Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dank an alle, die jetzt schon hier sind. Ich denke, dass auch die anderen bald in den Plenarsaal kommen werden. Ich darf Sie zunächst nach der Sommerpause herzlich willkommen heißen. Ich hoffe, dass Sie trotz des Bundestagswahlkampfs Ihre Kräfte gesammelt haben.

Am 18. September ist der Deutsche Bundestag neu gewählt worden; die notwendigen Mehrheiten für eine Regierungsbildung sind noch nicht gefunden worden. Im Interesse unseres Landes und der Herausforderungen, die zu bewältigen sind, hoffen wir, dass so bald wie möglich eine stabile handlungsfähige Regierung zustande kommt.

Ich eröffne die 50. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Während der plenarfreien Zeit sind mehrere frühere Kollegen verstorben. Ich darf Sie bitten, ihrer zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 1. August verstarb der ehemalige Abgeordnete Dr. Klaus Dehler im Alter von 78 Jahren. Er war von 1954 bis 1966 Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat für die FDP-Fraktion den Wahlkreis Mittelfranken.

Der frühere Abgeordnete Johann Hölzl verstarb am 23. August im Alter von 80 Jahren. Auch er gehörte 12 Jahre lang, von 1974 bis 1986, dem Bayerischen Landtag an und vertrat zunächst für die SPD-Fraktion, später dann fraktionslos, den Wahlkreis Oberpfalz.

Am 25. August verstarben die ehemaligen Kollegen Dr. Walter Becher im Alter von 92 Jahren und Prof. Dr. Peter Glotz im Alter von 66 Jahren. Dr. Walter Becher war von 1950 bis 1962 Mitglied des Bayerischen Landtags, zunächst in der Fraktion der Deutschen Gemeinschaft, später als Mitglied des Gesamtdeutschen Blocks. Er vertrat den Wahlkreis Oberbayern.

Prof. Dr. Peter Glotz war von 1970 bis 1972 Mitglied des Hohen Hauses und vertrat für die SPD-Fraktion den Wahlkreis Oberbayern. Anschließend übte er insgesamt 18 Jahre lang sein Bundestagsmandat aus. Sowohl in seinen politischen Ämtern als auch in der Wissenschaft und in den Medien setzte er wichtige Akzente und stieß gesellschaftliche Debatten an – klar und unmissverständlich mit der ihm eigenen intellektuellen Schärfe. Noch im letzten Jahr war er hier im Bayerischen Landtag als Gastredner bei einer Dialog-Veranstaltung.

Am 14. September verstarben die früheren Abgeordneten Dr. Fritz Flath im Alter von 88 Jahren und Josef Helmschrott im Alter von 90 Jahren. Dr. Fritz Flath war von 1970 bis 1982 im Bayerischen Landtag und vertrat für die FDP-Fraktion den Wahlkreis Mittelfranken. Josef Helmschrott war zwei Jahrzehnte – von 1954 bis 1974 – Mit

glied des Hohen Hauses und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Augsburg-Land/Schwaben.

Erst vor wenigen Tagen, am 23. September, verstarb Dr. Karl Lautenschläger kurz vor Vollendung seines 72. Lebensjahres. Er gehörte von 1974 bis 1990 dem Bayerischen Landtag an. Als Stimmkreisabgeordneter von Aschaffenburg-Ost und Mitglied der CSU-Fraktion befasste er sich vor allem mit Fragen der Geschäftsordnung sowie der Wirtschafts- und Verkehrspolitik.

Ich möchte an dieser Stelle auch an eine Persönlichkeit erinnern, die dem Hohen Haus zwar nicht angehörte, ihm aber stets sehr verbunden war: Am 28. August verstarb Frau Annegrit Eichhorn im Alter von 69 Jahren. Als langjährige Landtagskorrespondentin hat sie unsere Arbeit begleitet, zuweilen kritisch, aber nie unfair. Durch die Qualität ihrer journalistischen Arbeit und vor allem durch ihre herzliche Art, mit Menschen umzugehen, hat sie sich über die Parteigrenzen hinweg großes Ansehen erworben.

Der Bayerische Landtag wird den Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich – das ist mir eine besondere Freude – noch eine Reihe von Glückwünschen aussprechen. Beginnen möchte ich mit einem aktuellen Anlass:

Heute feiert Herr Kollege Bernd Kränzle seinen Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Nun komme ich zu den nachträglichen Gratulationen: Runde Geburtstage feierten in den vergangenen Wochen Herr Kollege Dr. Linus Förster, Frau Staatsministerin Christa Stewens, Frau Kollegin Gertraud Goderbauer, Frau Kollegin Melanie Huml und Herr Kollege Dr. Christian Magerl.

Einen halbrunden Geburtstag feierten Frau Kollegin Ingrid Heckner, Herr Staatsminister a. D. Alfred Sauter, Herr Kollege Georg Stahl, Herr Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser und Herr Kollege Manfred Ach.

Ich wünsche Ihnen im Namen des Hohen Hauses und auch persönlich alles Gute, Gesundheit, viel Glück und Erfolg bei der Ausübung Ihrer parlamentarischen Tätigkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Ländlicher Raum – Raum mit Zukunft“ beantragt.

Ich eröffne die Rednerliste und erteile Herrn Kollegen Sackmann das Wort. Für ihn sind zehn Minuten Redezeit beantragt worden.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ländliche Raum – ein Raum mit Zukunft. Wir haben dieses Thema heute deswegen zur Aktuellen Stunde erhoben, weil wir der Meinung sind, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes im Besonderen eine bayerische Erfolgsstory ist.

Ich darf an jemanden erinnern, der am kommenden Samstag 100 Jahre alt geworden wäre und der in seiner ersten Regierungserklärung am 9. Dezember 1962 – es ist Alfons Goppel – folgendes gesagt hat:

Bayern war lange ein Agrarland. Heute kann es nicht mehr von der Landwirtschaft allein oder auch nur überwiegend leben. Es braucht eine einträgliche gewerbliche Wirtschaft.

Wenn man auf die Arbeitsplatzstatistik von damals sieht, stellt man fest: Als die CSU vor 43 Jahren die alleinige Verantwortung für Bayern übernommen hat, waren rund 18 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig; im Jahrzehnt zuvor waren es noch mehr als 33 %.

Heute sind es nur noch 3,4 %.

Die bayerische Politik stand damals vor der Aufgabe, einen immensen, unabwendbaren Strukturwandel zu bewältigen, und das angesichts einer ungünstigen Ausgangslage. Das Land sah sich von angestammten Märkten im Osten abgeschnitten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man darf daran erinnern, dass wir eine Grenze von 778 Kilometern als „Eisernen Vorhang“ hatten. Dieser bestand einmal zu unseren angestammten Gebieten in Ostdeutschland, dann aber natürlich auch zu den Märkten im Osten. Wir befanden uns in einer Randlage der damaligen EWG. Wir waren natürlich auch in der Situation, dass wir weder über eine ausreichende Energiebasis noch über bedeutende Rohstoffvorkommen verfügten.

Diese Situation, in der die Menschen vieles gewohnt waren, wo aber auch viel langfristig Gewachsenes infrage gestellt wurde, war für die Menschen damals ebenso bedrohlich, wie sie es vielleicht für manchen auch heute ist, wo wir zahlreiche globale Veränderungen erleben. Denken wir an die vielen Umstrukturierungen, an die Proteste, an die Schließung von Betrieben. In Penzberg und anderswo meinten die Menschen: Die Lichter gehen aus, es gibt keine Zukunft mehr. Aber schauen wir heute in diese Gegenden, dann sehen wir, dass Positives geleistet worden ist.

Schon in diese Aufbauphase fallen die Anfänge einer bewusst betriebenen Regionalstrukturpolitik der Bayerischen Staatsregierung. Deren Ziel war es schon damals, eine möglichst ausgewogene Verteilung der Wachstumskräfte und der Beschäftigungschancen in den verschiedensten Regionen Bayerns zu schaffen.

Darüber gibt es seit kurzem eine interessante Habilitation, die gerade diese unterschiedlichen Dinge herausarbeitet

und zeigt, dass mit gezielten Einzelmaßnahmen in den Regionen ein entsprechender Erfolg erreicht wurde.

Die Herausforderungen, die damals vor uns standen, haben wir angenommen. Mit 61 % hat sich der Anteil der Arbeitsplätze bei Handel und Dienstleistungen fast verdoppelt. Damals waren es erst 34 %.

Die beiden eher ländlich strukturierten Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern stehen heute mit der geringsten Arbeitslosigkeit an oberster Stelle. In allen bayerischen Arbeitsamtsbezirken liegt die Arbeitslosigkeit unter dem Bundesdurchschnitt. Das sind Tatsachen, die man damals wahrlich noch nicht voraussehen konnte.

Ich möchte betonen: Auch im Vergleich zum Jahr 2004 gibt es im Jahr 2005 ländliche Regionen, die besser wachsen als der Bundestrend. Hier werden Arbeitsplätze geschaffen. In einzelnen Regionen Bayerns steigt die Zahl der Arbeitsplätze. Gegenüber dem Jahr 2004 wurden mehr Auszubildende eingestellt; zum Teil betrug der Zuwachs fast 10 %. Bayern konnte in dieser Zeit darüber hinaus zusätzlich einer Million Menschen Arbeit geben. So wurde die Zahl der Erwerbstätigen erheblich ausgeweitet.

Woher kommt das? Weil Bayern einen attraktiven Lebensraum bietet. Die ländlichen Regionen bieten bessere Möglichkeiten für Arbeit. Ebenso kann man gut dort leben, wo andere gern Urlaub machen.

Das alles zeigt, dass wir die Herausforderungen der Vergangenheit sehr gut bewältigt haben.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Lange ist es her!)

Der Erfolg der bayerischen Politik war sicherlich nicht nur am grünen Tisch entstanden. Der Erfolg war nur möglich, weil ein Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Landespolitik und Kommunalpolitik stattgefunden hat. Natürlich spielte auch die Tatkraft einer leistungsfähigen und leistungsbereiten Bevölkerung eine Rolle.

Gleichwohl stehen wir jetzt mit Blick auf den demografi schen Wandel vor ganz besonderen Herausforderungen. Kollege Martin Sailer wird sich anschließend intensiv dazu äußern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass derzeit in den städtischen Regionen die größere Dynamik herrscht. Aber von dieser Dynamik der Städte profi tiert auch der ländliche Raum. Das ist in Bayern nicht anders als in den erfolgreichen Regionen der Industriestaaten.

Es wäre aber völlig verfehlt, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen, wie es manche versuchen. Denn die ländliche Region kann von der dynamischen Entwicklung der Städte profi tieren. Ich denke an die positiven Auswirkungen auf das Steueraufkommen sowie für die Leistungsfähigkeit und -kraft des Freistaats Bayern. Kollege Pschierer wird im Anschluss darauf eingehen.

Gleichzeitig müssen wir uns auch die Chance des ländlichen Raums vor Augen halten, für Tourismus, Freizeit und andere Dinge aktiv zu sein. Wo sonst wäre das möglich? Hierdurch lassen sich interessante Arbeitsplätze schaffen.

Ich sage ganz bewusst: Wer Stadt und Land gegeneinander ausspielt, bringt Menschen gegeneinander auf, deren Zukunft gerade im gedeihlichen Miteinander liegt. Ein Ausspielen mit billiger Effekthascherei schadet nur unserem ganzen Land.

Wir wollen weiterhin Leistungspotenzial für unsere Menschen und zum Wohl und Wehe unserer Kinder in der Zukunft haben.

Im 21. Jahrhundert ist der demografi sche Wandel eine Entwicklung, die sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft auswirken wird. Die Auswirkungen reichen von der sozialen Sicherung über das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt sowie über die anstehenden Verschiebungen auf den Konsummärkten bis hinein in das öffentliche Leben in unseren Städten und Gemeinden. Denken wir daran, welche Veränderungen gerade in den Kommunen in den letzten Jahren entstanden sind. Denken wir an die Bewertung von Immobilien in den ländlichen Gemeinden. Dies alles hängt davon ab, dass der demografi sche Wandel in den kommenden Jahrzehnten der dominierende Megatrend wird; er wird uns noch viel beschäftigen.

Gerade die Politik auf der kommunalen Ebene hat es in der Hand, dafür zu sorgen, dass die Region die Dinge nicht gleich bleibend hält, sondern positive Veränderungen entstehen lässt.

Auch die Landespolitik muss den ländlichen Raum auf der Tagesordnung haben. Die CSU hat das schon immer so gesehen. Dabei ist es wichtig, realistisch in die Zukunft zu blicken. Der Geburtenrückgang ist eine Tatsache, an der wir einfach nicht vorbeikommen. Wir werden in vielen Regionen einen Bevölkerungsrückgang verzeichnen, selbst wenn Menschen in diese Regionen ziehen.