Ich eröffne damit die Aussprache. Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Dr. Kronawitter. Die Redezeit beträgt 30 Minuten je Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Huber, Sie haben hier wieder aufwendiges Marketing betrieben. Allerdings
konnten Sie uns trotzdem nicht davon überzeugen, dass die Staatsregierung die Chance des neuen Landesentwicklungsprogramms wirklich genutzt hätte. Obwohl die Staatsregierung über zwei Jahre an dem heute vorgelegten Entwurf gebastelt hat, soll es jetzt im Landtag hopplahopp gehen.
Die Staatsregierung setzt den Landtag wieder einmal unter enormen Zeitdruck. Der zeitliche Ablauf der Parlamentsberatung soll nämlich von der Übergangsregelung bestimmt werden, wonach bei einem neuen LEP bis zum 21. Juli 2006 eine aufwendige Umweltprüfung vermieden werden kann. Diese Übergangsregelung will die Staatsregierung nutzen.
Der dadurch für uns ausgelöste Zeitdruck bedeutet erstens: Die CSU-Fraktion, willfährig wie sie nun einmal ist,
setzt das LEP unverzüglich auf die Tagesordnung der Ausschüsse, und zwar nachdem sie intern wochenlang darüber gestritten hat. Der Opposition lässt sie keine Zeit zur interfraktionellen Abstimmung. Das ist undemokratisch.
Spotten Sie nicht! Sie wissen selber, wie lange Sie in der Fraktionssitzung gebraucht haben, bis Sie einen einigermaßen tragbaren Konsens herbeigeführt haben. Die Rede des Herrn Ministers war heute weitgehend eine Verteidigung dieses Konsenses.
Dann muss ich noch etwas ansprechen, was unsere Arbeit sehr beeinfl ussen wird. Die kurze Zeitspanne wird bewirken, dass die Staatsregierung und die CSU-Fraktion peinlich darauf bedacht sein werden, im Landtag ja keine Maßgabebeschlüsse für Ziele fassen zu lassen, weil dann eine nochmalige Anhörung notwendig sei. Dies würde nämlich Zeit kosten. Damit würde der Zeitplan bis Juni vollends ins Rutschen kommen.
Nein, Herr Minister Huber und meine Kollegen von der CSU, als bloßen Abnickvorgang werden wir die parlamentarische Befassung mit dem LEP nicht durchgehen lassen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich sehr gerne daran, dass der Bayerische Landtag auf Antrag seines heutigen Präsidenten Alois Glück im Jahre 1979 per Beschluss eine rechtsverbindliche Beteiligung des Parlaments an der Aufstellung und Fortschreibung des LEP durchgesetzt hat.
Ministerpräsident Stoiber hat am 6. November 2003 verlauten lassen: Bis Ende 2004 werden wir ein neues, schlankes Landesentwicklungsprogramm aufstellen. – Da hätte die Staatsregierung dem Landtag die Fortschreibung des LEP doch so rechtzeitig vorlegen können, dass ausreichend Zeit für parlamentarische Beratung und anhörungsrelevante Zieländerungen geblieben wäre.
Im Übrigen wäre diese übereilige Fortschreibung nach drei Jahren nur gerechtfertigt, wenn die Disparitäten in Bayern in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht angegangen würden. Das ist mit dem vorliegenden Entwurf aber nicht der Fall.
Noch einmal dazu, warum wir das Vorgehen für übereilt halten: Noch am 7. Mai 2003 ließ Ministerpräsident Stoiber uns Abgeordnete bei der Zustellung des damals neuen LEP wissen, mit dieser Fortschreibung würden die Leitlinien für die künftigen Jahre vorgegeben; Bayern sei damit für die Herausforderungen gerüstet. – Eine vermeintlich klare Aussage, aber für welch kurzen Zeitraum hat sie gegolten? – Ihr Verfall trat schon nach sechs Monaten ein.
Ich darf Sie auch daran erinnern, in welchen Kontext Ministerpräsident Edmund Stoiber am 6. November 2003 seine Ankündigung gestellt hatte: Sie sollte als Botschaft verstanden werden, dass in Bayern dereguliert und abgeschafft wird, die öffentliche Verwaltung um jeden Preis verschlankt wird und bisherige Gemeinwohlaufgaben des Staates privatisiert werden. Die Landesplanung sollte deshalb auf das vom Bund vorgegebene Mindestmaß reduziert werden, um den Marktkräften ungezügelteren Lauf zu lassen. Für diese Botschaft, Herr Minister Huber, haben Sie damals bereits im Vorfeld kräftig die Fanfare geblasen. Sie ließen verlauten, die regionalen Planungsverbände würden abgeschafft. Sie sind nicht abgeschafft worden, und auch der heutige Entwurf des Landesentwicklungsprogramms widerspricht der damaligen Rede des Herrn Ministerpräsidenten.
Freilich sollen mit ihm einige gewichtige landesplanerische Prinzipien aufgeweicht werden. Allerdings, Herr Minister Huber, Ihnen und Ihrem Chef ergeht es jetzt bei Landesplanung und Landesentwicklung wie Goethes Zauberlehrling: Geister, die Sie riefen, werden Sie nicht mehr los.
Auch heute mussten Sie wieder darlegen, warum es überhaupt einer Landesplanung bedarf und warum ein LEP sinnvoll ist.
Kolleginnen und Kollegen von der CSU, angesichts dieser Haltung frage ich Sie: Wie soll die Landespolitik das Ziel gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen Bayerns verfolgen, wenn nicht steuernd beeinfl usst wird? Wie ließe sich die Verödung von Innenstädten und wie ließen sich Investitionsruinen von Einzelhandels- und Großprojekten verhindern, wenn beliebig auf der grünen Wiese gebaut werden dürfte?
Schauen Sie doch in die neuen Bundesländer. Dort sehen Sie, was es bedeutet, wenn beliebig auf der grünen Wiese gebaut werden darf. Sie brauchen einen Maßstab, gewisse Steuerungsinstrumente und Spielregeln.
Aber diese Vergewisserung ist nicht neu. Warum dann die eilige Fortschreibung? Sie lässt sich nicht – wie es im Entwurf getan wird – mit der Aufstellung von Zielen, die strikt zu befolgen sind, und Grundsätzen, die der Abwägung unterliegen, begründen. Die Strukturierung nach den neuen Vorschriften des Bundesraumordnungsgesetzes – Herr Minister, Sie haben sich das nicht ausgedacht – beruht auf einer Vorgabe des Bundes. Sie hätte auch noch eine Zeit lang warten können, wenn man beim bisherigen Turnus von neun Jahren geblieben wäre. Allerdings ist oft nicht erkennbar, warum ein bestimmter Sachverhalt als Ziel und warum ein anderer als Grundsatz formuliert wird.
Die erneute Fortschreibung – so wird weiter begründet – diene der Vermeidung von Redundanzen und Doppelplanungen. Auch das könnte warten. Ich sage Ihnen: Die aktionistische Pose des Herrn Ministerpräsidenten musste eingelöst werden; um nichts anderes geht es.
Interessanterweise ist der Entwurf doch nicht wirklich schlank. Doppelplanungen sind häufi g nicht vermieden, der Entwurf geht einen Mittelweg und regelt viele Sachverhalte, die auch in Fachplanungen geregelt sind. Wir halten das für richtig; denn schließlich kommt der Landesplanung eine übergeordnete, koordinierende Funktion zu.
Freilich fehlt dort, wo bestimmte Sachverhalte nicht mehr in das LEP aufgenommen sind, die Begründung, warum gerade diese weggelassen wurden. Das betrifft zum Beispiel das Unterkapitel „Stationäre medizinische Versorgung“. Offensichtlich wollen Sie keine fl ächendeckende Versorgung mit stationären Einrichtungen mehr garantieren. Der Gesetzentwurf zur Krankenhausversorgung, den Sie vorgelegt haben, beweist das, und im LEP lassen Sie diesen Punkt gleich ganz weg.
Ich frage mich auch, warum auf Ziele im Zusammenhang mit der Luftreinhaltung verzichtet wurde. Selbst wenn es nach Bundesrecht Luftreinhaltepläne geben muss, sind Landesvorgaben doch dringend geboten. Gleiches gilt auch für die Abfallwirtschaft. Die Staatsregierung sagt sonst immer: In Bayern machen wir alles selber. Hier aber muss plötzlich auf Bundesrecht verwiesen werden, weil keine eigene Lösung vorgeschlagen wird.
Für mich gibt es einen gravierenden Anlass für die Fortschreibung des LEP. Dieser ist aber als Grund nicht angeführt. Das sind die enormen demographischen Verschiebungen innerhalb Bayerns. Diese müssen spätestens heute Landesplanung und Landesentwicklung herausfordern, denn es müssen massive Vorkehrungen getroffen werden.
Herr Minister Huber, Sie haben Zahlen vorgetragen, die diesen Umstand verdecken sollen. Sie sprechen vom ländlichen Raum und vom Bevölkerungszuwachs und sagen nicht, dass sich die Entwicklung im ländlichen Raum in letzter Zeit in höchstem Maße differenziert voll
zogen hat. Sie sagen nicht, dass dieser Raum auch künftig eine sehr differenzierte Entwicklung erfahren wird. Sie wissen, dass der ländliche Raum 60 % der Fläche in Bayern einnimmt.
Ich beziehe mich auf die Studie der Bertelsmann-Stiftung „Aktion Demographischer Wandel“. Wanderungsgewinner sind und bleiben die jetzt schon wirtschaftlich starken Regionen. So kann der Landkreis Erding nach dem Bevölkerungszuwachs von knapp 13 % in den letzten sieben Jahren bis zum Jahre 2020 mit einem weiteren Zuwachs von knapp 11 % rechnen, der Landkreis München mit einem solchen von 6,2 %, die Stadt Freising mit 6,1 %, die Stadt München mit 7,8 % und Augsburg mit 2,8 %.
Ganz anders sieht es zum Beispiel im Landkreis Wunsiedel aus. Er muss mit einem Bevölkerungsaderlass von 12,2 % bis zum Jahr 2020 rechnen; dies nach bereits eingetretenen Verlusten von 6,3 % in den Jahren 1996 bis 2003.
Andere Kommunen verlieren ebenfalls viele Menschen: Im Landkreis Hof beträgt das Minus 8,2 %, in Kronach 7,2 %, in Rhön-Grabfeld 4,5 %, in Freyung-Grafenau 3,9 % und in Weißenburg-Gunzenhausen 2,3 %. Auch in Oberbayern wandern Menschen ab. In Berchtesgaden ist es jede zwanzigste Person. In der landschaftlich wunderschönen Gemeinde Mittenwald wandert sogar jeder zehnte Bewohner ab.
Mit den Bevölkerungsverlusten geht eine dramatische Veränderung des Bevölkerungsaufbaus einher. In den schrumpfenden Kommunen gibt es weniger Kinder und Jugendliche als im Landesdurchschnitt. Dafür sind die Menschen der Generation über 60 Jahre dort umso zahlreicher. Bürgermeister und Landräte aus den Gebieten mit demographischem Verlust wissen längst um die verheerenden Folgen für den Erhalt und die Anpassung der sozialen, schulischen, kulturellen und wirtschaftlichen Infrastruktur.
Die Bevölkerungsverschiebung ist Ausdruck der höchst ungleichen Wirtschaftsentwicklung in Bayern. Die Menschen ziehen einfach den Arbeitsplätzen hinterher. Herr Minister Huber, Sie wissen: Clusterpolitik als sektorale Wirtschaftspolitik wird diese Entwicklung noch weiter verstärken. Hier muss etwas dagegen gesetzt werden, nämlich die Regionalpolitik. Ich habe große Zweifel, dass die heute von Ihnen angesprochene Politik des Regionalmanagements freiwilliger Art auf Landkreisebene ausreichen wird. Sie sagen, hier sei vorgesorgt worden, weil es für den ländlichen Raum die besondere Kategorie „ländlicher Teilraum“ gebe, der in besonderem Maße gestärkt werden solle. Diese Kategorie war bisher schon ausgewiesen; trotzdem hat sich diese Entwicklung vollzogen. Auch das am heutigen Tage vorgestellte Vorrangprinzip wird nicht ausreichen, um diese Tendenzen abzuschwächen.
Bei der demographischen Entwicklung verfährt die Staatsregierung wie beim Sozialbericht: Was politisch nicht opportun ist, wird nicht klar analysiert und benannt. Gravierende landespolitische Herausforderungen in Bayern, die kein Ruhmesblatt für die Staatsregierung sind, sollen nicht sichtbar werden.
Da hilft es auch nicht, dass in einigen Grundsätzen und Zielen, bei deren Begründung auf die demographischen Verwerfungen eingegangen wird, ausgeführt wird, man solle sich der Abwanderung entgegenstellen. Ich sage Ihnen: Die Kommunalpolitiker spüren, dass das LEP ein zahnloser Tiger bleibt, wenn die Praxis der Staatsregierung in die entgegengesetzte Richtung geht.
Als Beleg verweise ich auf die kindbezogene Förderung von Kindertagesstätten. Eine Gemeinde will und muss ihren Kindergarten auch dann noch aufrechterhalten, wenn nur mehr 16 Kinder in dieser Gemeinde sind. Das staatliche Fördervolumen reicht jedoch erst ab einer Gruppe von 25 Kindern aus. Eine solche Förderung verstärkt die Ungleichheit in Bayern.
Kolleginnen und Kollegen, die Praxis wird den Beweis erbringen, ob der ländliche Raum im Sinne des Ziels gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen ausreichend unterstützt wird.
Ein zweites Beispiel: Derzeit werden landesweit fast 500 Teilhauptschulen geschlossen, weil die Staatsregierung Hauptschullehrerstellen einsparen will. Im Entwurf zum LEP heißt es, dass Volksschulen – vor allem Grundschulen – im ländlichen Raum auch bei geringer Auslastung nach Möglichkeit erhalten bleiben sollen. Mit der Formulierung „nach Möglichkeit“ haben Sie den Weg zu einer weiteren Verschlechterung der wohnortnahen Schulversorgung beschritten. Mit solchen Formulierungen programmieren Sie eine Verschlechterung für den ländlichen Raum vor.