderbildungs- und betreuungsgesetz gefördert werden.

Gestatten Sie mir, dass ich einen dritten Punkt aufgreife. Das ist die Frage der Befugnisse der Kommunen und die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern. Die Bedürfnisse der Eltern werden von den Gemeinden im Rahmen der Bedarfsplanung berücksichtigt. Die Gemeinden bestimmen nach einer entsprechenden Bedürfnisabfrage unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern, welche Einrichtungen notwendig sind, um den Bedarf ihrer Gemeindebürger zu decken. Die Gemeinden sind bei Bedarfsplanung keineswegs auf Einrichtungen im eigenen Gemeindegebiet beschränkt, sondern können gegebenenfalls auch im Zusammenwirkung mit anderen Gemeinden im Wege der Kooperation oder durch Zweckvereinbarungen Kinderbetreuungsplätze außerhalb ihres Gebiets als bedarfsnotwendig für ortsansässige Eltern bestimmen.

Die Gemeinde ist dabei angehalten und wird es sich auch gar nicht leisten können, ohne an Attraktivität für ihre Bürgerinnen und Bürger zu verlieren, ein Angebot an Kinderbetreuungsplätzen vorzuhalten, das die Interessen der Eltern berücksichtigt und die Vielfalt der Träger gewährleistet. Aus Gründen der Trägerpluralität wird beispielsweise eine Gemeinde, die lediglich einen kommunalen Kindergarten vorhält, das Bedürfnis von Eltern nach einem Platz in einer Einrichtung mit einem besonderen pädagogischen Konzept oder einer bestimmten religiösen Ausrichtung, verbunden mit einer entsprechenden Anerkennung der Bedarfsnotwendigkeit, nicht ablehnen können.

Herr Kollege Sailer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wahnschaffe?

Ich würde gern zu Ende sprechen. - Gestatten Sie mir schließlich, noch einmal die wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfs zu später Stunde zusammenzufassen: Ziel des geplanten Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes ist es, alle institutionalisierten Formen der Kinderbetreuung, also Krippen, Kindergärten, Horte, altersgemischte Einrichtungen und Netze für Kinder einschließlich der Tagespfl ege auf eine einheitliche gesetzliche Fördergrundlage zu stellen. Durch das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz erhalten erstmals alle Formen der institutionalisierten Kindertagesbetreuung sowie die Tagespfl ege einen gesetzlichen Förderanspruch.

Durch die Neuregelung wird ein leistungsfähiges modernes Gesetz als Grundlage für eine fl exible, qualitativ hochwertige außerfamiliäre Bildung und Erziehung sowie für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit geschaffen. Durch dieses Gesetz sowie eine Ausführungsverordnung sollen das Bayerische Kindergartengesetz, die Krippenrichtlinie, die Hortrichtlinie und die Richtlinie zur Förderung von altersgemischten Kinderbetreuungseinrichtungen im Netz für Kinder ersetzt werden. Wesentliche Eckpunkte des Gesetzes sind daher erstens ein einheitliches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz für die genannten Betreuungsformen, zweitens die Stärkung der Kommunen. Darauf bin ich bereits eingegangen. Betreuungsangebote können künftig vom Jugendamt nur im Einvernehmen mit den Kommunen als bedarfsnotwendig anerkannt werden. Die Mitfi nanzierungspfl icht der Kommune beschränkt sich grundsätzlich

auf die bedarfsnotwendigen Einrichtungen und berücksichtigt ihre Leistungsfähigkeit.

Der dritte Eckpunkt ist die Verbesserung der pädagogischen Arbeit durch die verbindliche Einführung der Ziele des Bildungs- und Erziehungsplans. Dadurch wird die pädagogische Arbeit in den Kindertageseinrichtungen spürbar verbessert. Der dritte Eckpunkt schließlich ist die Einführung der kindbezogenen Förderung zum 1. September 2006. Die kindbezogene Förderung wurde in Modellversuchen im Landkreis Landsberg am Lech und in der Stadt Bayreuth zwei Jahre lang erprobt. Die Reaktion auf das Modell waren laut Sozialministerium – wir teilen diese Einschätzung – seitens der Kommunen, Eltern, Träger und Erzieherinnen durchwegs positiv.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist nicht wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das vorliegende Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz war – wie ich einleitend gesagt habe – über Monate hinweg, vor allem aber in den letzten Wochen, intensiver Gegenstand der Beratungen, inklusive der Beratungen der Petitionen. Vonseiten der CSU-Fraktion werden wir diesem Gesetz zustimmen.

Herr Kollege Wahnschaffe hat sich nach § 111 Absatz 4 zu einer Zwischenintervention gemeldet. Dafür stehen zwei Minuten zur Verfügung.