Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Herr Kollege Schieder.

Herr Bocklet, weil Sie sich vorhin immer auf das Entsendegesetz bezogen haben, will ich Sie Folgendes fragen: Ist Ihnen denn nicht klar, dass das Entsendegesetz und die dahinter stehende Richtlinie für bestimmte Bereiche Mindestbedingungen zum Beispiel im Arbeitsleben formulieren, dass es aber einen großen Unterschied ausmacht, ob größere Teile der Arbeitnehmerschaft im Dienstleistungsbereich nur nach diesen Mindestbedingungen arbeiten oder nach den Normalbedingungen, die in der Bundesrepublik Deutschland herrschen? Das macht doch den großen Unterschied aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies können Sie aber nicht über die Dienstleistungsrichtlinie regeln. Das muss man über das Entsenderecht regeln. Insofern ist es der falsche Platz, wenn dieses Problem hier angesprochen und geregelt werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Zuruf des Abgeordneten Werner Schieder (SPD))

Sie polemisieren gegen die Dienstleistungsfreiheit als eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union, nehmen ständig das Entsendegesetz und diese Tatbestände her – nicht wir, sondern Sie machen das. – und versuchen, damit die Dienstleistungsrichtlinie insgesamt zu diffamieren. Was Sie hier betreiben, ist unverantwortlich.

Ich bin der Meinung, man sollte bei dem bleiben, was der Bayerische Landtag am 29. November 2005 beschlossen hat. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass wir uns heute hier noch einmal mit dieser Sache befassen und die beiden Anträge im Einzelnen behandeln oder darüber abstimmen. – Mir wird signalisiert, dass ich nicht mehr viel Redezeit habe; ich wollte zu den GRÜNEN noch etwas sagen.

Die GRÜNEN waren etwas fl eißiger bei der Formulierung ihres Antrags. Er hat etwas mehr Qualität als der Antrag der SPD. Gleichwohl hat er die gleichen Mängel wie der Antrag der SPD; er behandelt Dinge, die mit der Dienstleistungsrichtlinie nichts zu tun haben. Die GRÜNEN versuchen, via Dienstleistungsrichtlinie ihre grüne Ideologie auf europäischer Ebene zu verankern. Ich meine, dafür sollte sich der Bayerische Landtag zu schade sein. Wir sind weder der Büttel der SPD noch der GRÜNEN.

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich fordere daher den Landtag auf, beide Anträge abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Eine weitere Wortmeldung des Kollegen Dr. Runge.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bocklet, ich bedanke mich ganz artig für das große Lob, das Sie uns eben ausgesprochen haben. Selbstverständlich versuchen wir auf allen politischen Ebenen, unsere politischen Ziele und Inhalte so gut wie möglich zu vertreten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ansonsten möchte ich zu Ihrem Redebeitrag anmerken: Ihre Entrüstung, Ihre Aufregung war auf mittlerem Niveau gespielt. Wir verstehen die Aufgeregtheit, die Sie hier gebracht haben, überhaupt nicht. Sie haben selbst während Ihres Redebeitrags schon grinsen müssen, Sie grinsen auch jetzt. Sie haben von etwas „Verwerfl ichem“ gesprochen, und dass wir versuchten, die Dienstleistungsrichtlinie „zu diffamieren“.

Darum geht es überhaupt nicht, sondern wir versuchen, die eine oder die andere Fehlentwicklung noch aus dem Weg zu räumen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie sagen richtigerweise, hier werde einiges gefordert, was der Binnenmarktausschuss längst beschlossen hat. Ich bitte Sie aber, das im Kontext zu betrachten. Wie oft beantragt die CSU, die Staatsregierung möge dies und jenes tun, obwohl es die Staatsregierung längst gemacht hat? Wie oft haben wir solche Anträge hier im Plenum schon beraten? – Das ist wirklich ein schwaches Argument. Das zeigt, wie tönern oder morsch Ihre Argumentation im konkreten Fall ist.

Ich möchte einige Punkte ansprechen. Es ist durchaus wichtig, über die Entsenderichtlinie und über das Entsendegesetz wie auch über andere europäische Richtlinien zu sprechen. Es stellt sich immer die Frage, wie es um die Kohärenz im Gemeinschaftsrecht bestellt ist und wie sich die eine Regelung zu anderen verhält. Dabei kann durchaus formuliert sein, dass eine Regelung vorgeht: Wenn das in der Praxis aber nicht umzusetzen ist, dann schaut das Ergebnis ganz anders aus.

Ich habe gar nicht von Privatisierung gesprochen. Herr Kollege Bocklet, Sie haben es angesprochen. Sie bringen häufi g auch Privatisierung und Liberalisierung durcheinander. Es sind aber häufi g die Gleichen, die beides anstreben.

(Widerspruch bei der CSU)

Das hat er schon sehr häufi g gemacht, das kann ich wunderbar belegen und vorführen.

(Reinhold Bocklet (CSU): Beweise!)

Dazu ist zu sagen, Herr Kollege Bocklet: Wir waren sogar einig bei den ursprünglichen Formulierungen III/6 im Entwurf des Verfassungsvertrages, ich glaube, das ist jetzt der Artikel 122, dass wir das horizontale europäische Hineinregieren nicht wollen. Herr Kollege Bocklet, da können dann noch so schöne Formulierungen da sein. Es bleibt in der Zuständigkeit des Nationalstaates, zu sagen, wie etwas zu regeln, zu organisieren und zu fi nanzieren ist, wenn gleichzeitig ein Rahmen geschaffen wird, der dann entweder zu Liberalisierungszwängen oder zu Privatisierungszwängen führt. Genau so etwas beobachten wir immer wieder bei der Umsetzung europäischen Rechts. Ich nenne das Beispiel des Anschluss- und Benutzungszwangs. Bei der Entsorgung von Gewerbeabfällen wurde die europäische Richtlinie in nationales Recht umgesetzt, damit in dem Sektor weniger Zwang herrscht. Im Ergebnis haben die Bürgerinnen und Bürger immer höhere Müllgebühren zu zahlen. Irgendwann kommen die Kommunen in Erklärungsnöte.

Es gibt Zusammenhänge, die Sie nicht wegdefi nieren können. Eine letzte Bemerkung: Wir kennen Ihren Eiertanz beim Thema „Dienstleistungsrichtlinie“ genau. Im Grunde besagen die beiden Anträge der SPD und der GRÜNEN, dass bei den vorübergehend grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen, beim Zugang, das Herkunftslandprinzip gelten soll. Wenn es aber um die Standards bei der Erbringung der Dienstleistungen geht, müssen die Standards des jeweiligen Landes gelten, in dem die Leistungen erbracht werden.

Ich freue mich schon sehr auf die Debatte, wenn wir das Werk wirklich vorliegen haben, Herr Kollege Bocklet. Wenn es dann beispielsweise um den Meisterzwang, den großen Befähigungsnachweis oder um Zwangsmitgliedschaften gehen wird, werden Sie in gewaltige Argumentationsnöte geraten. Wir freuen uns darauf.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Herr Staats minister Sinner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bayerische Landtag hat sich mit dem Thema „Dienstleistungsrichtlinie“ schon sehr ausführlich befasst und hat auch eine Meinung dazu abgegeben. Diese Meinung des Bayerischen Landtags hat die Staatsregierung veranlasst, gegenüber der Bundesregierung, gegenüber der Europäischen Kommission und gegenüber dem Europäischen Rat tätig zu werden.

Herr Kollege Dr. Förster, Sie diffamieren hier unseren Kollegen Dr. Wuermeling. Sie haben die Diskussion, die seit dieser Zeit in Brüssel gelaufen ist, schlichtweg nicht verfolgt. Der damalige Europaabgeordnete und jetzige Staatssekretär Dr. Wuermeling hat die Dienstleistungsrichtlinie wesentlich verbessert. Das ist nachzuweisen. Ich hoffe, dass sich der Beschluss des Binnenmarktausschusses vom 22.11.2005 auch in der Beurteilung der Bundesregierung niederschlägt.

In der gesamten Debatte kommen die Chancen zu kurz, die sich aus der Dienstleistungsrichtlinie für den Standort Bayern und für den Standort Deutschland ergeben. Herr Kollege Dr. Förster, Sie verschweigen, dass gerade Deutschland mit einem hohen Anteil der Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt von rund 64 %, im Export nur von rund 15 %, profi tiert. Für die mittelständische Wirtschaft, für die Industrie, für das Gewerbe und für Dienstleistungsbetriebe, die Sie schließlich nicht trennen können, bestehen gewaltige Hindernisse. Es gibt kaum eine Industrie in Bayern und in Deutschland, die nicht mit Dienstleistung verbunden wäre. Das sind die industrienahen Dienstleistungen. Zielsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ist es, Hemmnisse abzubauen. Wir müssen es schaffen, den freien Marktzugang zu gewährleisten. Es soll nicht sein, dass Mittelständler zuerst Listen über die verwendeten Gerätschaften oder über das Eigenkapital des Betriebs vorlegen müssen, dass Kosten entstehen, bevor überhaupt ein Auftrag für vorübergehende Dienstleistungen im Wert von vielleicht 20 000 oder 100 000 Euro angenommen werden kann.

Mit der Dienstleistungsrichtlinie ist ein Arbeitsplatzpotenzial von zusätzlichen 600 000 Arbeitsplätzen in der Europäischen Union und von zusätzlich 100 000 Arbeitsplätzen in Deutschland verbunden. Damit verbunden ist auch ein zusätzliches Wachstum von 0,4 % des Bruttoinlandsproduktes. Ich frage die Kolleginnen und Kollegen Sozialdemokraten: Wollen Sie mehr Arbeitsplätze in Deutschland, oder wollen Sie weniger Arbeitsplätze in Deutschland?

(Alexander König (CSU): Sehr gute Frage!)

Sie führen hier eine Diskussion, die an der Wirklichkeit des Dienstleistungsbereiches und an der Diskussion, die in Europa geführt wird, total vorbeigeht.

Deshalb ist es mir wichtig, für die Staatsregierung deutlich zu machen, dass wir die schutzwürdigen Interessen der

Verbraucher und des Handwerks vertreten. Ich hatte Vertreter des deutschen Handwerks zu Gesprächen mit Vizepräsident Verheugen, der Ihrer Partei angehört, nach Brüssel eingeladen. Er hat diese Vertreter davon überzeugt, dass es auch im Interesse des Handwerks sei, diese Dienstleistungsrichtlinie zu akzeptieren.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gerne.

Herr Staats minister, ich beziehe mich auf die von Ihnen erwähnten 600 000 zusätzlichen Arbeitsplätze, was wir natürlich mit Freuden vernehmen. Welche Bedingungen und welche Entlohnung sind für diese Arbeitsplätze zu erwarten? Das darf nicht übersehen werden.

Das ist eine gute Frage. Diese Arbeitsplätze werden von unabhängigen Instituten prognostiziert. Inzwischen gibt es ein Gutachten des ifo-Instituts mit über 200 Seiten.

(Ludwig Wörner (SPD): Und das glauben Sie, was der Sinn schreibt?)

Jedenfalls glaube ich Herrn Sinn mehr als Ihnen, Herr Kollege, weil er mehr davon versteht.

(Heiterkeit bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Auf 200 Seiten wird das nachgewiesen. Ich bin mir dessen sicher, dass Sie dieses Gutachten noch nicht gelesen haben, sonst könnten Sie nicht so reden.

(Ludwig Wörner (SPD): Wir kennen doch den Herrn!)

Sie bezweifeln diese Zahlen. Natürlich gibt es nationale Spielräume; darauf hat Kollege Bocklet schon hingewiesen. Schlimm an der Diskussion ist, dass Sie europäisches Recht ständig mit nationalem Recht vermengen. Es gibt durchaus nationale Spielräume, um die Folgen zu verhindern, die Sie hier beschreiben. Diese Spielräume können wir genauso nutzen wie die Österreicher, die Briten und andere.

(Rainer Volkmann (SPD): Sie haben meine Frage nicht beantwortet!)

Was wäre die Alternative? – Es herrscht Dienstleistungsfreiheit. Die Alternative wäre, dass wir gegen jeden einzelnen Fall mit Vertragsverletzungsverfahren vorgehen. Das heißt, dass wir den bayerischen Skilehrern ermöglichen, in Österreich Skiunterricht zu geben, dass wir vielen mittelständischen Betrieben in Fällen, wie sie die IHK München aufl istet, in Einzelverfahren helfen, Aufträge zu bekommen.

Herr Staats minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schieder?

Es ist hinreichend, was ich hier ausführe.

(Zurufe von der SPD: Nein, überhaupt nicht!)