Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Kolleginnen und Kollegen, zurzeit sind unübersehbar Religion und Glauben wieder auf die politische Tagesordnung zurückgekehrt. Wir haben in Deutschland längst eine kulturell heterogene Gesellschaft. Wir alle sind verpfl ichtet, die Friedenskräfte in unseren jeweiligen eigenen Religionen und Traditionen zu stärken und dem politischen Missbrauch religiöser Überzeugungen entgegenzutreten.

Wir stehen heute mit unserer Integrationsaufgabe im Spannungsfeld zwischen einer fragwürdigen und verletzenden Ausnutzung der Pressefreiheit einerseits und fanatischen islamischen Hasspredigern andererseits sowie im Spannungsfeld zwischen dem schockierenden Eindruck der schlimmen Bilder von den jüngsten Geiselnahmen einerseits und der Filmaufzeichnungen von Folterungen in Abu Ghraib und Basra durch amerikanische und britische Soldaten andererseits. Das beginnt bei den hier lebenden Muslimen und bei der Sprache, in der wir mit ihnen und über sie reden und schreiben. Eine wirklich gewollte Integration lehnt in dem Zusammenhang auch fragwürdige Verwaltungsmethoden ab, mit denen wir unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern begegnen. Deshalb müssen Sie von der CSU, einer Partei, die das Wort „christlich“ in ihrem Namen führt, sich zu Recht fragen lassen, ob ärgerliche und zum Teil überfl üssige Fragebögen nicht gerade in der aktuellen Situation eher Öl ins Feuer der aktuellen Konfl ikte gießen, anstatt mäßigend zu wirken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Beleidigend ist es, wenn man bei den über drei Millionen Muslimen in Deutschland auch nur annähernd den Eindruck erweckt und sie unter den Pauschalverdacht stellt, sie wären potenzielle Extremisten. Das ist bedenklich und inhaltlich falsch. Herr Beckstein, das bayerische Innenministerium sollte wachsendem Misstrauen gegenüber Muslimen durch einen offenen Dialog in der tagtäglichen politischen und ausländerrechtlichen Praxis entgegentreten. Ich weiß genau, wovon ich spreche, wenn ich an manches Hilfeersuchen in meinem Abgeordnetenbüro denke. Natürlich gibt es gute Ansätze. Ich komme aus Erlangen. Der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache ist dafür ein beredtes Beispiel. Ich muss es nicht weiter ausführen. Wir haben schon häufi g darüber gesprochen. Wir sollten uns aber klarmachen, dass gerade in der Schule ein Miteinander begonnen werden kann, das den Blick auf das Fremde und das Andere, gleichzeitig aber auch das Bewusstsein für das Eigene schärft. Vor diesem Hintergrund könnte eine erfolgreiche Förderung der Inte

gration von Ausländern bedeuten, dass wir erkennen, dass der Islam beispielsweise nicht der unvermeidbare Feind des Westens ist, wie es von einigen Unversöhnlichen propagiert und von anderen zugelassen wird, dass es so propagiert wird.

Herr Welnhofer, in dem Zusammenhang muss ich Ihren Satz, wir müssten dafür sorgen, dass Deutschland Deutschland bleibt, auf das Schärfste zurückweisen. Das kommt bedenklich in die Nähe von Schlagworten, die wir von anderen Parteien gehört haben.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie das damit meinen. Sie tragen aber dazu bei, dass diese Parteien wie Rattenfänger durchs Land ziehen und die Leute mit einer Politik hinter sich scharen, die wir gemeinsam nicht wollen.

Herr Kollege, ich bitte auf die Uhr zu sehen.

Ich bin am Schluss. Ich hätte mir gewünscht, dass heute gerade von Ihrer Seite – Sie haben es bitter nötig – Signale dafür ausgehen, wie wir miteinander auf dem Integrationsweg weitergehen können. Darauf müssen wir aber leider Gottes immer noch längere Zeit warten.

(Beifall bei der SPD)

Lieber Herr Kollege Volkmann, ich gehe davon aus, dass Sie die Uhr jetzt genauso aufmerksam beobachtet haben, wie vorhin bei der Frau Staatsministerin. Ums Wort für die Staatsregierung hat Herr Kollege Dr. Beckstein gebeten.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst für die Staatsregierung sehr deutlich herausstellen, dass die Integration von ausländischen Mitbürgern nach meiner Überzeugung in Bayern besser gelungen ist als in anderen Ländern Deutschlands. Das ergeben vielfältige Untersuchungen. Heute früh stand diese Aussage auch in der Zeitung von dem früheren Justizminister der SPD in Niedersachsen, Christian Pfeiffer, zu lesen. Er hat das in einer breiten Weise dargelegt. Auch andere Untersuchungen ergeben das. Das kommt nicht von ungefähr. Ich komme in Deutschland sehr viel herum. In welchen anderen Ländern wird für ein Kindergartenkind eine um 30 % erhöhte Förderung bezahlt, wenn das Kind einen Migrationshintergrund hat? – Frau Kollegin Weikert, man kann darüber streiten, ob das ausreicht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das liegt doch am Finanzierungssystem!)

In vielen Ländern wird es als sensationell angesehen, dass eine konservative Regierung in Bayern für ein Ausländerkind 30% mehr Zuschuss als für ein einheimisches Kind bezahlt.

(Zuruf von der SPD: Stimmt doch überhaupt nicht!)

Das ist deswegen richtig, weil hier Integrationsbedarf für Kinder besteht, und deswegen wird höher gefördert.

Der nächste Punkt. Auch in der Schule sind wir besser als andere. Natürlich gibt es Sprachförderklassen. Frau Kollegin Weikert, ich selber habe mir an der Georg-LedebourSchule angeschaut, wie eine Sprachförderklasse funktioniert. Ich lasse es mir auch von meiner Frau erzählen, die mir Derartiges mitgibt. Natürlich ist es in der Schule nicht optimal. Wenn dort aber in Kleinstgruppen mit sieben oder acht Kindern gefördert wird, ist das eine riesige Leistung, weil wir für deutsche Kinder keine so kleinen Klassen haben.

Ein dritter Punkt. Pisa ergibt, dass in Bayern Ausländerkinder besser gefördert werden als in anderen Ländern. Sie werden dort bei weitem nicht so gut gefördert. Frau Kollegin Weikert, Sie haben Recht, dass hier deutliche Defi zite bestehen. Es ist aber besser als in NordrheinWestfalen, und es ist weit besser als in Niedersachsen oder in Berlin. Deswegen können wir selbstbewusst sagen, dass wir bei der Integration auf einem guten Weg sind. Integration ist allerdings sehr viel schwieriger, als wir es uns vorgestellt haben. Wenn ich „wir“ sage, meine ich das auch so. Wer bei Rot-Grün behauptet, er hätte es sich anders und leichter vorgestellt, der ist scheinheilig. Überall sehen wir, dass die Erwartung nicht erfüllt wird, dass Integration spätestens nach zehn oder 15 Jahren, allerspätestens aber in der zweiten oder in der dritten Generation gelingt.

Wir sehen die Probleme am Arbeitsmarkt. Auch wenn es in Bayern weniger ist, im deutschen Durchschnitt ist ein Ausländer 2,7-mal häufi ger arbeitslos als ein Einheimischer. In Bayern beziehen Leute mit Migrationshintergrund dreieinhalb Mal so häufi g Sozialhilfe.

(Rainer Volkmann (SPD): Woran liegt das alles, Herr Beckstein? Weil die Leute keine Ausbildung haben!)

Lieber Herr Kollege Volkmann, wir könnten uns ehrlicher unterhalten, wenn Sie sagen, Bayern ist besser als Nordrhein-Westfalen, besser als Berlin und besser als jedes andere Land, in dem Rot-Grün Einfl uss hatte.

(Beifall bei der CSU)

Ich war mit Herrn Erdogan und Herrn Schily zusammen in Berlin. Herr Erdogan hat den Berlinern vorgeworfen, dass sie eine rassistische Politik betreiben, weil dort die 18- bis 25-jährigen Menschen mit türkischem Hintergrund zu mehr als 50 % arbeitslos sind. Sie können doch jetzt nicht uns an den Pranger stellen. Wenn Sie nur ein bisschen objektiv wären, sollten Sie das Lob der Staatsregierung singen.

(Beifall bei der CSU – Rainer Volkmann (SPD): Da müssen Sie ja selber lachen! – Susann Biedefeld (SPD): Muss er, ja!)

Die Integration muss verbessert werden. Deswegen heißt unser Motto „Integration fördern und fordern“. Wir haben die Integrationskurse in Bayern seit dem 1. Januar 2005 mit hoher fi nanzieller Förderung des Bundes und organisiert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in vielen kommunalen und freien Einrichtungen ermöglicht. In Bayern hatten im Jahr 2005 ca. 16 000 Menschen

einen Integrationskurs begonnen. Davon waren 7000 Neuzuwanderer und 2500 Personen mit besonderem Integrationsbedürfnis verpfl ichtet, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Das ist der Teil „Fordern“, bei dem Personen durch Verwaltungsakt aufgefordert werden können, an den Kursen teilzunehmen. 1300 Personen haben den Kurs erfolgreich absolviert.

Wir müssen noch wesentlich mehr tun. Zusammen mit den Kreisverwaltungsbehörden versuche ich, Personen, die hier schon lange Jahre leben und trotzdem nicht ordentlich integriert sind, in größerem Umfange als bisher zur Teilnahme an Integrationskursen zu verpfl ichten. Das Zuwanderungsgesetz hat diese Möglichkeit geschaffen. Davon wird äußerst unterschiedlich Gebrauch gemacht. In einzelnen Landkreisen werden diese Kurse in erheblichem Umfang verpfl ichtend aufgegeben. In anderen Landkreisen ist noch kein einziger Ausländer verpfl ichtet worden, obwohl der Integrationsbedarf offensichtlich auf der Hand liegt.

Die Sprachkurse und Integrationskurse sind das eine. Selbstverständlich müssen wir auch dafür sorgen, dass Zustände wie in Frankreich nicht eintreten. Ich habe mich beim Rat für Inneres und Justiz auf europäischer Ebene mit Herrn Sarkozy unterhalten. Eindrucksvoll berichtete er davon, dass im vergangenen Jahr 2005 in Frankreichs Vorstädten mehr als 100 000 Autos bei Unruhen angezündet worden sind. Er sagte mir, in manche „banlieue“ könne er nur mit 1000 Polizisten oder gar nicht hinein. Solche Zustände wollen wir nicht. Die darf es bei uns nie geben.

Deswegen müssen wir darauf achten, wie wir Integration fördern und fordern können. Wir müssen in der Tat eine Menge für die Sprachkurse tun. Wir müssen übrigens auch bei Aussiedlern Sprachkurse fordern. Hier greife ich die SPD an, weil sie schon nach einem Jahr das Zuwanderungsgesetz ändern und für Aussiedler, die nach Deutschland kommen, keine deutschen Sprachkenntnisse mehr fordern will.

Das halte ich für falsch.

(Rainer Volkmann (SPD): Das waren CDU-Abgeordnete!)

Spätaussiedler, deren Vorväter deutschstämmig sind, müssen Sprachkenntnisse haben. Für die Angehörigen wurde im Zuwanderungsgesetz vereinbart, sie nur dann in den Aufnahmebescheid aufzunehmen, wenn sie deutsche Sprachkenntnisse vorweisen können. Das kann man jedermann zumuten; denn auch in Kasachstan gibt es von der „Deutschen Welle“ Kurse über das Satellitenfernsehen. Ich wehre mich dagegen, dass die SPD die Sprachkenntnisse als Voraussetzung abschaffen will. Das ist der falsche Weg.

(Rainer Volkmann (SPD): Das haben die CDUMinister gefordert!)

Herr Kollege Volkmann, Sie kennen sich nicht aus. Es gibt zwar einen Kollegen der CDU, der das gefordert hat, aber keinen Unionsminister, der wie der damalige Bundesinnenminister Schily und auch die SPD, dies fordern.

(Rainer Volkmann (SPD): Dass Sie dagegen sind, weiß ich!)

Wir könnten uns schnell einigen, wenn die SPD die Bayerische Staatsregierung unterstützen würde bei dem Vorhaben, Aussiedler nur aufzunehmen, wenn sie deutsche Sprachkenntnisse vorweisen können. Bisher ist das allerdings anders.

Ich will die Bayerische Staatsregierung loben. Wir waren die Ersten, die bei der Einbürgerung die deutschen Sprachkenntnisse getestet haben. Als wir das im Januar 2000 eingeführt haben, bin ich in diesem Hause beschimpft worden und jetzt wollen sich alle einvernehmlich bemühen, einen „Kurs A“ an den Volkshochschulen allgemeinverbindlich zu machen.

Das Zweite ist, dass wir uns über die Sprache hinaus auf bestimmte kulturelle Standards einigen müssen. Mich wundert es, Herr Kollege Vogel, dass Sie Herrn Kollegen Welnhofer attackieren, weil er sagte „Deutschland muss Deutschland bleiben“. Schließlich werden viele Menschen, wenn sie einen Amtseid leisten, verpfl ichtet, deutsche Interessen wahrzunehmen. Selbstverständlich hat sich Deutschland völlig verändert, und dazu gehören auch die Interessen der Ausländer in Deutschland. Natürlich sind wir nicht mehr ein völkisch einheitliches Land, wie das vielleicht vor 100 oder 80 Jahren der Fall war. Dass es aber eine deutsche Rechtsordnung gibt, die anders ist als die italienische, die englische oder gar die iranische, ist doch selbstverständlich. Deshalb ist es völliger Unsinn, Kollegen Welnhofer anzugreifen. Sie sollten dafür sorgen, dass unsere deutsche Leitkultur oder die europäische Leitkultur von allen beachtet wird.

(Wolfgang Vogel (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Kollege, in der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Dazu gehört, dass die Zwangsehen nicht akzeptiert werden. Ich beklage es, dass bei der Zwangsehe ein rotgrünes Denkverbot gegolten hat.

(Zuruf des Abgeordneten Rainer Volkmann (SPD))

In Diskussionen wird von den GRÜNEN offen angesprochen, dass dieses Problem bewusst ausgeblendet wird.

(Rainer Volkmann (SPD): Das ist doch strafbar, das wissen Sie doch!)

Lieber Herr Kollege Volkmann – –

Ich weiß, dass ich die zehn Minuten überschreite – dann aber gründlich.

(Heiterkeit bei der CSU)

Lieber Herr Kollege Volkmann, wollen Sie denn ernsthaft die Untersuchung von Frau Schewe Gerigk in Berlin bestreiten, wonach mehr als 50 % der jungen Frauen im Wege der Zwangsverheiratung verheiratet worden sind? Das hat in der Regel nicht die Qualität der Nötigung – das wäre strafbar –, aber auch die so genannte arrangierte Ehe verstößt gegen unser Frauenbild. Das ist zum Beispiel, wenn eine Frau ihren Partner nur 15 Minuten kennt

und dann verheiratet wird, oder wenn, wie jetzt bei einem prominenten Fall aus dem Libanon, die Handschuhehe anzuerkennen ist. Dazu wurde eine 15-Jährige verheiratet, die bei der Eheschließung nicht anwesend war, sondern vertreten worden ist. Nun will sie nach Deutschland einreisen. Ich vertrete die Meinung, dass dies gegen die öffentlichen Interessen Deutschlands verstößt. Eine solche Ehe kann nicht anerkannt werden, weil diese Eheschließung gegen unsere elementaren Rechtsvorschriften verstößt. Das bisherige Recht ist anders. Dazu soll künftig gehören, dass wir das Alter von 21 Jahren für den Familiennachzug durchsetzen. Das ist eine Forderung, die auch der Innensenator des Landes Berlin, Dr. Körting, der der SPD angehört, vertritt. Die Innenministerkonferenz hat den Vorschlag einstimmig als Prüfungsauftrag beschlossen, weil man eingesehen hat, dass man mit dem Strafrecht alleine nicht zurande kommt, sondern darüber hinausgehende Möglichkeiten benötigt werden, Derartiges zu verhindern.

Nun noch ein Wort zu dem Fragebogen: Gemäß dem Staatsbürgerrecht ist die Regelanfrage vorzunehmen. Wir stellen fest, dass bei ausländischen Organisationen keine Mitgliedschaft vorhanden ist. Wollen wir denn einen Sympathisanten einer Organisation, die den Holocaust leugnet, als deutschen Staatsangehörigen einbürgern? Wollen wir Mitglieder der Hamas, die in Deutschland Millionenbeträge gesammelt hat und die das Existenzrecht Israels bestreitet und meint, Israel müsse vernichtet werden, einbürgern? Da er nicht als Mitglied in Erscheinung tritt, kann er vom Verfassungsschutz nicht identifi ziert werden. Darum befragen wir die Betreffenden, ob jemand verfassungsfeindliche Organisationen unterstützt hat. Gibt er das an, führt das nicht automatisch zur Ablehnung, sondern man wird anhand eines Gespräches feststellen, ob es jemand ist, der zu uns passt und ob er sich an die Regeln in Deutschland hält. Wir wollen aber niemanden einbürgern, der die PKK oder die Hamas unterstützt. Deshalb ist der jetzt vorgesehene Fragebogen vernünftig.